Kleve: Karl-Leisner-Begegnungsstätte in der Flandrischen Straße 11

Kleve Begegnungsstätte 1Am 31. Oktober 2000 wurde das Elternhaus Karl Leisners in der Flandrischen Straße 11 an den von sieben Schönstattpriestern neu gegründeten Förderverein „Karl Leisner begegnen e. V.“ verkauft. Am 11. Januar 1962 hatten die Eltern Leisner das Grundstück mit dem Haus auf die älteste Tochter, Maria Leisner, übertragen. Nach ihrem Tod am 19. Juni 1999 machten weder die Diözese Münster noch die Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt in Kleve von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch, so dass die Erben Willi Leisner und Elisabeth Haas, geb. Leisner, dem Wunsch des Fördervereins, in dem Haus das Leben und Wirken Karl Leisners darzustellen und es als Begegnungsstätte zu nutzen, nachkamen.

An den Kosten von 300.000,00 DM beteiligten sich die der Schönstatt-Bewegung angehörenden Mitglieder des Fördervereins, Schönstatt-Priester und das Bistum Münster durch Gewährung eines Darlehens sowie zahlreiche Spender.

Geschichte des Hauses an der Flandrischen Straße 11

das Haus 1930v. l.: Elisabeth, Maria, Vater u. Paula Leisner

das Haus 1930                                        v. l.: Elisabeth, Maria, Vater u. Paula Leisner

Anstreichermeister Winthuis baute 1912/1913 das Haus Nr. 11 an der Flandrischen Straße. Später gehörte es den Dernbacher Schwestern von der Heil- und Pflegeanstalt in Limburg an der Lahn, die es von der Eigentümerin Sofia Kleinheidt als Ausgleich für eine lebenslange Pflege bekommen hatten. Vater Wilhelm Leisner kaufte am 4. Oktober 1929 das Haus für 15.000,00 Reichsmark und wurde am 23. Oktober 1929 als Besitzer in das Grundbuch der Stadt Kleve eingetragen. Am 22. Oktober 1929 zog die Familie Leisner von der Triftstraße 107 I, wo sie seit dem 17. Dezember 1921 gewohnt hatte, in das Haus an der Flandrischen Straße Nr. 11.
Das Haus galt als Mietwohngrundstück und Werkstatt. In der Werkstatt war nach einem Mietnachweis von 1931 die Druckerei Poethen untergebracht; Heinrich Poethen war am 31. Oktober 1929 dort eingezogen. Als Mieter einer Wohnung ist 1931 Oberstadtsekretär Retzlaff angegeben. 1935 betrug der Einheitswert des Hauses 13.800,00 Reichsmark. Bei dem großen Luftangriff auf Kleve am 7. Oktober 1944 wurde das Haus erheblich beschädigt und war unbewohnbar. Zu dem Zeitpunkt wohnten dort als Mieter Oberinspektor Erwin Nielen mit seiner Familie (Unterhaus und zwei Zimmer im Dachgeschoss) und in einem Zimmer im Dachgeschoss Rektor Heinrich Hillen. Ein weiteres Zimmer im Dachgeschoß hatten Karl und Willi Leisner als Jungen bewohnt.
Unmittelbar nach Kriegsende bemühte sich Vater Leisner um den Wiederaufbau des Hauses. Am 22. Juli 1946 konnte die Familie Leisner wieder einziehen. In der Mietwohnung lebte ab 1950 der Malermeister Heinrich Huth und von 1955 bis 1975 der Bildhauer Josef Kleinschmidt. Das Mansardenzimmer wurde bis zu ihrem Tod am 20. April 1951 von Gertrud Kalscheur bewohnt. Am 11. Januar 1962 wurde das Grundstück auf Maria Leisner übertragen.

Kleve Begegnungsstätte 2Auf Anregung von Propst Viktor Roeloffs, wurde nach der Aufstellung des „Kreuzes der Versöhnung“ an der Stiftskirche in Kleve von dem Künstler Bert Gerresheim eine Bronzeplatte mit der Darstellung der 12. Kreuzwegstation für das Elternhaus Karl Leisners gefertigt. Links vom Gekreuzigten hat der Künstler Mutter Teresa und rechts Franz von Assisi dargestellt. Am 20. Oktober 1993 wurde das Relief an der Frontseite des Hauses Flandrische Straße 11 angebracht und einen Tag später eine Schrifttafel:

„HIER WOHNTE DIE FAMILIE LEISNER SEIT 1929 / KARL LEISNER † 12.8.1945 / NACH 5½ JAHREN KZ-HAFT ALS MÄRTYRER DES GLAUBENS SELIGGESPROCHEN AM 23.06.1996 / VATER WILHELM † 13.10.1964 / MUTTER AMALIE 19.2.1983 / DIE STIFTSKIRCHE / GEMEINDE ST. MARIAE HIMMELFAHRT“.

Herr von Offern ergänzte vor Ort die Schrift ohne Schablone und brachte die rote Umrandung an.

Entwicklung der Karl-Leisner-Begegnungsstätte

Nach dem Verkauf des Hauses an den Förderverein „Karl Leisner begegnen e. V.“ konnten die Mieter im Erdgeschoss des Hauses bewogen werden, der Aufhebung des noch mit Maria Leisner geschlossenen Mietvertrages zuzustimmen und auszuziehen.
Die nächste Phase war bestimmt durch die Bemühungen um eine Genehmigung der gewünschten baulichen Veränderungen einschließlich der hierfür erforderlichen Finanzierung. Vorrangig war anschließend die Instandsetzung der Wohnung in der ersten Etage, die 2003 von Pfarrer em. Ernst Geerkens[1] und seiner Schwester Maria [† 2011] bezogen wurde. Pfarrer Geerkens übernahm gleichzeitig als Custos die Verantwortung für die Begegnungsstätte. Durch den ehrenamtlichen Einsatz von Handwerkern und Fachkräften, Mitgliedern der Kolpingfamilie und KAB sowie zahlreichen Unterstützern des Fördervereins konnten nach und nach die Räume im Erdgeschoss und ein Raum im Dachgeschoss hergerichtet werden.

[1] Ernst Geerkens (* 1.8.1929 in Wachtendonk) – Priesterweihe 16.3.1957 in Münster – Kaplan in Xanten 1957–1960 – Kaplan in Münster St. Joseph 1966–1969 – Pfarrer in Materborn 1969–2002 – Seit 2003 lebt er als Emeritus in der Karl‑Leisner‑Begegnungsstätte in Kleve, Flandrische Str. 11.

Seit 2004 sind die Räume der Öffentlichkeit als Begegnungsstätte zugänglich. Im Erdgeschoss wird das Leben und Wirken Karl Leisners dargestellt.
Die inzwischen im Archiv des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Kleve lagernde Wanderausstellung „Karl Leisner – ein Leben innerer Freiheit und der Parteinahme für Christus“, die 1984/1985 von den damaligen Religionslehrern des Gymnasiums[1] zusammengestellt worden war, wurde der Begegnungsstätte zur Verfügung gestellt. Anlass zur Entstehung war ein dreifacher Bezug: Vor 50 Jahren hatte Karl Leisner sein Abitur an dem Gymnasium gemacht, vor 40 Jahren war er im KZ Dachau zum Priester geweiht worden und 1945 an den Folgen der langen Haft gestorben. Die Ausstellung umfasst die vier großen Themenbereiche „Jugend in Familie, Schule und Gruppe“, „Das Jahr 1939, Jahr der Entscheidungen“, „Priesterweihe und Primiz im Konzentrationslager“ und „Tod und Ausstrahlung“. Nach der Seligsprechung Karl Leisners am 23. Juni 1986 wurde eine weitere Tafel hierzu erstellt. Auf den Tafeln sind u. a. zahlreiche Fotos, Tagebuchauszüge, Briefe, Augenzeugenberichte und die Dokumente zur Priesterweihe zu sehen. Ein Grundanliegen der Ausstellung war die Frage, welche Impulse von Karl Leisners Leben auf die Menschen heute ausgehen.

[1] Dr. Walter Froleyks, Norbert Noél, Klaus Riße, Thomas Spätling und Winfried Willems

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Neben den Schautafeln liegt eine Sammlung an Zeitzeugnissen und Exponaten aus, die im Zusammenhang mit Karl Leisner stehen.

Im Erdgeschoss rechts an der Wand zur Straßenseite hängt eine Karl-Leisner-Plastik von dem Künstler Johannes Potzler, die von der Schönstatt-Mannesjugend vom Niederrhein finanziert wurde. Es ist der vierte Guss der Bronzeplastik und wurde im Jahr 2000 gefertigt. Der erste Guss der Plastik ist eine Stiftung des Uniti-Patri-Kurses und hängt seit 1997 im Priesterhaus auf Berg Moriah in Simmern.

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Zur Fertigung, Beschreibung und Deutung der Plastik siehe Link

Im Dachgeschoss kann das Zimmer besichtigt werden, in dem Karl Leisner und sein Bruder Willi als Jungen ihr Reich hatten. Dort befindet sich auch noch sein erstes Möbelstück, ein Bücherregal.

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Umzug der Familie Leisner zur Flandrischen Straße 11 in Kleve

Flandrische Straße mit Rot- und Weißdornbäumen im Wechsel

Flandrische Straße mit Rot- und Weißdornbäumen im Wechsel

Am 17. Dezember 1921 war Familie Leisner von Rees nach Kleve in die Triftstraße 107 I gezogen und lebte dort bis zum 22. Oktober 1929. Die Begeisterung Karl Leisners für das neue Elternhaus in der Flandrischen Straße 11 spiegelt sich in seinen Aufzeichnungen wider. Die Bedeutung seiner persönlichen Tagebücher ist an der Auflistung der transportierten Gegenstände zu erkennen.[1]

[1]    Karl Leisner aus Sachsenhausen am Sonntag, 9. Juni 1940, an seine Familie in Kleve:
Alles, was Ihr mir schreibt: vom neuen Stein­garten, von den blühen­den Bäumen [Rot- und Weißdorn] unse­rer [Flandrischen] Straße, vom Wachsen in unserm Garten, von den jungen Küken: macht mir das Herz froh und läßt mich in Euren Lebensrhythmus einschwingen.

Kleve, Freitag, 4. Oktober 1929
Nach dem Mittagessen fing Papa immer wieder an zu kichern. – Dann ging er mit Mama irgendwohin. – Als Papa und Mama wiederkamen, vertrauten sie mir das Geheimnis an; nämlich, daß sie ein Haus gekauft hätten und zwar in der Flandrischen Straße Nr. 11. – Ich war natür­lich zuerst ganz paff. – Denn ich dachte mir, das würde doch ein bißchen viel Geld kosten (15.000,00 [Reichsmark]). Aber nachdem Papa es mir vorgerech­net hatte, wurde es mir klar, daß Papa einen äußerst günstigen Kauf gemacht hatte. – Dann erzählte Papa mir, wie das Haus aussähe und daß es noch eine Werk­statt nebenbei habe.[1] Ich war riesig gespannt, auf das „neue Haus“. Wir besich­tigten es sehr bald. – Wunderschön! – Mein [Mansarden-]Zimmer ist noch sehr gut tape­ziert und riesig groß.[2] – Jetzt kommen wir ganz nah an der „Penne“ zu woh­nen. – Das ist auch prima; denn dann kann man in der Zehnuhrspause sauber auskneifen und zu Hause Kaffeetrinken! – Eins a   prima!

[1] Druckerei der Firma Heinrich Poethen im Garten
[2] Da Willi Leisner noch bis zum 28.3.1931 zwecks orthopädischer Eindämmung seiner Englischen Krankheit in der Provinzial-Kinderheilanstalt in Süchteln lebte, bewohnte Karl Leis­ner das Zimmer zunächst allein.

Dienstag, 15. Oktober 1929
Karl Leisner aus Kleve an Walter Vinnenberg in Maria Laach:
Lieber Walter!
[…] Nun noch eine „private“ Neuigkeit. Wir haben nämlich ein Haus gekauft und ziehen nächste Woche um. Also bald könnt Ihr nicht mehr die alte Adresse, sondern die neue auf Eure Briefe bzw. Karten schreiben. Sie lautet Flandri­sche Straße 11. Jetzt wohnen wir bald direkt bei der Penne. – Also hat man jetzt ab nächste Woche einen kurzen Schulweg. So das wär’s, was ich Euch zu sagen hätte. Gruß
Euer Karl

Kleve, Montag, 21. Oktober 1929
Gegen 21.00 Uhr abends brachten Papa, Mama, Tante Thea [Thomas] aus Neuß und ich allerhand, zum Beispiel Einmachgläser (volle und leere), Bücher von mir und die Tagebücher, Blumen und noch anderes mehr, zum „neuen Haus“ [Flandrische Straße 11]. – Als Mama und Tante Thea die Kiste, in der die vollen Ein­machgläser waren, aus dem Leiterwagen hoben, ging der Boden los und bald hätte es ein Malheur gegeben. – Gegen 22.00 Uhr waren wir wieder zu Hause.

Kleve, Dienstag , 22. Oktober 1929
Heute zogen wir um! – Der Umzug wurde auf einem offenen Wagen der Firma Hogmann vollzogen. – Ich ging nach der Schule eben gucken und fuhr dann mit dem Rad, das ich morgens mitgebracht hatte, nach [Familie Jakob] Schroers [Materborner Allee 8], wo ich den Tag über blieb. – Mittags gegen 15.00 Uhr wurde „Pussi“ mit dem einen jungen Kater (Möhrchen), den sie gerade hatte, in den Rucksack gesteckt und ins „neue Haus“ transportiert. – Um 19.30 Uhr fuhr ich von Schroers zum „neuen Haus“, wo ich heute zum er­sten Mal auf meinem schönen großen Zimmer schlief. – Ich schlief sehr gut allein auf meinem Zimmer; aber Willi, der in Süchteln ist, vermißte ich doch etwas. – Das war die erste Nacht im neuen Haus.

Da die Tagebücher Karl Leisners zu einem großen Teil in seiner Heimatstadt Kleve geschrieben wurden bzw. sich darauf beziehen, wird an dieser Stelle auf die unter der nachstehenden Internetadresse veröffentlichten Aufzeichnungen verwiesen.

Link zu den Tagebüchern

Die Beiträge zu den verschiedenen Erinnerungsstätten Karl Leisners in Kleve werden nach und nach veröffentlicht.

Siehe bereits folgende Links:

Link 1 – Karl Leisner-Gedenken im ehemaligen KZ Sachsenhausen

Link 2 – Kleve: Karl Leisner in der Kapelle des St. Antonius-Hospitals

Link 3 – Kleve: Karl-Leisner-Straße

Text und Fotos Christa Bockholt und IKLK-Archiv