1600-Jahr-Feier der Auffindung der Gebeine des Protomartyrers Stephanus

Stephanus

Am 3. August jährt sich zum 1600. Mal die Auffindung der Gebeine des Protomartyrers Stephanus. Bis vor ca. 50 Jahren beging die Kirche diesen Tag als liturgisches Fest. Durch die Auffindung der Gebeine verbreitete sich der Stephanuskult ab 415 explosionsartig in der damals bekannten Welt.
Die erste Biographie zu Karl Leisner erschien unter dem Titel „Stephanus heute“.[1]

[1] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner, Prie­ster und Opfer, Kevelaer 1 u. 21950, 31951, 41953, 51958, 61962, 7. Auflage 2008 kommentiert von Hans-Karl Seeger (zit. Pies 1950)

Hl. Stephanus – Altartafel von Hans Memling – Der Heilige trägt die Dalmatik des Diakons

Foto Wikimedia Commons

 

 

Der hl. Stephanus spielt in Karl Leisners Leben eine wichtige Rolle. Das zeigt sich sowohl in den Tagebuchnotizen als auch in Zeugnissen von Zeitgenossen.

Heinrich Brey[1]:
Karl war wie ein Ste­phanus, voll des Glaubens und des Heiligen Geistes – der rechte Diakon in der Jungen Kir­che, der seinen Jungen das immer zum Siege führende Chri­stentum über­zeugt und freudig vorlebte. So verstand er es meister­haft, die Liebe zum Christkönig in vielen Jungenherzen zu entzünden und sie zu echt katholi­schen Jungen zu formen, zu frohen Christen, de­nen der Glaube von der Stirne leuchtet. Hier konnte man die Wahrheit des geflü­gelten Wortes er­leben: „Leben entzündet sich am Leben!“ Karl liebte das Wort des Herrn: „Feuer zu senden, bin ich auf die Erde ge­kommen. Was will ich anders, als daß ­es brennet“ [Lk 12,49].[2]

[1] Schönstattpriester Heinrich Brey (* 26.5.1903 in Capellen, † 23.8.1975) – Priesterweihe 3.3.1928 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmel­fahrt (Nassauerstr. 51) 12.4.1928 bis 18.7.1935 – als Präses ver­ant­wortlich für die Jugend
[2] Brey, Heinrich: Erinnerungen aus meiner Klever Kaplanszeit, (Typoskript 2.2.1948): 1 (zit. Brey, H. 1948)

Kleve, Donnerstag, 26. Dezember 1935, Heiliger Stephanus
8.00 Uhr H. Mis. [Missa – Heilige Messe] – Kaplan Ferdinand Stegemann[1] predigt über die Weihnacht, wie sie die Menschen froh und gut macht, denn „er­schienen ist unter uns die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Got­tes.“ [Tit 3,4] Überzeugend, voll heiliger Stimmung und packend (Bei­spiele), sowie auch zeitnah und frisch predigt er – der beste Prediger Kle­ves. Sar­kastisch-deutlich wird er beim „Weihnachtsmann“.
Mit Stephanus und der jungen Kirche Kraft und Leiden schließt [er] wir­kungsvoll. – Liebe und Einsatz für den Herrn, der unter uns kam als die Güte und Huld unseres Gottes.

[1] Ferdinand Stegemann (* 31.3.1892 in Freiburg/Br., † 28.8.1947 in Kleve) – Priesterweihe 17.6.1916 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmelfahrt (Kapitelstr. 7) 10.8.1931 – Pfarrektor mit dem Titel Pfarrer in Kleve Christus König 17.9.1946 bis 1947 – Er schickte Pa­kete für Karl Leisner ins KZ Dachau.

Heinrich Brey:
Von seiner damaligen Romfahrt heimgekehrt, besuchte mich Karl am 27. Juli 1936 in meinem neuen Wirkungsfeld in Duisburg[-Hochfeld], St. Peter. Bezeich­nend sind die paar Worte, die er damals in mein Gästebuch hi­nein­schrieb:
Die Sonne geht auf! Heil St. Peter
Rom und Duisburg Karl Leisner
Ja so war es: Wo Karl im weiten Jugendreich der Diözese wirkte und zur Jugend sprach wie ein Stephanus, wo er die Jugend formte aus dem Pfingstgeiste, der alles erneuert in Christus, wo er Reich Gottes baute in deutscher Jugend mit der Liebe und Kraft seiner jungen Seele, da ging die Sonne auf – die Sonne eines sieghaften Glaubens an Christus, den Herrn der neuen Zeit – die Sonne einer frohen Hoffnung in allen Schwie­rigkei­ten und Kämpfen mit den Feinden des Heiles – die Sonne einer glü­hen­den, ja brennenden Liebe, die alle gewinnt und alles eint in Chri­stus, dem König.[1]

[1] Brey, H. 1948: 3

Kleve, Sonntag, 26. Dezember 1937, Heiliger Stephanus
8.00 Uhr heilige Messe. St. Stephan. Berufsgedanken über den Meßtext. – Ja, io son vocato! Orare! [Ich bin berufen! Beten!] Was hat ihn – den heili­gen Diakon so groß gemacht? Sein Einsatz, sein apostolischer Mut, seine Liebe, ja, seine Liebe zu seinen Feinden!
Herr, schenk mir eine Stephanusseele! Im Geiste knie ich an seinem Grab in S. Lorenzo, das er mit diesem teilt.[1]
Abends treffen wir uns unter dem Weihnachtsbaum. Es gibt neuen Mut. Der neugeborene Heiland gibt unsern Herzen Wärme. Sein Protomartyrer und Diakon verleiht uns neues Feuer.

[1] Die von Kaiser Konstantin im 4. Jh. errichtete Kirche S. Lorenzo fuori le mura an der Via Tiburtina ist eine der viel besuchten Wallfahrtsstätten in Rom. Dort ruhen die Gebeine des Martyrer-Diakons Lauren­tius und seit 560 Gebeine des Martyrer-Diakons Stephanus.
Vermutlich hat Karl Leisner diese Kirche auf der Romfahrt (22.5. bis 8.6.1936) besucht.

Mittwoch, 5. Januar 1938
Karl Leisner aus Münster an Elisabeth Ruby in Freiburg/Br.:
Der Stephanstag [26.12.] gab neue Kraft, neuen Mut zum Beruf.

Samstag, 15. April 1939
Karl Leisner aus Münster (Priesterseminar) an Friedrich Falkenstein in Neuß:
Lieber Opa!
[…]
Auf Mariä Verkündigung, am 25. März, wurden wir von unserm lieben Bischof [Clemens August Graf von Galen] hier im Dom zu Diakonen ge­weiht. Es war eine erhabene Feier. Im wallenden Weiß der langen Alben zogen wir zu 62 jungen Subdiakonen mit brennenden Kerzen in Händen auf das hohe Chor. Vor dem Evangelium in der Messe fand die heilige Weihe statt. Der Bischof ermahnte uns[1] und betete dann mit der ganzen Kirche über uns [die Allerheiligenlitanei]. Dann legte er jedem die rechte Hand aufs Haupt und sprach die heiligen Worte dazu: „Empfange den Heiligen Geist zur Kraft und zum Widerstand gegen die Versuchungen des Teu­fels!“ – Nach diesem eigentlichen Weiheakt, den schon die Apostel in den Urtagen der Kirche am jungen Stephan und seinen sechs Miterwählten voll­zogen [vgl. Apg 6,1–7], wurden wir mit der Stola und der Dalmatika (dem Gewand des Diakons beim heiligen Meßopfer) bekleidet und empfingen das Evange­lien­buch.

[1] Nach der Vorstellung der Weihekandidaten hält der Bischof eine Ansprache, in der er die kommenden Aufgaben des Diakons beschreibt.

Freiburg/Br., Samstag, 18. November 1939
Die Samstagabendglocken läuten mir die Hei­mat ins Ge­müt.[1] O, liebe liebe Heimat, wann sehen wir uns wieder! Ob ich am Stefanstag als Priester das heilige Opfer bei Dir, für Dich feiern kann?[2] Gott allein weiß es. Sein heili­ger guter Wille geschehe!

[1] Karl Leisner schrieb diese Zeilen im Gefängnis in Freiburg in sein Brevier.
[2] Karl Leisners Priesterweihe war ursprünglich zum 23.12.1939 geplant. So hätte er am 26.12., dem Fest des h­l. Stephanus, Primiz gefeiert.

Reinhold Friedrichs[1]:
Als ich selbst am Namensfest der Muttergottes, am 12. September 1941, nach Dachau kam, war er [Karl Leisner] der erste, der sich besorgt meiner annahm. Heimlich drückte er mir fünf Mark in die Hand, damit ich mir das Notwen­dig­ste kaufen könne, und holte mir sein Stück Brot aus dem Spind. Almosen spendend wie ein Stephanus, ein Vater der Armen![2]

[1] Domkapitular Reinhold Friedrichs (* 8.5.1886 in Hüls/Krefeld, † 28.7.1964) – Prie­sterweihe 1.6.1912 in Münster – Am 20.3.1941 kam er ins KZ Sach­senhau­sen und am 12.9.1941 ins KZ Dachau. Am 5.4.1945 wurde er aus dem KZ Dachau entlassen.
[2] Priesterweihe in Dachau. In: Hofmann, Konrad / Schneider, Reinhold / Wolf, Erik: Sieger in Fesseln. Das christliche Deutschland 1933–1945, Freiburg/Br. 1947: 33

Weihnachten 1941 im KZ Dachau
P. Otto Pies SJ[1]:
Am Weihnachtsfest [1941] wurde zum ersten Mal im Lager die Christ­nacht religiös begangen mit feierlicher Mette und Levitenamt, arm wie in Bethle­hem, aber auch jubelnd wie auf den Fluren, wo den Armen die frohe Bot­schaft zu­teil wurde. Beim Amt war Karl [Leisner] Diakon. In weißer Albe – andere Paramente waren nicht vorhanden – stand er am Altar, in seiner strahlenden Freude er­innerte er an Stephanus, wie dieser hat er sein Leben dem Christ­kind ange­boten.[2]

[1] P. Dr. Johannes Otto Pies SJ (* 26.4.1901 in Arenberg, † 1.7.1960 in Mainz) – Eintritt in die Gesell­schaft Jesu in ’s-Heeren­berg/NL 14.4.1920 – Priester­weihe 27.8.1930 – Am 2.8.1941 brachte man ihn aus dem Ge­fängnis in Dresden ins KZ Dachau. Am 27.3.1945 wurde er ohne Angabe des Grundes und ohne Be­dingung entlassen.
[2] P. Otto Pies SJ in: Weiler, Eugen: Die Geistlichen in Dachau (Band II) sowie in anderen Kon­zentrationslagern und in Ge­fängnissen. Nachlaß von Pfarrer Emil Thoma, Lahr 1982: 319

Dienstag, 26. Dezember 1944, Heiliger Erzmartyrer Stephanus
Am 26. Dezember 1944 herrschte eisige Kälte.[1] Von 8.30 Uhr bis 10.00 Uhr fand die Feier der Pri­mizmesse Karl Leisners in der Lager­kapelle des KZ Dachau statt.

[1] Karl Adolf Groß:
Dezember 1944. Vierzehn Grad Kälte und diese eisigen Füße! (Groß, Fünf Minuten 1946: 16)

Für Karl Leisner war die Primiz am Stephanustag, dem 26. Dezember 1944, sehr symbolträchtig. Nach der Weihnachtsidylle wird schon am zweiten Weih­nachtstag, am Fest des heiligen Martyrers Ste­phanus, der Ernst des Chri­stentums deutlich.[1] Es fliegen die ersten Steine, die den töten, der für Christus ein­tritt. Wenn Argumente nicht mehr an­kom­men, flie­gen Steine auf den, dessen Worte nicht mehr gehört werden wollen. „Sie hielten sich die Ohren zu“, heißt es in der Apostelgeschichte (7,54ff). Ste­phanus aber hatte das Gesicht eines Engels und sah den Himmel offen. Dabei bat er um Verzei­hung für die, die ihn steinigten. Was lag näher, als daß P. Otto Pies SJ dieses Thema in der Pri­mizpredigt für seinen Freund auf­griff.[2]

[1] Der Diakon Stephanus wird als der Erzmartyrer ver­ehrt, vgl. Apg 6,5–7,60.
[2] s. Pies 1950: 172

P. Otto Pies SJ:
Die Primizpredigt ging aus von dem Wort des hl. Stephanus (Apg. 7,56): „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Got­tes sitzen.“ Mit gläubigem Angesichte hatte Karl all die Jahre seiner Vorbe­reitung immer wieder emporgeblickt. An den ewigen Dingen hatte er sich aufgerichtet. Im Glauben an die ewige Wahrheit Gottes, an die ewige Liebe unseres Herrn für den Glauben an das Himmelreich auf Erden, die heilige Kirche, hatte er gekämpft und geblutet. Auch in aller Not und düsterer Verlas­senheit hatte er vermocht, den Himmel offen zu sehen, und der Menschensohn war zu ihm ge­kommen, er hatte ihn beschützt und ge­führt, er hatte ihm die große Stunde geschenkt, die Stunde der intimsten Begegnung und innigsten Vereinigung mit seinem Gott und Heiland. Ein Mann wie Stephanus, voll des Glaubens, hatte Karl vor allem in den Lei­densjahren die Treue zu Christus zu seinem Leitmotiv des Lebens ge­macht. Der starke Glaubensgeist und das heilige Feuer des hl. Stepha­nus hatten ihn beseelt, als er fast sechs Jahre lang im KZ das herr­liche, neue Leben in Christus zu verwirklichen und an­deren zu zeigen und zu schen­ken versuchte. Wie der Erzmartyrer wollte auch der Neupriester Karl sein junges, starkes Leben für Christus zum Opfer geben. Der Men­schen­­sohn zur Rechten des Vaters wollte diesem hochherzigen Jünger die treue, heiße Leidenschaft der Liebe mit sei­ner göttlichen ewigen Liebe vergel­ten.[1]

[1] a. a. O.: 172f.

Karl Leisners Mithäftling Professor Dr. Paul Riedmatter, Dozent für Kunst, fertigte ein Primiz­bild an. Auf der Vorder­seite befinden sich die Darstellun­gen des heiligen Karl Borromäus und des heiligen Ste­phanus.

zweitesPrimizbild VorderszweitesPrimizbild Ruecks

Iste est, qui ante Deum magnas virtutes opera­tus est, et omnis terra doc­trina eius repleta.
Ut nominis sui coronam meru­is­set accipere, ca­ritatem pro armis habebat, et per ipsam ubique vin­cebat.
[Dieser ist es, der vor Gott große Heldentaten verrichtete, und die ganze Erde ist von seiner Lehre erfüllt.
Damit er den Ehrenkranz seines Namens zu empfangen verdiente, hatte er anstatt der Waf­fen die Liebe, und durch sie siegte er über­all.]

Dextera Domini fecit virtutem, dextera Domini exaltavit me. Non moriar sed vivam et narrabo opera Domini. Ps. 117,15–17
[Die Rechte des Herrn wirket große Wunder, die Rechte Gottes hat mich hoch erhoben. Ich sterbe nicht, ich lebe und künde laut die Werke Got­tes.]
Zur Erinnerung an den Tag der hl. Primiz zu Dachau am 26. De­z. 1944

Karl Leisners letzter Tagebucheintrag endet mit dem Satz:
Segne auch, Höchster, meine Feinde!
Dieser Satz erin­nert an die Worte des hl. Stepha­nus: Herr, rechne ih­nen diese Sünde nicht an! (Apg 7,60).

Link zur Wochenzeitung L’OSSERVATORE ROMANO vom 24. Juli 2015

Link zu Auffindung der Gebeine