Den Silvesterabend 1937 verbrachte Karl Leisner im Freundeskreis bei Familie Wilhelm Poorten in Kleve.
Quelle des Fotos: Gabriele Latzel
Am 4. Januar 1938 notierte er die Ereignisse vom 31. Dezember 1937 in sein Tagebuch:
Bis 20.00 Uhr gelesen und geschrieben. – Gedanken über das vergangene Jahr. – Dann zu Familie Poorten – Mittelweg [86], wo wir zu einigen Freunden eingeladen sind. Das neue Jahr beginnen wir mit einem Feuer, das Heinz [Poorten] „stikum“ [heimlich] so aus sich vorbereitet hatte. Ich spreche ein paar kurze Gedanken des Lichtes, das Symbol ist für Christus, der uns alle in diesem Jahr treu behüten möge. Nach unserm Gebet stören uns leider einige halb betrunkene, verirrte Menschen. – Ich werde gut bei größter Ruhe mit ihnen fertig, trotz ihres rüpelhaften, widrigen Verhaltens. Sie wollen Anzeige erstatten. Ich verstehe diese Menschen nicht. Die muß der Haß und Neid doch blind gemacht haben. – Ich hätte viel mehr Grund zur Anzeige, aber wozu. – Um 1.00 bis 1.30 Uhr zu Bett, nachdem wir uns zu Hause nochmals kurz Prosit Neujahr zugewünscht haben.
Es wurde Anzeige erstattet. Diesbezüglich enthält die „Gestapo-Akte Karl Leisner 9619“ folgende Informationen:
AkteCover (1)Akte49 (1)
Kleve, den 3.1.1938
Vorlage
Wie hier vertraulich mitgeteilt wurde, hat der Student der Theologie, Karl Leisner, welcher sich in Ferien bei seinen Eltern [Amalia und Wilhelm Leisner] hier Flandrischestraße 11 aufhielt, in der Sylvesternacht einen Teil der Führer der kath. Jungmännervereinigung Kleve Oberstadt auf dem Grundstück des Wilhelm Poorten hier Mittelweg 86 zusammengerufen, um mit ihnen als Führer der kath. Jungmänner Kleve Oberstadt eine Feier zu veranstalten. An der Veranstaltung sollen etwa 17 bis 20 Personen teilgenommen haben. Sie haben auf dem Grundstück des Poorten ein Feuer angezündet. Alsdann hat der Karl Leisner eine kräftige Rede gehalten, in welcher er darauf hinwies, in Zukunft noch besser und fester zusammenzuhalten als bisher, da sie eine schwere Zeit durchzumachen hätten. Er forderte die Anwesenden auf, sich noch fester zusammenzuschließen und unter keinen Umständen locker zu lassen. Die Veranstaltung wurde alsdann mit einem Gebet beendet.
An der Veranstaltung haben soweit hier bis jetzt bekannt wurde, folgende Personen teilgenommen: [Johann] Haas Mittelweg [96], [Heinrich] Marliani Blücherstraße [Materborner Allee 54], [Theo] Köster Königsallee [24], van Buyken Blücherstraße, [Heinz] Poorten Mittelweg [86] und [Josef] Kempkes Mittelweg [133].[1]
[1] Gestapo-Akte: 49
Karl Leisner sollte am 3. Januar 1938 festgenommen werden, war aber bereits nach Münster abgereist.
Kleve, Sonntag, 2. Januar 1938
11.30 Uhr zu Haus’ Koffer gepackt. Abschied von einigen Bekannten. Vater etwas mißgelaunt. 100,00 RM. 13.14 Uhr Zügle. – Moj meisje van Sante tot Menzelen. [Schönes Mädchen von Xanten bis Menzelen.[1]] Gelesen [Rudolf] Graber „Die Gaben des Heiligen Geistes“.[2] – Mit Marinegefreitem (Heizer) aus Wesel unterhalten. 17.20 Uhr [von Haltern] mit D[-Zug] in Münster.
[1] Die Bahnfahrt ging von Kleve mit Umsteigen in Menzelen-West nach Wesel.
[2] Graber, Rudolf: Die Gaben des Heiligen Geistes, Regensburg 21936
In Münster wurde Karl Leisner von der Gestapo vernommen.
Münster, Samstag, 9. April 1938, Samstag vor Palmsonntag
Morgens bei Repetent [Dr. Joseph] Decking die zweite Katechese. Fein! Dann zur Stapo.[1]
[1] Vernehmung zu den Vorkommnissen Silvester 1937/1938 durch die Gestapo in Münster in der Villa ten Hompel, Kaiser-Wilhelm-Ring 28
Bericht von Karl Leisner bei der Gestapo in Münster am 9. April 1938
II. Zur Sache:
Während der Weihnachtsferien befand ich mich bei meinen Eltern in Cleve. Ich wurde von dem Schreiner Heinz Poorten im Einverständnis mit dessen Eltern [Adelheid und Wilhelm Poorten] zu einer Silvesterfeier eingeladen. Mir wurde mitgeteilt, daß noch einige junge Männer an dieser Feier teilnehmen würden. Ich wies darauf hin, daß ich nur an der Feier teilnehmen könnte, wenn die Veranstaltung nicht eine Fortführung der Jungmännerverbandsarbeit sein würde. Darauf wurde mir versichert, daß es sich um eine familiäre Feier handeln würde.
Als ich um ungefähr 22.30 Uhr bei der Familie Poorten eintraf, befanden sich die übrigen Gäste, ungefähr 10 bis 12 Jungen, schon beim Abendessen. Anschließend wurde gemeinsam Kaffee getrunken. Es wurden dazu belegte Brote gereicht. Ich habe aus einem Lesebuch meiner Schulzeit ein Lesestück, das auf die Jahreswende Bezug nahm, vorgelesen. Der Gastgeber Heinz Poorten hatte im Garten ein Feuer vorbereitet, das nach 24.00 Uhr von ihm angezündet wurde, und um das wir uns versammelten. Ich habe am Feuer einige Worte gesprochen, ungefähr 2 bis 3 Minuten. Ich wies darauf hin, daß unsere Vorfahren bei feierlichen Anlässen sich um das Feuer versammelt hätten, und daß das Feuer Symbol für Christus sein solle, den die Jungen im kommenden Jahr in ihren Herzen tragen sollten.
Ich wurde von einem angetrunkenen Mann [Heinrich Pieper] gestört, der sich als SA-Mann ausgab. Einige Weiber und schimpfende Jungen mischten sich ebenfalls ein. Wir ließen uns aber nicht weiter stören. Erst, als ein Herr [Theodor] Beysiegel und noch ein Herr, der ebenfalls Alkohol getrunken hatte, dazugeholt wurden, bat ich die Jungen, um jede Hetze und Schlägerei zu vermeiden, nach Hause zu gehen. Hierauf stürzten der Herr, der vorher auf mich eingeschimpft hatte, und ein Herr [Hermann] van der Heusen auf mich zu und gestikulierten um mich herum und verlangten meine Personalien. Ich verbat mir energisch diese Art und bat sie den Anstand zu wahren, dann sei ich bereit, meinen Namen zu sagen. Von einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch nahm Herr Poorten Abstand, weil er der Silvesterstimmung Rechnung tragen wollte.
Nach diesen Vorfällen begab ich mich in das Haus, um die Jungen zu beruhigen und ging danach nach Hause. Von den Teilnehmern an der Feier waren mir aus meiner Arbeit in der Jungschar bekannt: Heinz Poorten, Johann Haas, Theodor Köster, Theodor Brauer und Willy Elshoff. Die übrigen Teilnehmer sind mir nicht näher bekannt gewesen.
Gegen die beiden angetrunkenen Herren erstatte ich Anzeige. Als Zeuge nenne ich Theodor Köster, Cleve, Königsallee [24].
Ich habe überlegt und erinnere mich, daß ich von den Teilnehmern noch folgende aus meiner früheren Arbeit kenne: Theodor Janßen, Heinz Marliani, Gerd Arntz.
Ich bemerke noch ausdrücklich, daß ich seit dem 1.4.1937 dem Jungmännerverband nicht mehr angehöre. Ich trat anläßlich meines Eintritts in den RAD aus dem Verband aus.[1]
[1] Gestapo-Akte: 102