Alte Kartengrüße erzählen (XXVI)

Bruessel1 Bruessel2

Porte de Hal in Brüssel – Königliche Museen für Kunst und Geschichte[1]
[1]
  Link zu Belgien Tourismus.

Deutsch[land]                                                                                9. August 1935 (Poststempel)
Familie Heinrich Peters[1]
Materborn/Kleve
Gemeindeweg 34 I

Liebe Eltern und Geschwister!
Wir sind nun schon den dritten Tag in Brüssel. Die Ein­drücke, die wir hier bekommen haben, sind zu groß, um sie hier niederzuschreiben. Gestern [7.8.] waren wir den ganzen Tag zur Weltausstellung[2]. Ungeheuer viel zu sehen, fast zu viel! Heute [8.8.] haben wir die Stadt besehen. Wir haben hier in ei­nem Kon­vikt[3] geschlafen. Jetzt auf! Richtung See.[4]
Grüße auch an Präses und Führer,
Johann [Peters]
Frohen Fahrtengruß! Karl L., Hermann [Mies[5]]

[1] Peters, Familie
1. Generation:
Eheleute Heinrich Peters u. Cornelia Peters, geb. Kuenen (* 24.11.1888 in Breda/NL, † 16.1.1980 in Materborn) – Mater­born, Gemeindeweg 34 I – 9 Kinder – Cornelia Kuenen war eine Cousine von Johanna Dekkers.
2. Generation:
Johann (Jan) Peters (* 26.4.1915, † gefallen 2.10.1941 in Rußland) – auf Drängen der Lehrerschaft u. auf eigene Bitte nach dem 6. Volksschul­jahr Wechsel zum Gymna­sium in Kleve – Erhalt eines Stipendiums – einer der besten Abiturienten des Klever Gymnasiums 1936 – Arbeits­dienst in Benschbude Waldeck über Crossen (Oder), Abt. 6/88 I. Zug 1936
[2] Weltausstellung 1935 in Brüssel/Heysel
Diese Ausstellung vom 27.4. bis 6.11.1935 unter dem Titel „Exposition Universelle et In­ternationale de Bruxelles – 1935“ mit dem Thema „Transports et colonisation“ besuchte Karl Leisner während der Flandernfahrt. Auf einer Fläche von 150 ha präsentierten sich die ca. 9.000 Aussteller aus 25 Ländern ca. 20 Millionen Besuchern.
Mit der Entscheidung für den Standort der Weltausstellung 1935 in Heysel, im äußersten Nordwesten der Stadt, sollte wiederum die weitere städtische Entwicklung gelenkt werden. Bereits im 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen, diesen bis dahin vernachlässigten Bereich zu ei­nem repräsentativen Quartier auszugestalten. Hier sollte nach 1935 ein neues, leistungs­­fä­higeres Messegelände die Funktion des Parc du Cinquantenaire als Messestand­ort über­nehmen. Bemerkenswert an der Ausstellung 1935 ist die sehr gute Anbindung mit neuen Straßen und Massenverkehrsmitteln an den weit entfernt liegenden Stadtkern (URL http://www.tu-cottbus.de/theoriederarchitektur/Wolke/deu/Themen/001/Meyer/meyer_ kuenzel.html – 30.10.2013).
[3] Brüssel, rue Terre-Neuve/Nieuw-Landstraat 198 (Broe­derschool [Brüderschule]) – Institut der Broe­ders van de Christelijke Scholen – Ecole des Frères des Ecoles Chréti­ennes – Schule der Brüder der christlichen Schulen.
Schulbrüder (FSC – Fratres Scholarum Christianorum (lat.) = Brüder der christlichen Schulen)
Gründung durch Johann Baptist de la Salle, Patron des Lehrerstandes, 1679 – „Brüder der christlichen Schulen“ od. „Schulbrüder“ – katholischer Männeror­den mit vornehmlicher Aufnahme von Laienbrüdern – Einige der Brüder der ehemaligen Broederschool in Brüssel le­ben heute noch in der rue de Lenglentier. Heute nennt sich das Institut „Katholieke Hogeschool Brussel“ (KHS). Im sogenannten Campus Nieuw­land befinden sich vier verschiedene christliche Schulfor­men.
Jacques Gilbert (* ?, † ?), ein belgischer Freund von Karl nahm drei Tage an der Flandernfahrt 1935 teil und führte die Gruppe durch Brüssel. Vermutlich war er als als Student in der Brüderschule gewesen oder kannte das Haus, da er selbst in Schaerbeek bei Brüssel zu Hause war.
[4] Am 12. August gelangten die Jungen in Wenduine ans Meer.
[5] Karl Hermann (Manes) Joseph Mies (* 27.4.1915 in Kleve, katholisch ge­tauft, † 27.1.1984 in Goch) – Ministerialrat – Klassenkamerad von Karl Leisner in der Volksschule Mittelstadt und am Gymnasium in Kleve, Mitglied der Jungkreuzbund­gruppe St. Werner. Er nahm an zahlreichen Fahrten teil. Ursprünglich wollte er Priester werden, heiratete aber 1940. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.

Tagebucheinträge zum Aufenthalt in Brüssel

Antwerpen, Dienstag, 6. August 1935, 4. Tag
6.30 Uhr raus aus’m Zelt. 9.00 Uhr los nach Brüssel. […] 18.00 Uhr in Brüssel, Rue Terre-Neuve (Broe­derschool). Ein kleiner Abend­bummel zur Stadt. 22.30 Uhr in Falle.

Brüderschule

RueSchule

Campus

Brüssel, Mittwoch, 7. August 1935, 5. Tag
6.00 Uhr auf, 7.00 Uhr (verspätet) heilige Messe.[1] – Die andern verloren. Allein zur Welt­ausstellung mit Linie 52. – (3 frc)
1)    Belgischer Touring-Club.
2)    Landbouw Agriculture [Ackerbau]. Ammoniak – Guano – Boerenbond [Bauernbund]. – Sehr ein­leuchtend. – Scheibe ge­knackt ohne Willen – weiter.
3)    Ceramiques – (Keramik-Gemälde). Feine Einrichtungen.
4)    Het laatse diemers [Das letzte ?].
5)    Katholische Kirchenkunst, [Verlag] Desclée de Brou­wer & Co.
Paris, Brug­ges: 22, Quai aux bois.
6)    De Coene: Inneneinrichtung – Fabelhaft.
a)    Schlafzimmer (Ehebett) in hell (grün und weiß).
b)    Salle à manger d’ ambassade [Botschaftsspeisesaal] in tiefdunkel­braun gebeiztem Urwald­holz und hellem Über­zug – Spiegel an Wänden und Decken. Wände getönt und schwarzweiße Keramik (?) Zeich­nung.
c)    Salon – feudal, schwarz gebeizt – rote ge­bleichte Bezüge.
7)    Faïencerie de St. Ghislain [Steingut aus St. Ghislain bei Mons].
8)    Große Halle. Inneneinrichtung. (Uhren – Bet­ten – Zimmerschmuck etc.).
9)    Stella-Maris-Kapelle.
10)    Cristaux de St. Lambert [Lambert-Kristall].
11)    Balatum [Fußbodenbelag] etc. – Belag und Wandbehang-Papiere.
12)    Gas. [Gaststätte] (Oetker) Mittagessen:
1,30   Brot und Wurst
1,00   Eis
0,25    Selterswasser
0,50   Schokolade
3,05
Dann Persil.[2] Nachher die andern getroffen. Mit den andern moderne Bäcke­rei, Französi­sche Kolonien, Italien, Schweiz, Holland (Rast), Kir­mes („Motorboot“ gefahren – Jacques ge­stiftet). – 18.15 Uhr weg zur Stadt („Sarma“ – J. [Jacques Gilbert] stiftet zwei Bier). – Zum Justiz­palast[3] (Fou­cault­sches Pen­del[4]) Kolossaler Bau! – Am Stift [Broeder­school] um 20.45 Uhr. Alles fertig in Falle – hundsmüde.

[1] Vermutlich hatten die Jungen die Früh­messe in der Brüderschule verschla­fen und gingen in die nahegele­gene Kirche Notre-Dame-Marie-Immacu­lée/Unsere Liebe Frau von der unbefleckten Empfängnis an der Place du Jeu de Bal­les/Vossen­plein, die Klosterkirche der Kapuzi­ner, die zu­gleich Pfarrkirche ist.
[2] vermutlich WC-Besuch mit Händewaschen
[3] Der das Stadtbild beherrschende Gerichtspalast von 1883 ist größer als der Peters­­­­­dom.
[4] Mit Hilfe eines Pendels führte der französische Physiker und Astronom Léon Foucault (1819–1868) im Pantheon in Paris den Nachweis für die Erdrotation.

Brüssel, Donnerstag, 8. August 1935, 6. Tag
Verpennt! – 8.30 Uhr Kaffee – 9.15 Uhr in die Stadt: Marktplatz[1] (Einzig­arti­ges Bild eines Platzes: Gotik im Stadthuis [Rathaus[2]], Gildehäuser[3] (zum Teil später, aber prächtig) Brothuis[4] (Er­innerungen an Egmont[5]).

Die Gruppe auf der Freitreppe der Kathedrale in Brüssel

Die Gruppe auf der Freitreppe der Kathedrale in Brüssel

Dann zur Kathe­drale: St. Michèle et St. Gudule [St.-Michaelis-und-St.- Gudula], Türme schiefsd. [schief-stehend] Gotik – Klassisch – Kanzel (Idee: Schuld und Erlösung. Unten Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben, oben Maria mit dem Kind, das dem Drachen die Lanze in den Rachen stößt.) – Herr­li­che Fen­ster. Im Chor: Kaiser Maximilian [I. (1459–1519)] mit Fami­lie in Anbetung vor Ma­ria und Jesus. – Links in prächtigem Renaissanceauf­bau Habsburger mit ihren Patronen. – Die Chorkranz­kapel­len schön, aber lange nicht Antwer­pen. – Im Hoch­amt ge­blieben. Orgelklang. („Fiese“, drei­ste Fremde und Touristen). Störung der heiligen Messe.

[1] Die Grand-Place, der Grote Markt, wurde 1695 durch Granaten der französischen Artillerie, mit Ausnahme des Rathauses, völlig zerstört. Man begann sofort mit dem Wiederauf­bau des Plat­zes. Seit 1998 gehört er mit seinen geschlossenen barocken Häuserfronten zum Weltkulturerbe.
[2] Das Gebäude zählt zu den schönsten der Stadt im spät­gotischen Stil (1402–1455). Den fast 100 m hohen Turm krönt eine Statue des mit dem Drachen kämpfenden hl. Michael, dem Schutzpatron der Stadt.
[3] Häuser der Zünfte mit reich geschmückten vergoldeten Fassaden
[4] Der niederländische Name „Broodhuis – Brothaus“ geht zurück auf das 13. Jh., als die Bäcker dort in einem Holzgebäude ihr Brot verkauften. Während der Habsburgerherrschaft befand sich dort im 16. Jh. in einem Haus aus Stein das königliche Gericht, daher der franz. Name „Maison du Roi – Haus des Königs“. Vor dem Haus befand sich die Richtstätte. Heute befindet sich in dem Gebäude das Stadtmuseum.
[5] Vermutlich kannte Karl Leisner Johann Wolfgang von Goethes Trauerspiel „Egmont“ aus der Schule. Graf Egmont von Gaure (1522–1568) hatte sich mit Wil­helm von Oranien (1533–1584) an die Spitze der adligen Op­position gegen die spanische Ver­wal­tung der Niederlande gesetzt. Gemeinsam mit dem nieder­ländi­schen Freiheits­helden Philippe II. de Montmorency-Nivelle Graf von Hoorn (1526–1568) wurde er am 5.6.1568 auf dem Marktplatz von Brüssel enthauptet.

Durch den Park (im Rücken das Parlament) zum Königspalast.[1] Nicht viel Kunstwert – über die Rue de la vue zum Coudenberg-Mu­seum voor Schone Kunsten (alte Kunst)[2]: Alte italie­nische Schulen. Alte vlämische Meister: [Jakob Isaaksz van] Ruisdael [1628–1682] – Frans Hals [1580/85–1666] – [Jan] van Eyck [um 1390–1441][3]– [Anthonis] van Dyk [1599–1641] – P. P. [Peter Paul] Rubens [1577–1640]: Mariä Himmelfahrt[4] etc. – Alte vlämi­sche und deutsche Schulen. P. [Pieter] Breughel alt [um 1525–1569] und jg. [jung[5]] Winterlandschaft[6] etc. – 14.30 Uhr „Sarma“, Jacques [Gilbert] bestellt Roastbeaf und Bier. Dann zu der Broederschool und ge­packt.

[1] An der Nordseite des aus dem 18. Jh. stammenden symmetrischen Brüsseler Stadtparks Warande liegt das im selben Jahrhundert begonnene Parlaments­ge­bäude. An der Südseite des Parks befindet sich der in seinen Ursprüngen eben­falls aus dem 18. Jh. stammende Königspalast.
[2] Palais des Beaux-Arts – Palais voor Schone Kunsten am Coudenberg
[3] Jan van Eyck hatte noch einen Bruder: Hubert van Eyck (†1426).
[4] Peter Paul Rubens malte 1615 „Die Himmelfahrt Mariä“.
[5] Pieter Brueghel der Ältere hatte einen Sohn Pieter der Jüngere (1564–1638).
[6] Es ist nicht klar, welches Gemälde Karl Leisner gesehen hat. Es gibt ein Gemälde Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle, das heute Pieter Breughel dem Älteren zugeschrieben wird.

Marktplatz

Marktplatz1Marktplatz2

Marktplatz3Marktplatz4

Siehe auch Rundbrief des IKLK Nr. 43 – Februar 2001: Flandernfahrt 1935: 12ff.

Fotos Gabriele Latzel und IKLK-Archiv