Porte de Hal in Brüssel – Königliche Museen für Kunst und Geschichte[1]
[1] Link zu Belgien Tourismus.
Deutsch[land] 9. August 1935 (Poststempel)
Familie Heinrich Peters[1]
Materborn/Kleve
Gemeindeweg 34 I
Liebe Eltern und Geschwister!
Wir sind nun schon den dritten Tag in Brüssel. Die Eindrücke, die wir hier bekommen haben, sind zu groß, um sie hier niederzuschreiben. Gestern [7.8.] waren wir den ganzen Tag zur Weltausstellung[2]. Ungeheuer viel zu sehen, fast zu viel! Heute [8.8.] haben wir die Stadt besehen. Wir haben hier in einem Konvikt[3] geschlafen. Jetzt auf! Richtung See.[4]
Grüße auch an Präses und Führer,
Johann [Peters]
Frohen Fahrtengruß! Karl L., Hermann [Mies[5]]
[1] Peters, Familie
1. Generation:
Eheleute Heinrich Peters u. Cornelia Peters, geb. Kuenen (* 24.11.1888 in Breda/NL, † 16.1.1980 in Materborn) – Materborn, Gemeindeweg 34 I – 9 Kinder – Cornelia Kuenen war eine Cousine von Johanna Dekkers.
2. Generation:
Johann (Jan) Peters (* 26.4.1915, † gefallen 2.10.1941 in Rußland) – auf Drängen der Lehrerschaft u. auf eigene Bitte nach dem 6. Volksschuljahr Wechsel zum Gymnasium in Kleve – Erhalt eines Stipendiums – einer der besten Abiturienten des Klever Gymnasiums 1936 – Arbeitsdienst in Benschbude Waldeck über Crossen (Oder), Abt. 6/88 I. Zug 1936
[2] Weltausstellung 1935 in Brüssel/Heysel
Diese Ausstellung vom 27.4. bis 6.11.1935 unter dem Titel „Exposition Universelle et Internationale de Bruxelles – 1935“ mit dem Thema „Transports et colonisation“ besuchte Karl Leisner während der Flandernfahrt. Auf einer Fläche von 150 ha präsentierten sich die ca. 9.000 Aussteller aus 25 Ländern ca. 20 Millionen Besuchern.
Mit der Entscheidung für den Standort der Weltausstellung 1935 in Heysel, im äußersten Nordwesten der Stadt, sollte wiederum die weitere städtische Entwicklung gelenkt werden. Bereits im 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen, diesen bis dahin vernachlässigten Bereich zu einem repräsentativen Quartier auszugestalten. Hier sollte nach 1935 ein neues, leistungsfähigeres Messegelände die Funktion des Parc du Cinquantenaire als Messestandort übernehmen. Bemerkenswert an der Ausstellung 1935 ist die sehr gute Anbindung mit neuen Straßen und Massenverkehrsmitteln an den weit entfernt liegenden Stadtkern (URL http://www.tu-cottbus.de/theoriederarchitektur/Wolke/deu/Themen/001/Meyer/meyer_ kuenzel.html – 30.10.2013).
[3] Brüssel, rue Terre-Neuve/Nieuw-Landstraat 198 (Broederschool [Brüderschule]) – Institut der Broeders van de Christelijke Scholen – Ecole des Frères des Ecoles Chrétiennes – Schule der Brüder der christlichen Schulen.
Schulbrüder (FSC – Fratres Scholarum Christianorum (lat.) = Brüder der christlichen Schulen)
Gründung durch Johann Baptist de la Salle, Patron des Lehrerstandes, 1679 – „Brüder der christlichen Schulen“ od. „Schulbrüder“ – katholischer Männerorden mit vornehmlicher Aufnahme von Laienbrüdern – Einige der Brüder der ehemaligen Broederschool in Brüssel leben heute noch in der rue de Lenglentier. Heute nennt sich das Institut „Katholieke Hogeschool Brussel“ (KHS). Im sogenannten Campus Nieuwland befinden sich vier verschiedene christliche Schulformen.
Jacques Gilbert (* ?, † ?), ein belgischer Freund von Karl nahm drei Tage an der Flandernfahrt 1935 teil und führte die Gruppe durch Brüssel. Vermutlich war er als als Student in der Brüderschule gewesen oder kannte das Haus, da er selbst in Schaerbeek bei Brüssel zu Hause war.
[4] Am 12. August gelangten die Jungen in Wenduine ans Meer.
[5] Karl Hermann (Manes) Joseph Mies (* 27.4.1915 in Kleve, katholisch getauft, † 27.1.1984 in Goch) – Ministerialrat – Klassenkamerad von Karl Leisner in der Volksschule Mittelstadt und am Gymnasium in Kleve, Mitglied der Jungkreuzbundgruppe St. Werner. Er nahm an zahlreichen Fahrten teil. Ursprünglich wollte er Priester werden, heiratete aber 1940. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.
Tagebucheinträge zum Aufenthalt in Brüssel
Antwerpen, Dienstag, 6. August 1935, 4. Tag
6.30 Uhr raus aus’m Zelt. 9.00 Uhr los nach Brüssel. […] 18.00 Uhr in Brüssel, Rue Terre-Neuve (Broederschool). Ein kleiner Abendbummel zur Stadt. 22.30 Uhr in Falle.
Brüderschule
Brüssel, Mittwoch, 7. August 1935, 5. Tag
6.00 Uhr auf, 7.00 Uhr (verspätet) heilige Messe.[1] – Die andern verloren. Allein zur Weltausstellung mit Linie 52. – (3 frc)
1) Belgischer Touring-Club.
2) Landbouw Agriculture [Ackerbau]. Ammoniak – Guano – Boerenbond [Bauernbund]. – Sehr einleuchtend. – Scheibe geknackt ohne Willen – weiter.
3) Ceramiques – (Keramik-Gemälde). Feine Einrichtungen.
4) Het laatse diemers [Das letzte ?].
5) Katholische Kirchenkunst, [Verlag] Desclée de Brouwer & Co. Paris, Brugges: 22, Quai aux bois.
6) De Coene: Inneneinrichtung – Fabelhaft.
a) Schlafzimmer (Ehebett) in hell (grün und weiß).
b) Salle à manger d’ ambassade [Botschaftsspeisesaal] in tiefdunkelbraun gebeiztem Urwaldholz und hellem Überzug – Spiegel an Wänden und Decken. Wände getönt und schwarzweiße Keramik (?) Zeichnung.
c) Salon – feudal, schwarz gebeizt – rote gebleichte Bezüge.
7) Faïencerie de St. Ghislain [Steingut aus St. Ghislain bei Mons].
8) Große Halle. Inneneinrichtung. (Uhren – Betten – Zimmerschmuck etc.).
9) Stella-Maris-Kapelle.
10) Cristaux de St. Lambert [Lambert-Kristall].
11) Balatum [Fußbodenbelag] etc. – Belag und Wandbehang-Papiere.
12) Gas. [Gaststätte] (Oetker) Mittagessen:
1,30 Brot und Wurst
1,00 Eis
0,25 Selterswasser
0,50 Schokolade
3,05
Dann Persil.[2] Nachher die andern getroffen. Mit den andern moderne Bäckerei, Französische Kolonien, Italien, Schweiz, Holland (Rast), Kirmes („Motorboot“ gefahren – Jacques gestiftet). – 18.15 Uhr weg zur Stadt („Sarma“ – J. [Jacques Gilbert] stiftet zwei Bier). – Zum Justizpalast[3] (Foucaultsches Pendel[4]) Kolossaler Bau! – Am Stift [Broederschool] um 20.45 Uhr. Alles fertig in Falle – hundsmüde.
[1] Vermutlich hatten die Jungen die Frühmesse in der Brüderschule verschlafen und gingen in die nahegelegene Kirche Notre-Dame-Marie-Immaculée/Unsere Liebe Frau von der unbefleckten Empfängnis an der Place du Jeu de Balles/Vossenplein, die Klosterkirche der Kapuziner, die zugleich Pfarrkirche ist.
[2] vermutlich WC-Besuch mit Händewaschen
[3] Der das Stadtbild beherrschende Gerichtspalast von 1883 ist größer als der Petersdom.
[4] Mit Hilfe eines Pendels führte der französische Physiker und Astronom Léon Foucault (1819–1868) im Pantheon in Paris den Nachweis für die Erdrotation.
Brüssel, Donnerstag, 8. August 1935, 6. Tag
Verpennt! – 8.30 Uhr Kaffee – 9.15 Uhr in die Stadt: Marktplatz[1] (Einzigartiges Bild eines Platzes: Gotik im Stadthuis [Rathaus[2]], Gildehäuser[3] (zum Teil später, aber prächtig) Brothuis[4] (Erinnerungen an Egmont[5]).
Dann zur Kathedrale: St. Michèle et St. Gudule [St.-Michaelis-und-St.- Gudula], Türme schiefsd. [schief-stehend] Gotik – Klassisch – Kanzel (Idee: Schuld und Erlösung. Unten Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben, oben Maria mit dem Kind, das dem Drachen die Lanze in den Rachen stößt.) – Herrliche Fenster. Im Chor: Kaiser Maximilian [I. (1459–1519)] mit Familie in Anbetung vor Maria und Jesus. – Links in prächtigem Renaissanceaufbau Habsburger mit ihren Patronen. – Die Chorkranzkapellen schön, aber lange nicht Antwerpen. – Im Hochamt geblieben. Orgelklang. („Fiese“, dreiste Fremde und Touristen). Störung der heiligen Messe.
[1] Die Grand-Place, der Grote Markt, wurde 1695 durch Granaten der französischen Artillerie, mit Ausnahme des Rathauses, völlig zerstört. Man begann sofort mit dem Wiederaufbau des Platzes. Seit 1998 gehört er mit seinen geschlossenen barocken Häuserfronten zum Weltkulturerbe.
[2] Das Gebäude zählt zu den schönsten der Stadt im spätgotischen Stil (1402–1455). Den fast 100 m hohen Turm krönt eine Statue des mit dem Drachen kämpfenden hl. Michael, dem Schutzpatron der Stadt.
[3] Häuser der Zünfte mit reich geschmückten vergoldeten Fassaden
[4] Der niederländische Name „Broodhuis – Brothaus“ geht zurück auf das 13. Jh., als die Bäcker dort in einem Holzgebäude ihr Brot verkauften. Während der Habsburgerherrschaft befand sich dort im 16. Jh. in einem Haus aus Stein das königliche Gericht, daher der franz. Name „Maison du Roi – Haus des Königs“. Vor dem Haus befand sich die Richtstätte. Heute befindet sich in dem Gebäude das Stadtmuseum.
[5] Vermutlich kannte Karl Leisner Johann Wolfgang von Goethes Trauerspiel „Egmont“ aus der Schule. Graf Egmont von Gaure (1522–1568) hatte sich mit Wilhelm von Oranien (1533–1584) an die Spitze der adligen Opposition gegen die spanische Verwaltung der Niederlande gesetzt. Gemeinsam mit dem niederländischen Freiheitshelden Philippe II. de Montmorency-Nivelle Graf von Hoorn (1526–1568) wurde er am 5.6.1568 auf dem Marktplatz von Brüssel enthauptet.
Durch den Park (im Rücken das Parlament) zum Königspalast.[1] Nicht viel Kunstwert – über die Rue de la vue zum Coudenberg-Museum voor Schone Kunsten (alte Kunst)[2]: Alte italienische Schulen. Alte vlämische Meister: [Jakob Isaaksz van] Ruisdael [1628–1682] – Frans Hals [1580/85–1666] – [Jan] van Eyck [um 1390–1441][3]– [Anthonis] van Dyk [1599–1641] – P. P. [Peter Paul] Rubens [1577–1640]: Mariä Himmelfahrt[4] etc. – Alte vlämische und deutsche Schulen. P. [Pieter] Breughel alt [um 1525–1569] und jg. [jung[5]] Winterlandschaft[6] etc. – 14.30 Uhr „Sarma“, Jacques [Gilbert] bestellt Roastbeaf und Bier. Dann zu der Broederschool und gepackt.
[1] An der Nordseite des aus dem 18. Jh. stammenden symmetrischen Brüsseler Stadtparks Warande liegt das im selben Jahrhundert begonnene Parlamentsgebäude. An der Südseite des Parks befindet sich der in seinen Ursprüngen ebenfalls aus dem 18. Jh. stammende Königspalast.
[2] Palais des Beaux-Arts – Palais voor Schone Kunsten am Coudenberg
[3] Jan van Eyck hatte noch einen Bruder: Hubert van Eyck (†1426).
[4] Peter Paul Rubens malte 1615 „Die Himmelfahrt Mariä“.
[5] Pieter Brueghel der Ältere hatte einen Sohn Pieter der Jüngere (1564–1638).
[6] Es ist nicht klar, welches Gemälde Karl Leisner gesehen hat. Es gibt ein Gemälde Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle, das heute Pieter Breughel dem Älteren zugeschrieben wird.
Marktplatz
Siehe auch Rundbrief des IKLK Nr. 43 – Februar 2001: Flandernfahrt 1935: 12ff.
Fotos Gabriele Latzel und IKLK-Archiv