Karl Leisner und Aristoteles

Aristoteles (* 384 in Stageira/GR, † 322/321 v. Chr. G. in Chalkis/GR) – Phi­lo­soph – Be­gründer des Aristotelismus

Unter der Überschrift „So liest man heute Aristoteles – Bewundernswert: Klaus Corcilius öffnet den Zugang zur Schrift ‚Über die Seele’“ besprach Philip van der Rijk das Buch in der F.A.Z. vom 29. September 2017. Er zählt „Aristoteles‘ ‚De Anima’ zu den „faszinierendsten […], aber auch schwierigsten Schriften“ des Philosophen und lobt die „dem heutigen Sprachgebrauch angemessene deutsche Übersetzung“.

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Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 29.09.2017)

Anima forma corporis (lat.) – Die Seele ist die Formkraft des Leibes[1]
[1] Definition der Kon­zilsväter für die Seele auf dem 15. Konzil von Vienne/Sâone-et-Loire/F in den drei Sitzun­gen vom 16.10.1311 bis 6.5.1312

 

Aristoteles
„Über die Seele“.
De anima.
Griechisch-Deutsch.
Übersetzt und herausgegeben von Klaus Corcilius: Hamburg, 2017. 260 S., br., 22,90 €

 

Link zum Buch

 

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Karl Leisner begegnete dem Begriff „anima forma corporis“ zum ersten Mal in seinen Exerzitien in Gerleve.

Tagebucheinträge

Gerleve, Montag, 7. September 1931
1. Vortrag[1]:
Wesen des christlichen Lebens. Genügt das menschliche Denken und Kön­nen, um die Religion, die Verbindung zwischen Himmel und Erde, wieder­herzustellen? – Nein!

Gottes heiligmachende Gnade. Nicht oft direkt ([wie bei] Paulus vor Damas­kus[2]), sondern indirekt durch Zeichen, in die Gott seine Gnade hineinge­legt hat. (Symbolismus) – (Mysterium)
Mysterium = Vollzug der Verbindung zwischen Himmel und Erde. (Religion)

Was ist Liturgie? Der Ritus, unter dem sich das Mysterium vollzieht.
Kreis des Glaubensbekenntnisses: Ich [glaube] an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Nachlaß der Sün­den und ein ewiges Leben. – Amen.
(Anima forma corporis) Konzil von Vienne 1311–12.

[1] Das Wesen des christlichen Lebens, das aus der Spannung „Tun des Men­schen Gnade Gottes“ besteht. Gottes Gnade kann direkt wirken wie bei Paulus, aber auch durch Zeichen. Von daher sind Liturgie und Ritus wichtig. Es folgt ein Hin­weis auf die Formkraft der Seele für den Leib.
[2] vgl. Apg 9,1–22; 22,5–16; 26,12–18; Gal 1,13ff

1. Abschnitt Leib und Seele.
Leib : Seele.
Der Leib muß von der Seele durchdrungen, vergei­stigt sein. In allem muß man merken, daß die Seele, das bessere Ich, den Leib in Gewalt hat. Der Leib soll ausgebildet und von der Seele durchbil­det werden.
formatio corporis [Formung des Leibes] – anima forma corporis.
Die Seele muß „herausleuchten“ aus dem Körper! „Verklärung“ des Lei­bes. Durchgeistigte Leiblich­keit. Leib und Seele sollen und müssen ihr vol­les Recht haben. Beides ist zum Menschen notwendig. Im Leib übersetzt sich die Seele ins Körperliche!

Erwähnung der anima in unterschiedlichen Zusammenhängen

Vorlesung von Donnerstag, 13. Dezember 1934
Peter Wust: Psychologie [Universitätsmitschrift Nr. 4, 30–32]
16. Diktat:
33. Das Wesentliche dieser Einmaligkeit der Person liegt in ihrem unend­lichen Seinsgehalt. Sie ist nämlich lebendiger Logos, lebendige Vernunft­ganzheit, die allem Vernunftgehalt des intentional zugeordnet ist (anima est quodam modo omnia = die Seele ist gewissermaßen alles). Überdies ist sie ein unendliches Wert- und Liebeszentrum, ja die Person vollendet sich erst in dem Maße als lebendiger Logos, wie sie als Willens- und Liebeswesen von der Tiefe ihres Gemütes her bestimmt ist. Deshalb ist das „Herz“ (und nicht der Intellekt) das eigentliche Zentrum der Person. In dieser Wahrheit wur­zeln die tiefsten Einsichten Augustins [von Hippo], [Blaise] Pascals, [Søren Aabye] Kier­kegaards, [Max] Schelers. (Max S. darin bekämpft (ordo amo­ris!) von den katholischen (!) Intellektualisten).
34.
Dieser innerste Wertreichtum der Person ist die Zone ihrer unnahbaren Intimität. Das innerste Heiligtum der Person ist eine Stätte, die Ehrfurcht gebietet. Besonders die großen Mystiker haben diese Intimitätszone der Per­son mit immer neuen Wendungen charakterisiert. Sie bezeichnen sie als den innersten Einheitspunkt der Seele als das „intimum et abditum mentis“, als „apex und acies mentis“, als die Seelenburg (Heilige Theresia von Avila[1]), als „scintilla animae“ oder das Seelenfünklein (Eckehart). Hier ist nach der Lehre der Mystiker die eigentliche Begegnungsstätte zwischen Gott und Seele, der Ort der wahren Stille, wo die Zeit sich mit der Ewigkeit berührt.
[1] Theresia von Avila schrieb 1577 „Die Seelenburg“ oder „Die innere Burg“ (Ori­gi­nal­ti­tel: Moradas = Wohnungen).

Münster, Freitag, 31. Mai 1935
Raus aus dem erstarrten Dickpelz der Sünde – weg mit dem Bonzenbauch in jeder Beziehung.
Apostolus esse! In tota creatura corporis, spiritus animaeque!
[Apostel sein! In der ganzen Geschöpflichkeit des Leibes, des Geistes und der Seele!]

Referat 1935
Ausführung
Das 19. Jahrhundert trat das Erbe des rationalistisch-aufgeklärten 18. an. Gewaltige Entwicklungen – gewaltige Spannungen überstürzen sich …
Die Technisierung, die Industrialisierung schaffen mächtig vorwärts. Ein Tempo ungesunder Hast und Gier überfällt die Menschen. – Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sich selbst (animam suam [seine Seele]) verliert?
[vgl. Mk 8,36]

Bücherlese vom 20. Januar 1936
In silentio et quieto proficit anima [devota]“. [Im Schweigen und in der Stille ge­winnt die andächtige Seele.]
(De Imitatione Christi [Thomas von Kempen, Nachfolge Christi[1]])
[1] 1. Buch, Kapitel 20,29, s. Thomas von Kempen: De Imitatione Christi. Nachfolge Christi und vier andere Schriften lateinisch und deutsch, München 1966: 90

Samstag, 8. Februar 1936
Consolator optime, dulcis hospes animae, dulce refrigerium! [Tröster wie keiner, der Seele süßer Gast, süße Labe![1]]
[1] 3. Strophe der Sequenz „Veni, Sancte Spiritus“ des Pfingstsonntags. Übersetzung: Schott 1932: 513

Bücherlese nach dem 16. Februar 1936
Deum et animam scire cupio. Nihilne plus? Nihil omnino. [Gott und die Seele, dies ist, was ich zu kennen verlange. Nichts anderes? Nichts ande­res.][1] ([Augustinus] Soliloquia [Selbstgespräche] I, 2,7[2])
[1] Gilson, Stefan: Der heilige Augustin. Eine Einführung in seine Lehre, Hellerau 1930: 57 (zit. Gilson 1930)
[2] Augustinus, Aurelius: Soliloquia – Selbstgespräche. Die echten Soliloquien. Ins Deutsche übertragen von Ludwig Schopp, München 1938

Cujus (philosophiae) duplex est quaestio: una de anima, altera de Deo. [Zu dieser Philosophie gibt es eine doppelte Frage: eine nach der Seele, die an­dere nach Gott.] ([Augustinus] De ordine [Die Weihe] II, 18,47)[1]
[1]  Gilson 1930: 57

Haec lux, quae ista manifesta sunt, utique intus in anima est. (Dieses Licht, durch das jenes offenbar ist, ist in der Seele). So führt uns also wider alles Erwarten die Zergliederung der Empfin­dung vom Außen der Dinge in das Innen der Seele.
Aus Gilson, der heilige Au­gustinus. (Seite 123)

„Wenn die Seele sich sucht und über sich hinaus die beseligende Wahrheit, die jeder Mensch ersehnt, so sucht sie in Wirklichkeit Gott, wenn sie es auch nicht weiß.“ (Gilson Ste. 188)

Fortsetzung:
„Zu ihm strebt sie hin über die äußersten Grenzen ihres Gedächtnis­ses hin­aus und strengt sich an, ihn in seiner zeitlosen Wahrheit zu erreichen. Aber sie strebt nur deshalb zu ihm, weil er mit ihr ist und sie von innen her be­lebt, ähnlich wie die Seele selbst ihren Körper belebt: Ut vita carnis anima est, ita beata vita hominis Deus est. (
So wie das Leben die Seele des Fleisches, so ist das beseligende Leben des Men­schen Gott).
Als Lebensprinzip der Seele, die selbst das Prinzip des Lebens ist, ist Gott also das Leben unseres Lebens: Vita vitae meae (Das Leben meines Le­bens); innerlicher als die Seele, die in uns das Innerste ist, ist Gott tiefer als unser Tiefstes; und höher als die Wahrheit, die in uns das Höchste ist, ist Gott hö­her als unser Höchstes: Interior intimo meo et superior summo meo.
(Op. cit., III, 6,11). Gott ist also mit einem Worte das Licht unseres Her­zens, das näh­rende Brot unserer Seele, die unsern Geist und den Schoß unseres Den­kens befruch­tende Kraft: Deus lumen cordis mei, et panis oris intus ani­mae meae, et virtus maritans mentem meam et sinum cogitationis meae. (Op. cit., I,13,21). Nicht beweisen wollen wir ihn, sondern ihn fin­den.“ (Gilson 188/9)

Dahlen, Sonntag, 11. April 1937, 2. Sonntag nach Ostern
Ein Sonntagmorgen wie nie! Ich stehe früher auf und bete die heilige Messe. Die Epistel und das Evan­gelium geben viel: Christus, der pastor et episco­pus animarum nostrarum! [Hirt und Bischof unserer Seelen![1]] Der gute Hirt.
[1]  abgewandelter Schlußsatz der Lesung des 2. Sonntags nach Ostern (1 Petr 2,21–25)

Bad Schandau, Montag, 17. Mai 1937, Pfingstmontag
Vorher Karten an Kpl. St. [Kaplan Ferdinand Stegemann], Decht. K. [De­chant Jakob Küp­pers] und Manes [Hermann] Mies. – Stunde der Seele. In­nerstes spricht sich aus.
Oremus pro invicem. Veni, Sancte Spiritus, veni, veni, dulcis hospes ani­mae.[1] [Beten wir für­einan­der. Komm, Heiliger Geist, komm Der Seele süßer Gast.]
[1]  aus der 1. und 3. Strophe der Pfingstsequenz Veni, Sancte Spiritus

Georgsdorf, Sonntag, 13. Juni 1937
Ein ru­higes Horn­signal blas’ ich in die weite Nacht. Pax noctis cir­cumdat animam. – In manus tuas, Domine, commendo spi­ritum meum. [Der Friede der Nacht umfängt die Seele. – In Deine Hände, Herr, emp­fehle ich meinen Geist. (vgl. Ps 30/31,6; Lk 23,46)]

Mein Tagebuch
Wintersemester 1937/38, Münster – Kleve
Aus Psalm 24/25

Ad Te, Domine, levavi animam meam. [Zu Dir, o Herr, erhebe ich meine Seele.]

Münster, Donnerstag, 4. November 1937, Dies nominalis [Namenstag] Heiliger Karl Borromäus
Übermorgen ist dies animae![1] Das muß ein Tag ganz großer Tiefe und Ruhe mit Christus werden!
[1] Tag der Seele – persönliche Formulierung von Karl Leisner für einen Tag der Besinnung

Nachdem seine Tagebücher beschlagnahmt worden waren, schrieb Karl Leisner eine Zeitlang in fremden Sprachen.

Münster, Samstag, 6. November 1937, Priestersamstag, Dies animae
Dies animae mensalis pro Nov. hodie! [Dies animae menstruus pro mense Novembre hodie! – Heute ist der monatliche Tag für die Seele für Novem­ber!]

Münster, Dienstag, 23. November 1937
Potest esse quaedam caecitas usque adhuc animae meae. Itaque mandatum horae: Veritas et claritas interna! [Es kann jetzt noch eine gewisse Blindheit für meine Seele geben. Daher das Gebot der Stunde: Wahrheit und in­nere Klar­heit!]

Münster, Montag, 29. November 1937
Ad Te, Domine, levavi ani­mam meam. [Zu Dir, Herr, erheb’ ich meine Seele.]

Kleve, Sonntag, 2. Januar 1938
7.00 Uhr heilige Messe. Nachher mit Kaplan H. [Albert Heistrüvers] unter­halten. O ihr animae anxiatae [anxiae – ängstlichen Seelen]!

Münster, Donnerstag, 6. Januar 1938, Erscheinung des Herrn
Domine, non sum dignus, [ut intres sub tectum meum:] sed tantum dic verbo! – Et sanabitur anima mea. [Herr, ich bin nicht würdig, daß Du eingehest unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort! – So wird meine Seele ge­sund.[1] (vgl. Mt 8,8; Lk 7,6)]
[1] Gebetsvers vor dem Kommunionausteilen in der Eucharistiefeier, s. Schott 1932: 415

Münster, Montag, 14. Februar 1938
Erat pro anima mea „ein Erlebnis“ subtilis atque enthusias­mans [me incendens] pro Dante. – Gratias ago! [Es war für meine Seele ein feines Erlebnis und begeisterte mich für Dante. – Ich sage Dank!]
[…]
Secunda epistula huius diei venit de Georg Fr. Regensburgo [Castris Reginis]. – Amicitia et came­ratio [sodalium fraternitas] delectat animam et vivificat [reddit alacre] cor gaudio vero et licito – et pro­fundo et complente! [Der zweite Brief dieses Tages kam von Georg Fromm aus Regensburg. – Freundschaft und Kameradschaft ermuntert die Seele und belebt das Herz mit wahrer und statthafter – sowohl tiefer als auch erfüllender Freude!]

Münster, Dienstag, 22. Februar 1938
Habebat perfectam castitatem animae corporisque. Castitas perficit claritatem spiri­tus sui. Quare Doctor angelicus nomi­natus est. [Die Keusch­heit vollendet die Klarheit seines Geistes. Deshalb wurde er (Thomas von Aquin) engel­gleicher Lehrer genannt.]

Münster, Dienstag, 1. März 1938
3. Libertà interna dall’ tempore inquieto. – Profondarsi nella pro­pria anima, nel Cristo! [3. Innere Freiheit in unruhiger Zeit. Sich in die eigene Seele vertiefen, in Christus!]

Münster, Sonntag, 24. April 1938, Weißer Sonntag (Dies animae)

Münster, Sonntag, 1. Mai 1938, 2. Sonntag nach Ostern
Sustinuit anima mea in verbo eius; speravit anima mea in Domino. [So baue, meine Seele, auf sein Wort, und hoffe auf den Herrn.

Münster, Mittwoch, 4. Mai 1938, Heilige Monika
In manus Tuas, Domine, commen­do vitam, animam et spiritum meum! [In Deine Hände, Herr, empfehle ich mein Leben, meine Seele und meinen Geist! vgl. (Lk 23,46)]

Münster, Freitag, 6. Mai 1938, Herz-Jesu-Freitag
An der Vigil zum Dies animae, zum Sonntag, den 8.5.1938

Münster, Sonntag, 8. Mai 1938
Dies animae seu renovationis spiritualis [Tag der Seele oder der geistli­chen Erneuerung]

Münster, Donnerstag, 12. Mai 1938, Dies V. novae [5. Tag der Novene]
(Dies festivus animae [Festtag der Seele Josef]) Pieper 66–106.[1]
[1] Christenfibel, Das Leben des Christen mit der Kir­che. S. 66–84; Die Tugen­den des Christen. S. 85–104; Die Vollendung des Glaubens und des Lebens. S. 105–106

Münster, Montag, 23. Mai 1938
Magnificat anima mea Dominum! Quia respexit humilitatem ancillae suae. [Hoch preiset meine Seele den Herrn! Gnädig hat er herabgeschaut auf seine niedrige Magd.[1]]
[1] Verse des Magnifikat; Schenk, Johann: Deutsches Brevier. Vollständige Übersetzung des Stundengebetes der römischen Kirche, 2 Bde., Regensburg 1937, Bd. I: 23*, vgl. Lk 1,46.48

Aus der Nachfolge Christi, De imitatione Christi, von Thomas von Kempen:
Multa verba non satiant animam; sed bona vita refrigerat mentem: et pura conscientia, magnam ad Deum praestat confidentiam. [Viele Worte sättigen die Seele nicht; aber ein gutes Leben erfrischt den Geist, und ein reines Gewissen gibt großes Vertrauen zu Gott. (1. Buch, II,9)]

Münster, Sonntag, 10. Juli 1938, Heilige Amalia
Libera me, Domine, libera me. Anima mea suspirat vehementer ad Te. – Non capio sortem animae meae. [Befreie mich, Herr, befreie mich! Meine Seele verlangt nach Dir mit großer Sehnsucht. – Ich fasse nicht das Schicksal mei­ner Seele.]
[…]
In Cruce sola Salus!
Salus animae, Sa­lus mundi! [Im Kreuz allein ist Heil. Heil der Seele, Heil der Welt!]

Münster, Sonntag, 26. Februar 1939
Mit Freuden sprechen wir den Verzicht, bringen wir das Ganzopfer des Lebens. „Quare tristis es anima mea et quare conturbas me?“ [„Wie kannst du da noch trauern, meine Seele, wie mich mit Kummer quälen?“ (Ps 42/43,5)]

Freiburg/Br., Dienstag, 14. November 1939
„Quaerite Deum, et vivet anima vestra!“ (Ps 68) [„Su­chet Gott, und euer Herz lebt auf!“ (Ps 68/69,33)].

Freiburg/Br., Samstag, 2. Dezember 1939
Ad te, Domine, levavi ani­mam meam. Deus meus, in te confido! [Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Mein Gott, auf dich ver­traue ich! (Ps 24/25,1f)]

Karl Leisner aus Dachau am Donnerstag, 12. April 1945. Schwarzpost an P. Otto Pies SJ in Pullach:
„In Patientia …“[1]
[1] Evangelium nach Lukas:
In patientia vestra possidebitis animas vestras. – Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen (Lk 21,19).

* * * * *

Wie sehr sich Karl Leisner mit Aristoteles auseinandersetzte, geht weniger aus seinen Tagebucheinträgen hervor, dort zeigt sich eher die Beziehung von Aristoteles zu Platon[1], als vielmehr aus den Universitätsmitschriften. Leider nimmt das Word Press-Programm die griechischen Buchstaben nicht an.
[1] s. Aktuelles vom 10. März 2016 – Karl Leisner und Platon

Außerdem erwähnt er ihn in der Obertertia in einem Klassenaufsatz und später im Studium einmal in seiner Bücherlese mit einem Zitat von Thomas von Aquin aus dessen „Summa theologiae“. In diesem Werk eines der bedeutendsten Theologen und Philosophen des Hochmittelalters traf er vielfach auf Aristoteles; denn die „Summa theologiae“ ist ein grundlegendes Werk für das Theolgiestudium.

Freitag, 4. März 1932
[Deutsche Aufsätze, S. 18]

8. Klassenaufsatz.
Wie Ekkehard, der lebensfremde Mönch, zu einem lebensnahen Dichter wurde. Nach Victor von Scheffels „Ekkehard“.[1]
Lebendig sehen wir ihn vor unsern Augen, den frommen, weltweisen, doch – ach so wenig noch lebenserfahrenen Benediktinermönch Ekkehard. Ja, er ist fürwahr ein gelehrter, weiser Mensch; denn er hat viele, von Weisheit trie­fende Bücher gelesen und studiert. Er überragt an Gelehrsamkeit, Bil­dung und Geistesschärfe alle andern Mönche. In der Klosterschule ist er den heranwachsenden Mönchlein ein kluger, sicherer Führer durch die „gefähr­li­chen, rauhen Hohlwege“ alter lateinischer Schriften. Er weiß die Schüler vortrefflich über die Schwierigkeiten Vergils[2] und Aristoteles’ hin­wegzubrin­gen. Kurz, er ist ein Mönch, wie er sein soll, eine Zierde des Klo­sters.
[1] Scheffel, Victor von: Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert, Ber­lin W 50 o. J.
[2] Publius Vergilius Maro (* 15.10.70 vermutlich in Andes bei Mantua/I, † 21.9.19 v. Chr. G. in Brin­disi/I) – römischer Dichter

Bücherlese vom 20. Januar 1936
Aus der Summa theologiae des heiligen Thomas.[1]
„Virtuosa est mensura et regula humanorum actuum.“ (Aristoteles in 10 Eth cap 5 [10 Nikomachische Ethik Kapitel 5]) [Ein tugendhafter Mensch ist Maß und Regel menschlicher Taten.]
[2]
[1] Randbemerkung Karl Leisners zum folgenden Text
[2] Summa theologiae, Prima Pars, Quaestio I, Articu­lus 6

Universitätsmitschriften

Vorlesung vermutlich von Mittwoch, 9. Mai 1934
Peter Wust: Noetik und Logik [Universitätsmitschrift Nr. 3, 3–6]
PS aus dem vorigen Kolleg:
Aristoteles schreibt schon, daß der Philosoph aus dem zermürbenden Exi­stenzkampf nach der Muße streben muß (nicht nach der Faulheit!), und daß die Völker je mehr sie nach dieser Muße streben, desto größere Geister haben. (→ Deutschland: Kant
[1] Beethoven[2], Mozart[3] usw. – Das nationalistische Frankreich nicht!) – Die philosophische Größe eines Landes richtet sich nach dem übervölki­schen Raum, wohin diese Geister streben. – Der Philosoph muß nach der Wahrheit streben, die zeitlos ist und für die keine Uhren schlagen. Er muß also über der Zeit stehn! Aber keine Pseudohaltung (antireligiös, antimeta­physisch) – (→ Das Pseudoideal der historistischen Philosophie nach 1860.): Man wollte kein Werturteil abgeben und sagte: „Alle Systeme sind der Wahrheit gleich nahe“. (= Haltung der absoluten, radikalen Kritik gegenüber dem Sein.) Der echte Philosoph muß sich zum Seinsvertrauen durchringen (→ die großen antiken und mittelalterlichen Denker!)
[1] Immanuel Kant (* 22.4.1724 in Königsberg/Kaliningrad/RUS, † 12.2.1804 ebd.) – Philo­soph – Begründer des „Deutschen Idealismus“
[2] Johann Sebastian Bach (* 21.3.1685 in Eisenach, † 28.7.1750 in Leipzig) – Komponist der Barockzeit
[3] Ludwig van Beethoven (* 16.12.1770 in Bonn, † 26.3.1827 in Wien) – Kom­po­nist der klassisch-romantischen Periode

Vorlesung vermutlich von Mittwoch, 16. Mai 1934
Peter Wust: Noetik und Logik [Universitätsmitschrift Nr. 3, 10–12]
19340516 (1)

PS aus dem Kolleg:
Gegensatz    Platon : Aristoteles
Augustin[1] : Thomas[2]
Bei diesen ganz Großen jedoch ist nur eine Seite besonders betont, während die andere Art bei ihnen jedoch nie ganz fehlt! Aristoteles ist auch
platonizon [platonisiert]. Die Behauptung Kants jedoch, der Mensch als Mensch überhaupt sei seiner Natur nach ein Vorurteil für das rein geistige Erkennen der Philosophie, geht zu weit!
[1] Bischof Aurelius Augustinus von Hippo (* 13.11.354 in Thagaste/Souk Ahras/DZ, † 28.8.430 in Hippo Regius/Annaba/DZ) – Bischof von Hippo Regius 395 – Beken­ner, Großer Kirchenvater u. bedeu­tendster lateinischer Kirchenvater – Gedenktag 28.8.
[2] Thomas von Aquin (* um 1225 auf Schloß Roccasecca bei Aquino/I, † 1274 in Fossa­nova/I) – Domini­kaner – bedeutender Theologe u. Philosoph des Hoch­mittelalters – Heilig­sprechung 1323 – Gedenktag 28.1.

Vorlesung von Mittwoch, 27. Juni 1934
Peter Wust: Noetik und Logik [Universitätsmitschrift Nr. 3, 43–45, hier 44]
Der partielle Zweifel bezieht sich nur auf Einzelsachverhalte, der totale Zweifel dagegen stellt den ganzen Bereich der Wahrheit in Frage. Der rela­tive oder methodische Zweifel ist nur eine vorläufige Urteilsenthaltung, die im Dienste der Wahrheitssuche steht. Historisch bedeutsam wird der metho­dische Zweifel seit Descartes[1]. Er hat jedoch seine Vorläufer in der aporetischen Methode des Aristoteles, in der sic-et-non-Methode Abaelard’s[2] und in der Verfahrensweise des heiligen Thomas beim Aufbau seiner Quaestionen, der absolute oder radikale Zweifel ist dem totalen Zweifel verwandt, oder er ist im Grunde mit ihm identisch.
[1] René Descartes (* 31.3.1596 La Haye en Touraine/Descartes/Indre-et-Loire/F, † 11.2.1650 in Stockholm) – französischer Philo­soph u. Mathematiker
[2] Pierre (Petrus) Abaelard (* 1079 in Le Pallet/Loire-Atlantique/F), † 21.4.1142 in Saint-Marcel/Saône-et-Loire/F) – Philosoph u. Theologe der Frühscholastik

Vorlesung von Freitag, 13. Juli 1934
Peter Wust: Noetik und Logik [Universitätsmitschrift Nr. 3, 60f.]
Ein Vorspiel zum mittelalterlichen Universalienstreit ist in der griechischen Philosophie der Kampf um die platonische Ideenlehre. Für Platon bedeuten die Ideen als das allein wahrhafte Sein die Wirklichkeitsgrundlage und das Gegenstandskorrelat unserer Begriffe. Die wirklichen Dinge aber können zum Seinsgehalt unserer Begriffe nichts beitragen, weil sie nach Platons Mei­nung selbst nur ein sehr unvollkommenes, schattenhaftes Sein besitzen. Aristo­teles bekämpft diese Auffassung Platons, indem er die Idee als das den Dingen einwohnende Formprinzip betrachtet und damit unsere Begriffe in ein enges Verhältnis bringt zu dem realen Sein der uns umgebenden Welt.
Die endgültige Lösung dieses mit Platon einsetzenden Streites um das Ver­hältnis von Begriff und Wirklichkeit ist in jenem gemäßigten Realismus gege­ben, der alle drei Regionen des Universalen anerkennt, nämlich das univer­sale ante rem (die den Dingen vorausgehende Idee), das universale in re (die den Dingen einwohnende Seinsform) und das universale post rem (unser Begriff). Nach diesem gemäßigten Realismus haben also unsere Begriffe unmittelbar ihre Seinsgrundlage in der veritas ontologica der Dinge und mittelbar in der veritas prima als der Seinsregion des Absoluten.

Vorlesung von Freitag, 20. Juli 1934
Peter Wust: Noetik und Logik [Universitätsmitschrift Nr. 3, 68–70]
§ 30. Die wichtigste Unterscheidung ist die des Individual- und des Univer­salbegriffs. Individualbegriffe im ganz strengen Sinne gibt es nicht; denn das Individuelle kann nur auf dem Wege über allgemeine Bedeutungen erfaßt und ausgesagt werden. Es gibt höchstens annäherungsweise begriffliche Aus­drücke, die sich nur auf ein Individuum beziehen im Gegensatz zu den Allge­meinbegriffen, die für eine Vielheit von Gegenständen gelten. Der Allgemein­begriff wird von den Individuen die in seinen Umfangsbereich fallen, eindeu­tig oder univok ausgesagt. So wird zum Beispiel das Menschsein eindeutig ausgesagt von Sokrates[1], Platon und Aristoteles ohne Rücksicht darauf, daß es in der physischen Ordnung jeweilig nach den individuellen Noten modifiziert erscheint. Nicht zu verwechseln ist der Allgemein- oder Universalbegriff mit dem Kollektivbegriff wie zum Beispiel Wald, Heer, Erde und dergleichen. Auch die analogen Universalbegriffe sind nicht ohne weiteres mit den univo­ken Universalbegriffen zusammenzustellen.
Die höchsten Universalbegriffe zerfallen in drei Gruppen: 1. Die Kategorien oder praedicamenta (modi essendi), deren Zahl bald höher bald niedriger angenommen wird. So zählt Aristoteles 10, Kant 12 Kategorien auf. Auf jeden Fall sind die wichtigsten Kategorien folgende drei: Substanz, Akzidenz, Relation; Ding, Eigenschaft, Beziehung. 2. Die fünf praedicabilia (modi praedicandi = Aussageweisen) sind die obersten Universalbegriffe der logischen Ordnung. Es sind: Gattung, Art, Spezifische Differenz, Eigentümli­ches, Zufälliges oder lateinisch: genus, species, differentia specifica, pro­pri­um, accidens. – 3. Über diese beiden Gruppen hinaus führen uns als die all­gemeinsten Universalbegriffe überhaupt die sogenannten Transzenden­talien: res, ens, verum, bonum, aliquid, unum. („Revbau“). Diese Transzen­den­talien sind jedoch nur analoge Universalbegriffe.

[1] Sokrates (* 469 in Alopeke/Athen, † 399 v. Chr. G.) – Philosoph

Vorlesung von Freitag, 16. November 1934
Peter Wust: Psychologie [Universitätsmitschrift Nr. 4, 11–13]
14. Nach der aristotelischen Definition ist die Seele das Lebensprinzip des belebten Körpers. Dieses Lebensprinzip hat die Aufgabe einer gewissen Ver­innerlichung des ihm zugehörigen Lebewesens zu dienen. In diesem Sinne hat Thomas dem biologischen Seelenprinzip des Aristoteles seine tie­fere metaphysische Ausdeutung gegeben (s. gent. lb. 4. cap 11 [Summa contra gentiles, Buch 4, Kapitel 11]). Es ist jedoch zu beachten, daß dabei der Begriff des Lebens ganz universal ge­faßt ist, insofern die Art der Verinnerlichung eine immer strengere Gestalt an­nimmt von der Pflanze über das Tier bis hinauf zum Leben des Menschen­geistes, ja bis zum Leben der reinen Geister und schließlich bis zum absolu­ten Geist. Bei dieser Weite der Fassung des seelischen Prinzips ist zunächst die untere Grenze der Psychologie streng festgelegt. Die anorga­nische Welt scheidet aus. Aber die obere Grenze macht jetzt Schwierigkeiten; denn nun reicht die Psychologie sogar in das Reich der reinen Geister hinüber, um am Ende die ganze natürliche Theologie in sich aufzunehmen.

Vorlesung von Donnerstag, 7. Februar 1935
Peter Wust: Psychologie II [Universitätsmitschrift 5, 70f.]
72. Zu diesen Zerspaltern des seelischen Ganzheitsprinzips gehören schon Platon und Aristoteles, der eine mit seiner Lehre von der Trieb-, Mut- und Geistseele (Phaidros), der andre mit seinem „von außen“ qÚraqen in die Seele eintretenden Geist oder noàj. Immer wieder taucht dann dieses Pro­blem der Spannungseinheit in der Geschichte der Psychologie in dieser fal­schen Auffassung auf. In der gegenwärtigen Psychologie beobachten wir das wieder bei den psychoanalytischen Schulen oder auch in der „Seele-Geist­spannung“ von Ludwig Klages. Indessen gerade die seelische Zerris­senheit, von der die Psychoanalyse ausgeht, ist eine Erscheinung, die den Identitäts­charakter des personalen Selbst durch alle dialektische Spannung hindurch mit aller Deutlichkeit erkennen läßt. Es ist der besondere Vorzug der meta­physischen Psychologie eines Augustin [von Hippo], eines [Blaise] Pascal und sogar eines [Søren Aabye] Kierkegaard, daß sie die Zusammenge­höri­gkeit des dialektischen Charakters der menschlichen Natur und des behar­renden gei­stigen Selbststandes der Person immer scharf betont haben.

Vorlesung von Dienstag, 12. Februar 1935
Peter Wust: Psychologie II [Universitätsmitschrift 5, 75]
PS Gewisse Erstarrung der Kirche im Mittelalter mit dem Sieg des Aristote­lismus!