Am 17. Mai 1987 wurden in der St.-Johannes-Basilika in Berlin acht Kirchenfenster eingeweiht, die Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus gewidmet sind. Die Fenster befinden sich in den hinteren Seitenschiffen der Kirche. Das dritte Fenster rechts vom Haupteingang stellt Karl Leisner dar.
Das Fenster zeigt eindrucksvoll die Wandlungsszene während der Primiz Karl Leisners am Stephanustag 1944 im KZ Dachau, seiner ersten und einzigen heiligen Messe. Links neben dem Schriftzug LEISNER steht sein Sterbejahr 1945.
Das gegenüberliegende Fenster wurde Bernhard Lichtenberg gewidmet, mit dem gleichzeitig Karl Leisner am 23. Juni 1996 im Olympiastadion in Berlin durch Papst Johannes Paul II. selig gesprochen wurde. Die weiteren Fenster stellen Kardinal Clemens August Graf von Galen, Edith Stein, Dr. Erich Klausener, P. Rupert Mayer SJ, Dr. Max Josef Metzger und P. Alfred Delp SJ dar.
Die Bleiglasfenster wurden von Helga Lingnau-Sacks aus Antikglas hergestellt und gegen die seit der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg einfach verglasten Fenster ausgetauscht. Von 1950 bis 1987 stellte die Künstlerin alle Fenster der Basilika wieder her, das erste Fenster war die Südrosette.
Die denkmalgeschützte St.-Johannes-Basilika wurde 1894 als katholische Garnisonkirche gebaut. 1906 verlieh Papst Pius X. ihr als dritter deutscher Kirche den Titel Basilica minor. Sie ist die größte katholische Kirche Berlins und seit 2004 Kirche der Polnischen Katholischen Gemeinde. In der Tradition der Garnisonkirche ist sie seit 2005 Bischofskirche des katholischen Militärbischofs für die Bundeswehr am Sitz der Bundesregierung.
Mit Berlin wird Karl Leisner die Besichtigung der Stadt mit seiner Gruppe auf der Rückfahrt von Rügen im August 1929 verbunden haben. 1937 lernte er im Reichsarbeitsdienst (RAD) den Truppkameraden Günter Sommer[1] und Feldmeister Bernhard Begall[2] aus Berlin kennen.
[1] Günter Sommer, genannt G.aestas, zusammengesetzt aus G von Günter u. aestas (lat. ) = Sommer, (* 1.12.1915 in Berlin, † ?) – Bitterfeld, Ratswall 12 – Kaufmännischer Angestellter – 1937 Arbeitsmann im RAD
[2] Bernhard Begall (* 20.4.1899 in Berlin, † ?) – 1937 Feldmeister im RAD
Darüber hinaus arbeitete sein Bruder Willi im August und September 1938 bei der AEG in Berlin. Am 25. Januar 1940 wurde Willi in der Rüstungsindustrie bei Telefunken in Berlin dienstverpflichtet. Bis zu seiner Pensionierung am 30. Juni 1978 arbeitete er für das Nachrichtenwesen in Berlin. Dort nahm er an Treffen des Klever Klubs[1] teil.
[1] Der Klever Klub wurde durch den Unternehmungsgeist des Klever Bürgers Willi Goertzen 1936 gegründet. Willi Goertzen war damals bei der Firma Siemens tätig und lernte dort einige Landsleute kennen, die beruflich in Berlin zu tun hatten. Aus gelegentlichen Treffen wurden monatliche in einem Lokal der Innenstadt. Während des Zweiten Weltkrieges kamen Klever dazu, die in und um Berlin in einer Garnison lagen. Der Klub bestand bis 1976.
Während seiner Gefangenschaft bekam das Reichssicherheitshauptamt in Berlin für Karl Leisner wesentliche Bedeutung, da dort über seine Entlassungsgesuche jeweils negativ entschieden wurde.
Die St. Johannes-Basilika liegt an der Lilienthalstraße 5, unweit des Tempelhofer Feldes, dem ehemaligen Zentralflughafen Berlins, den Karl Leisner am 22. August 1929 besichtigte. Die Jungen waren unter der Leitung von Dr. Walter Vinnenberg[1] im August nach Rügen gefahren. Auf dem Rückweg machten sie Halt in Berlin, „der Reichshauptstadt und drittgrößten Stadt der Welt“. Dort besichtigten sie auch das Reichstagsgebäude und Karl Leisner beschäftigte sich in seinen Tagebuchaufzeichnungen zum ersten Mal mit Politik. Fortan erwähnte er wichtige politische Ereignisse wie den Reichstagsbrand in Berlin am 27. Februar 1933 in seinen Aufzeichnungen.
[1] Prälat Dr. phil. Walter Vinnenberg (* 8.6.1901 in Lippstadt, † 1.12.1984 in Bocholt) – Priesterweihe 27.2.1926 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmelfahrt u. Religionslehrer am Gymnasium in Kleve in allen Klassen v. 1.4.1926 bis Pfingsten 1929 – Außerdem unterrichtete er Hebräisch und Sport und leitete eine religionsphilosophische Arbeitsgemeinschaft. Er gewann Karl Leisner für die Jugendarbeit und gab den Anstoß zur Gruppenbildung. Mit den Jungen unternahm er zahlreiche Fahrten auch noch nach seiner Tätigkeit in Kleve.
Berlin, Mittwoch, 21. August 1929
Erlebnisse in Berlin, der Reichshauptstadt und drittgrößten Stadt der Welt
[…] Dann gings zum Reichstagsgebäude. Dies beschauten wir uns von außen und ebenso beguckten wir das Bismarckdenkmal. Dann gings zur Siegessäule, die wir bis oben bestiegen und besichtigten. Zuerst das herrliche Mosaik und dann ganz oben die vergoldete „Germania“.[1] Oben war alles mit Gittern versehen, damit sich keiner hinunterstürzen könnte. Der Eintritt kostete 0,05 Reichsmark!! – Von der Siegessäule gings ins Reichstagsgebäude.
[1] Karl Leisner hat die Viktoria oben auf der Siegessäule gesehen. Im Zuge der Umgestaltung von Berlin zur geplanten Welthauptstadt Germania durch die Nationalsozialisten wurde die Säule 1938/1939 auf den Großen Stern, ihren heutigen Standort, verlegt.
Dies besichtigten wir unter Führung eines Herrn. Zuerst saßen wir im Erdgeschoß und dann gings in den Arbeitsraum (mit prächtigen Wandgemälden ausgestattet). Von hier durch den Lesesaal und das prachtvolle Restaurant in die Reichspräsidentenhalle, wo die Büsten von [Friedrich] Ebert und [Paul von] Hindenburg standen und ein ganz kostbarer Riesenkronleuchter.
Schließlich kamen wir in den Mittelpunkt des Gebäudes, in den Plenarsitzungssaal. Hier saßen wir auf den Plätzen von Dr. [Joseph] Wirth, Dr. [Adam] Stegerwald, [Ernst] Thälmann, der seinen Platz voll Tinte hatte, und anderen.
Wir sahen uns alles gründlich an und der Führer erklärte uns alles. Auch standen wir auf dem Rednerpodium usw.
Dann gings die Siegesallee hin und zurück. – Hier sind die Standbilder sämtlicher Brandenburgischer Herrscher von Albrecht dem Bär an aufgestellt. Nun gings zum Brandenburger Tor.
Dann gings am Spreeufer entlang bis zum [Kaiser-]Friedrich-Museum. Von dort gings zum Alten und Neuen Museum, das heute frei war. […] Nun gings in die [Alte] National-Galerie, wo wir all’ die unzähligen Bilder deutscher und fremder Künstler sahen. […] Die National-Galerie ist nach dem Vorbild der Akropolis in Athen gebaut.
Von hier gings am [Stadt-]Schloß vorbei zum Dom. Diesen beschauten wir uns gründlich von außen. Nachdem wir die herrliche Kirche, die protestantisch ist, aber von einem katholischen Kirchenbauer [Julius Carl Raschdorff] nach dem Vorbild der [St.-]Peterskirche in Rom erbaut wurde, besichtigt hatten, gings zum Zeughaus. Hier sind deutsche Waffen und Rüstungen usw. ausgestellt. […] Als wir nun das Zeughaus hinter uns hatten, gingen wir zum [Stadt-]Schloß und sahen es uns von außen an. – Vorher machten wir noch einen Abstecher zur katholischen Hedwigskirche.
Nach dem guten Essen gings zur U-Bahnstation Friedrichstraße. Von hier fuhren wir mit der Untergrundbahn nach Tempelhof. Als wir dort dem Untergrundbahnhof entstiegen waren, gingen wir zum Berliner Zentralflughafen, dem Tempelhofer Feld. Hier gingen wir zuerst zum Flugpostgebäude und kauften uns dort eine Luftpostkarte, die wir nach Hause schrieben. […] Vom Postgebäude gings zum Flugplatz. Hier standen die großen Verkehrsflugzeuge der deutschen [Luft-]Hansa. […] Nachdem wir nun all’ die vielen Flugzeuge beschaut hatten, gingen wir um 18.00 Uhr zur Untergrundbahnstation Tempelhof.
Vom 1. April bis 23. Oktober 1937 war Karl Leisner beim RAD in Sachsen und im Emsland.
Dahlen, Sonntag, 11. April 1937, 2. Sonntag nach Ostern
Abends werd’ ich von Fm. [Feldmeister Bernhard] Begall, unserm Verwalter, auf dessen Bude geladen. Er erzählt mir aus seinem Leben. Berliner ist er – – – [Erster Welt-]Krieg – djk [? DJK] – Kvi Frau – De canut.[1] Ich sage ihm freundschaftlich das, was ich sagen kann und erzähle aus dem Leben und von der Größe unserer Kirche. – Wir trinken zum Schluß ein Glas Wein zusammen.
[1] nicht eindeutig zu entziffern
Dahlen, Mittwoch, 19. Mai 1937
Letzter Tag in Dahlen
Dann Abschied bei Bier und „feminilem Amusement“. „G.aestas“ [Günter Sommer] redet. In vino veritas. [Im Wein ist Wahrheit.]
Georgsdorf, Sonntag, 30. Mai 1937
Nach Mittag mit Günter [Sommer] und Otto [Lommerlathe] Margeriten und Schilfblumen gepflückt. – […] Um 15.15 Uhr den festlichen Kuchentisch gedeckt. Blumen. Tischservietten von Mutter. – In weißem Drillich mit Armbinde. Ia Stimmung. – Kameradschaft wächst. – Nachher gesungen und erzählt. Günter [Sommer] in Form!
Georgsdorf, Dienstag, 27. Juli 1937
„Lichtfest“. Mit Fm. [Feldmeister Bernhard] Begall [das Spiel] die „Fuchspelzpudelmütze“ gespielt. Vorher er mit Stappenbeck Malerszene.
Aufgrund einer Äußerung zu einem vertrauten Mitpatienten über das am Vortag verübte Attentat auf Hitler wurde Karl Leisner am 9. November 1939 im Lungensanatorium St. Blasien verhaftet. Am 15. Februar 1940 wurde er vom Gefängnis Freiburg in das Gefängnis Mannheim verlegt. Von dort kam er am 16. März 1940 in Schutzhaft in das KZ Sachsenhausen und am 14. Dezember 1940 als Schutzhäftling in das KZ Dachau.
Karl Leisner aus Mannheim am Sonntag, 18. Februar 1940, an seine Familie:
Willi schrieb am vergangenen Montag aus Berlin. Ihm gefällts gut in seiner Dienstverpflichtung als Ingenieur.
Karl Leisner aus Sachsenhausen am Sonntag, 31. März 1940, an seine Familie:
Meine Gedanken fliegen zum benachbarten Berlin, wo Willi als dienstverpflichteter Ingenieur im Rhythmus der Arbeit steht[1], und von dort weiter in die liebe Heimat am Rhein zu Euch und allen Freunden.
[1] Willi Leisner wohnte damals als Untermieter in Berlin-Lichterfelde gegenüber dem Botanischen Garten, nahe dem KZ Sachsenhausen.
Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 31. Mai 1941, an seine Familie:
Für Willi: An den ganzen Klever Klub besonders an Lt. Fränzke [Franz Straeten in Berlin] – dicke Grüße!
Am 22.9.1940 stellte Mutter Amalia Leisner das erste Gesuch an die Gestapo zwecks Entlassung ihres Sohnes Karl. In den folgenden Jahren richtete Vater Wilhelm Leisner weitere Gesuche an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin, an Heinrich Himmler und unmittelbar an Adolf Hitler. Am 6.8.1942 war Willi Leisner persönlich bei der Gestapo in Berlin, wo ihm mitgeteilt wurde, dass ein Entlassungsgesuch zwecklos sei, da sich Heinrich Himmler den Fall vorbehalten habe.
Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 16. Mai 1942, an seine Familie:
Daß Tante Gertrud [die Gestapo] ihm wegen des kleinen Schnitzers [der Äußerung zum Attentat auf Adolf Hitler am 8.11.1939] vor drei Jahren noch nachträgt, ist kaum zu verstehen. Sie hat halt „Haare auf den Zähnen“. Vater, besprich’s mal mit Willi an Pfingsten! Er soll sie [die Gestapo in Berlin] dann mal persönlich zu besänftigen suchen. Und wenn das nicht hilft, dann müßtest Du, liebe Mutter, sie besuchen. Ich denke schon, daß sie dann den alten Zwist beilegt, der uns alle bedrückt. Ich wüßte auch nicht, daß er sich neuerdings verfehlen hätte sollen. Er hat sich doch so fein geführt in all der Zeit, wo Ihr mir von ihm schreibt.
Karl Leisner aus Dachau am Sonntag, 23. August 1942, an seine Familie:
Willi in Berlin treueste Brudergrüße! Wie fein, daß Maria bei ihm [zwei Wochen] in Urlaub war.
Ende 1942 wurde die Paketsperre im KZ Dachau aufgehoben. Karl Leisner bedankt sich in seinen Briefen bei den Spendern.
Karl Leisner aus Dachau am Donnerstag, 16. März 1944, an seine Familie:
Für Willis feines Berliner Päckchen besonders Dank. Daß Du noch Zeit hast, in all dem Bombenchaos an mich zu denken.
Da der Briefverkehr zwischen Kleve und Dachau ab September 1944 kriegsbedingt erschwert war, adressierte Karl Leisner die weiteren Terminbriefe an seinen Bruder Willi in Berlin. Gleich im ersten Brief fügt er einen Beibrief zur Weiterleitung an Kardinal Clemens August Graf von Galen bei, mit der Bitte um Genehmigung der Priesterweihe im KZ Dachau.
Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 23. September 1944, an seinen Bruder Willi:
Von heute ab schreibe ich [wegen der dort bevorstehenden Evakuierung] regelmäßig an Dich und Du mögest bitte Nachricht vermitteln von und zu allen Lieben. […] Den ersten Briefteil sende bitte postwendend mit einigen erklärenden und Grußworten an unseren Bischof. Er wohnt zur Zeit Überwasserkirchplatz 3, Priesterseminar. Er möge bitte den [Sammel-]Brief an mich anfangen und das Notwendige vermerken darin. Um Deine und aller Lieben Zustimmung und Gebet für diesen Schritt möchte ich ebenso bitten. Näheres teile ich Dir und Euch dann – nach Erhalt des Bischofsbriefs mit Ja oder Nein – mit. Gott schütze uns alle und führe uns froh im Frieden wieder zusammen.
Karl Leisner aus Dachau am Samstag, 2. Dezember 1944, an seine Familie:
Dein feiner Brief, lieber Willi, vom 14.11. mit des Bischofs [Clemens August Graf von Galen] Grußwort hat mich sehr froh gemacht. Wenn alles gut geht, werde ich am Gaudete-Sonntag[, dem 17.12.1944,] geweiht. Primizmesse am 1. Weihnachtstag.[1]
[1] Dies war der ursprünglich vorgesehene Termin.
Kirchenfenster in der Basilika
Text und Fotos Christa Bockholt und IKLK-Archiv