Brot für den Tag 22

Impuls von Hans-Karl Seeger

Sonntag 6.6.2004

Die Wünsche derer, die ihn fürchten, erfüllt er (Ps 145,19)

Der KZ-Priester Heinz Dresbach berichtete wiederholt von einem Be­such bei Karl Leisner im Waldsanatorium Planegg bei München, in dem dieser die letzten Monate seines Le­bens nach der Befreiung aus dem KZ Dachau verbrachte: „Als ich ihn in München be­suchte, sagte er noch so hoffnungsvoll: ‚Drei Dinge habe ich von Gott und der Gottes­mutter erbeten, die Gesund­heit, die Freiheit und die Prie­ster­weihe, zwei Dinge hat die Mutter mir ge­geben, sie wird mir auch das dritte noch ge­ben. Aber man darf ja eigentlich nicht unver­schämt sein und auch das dritte noch verlan­gen, aber ich will es einmal doch sein.’“

Die Erfüllung seines langersehnten Herzenswun­sches – er war bereits seit sechs Jahren Diakon – zum Priester geweiht zu wer­den, war wie ein Wunder. Der französische Bischof Gabriel Piguet von Clermont war ins KZ Dachau eingeliefert worden. Da man seinen Rang nicht gleich er­kannt hatte, kam er zunächst in den Priesterblock, wo sich Mithäft­linge von Karl Leisner, weil dieser wegen seines Ge­sund­heitszu­standes häufig im Krankenrevier lag, um dessen Weihe bemüh­ten.  Bischof Ga­briel Piguet war einverstanden, sofern der Bischof von Münster und der Kardinal von München ihre Zustimmung gä­ben.

Am 14. November 1944 schrieb Willi Leisner seinem Bruder ins KZ:
„Nach langer Wartezeit traf heute das Jawort zu Deiner Ausweihung ein. […] Wir sind alle froh mit Dir, daß Deine Berufung zum Prie­stertum nun ihre Erfüllung findet. Wenn auch nicht in der hohen Dom­kirche [in Mün­ster], so wird Dir die Gnade Gottes frohgemute Kraft verleihen. Hoffen und bitten wir, daß Du dann auch bald als sehn­lichsten Wunsch die Freiheit wiedererlangst.“

Der KZ-Priester Alfred Berchtold sagte im Seligspre­chungsprozeß aus:
„Karl Leisner hat mir gesagt, er glaube, daß sein Schicksal in der Hand Gottes liege und Gott alles so wenden werde, daß sein sehnlich­ster Wunsch, Priester zu werden, in Erfüllung gehen werde. Ich schließe daraus, daß Karl Leisner auch der Hoffnung war, wieder ein­mal in die Freiheit entlassen zu werden, weil ja sonst der Wunsch nach dem Priestertum im KZ Da­chau nicht erfüllbar schien.“

Auch Karl Leisners Befreiung war abenteuerlich. Er war nicht vor der Befreiung durch die Amerikaner von den Na­tionalsozialisten entlassen worden wie sein Freund Pater Otto Pies SJ und viele andere Priester. Der Sterbenskranke mußte im Lager bleiben. Doch Otto Pies schmug­gelte ihn mit Hilfe des Stadtpfarrers Friedrich Pfanzelt von Dachau aus dem KZ.

Nur sein dritter Wunsch blieb unerfüllt. Er fügte sich in sein Ge­schick und betrachtete seinen Tod als Gottes Willen.