Impuls von Hans-Karl Seeger
Dienstag 28.11.2006
Wenn ihr aber trotzig seid und euch weigert, werdet ihr vom Schwert gefressen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen. (Jes 1,20)
An diese Jesajastelle mag Karl Leisner gedacht haben, als die Bewacher im KZ Dachau am Tag der Befreiung, am 29. April 1945, von den Amerikanern gefangengenommen wurden.
Er schrieb in sein Tagebuch:
Morgens in der Bettruhe Einschläge schwerer Artillerie in der Nähe. Maschinengewehr- und Gewehrfeuer. Die Nacht zuvor schon gute Schießerei. Große Hoffnung! ‚Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an’ – singe ich spaßhaft und doch ernst. Es wird so. Die weiße Fahne auf Kommandantur etc. – Was wird geschehen? Um 17.30 Uhr die ersten amerikanischen Soldaten. (Vorher Gerücht, das Lager sei übergeben). Riesiger Jubel im Lager, Freudenausbrüche bis an die Grenze des Möglichen. Die amerikanischen Soldaten werden zerdrückt. Polen stürmen Jourhaus, zertrampeln das Hitlerbild, zerschmettern die SS-Gewehre. Eine Stimmung, unbeschreiblich. In zehn Minuten flattern die Fahnen der befreiten Nationen. Herrlich! Ich liege schwer krank da. Höre das alles nur von weitem und vom Erzählen. Ziehe mir die Decke übers Gesicht und weine zehn Minuten vor überwältigender Freude. Endlich frei von der verdammten Nazityrannei! Bis auf zehn Tage waren’s fünfeinhalb Jahre hinter Gittern [9.11.1939-29.4.1945]. Ich bin überglücklich. Heil unsern Befreiern! Die Aufregung auf der Tbc-Station ist groß. Jeder Halbgesunde rennt ins Lager und erzählt hinterher. Die Turmbesatzungen hatten weiße Fahnen gehißt. Trotzdem zieht noch einer seinen Browning. Alle werden prompt umgelegt. Das ist Recht!
Die Nacht schießt eine schwere amerikanische Batterie übers Lager weg. SS will Lager wieder erobern, sagt man. Aber alles geht gut! Deo gratias[Gott sei Dank]!
Manche Menschen sind der Ansicht, der Satz „Das ist Recht“ enthalte Elemente von Rache und Vergeltung. Karl Leisners Schwager, Wilhelm Haas, war folgender Meinung:
„Dadurch, daß das Wort „Recht“ großgeschrieben ist, deutet Karl Leisner an, daß man diese Aktion der Amerikaner als rechtens im Rahmen des Kriegsrechtes ansehen kann. Auf keinen Fall kann man rachsüchtige Freude über den Tod dieser Leute daraus entnehmen.“
Ein anderer Zeitgenosse meint:
„Es ist eine Äußerung der Distanzierung ‚Das ist jetzt bei uns das gültige Recht’ und nicht des Einverständnisses.“
Jürgen Zarusky schrieb:
„Die Gefangenenerschießungen bei der Einnahme des Dachauer Lagers werfen zweifellos einen Schatten auf die US-Army. Diese Taten haben zur Befreiung des Konzentrationslagers nichts beigetragen. Sie verletzten völkerrechtliche Normen ebenso wie amerikanisches Recht. Die Offiziere und Soldaten, die an den Erschießungen beteiligt waren, fielen aus der Rolle und gerierten sich als Richter und Rächer. Überwältigt von der plötzlichen Konfrontation mit einem bis dahin nicht vorstellbaren Grauen, betrachteten sie allein die SS-Uniform als Schuldbeweis.“