Unser tägliches Brot gib uns heute!
Brotteller der Familie Leisner, ausgestellt in der Karl Leisner-Ausstellung im StiftsMuseum in Xanten
Nach Aussage von Elisabeth Haas, der jüngsten Schwester Karls, wohl angefertigt vom Künstler Gerhard Matthäi, mit dessen Hilfe die Kasperpuppen entstanden sind.
Foto Gabriele Latzel
Die F.A.S. vom 16. November 2014 Nr. 46 brachte einen Artikel von Jörn Klare unter dem Titel „Man muß leben weiter, kannst nichts machen“. Er besuchte ein Altenheim in Haifa und berichtete in dem Abschnitt „Erzählungen über die Lager von Sachsenhausen und Landsberg“ über Chaim Shefi, einen Juden, der auch im KZ Dachau war.
Siehe Link zum Artikel in der F.A.S.
daraus besonders der Abschnitt über Brot im KZ:
Schließlich kommt Shefi mit seinen Erinnerungen und seiner Erzählung in Dachau an. Von den 500 Kindern, mit denen er zuletzt noch unterwegs war, lebten nur noch 80. „Und in Dachau … “, die Enkelin greift nach seiner Hand, sie kennt die Geschichte. In Dachau bekam jeder beim Betreten der Baracke eine Tagesration Brot. 150 Gramm, die Shefi in der offenen Hand hielt, bis die Hand eines anderen Gefangenen ihm sein Brot stahl. Das Brot, ohne das kein Leben möglich war.
Giovanni Incerpi:
„Ich war wie alle anderen auch nur noch Haut und Knochen“, erzählt Giovanni Incerpi, „aber viel mehr als der Hunger hat mir das Fieber zu schaffen gemacht – und der Durst. Als ich erkannte, daß meine Lungen löchrig waren wie ein Sieb, begriff ich, daß es für mich nicht mehr die kleinste Hoffnung gab. Da traf ich Pater Karl [Karl Leisner] …“
Drehen wir die Zeit zurück, bis in den April 1945, und begeben wir uns ins KZ Dachau in Bayern. Die Niederlage Hitler-Deutschlands liegt in der Luft, und die SS, die die Herrschaft über das Lager hat, läßt merklich nach in Sachen Wachsamkeit. Der Grund dafür: man hat alle Hände voll zu tun, den Rückzug aus dem Lager vorzubereiten, die eigene Haut zu retten.
Die 300.000 Gefangenen (gebaut war das Lager für 5.000) nützen die neugewonnene Bewegungsfreiheit auf ihre Weise: sie durchstreifen das Lagergelände auf der Suche nach Gleichgesinnten, vermißten Freunden oder einfach nur einem vertrockneten Brotstück. Ziemlich wackelig auf den Beinen tritt ein junger Italiener aus der Tür seiner Baracke. Sie hat die Nummer 29. Immer wieder schüttelt ihn das Fieber. Nach etwa 20 Metern bekommt er keine Luft mehr. Ein Hustenanfall zwingt ihn zum Stehenbleiben, an eine Wand gelehnt spuckt er Blut. Er weiß, daß das das Ende ist.
In diesem Lager schaffen es nicht einmal die Gesunden – was soll dann aus einem Tuberkulosekranken werden?
Eine Stimme zerstreut die dunklen Gedanken: „Na, Italiener, geht’s dir nicht gut?“ Eine zynische Frage, an einem solchen Ort. Aber der, der sie gestellt hat, scheint es ernst zu meinen. Das hagere Gesicht ist freundlich und die Augen hinter den Brillengläsern lächeln. Beide tragen ein rotes Dreieck auf ihrer Uniform, das bedeutet, daß sie beide „politische“ sind. Giovanni hat auf seinem Hemd noch ein IT stehen, für Italiener. Sein Gesprächspartner hat ein Kreuz auf dem seinen: so hat die SS Priester gekennzeichnet. 2.700 Kleriker waren über die Jahre hinweg in Dachau gefangen, über 1.100 kamen dort um.
Zwischen dem Partisanen und dem Priester entwickelt sich ein Gespräch. Immer wieder treffen sich die zwei Gefangenen in den folgenden Tagen, und immer wieder spielt sich das gleiche ab. Incerpi ist mutlos und spricht immer wieder davon, daß seine Tage gezählt sind. Der Priester redet ihm gut zu, verbreitet Optimismus: die Alliierten seien nicht mehr weit, die Befreiung nur noch eine Frage von Tagen.
„Er hat mir das Leben gerettet“, sagt der mittlerweile 80jährige, in Rom lebende Giovanni Incerpi heute. „Ohne ihn hätte ich diese letzten Tage in all meiner Verzweiflung nicht überstanden.“
Wer dieser ominöse Lebensretter allerdings wirklich war, das hat Incerpi erst jetzt herausgefunden, als er die Zeitungsfotos von jenem Priester, den Johannes Paul II. am 23. Juni [1996] seliggesprochen hat, sah. Über 50 Jahre nach den bewußten Ereignissen kam die Erkenntnis: mein Überleben habe ich Karl Leisner zu verdanken. Und auch: der nach außen hin so optimistisch wirkende Mitgefangene war viel kränker als ich – und vermutlich wußte er das auch.
Tatsächlich ist Karl Leisner wenige Monate nach der Befreiung Dachaus (am 29. April 1945) an Lungentuberkulose gestorben.
Gelitten hatte er an dieser Krankheit schon lange: Im November [Juni] 1939 kam er deswegen in ein Sanatorium im Schwarzwald. Dort wurde schließlich seine antinazistische Haltung offenkundig, und es war ein Mit-Patient, der Leisner deswegen verriet. Der Anlaß dafür mag für unsere Begriffe mehr als harmlos erscheinen: im Radio wurde darüber berichtet, daß ein Mordanschlag auf Hitler danebengegangen war. „Schade“, rief Leisner aus, als er das hörte.
Er wurde in der Folge von der Gestapo verhaftet, die ohnehin schon ein Dossier über ihn angelegt hatte. Eines der Dokumente darin war Leisners Tagebuch, in dem viel von seinem Widerwillen gegen das Nazi-Regime die Rede war.
Die Anklage, die schließlich erhoben wurde, lautete auf „Anschlag gegen die Staatssicherheit“. Karl Leisner, der damals noch Diakon war, kam in die Gefängnisse von Freiburg/Br. und Mannheim, später ins KZ Sachsenhausen und schließlich nach Dachau.
Dort wurde er am 17. Dezember 1944 zum Priester geweiht, und zwar vom französischen Bischof Gabriel Piguet, in einer heimlichen Aktion in Baracke 26. Ermöglicht wurde die Feier unter anderem dadurch, daß der Kapo des Sicherheitsdienstes, der Kommunist Willy Bader, der seit 1933 in Dachau war, die Sache duldete.
Vielleicht wäre Karl Leisner ein guter Prediger gewesen oder ein beliebter Beichtvater, vielleicht wäre er sogar ein mutiger Bischof geworden – wenn er nur in eine andere Zeit hineingeboren wäre. So hat er die frohe Botschaft im Verborgenen verkündet und Hoffnungslosen wie Giovanni Incerpi damit das Leben gerettet.[1]
[1] Kirche Intern 9/96: 36f.
Hermann Scheipers:
Eines Abends [Ende Juli 1942[1]] kam Dr. [Bernhard] Wensch heimlich in der Dunkelheit an den Stacheldraht des Invalidenblocks und brachte mir das Kostbarste, das er verschenken konnte – seine Brotration für den Tag, das waren etwa vier Scheiben Brot. Wer in seinem Leben schon einmal wochen- oder monatelang praktisch von Wassersuppen leben mußte, weiß, was das bedeutete. Ich hätte damals dieses Brot nicht annehmen dürfen; aber ich ahnte nicht, wie schlimm es um meinen Mitbruder stand. Er litt an schrecklichem Durchfall und schenkte mir sein Brot, das einzige, was er in seinem Zustand noch essen konnte. – Er schenkte damit buchstäblich sich selbst; denn wenige Tage darauf kam er, von Hunger geschwächt, ins Krankenrevier und starb. Nie kann ich diese Tat reiner Liebe vergessen. Sie steht für mich in direktem Zusammenhang mit dem, was Christus für uns tat in seiner Hingabe am Abend vor seinem Tod.
Am nächsten Tag konnte Dr. Wensch schon vor Schwäche nicht mehr kommen; aber er schickte mir durch Karl Leisner das wahre Brot des Lebens, Christus den Herrn, verborgen in einer Tablettenschachtel. Einige Juden, die auf dem Weg von Buchenwald zur Vergasung nur kurz in Dachau waren, standen dabei Schmiere. Keiner von diesen Todgeweihten ahnte, daß mir da durch den Stacheldraht hindurch die heilige Kommunion gereicht wurde.
Bernhard Wensch hatte seinen Platz in meiner Stube [3 im Block 26] am Nebentisch von Karl L. [Leisner]. Sicher haben die beiden über meine aussichtslose Situation gesprochen, und Karl übernahm gern den gefährlichen Gang am Abend, um mir den Leib des Herrn zu bringen – wie alle glaubten, zum letzten Mal vor meinem Abtransport zur Vergasung.
In dieser Zeit des Wartens auf die Gaskammer begegne ich ein zweites Mal Karl Leisner. Wir Invaliden wurden zum Bad geführt, ein trauriger Zug ausgemergelter Gestalten, die sich zum Teil kaum noch vorwärts bewegen konnten. Während sich die Arbeitskommandos in den Werkstätten und auf der Plantage aufhielten, waren die Lagerstraße und der Appellplatz leer. Karl steht mit ein oder zwei Gefangenen in der Nähe des Krankenreviers. Als er mich im Zug entdeckt, löst er sich aus der Gruppe, kommt auf mich zu und begleitet mich fünf oder zehn Meter. Auch das war für ihn schon gefährlich. Er flüstert mir zu: „Denk an die drei Jünglinge im Feuerofen“ [Dan 3,1–97].
Mit diesem Wort wollte er mir sagen, wie er dies ganze furchtbare Geschehen im Lichte des Glaubens sah. […] Karl wollte mir offenbar damals sagen: Hab keine Angst. Du bist jetzt zum Feuer verurteilt, aber Gott vermag doch alles. So wie er einst seine Getreuen aus dem Feuerofen des Königs von Babylon errettet hat, kann er auch dich vor dem Feuerofen der Gaskammer retten, und so wie ihnen kann er auch dir seinen rettenden Engel schicken. – Er hat es getan! – Der rettende Engel war meine Zwillingsschwester [Anna].[2]
[1] Zeitangabe von Hermann Scheipers
[2] Scheipers, Hermann: Gratwanderungen. Priester unter zwei Diktaturen, Leipzig 31999: 60–62
Tagebucheintrag und Briefe von Karl Leisner sowie Berichte von Zeitzeugen:
Münster, Donnerstag, 2. März 1939
Vorher hatten wir vom heiligmäßigen Regensburger Bischof und Regens [Georg Michael] Wittmann ([gestorben] 1833) in Erb „Lebendiges Christentum“[1] gelesen. (Wie er in der Vorlesung für einen armen Bub sorgte, wie er seine Seminaristen zur Ehrfurcht vor dem Brot erzog.)[2]
[1] Erb, Alfons: Gelebtes Christentum. Charakterbilder aus dem deutschen Katholizismus des 19. Jahrhunderts, Freiburg 1938: 81–94
[2] Alfons Erb:
Da hatten einige der jungen Herren bei Tisch aus dem Brot die Weichteile herausgeklaubt und nur die knusprigen Kanten verspeist. Bei der nächsten Mahlzeit stellte Wittmann ein Kruzifix auf den Tisch, daneben zwei brennende Kerzen. Dann nahm er das verachtete Brot, legte es unter das Kruzifix und sprach: „O du liebes Brot! O du liebes tägliches Brot! Ist ein schlimmes Zeichen, wenn in einem Hause mit dem lieben Brot so übel verfahren wird …“ (Erb 1938: 85).
KZ-Mithäftling Reinhold Friedrich:
Als ich selbst am Namensfest der Muttergottes, am 12. September 1941, nach Dachau kam, war er [Karl Leisner] der erste, der sich besorgt meiner annahm. Heimlich drückte er mir fünf Mark in die Hand, damit ich mir das Notwendigste kaufen könne, und holte mir sein Stück Brot aus dem Spind. Almosen spendend wie ein Stephanus, ein Vater der Armen! (Friedrichs, Reinhold: Priesterweihe in Dachau. In: Hofmann, Konrad / Schneider, Reinhold / Wolf, Erik: Sieger in Fesseln. Das christliche Deutschland 1933–1945, Freiburg/Br. 1947: 32–38, hier 33, s. auch: Münchener Kirchenzeitung, Bistumsblatt der Erzdiözese München und Freising, Jahrgang 41, Nr. 26 vom 27.6.1948).
Karl Leisner aus Dachau am 16. Oktober 1943 an seine Familie in Kleve:
Meine Lieben!
[…]
Wenn Ihr Weißbrot schickt, laßt es gut austrocknen. In zwei Paketen war’s durch- und durchgeschimmelt. Das ist so sehr schade.
KZ-Mithäftling Br. Raphael Tijhuis OCarm aus Rom am 21.4.1977 an Heinrich Kleinen in Uedem:
Ich erinnere mich Karl noch so, als ob er mich soeben noch ein freundliches Wort sagte und Mut einflößte. Wie oft hat er z. B. meine, in mehrere Scherben zerschlagene Brille, wieder provisorisch geflickt, und als ich ihm danken wollte, reichte er mich heimlich noch ein Stück Brot hin, weil er wußte, daß das noch lebenswichtiger war als eine geflickte Brille!
Am 26.12.1937, dem Fest des hl. Stephanus, schrieb Karl Leisner in sein Tagebuch:
Herr, schenk mir eine Stephanusseele! Dementsprechend verstand er vermutlich auch den Begriff „Elisabethsgeist“. Mit dem Schlußsatz Segne auch, Höchster, meine Feinde! in seinem letzten Tagebuch wurde er dem hl. Stephanus ähnlich, und wie die hl. Elisabeth hatte er Mitgefühl für die Armen: Sie brachte „Brot und Rosen“ zu den Armen, er hat sein Brot mit den Häftlingen im KZ geteilt, und in einer Dose für Wybert-Tabletten verwahrte er Hostien für Häftlinge, die nicht das „Brot des Lebens“ in der Lagerkapelle empfangen konnten.
KZ-Mithäftling P. Martin Schiffer OSB am 22. Dezember 1944 an Karl Leisner ins Revier:
+ Pax! [Friede] Quatemberfreitag 1944
Grüß Gott, lieber Karl!
Herzliche Glückwünsche zum Tag der heiligen Weihe auch von mir. Fasse es bitte nicht als Zudringlichkeit auf, wenn ich Dir auf diese Weise persönlich gratuliere. Als ich um Weihnachten 1942 auf Block 3 im Revier lag und ich sehr viel Hunger hatte, ließest Du mir ein Stück Brot zukommen. Noch weiß ich immer nicht, wie Du damals von mir erfahren hast. Aber Dein Schenken in der Not tat mir so wohl, daß ich es nie vergessen habe.