Chile-Haus in Hamburg wird Weltkulturerbe

IMG_0367Am 5. Juli 2015 traf das Welterbe-Komitee der UNESCO in Bonn die Entscheidung, das Hamburger Kontorviertel, zu dem das Chile-Haus gehört, und die Hamburger Speicherstadt in die UNESCO-Welterbeliste aufzunehmen.
Ab 1921 entstand in der Altstadt Hamburgs rund um den Burchardplatz das Kontorhausviertel. Das zehnstöckige Chile-Haus ist davon wohl das bekannteste Gebäude. Es wurde von dem Architekten und Baumeister Fritz Höger im Auftrag des Hamburger Kaufmanns Henry Brarens Sloman geplant und in den Jahren 1922 bis 1924 im Stil des Backstein-Expressionismus erbaut und war zu der Zeit mit einer Fläche von 36.000 Quadratmetern das größte Bürogebäude Deutschlands. Klinker oder Backsteine, die teilweise zu Ornamenten und Mustern gesetzt sind, heben die Fassaden hervor. Von Südosten wirkt das Chilehaus wie ein spitz zulaufender Schiffsbug. Keramiken, Mahagonitüren und gewundene Treppenhäuser beeindrucken im Inneren. Der Name „Chile“-Haus weist auf Henry Brarens Sloman hin, der sich in jungen Jahren in Chile durch den Handel mit Salpeter ein Vermögen erwirtschaftete.

Auf der Fahrt nach Rügen im August 1929 besichtigte die Gruppe um Karl Leisner unter der Leitung von Walter Vinnenberg[1] zwei Tage die „Großstadt Hamburg“.
Am 8. August 1929 schreibt Karl Leisner:
Um 9.00 Uhr hauten wir mit den Affen bepackt los. Es ging an den beiden Hambur­ger Hochhäusern, am „Chile-Haus“ und „Albert-Bal­lin-Haus“ vorbei bis in die Nähe des Hauptbahnhofs.
[1] Dr. Walter Vinnenberg, geboren am 8.6.1901 in Lipp­stadt, Prie­sterweihe am 27.2.1926 in Münster, gestorben am 1.12.1984 in Bocholt. Er war bis Ostern 1929 Karl Leisners Re­ligi­onslehrer. Bis 1931 war er an der Heim­schule Maria Laach und anschließend an zahlreichen Stellen des Bistums Münster tätig.

IMG_0376Nach langwierigen Verhandlungen vereinbarte im Jahr 1881 die Hansestadt Hamburg dem Deutschen Zollverein beizutreten, unter der Bedingung eines Freihafens für Hamburg, mit dem Privileg der Hamburger Kaufleute, dort weiterhin Importgüter zollfrei zu lagern, zu veredeln und zu verarbeiten. In fünf Jahren wurde der weltgrößte Lagerhauskomplex geschaffen, die Speicherstadt. Sie löste die herkömmlichen Kaufmannshäuser ab, in denen auch gewohnt und gearbeitet wurde. Einige Jahre später entstanden für die zugehörige Verwaltung die ersten Kontorhäuser, ebenfalls ausschließliche Bürogebäude. Kontor ist unter anderen eine veraltete Bezeichnung für Büro.

Der Hamburger Hafen faszinierte Karl Leisner besonders. Bereits bei der Ankunft am 6. August 1929 bemerkt er:
Dann gings weiter (an Aus­läufern der Lü­neburger Heide vor­bei). Man sah schon das Charak­teri­stische der Heide, blühende Heide, ver­streute Bäume usw., über Sprötze – Buchholz – Har­burg nach Hamburg. Dort lan­deten wir gegen 20.30 Uhr im Haupt­bahnhof. Vom Hauptbahnhof liefen wir an der beleuch­teten Bin­nen­alster und an Fleets vorbei zur Jugendherberge, Böhmkenstraße 15. (Als wir mit dem Zug in Hamburg ein­fuhren, sahen wir den beleuchteten Hafen liegen. Es war wirk­lich bezau­bernd.) In der Jugendherberge gings um 22.00 Uhr zu Bett.

Am nächsten Morgen gingen die Jungen direkt zum Hafen. Bei einer Bootsfahrt durch den Freihafen werden sie die Speicherstadt mit den imposanten Lagerhäusern bewundert haben.

Besichtigung der Großstadt Hamburg
Um 8.30 Uhr gingen wir mit dem Jugend­pfleger und noch einer Gruppe zum Ha­fen, wo wir zuerst von der Elb­brücke aus die Über­seedampfer der Ham­burg-Südamerika-Linie „Cap Polo­nio“ und die „Monte Cervantes“ lie­gen sahen. Die „Cap Polo­nio“ ist 191 m lang, 40–50 m breit und 20 m aus dem Wasser. Ihre Schorn­steine haben einen Durch­messer von 7 m. – Um 9.00 Uhr begann un­sere Ha­fen­rundfahrt. (Nur 10,00 [Reichsmark] für alle.)
Wir fuhren mit dem Boot „Renner“ („Kurt“[1] begleitete uns fast immer). – An der „Monte Cervantes“ lag ein Schiff für den chilenischen Staat. Nun gelangten wir in den Freihafen, wo viele deutsche, englische, holländische und zwei Mittelmeerschiffe lagen, unter anderem das deutsche Schulschiff „Parma“ als einziges großes Segelschiff. Es war wirklich schön, die „klei­nen Männekes“ oben im Tauwerk arbeiten zu sehen. Auch das deutsche Schiff „Schwaben“ lag im Hafen. Nach der Durch­querung vieler Häfen und zweier Verkehrsschleusen gelangten wir in den Hafen, wo die riesigen Ha­pag-Dampfer „Europa“[2] und „Columbus“ im Dock lagen. Die abge­brannte „Europa“, die ganz abgebaut worden ist, lag schon wieder zum Teil aufge­baut im Dock. – Von diesem Hafen gelangten wir dorthin, wo die Hapag-Dampfer „Albert Ballin“, „Reso­lute“, „Reliance“ und „Naum­burg“ lagen. Nach der herrlichen „Spritzfahrt“ durch den Hafen gingen wir zusammen mit den andern zum Elbtunnel (an den St. Pauli-Landungs­brücken vorbei).

[1] vermutlich der die Gruppe führende Jugendpfleger
[2] Nach dem Tagebucheintrag vom 31.3.1930 hat Karl Leisner auf vier Seiten Zei­tungsausschnitte über die erste Ausreise der Europa eingeklebt.

Weitere Fotos vom Chile-Haus

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Quellen:
F.A.Z. vom 6. Juli 2015 – Monument des Eigensinns – Die Hamburger Speicherstadt wird Weltkulturerbe

NDR.de – Ratgeber – Reise vom 5. Juli 2015 – Das Chilehaus – ein Haus wie ein Schiff

NDR.de – Ratgeber – Reise vom 6. Juli 2015 – Wo sich Hamburgs Handel ein Denkmal setzte

Text und Fotos Christa Bockholt