Karl Leisners erste Fahrt mit seiner Gruppe St. Werner ging nach Nideggen.
Dürener Tor
Im bundesdeutschen Wahlkampf spielen die Themen Sparen und Wachstum eine große Rolle. Was im Großen in Europa daraus folgt, daß viele Menschen über ihre Verhältnisse gelebt haben, zeigt sich auch im Kleinen. Nordrhein-Westfalen hat den landesweit ersten Sparkommissar eingesetzt. Der Sparkommissar soll die Finanzen der Stadt Nideggen sanieren.
Bericht vom 26. April 2013 im Deutschlandfunk – Griechische Verhältnisse in der Eifel – Nideggen droht der Sparkommissar
Karl Leisner erlebte in Nideggen sozusagen noch eine „Heile Welt“.
Nach Ausflügen in die nähere Umgebung machte die Gruppe St. Werner aus Kleve ihre erste größere Fahrt mit ihrem Mentor Dr. Walter Vinnenberg in die Eifel. Für Karl Leisner war das ein Anlaß, neben der Gruppenchronik als Schriftführer ein eigenes Tagebuch zu beginnen.
Prälat Dr. phil. Walter Vinnenberg (* 8.6.1901 in Lippstadt, † 1.12. 1984 in Bocholt)
Wir Clever in Nideggen
erste Reihe v. l.: 2. Carl von Vogelsang
zweite Reihe v. l.: 3. Karl Leisner, 5. Walter Vinnenberg
Samstag, 7. April 1928, Karsamstag
Unser Zug nach Nideggen fuhr gegen 18.15 Uhr ab. Gegen 18.45 Uhr langten wir in Nideggen an. Dort suchten wir erst in der Nideggener Jugendherberge Obdach. Diese war leider überfüllt und der Herbergsvater wies uns einen Rektor [Heinrich] Viethen an. Bei dessen Bruder konnten wir nach vielem Hin- und Hergeplänkel im Kuhstall schlafen. Dort kam abends (als wir schon in der Falle lagen) Herr Rektor Viethen herein und begrüßte uns. Nachts schliefen wir Ia prima und lecker warm. Es gab Klätschkäse …. klätsch klätsch und Niagaraanfälle[1].
[1] Ausscheidungen der Kühe mit den entsprechenden Geräuschen
Burg Nideggen
Nideggen, Sonntag, 8. April 1928, Ostersonntag
Ostermorgen (8.4.1928) wurde andere Wäsche angezogen, die Kleider abgebürstet und sich tüchtig gewaschen. Morgens 8.00 Uhr war gemeinschaftliche Messe und gemeinschaftliche Kommunion der Westmark[-Jungenschaft] in der Pfarrkirche [St. Johannes Baptist] zu Nideggen.
Pfarrkirche St. Johannes Baptist
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / Author: Chris06 / CC-BY-SA 3.0 (abgerufen 18.05.2018)
Die Messe las Dr. [Walter] Vinnenberg (unser berühmter Führer). Nach der Messe gings, nachdem wir die anderen Gruppen [des Jungkreuzbundes] aus Mönchengladbach, Düren, Aachen usw. begrüßt hatten, gemeinsam singend zum Zeltlager auf der Rather Heide. Hier wurde Kakao getrunken und Butterbrote gegessen. Der Morgen verging durch Singen, Spielen und in der Heide liegen. Zum Mittagessen gabs Linsensuppe (Ia prima). Wir wurden auch fotografiert. Um 4 Uhr nachmittags war Knappenprüfung. (Vorher war an die Vaganten die Gauschnur verteilt worden.) Alle bestanden sie. Um 18.00 Uhr gings zur Andacht.[1] Nach der Andacht wurde erst zu Abend „Rissepapp [Milchreissuppe]“ gegessen. Dann war Osterfeuer und Knappenweihe.
Es wurden Lieder gesungen, Gedichte vorgetragen und von Carl von Vogelsang einige Worte an die Knappen gerichtet. Gegen 11.00 Uhr nachts war die Knappenweihe. Nachher wurde das Abendgebet verrichtet und wir marschierten mit den Ratingern [Jungkreuzbündlern] und Carl von Vogelsang zu einer nahe dabei liegenden Scheune. (Rattenscheune, weil Ratten drin waren.) Wir schliefen gegen 23.45 Uhr ein und pennten fein.
[1] Gruppenchronik vom 5.4.1928: Ostersonntagnachmittag Andacht und nach der Andacht Tellspiele.
Vermutlich spielten die Jugendlichen nach folgendem Buch: Weinrich, Franz Johannes: Das Tellspiel der Schweizer Bauern, Frankfurt 1923, Berlin 1926.
Nideggen, Montag, 9. April 1928, Ostermontag
Ostermontag morgens gings um 6.15 Uhr heraus (ich habe einen Turnschuh verloren) und es wurde sich angezogen und gewaschen. (Schang [Johannes] Kerst war Ostersonntag erst nachgekommen.) Um 7.00 Uhr war wieder Gemeinschaftsmesse mit gemeinschaftlicher heiliger Kommunion in der Pfarrkirche [St. Johannes Baptist] zu Nideggen. Nachher wurde wieder Kakao getrunken und Butterbrote gegessen. Wieder von der Sonne verbrennen lassen und Wasser geholt. – Um 12.00 Uhr gab’s Graupensuppe. – Um 14.00 Uhr war Schlußfeier, bei der Rektor [Heinrich] Viethen eine Schlußansprache hielt. Um 15.00 Uhr kochten wir Tee. Wir spielten Speer[werfen] und warfen mit dem Schlagball. – Dann gingen wir vom Zeltlager herunter zur Stadt. Hier gings zur Andacht, nachdem in der Jugendherberge alle Sachen abgeladen waren.
Jugendherberge in Nideggen
Unser Führer Dr. [Walter] Vinnenberg fragte den Herbergsvater, ob er uns wohl einen tüchtigen Pudding kochen möchte. Dieser willigte sofort ein. Nach der Andacht gingen wir mit Herrn Rektor Viethen durch Nideggen. Als wir uns von ihm verabschiedet hatten, gingen wir zur Jugendherberge, wo der Pudding gegessen wurde. Am selben Abend wurden noch Teller und [Horden]Pott gespült, da wir am andern Morgen früh wegfahren wollten. Gegen 20.00 Uhr gings ins Bett. Man schlief in der Nideggener Jugendherberge sehr fein.
Nideggen, Dienstag, 10. April 1928
Dienstagmorgen standen wir um 5.30 Uhr auf. Die Meßdiener Jan [Ansems] und Peter [Drießen] noch etwas früher, da Dr. [Walter] Vinnenberg um 5.30 Uhr schon Messe las. Als Dr. Vinnenberg u. d. M. [und die Meßdiener] von der Messe wiederkamen, standen wir schon fix und fertig vor der Jugendherberge. Nun marschierten wir zum Bahnhof. – Leider mußte Jan A. [Ansems] an der Kirche [St. Johannes Baptist] feststellen, daß er die Decke der Jugendherberge mit eingepackt bekommen hatte; und nun hieß es, flott einer wieder um. Ich lief im Tempo zur Jugendherberge zurück, Decke hingeworfen und wieder zurück den Burgberg herunter. Dabei machte ich eine kleine Kletterpartie, (nämlich ich hielt mich an einem Baum fest, auf eine vorspringende Stelle stellte ich mich hin und sprang herunter). Die andern traf ich auf der Brücke und wir erreichten noch ganz gemütlich unsern um 6.45 Uhr abfahrenden Zug. […]
Zu Hause kamen wir frisch und froh an und mußten von der ganzen Fahrt erzählen.
Quelle der nicht ausgewiesenen Fotos: Karl Leisner-Archiv