„Das Golgatha der Priester“

2013_09_24_Plantage„Vor 70 Jahren, am 29. April 1945, wurde das Konzentrationslager Dachau befreit. Viele Geistliche aus ganz Europa wurden dort gequält oder fanden den Märtyrertod.“ Unter dieser Überschrift veröffentlichte Stefan Meetschen einen Artikel in der Zeitung Die Tagespost vom 23. April 2015. Ein Zwischentitel des Artikels lautet: „Die Priester in der ‚Plantage’ feierten heimlich die heilige Messe“.

Foto IKLK-Archiv

Link zur Zeitung Die Tagespost vom 23. April 2015

Was bedeutet uns als Christen die Eucharistie, wenn heute, am Fest Fronleichnam, die Monstranz mit Jesus Christus in Brotsgestalt durch die Straßen der Welt getragen wird?

Im KZ Dachau mußten die Priester die Feier der Eucharistie entbehren, bis im Januar 1941 im Priesterblock 26 eine Kapelle eingerichtet wurde. Nachdem man den polnischen Priestern am 19. September 1941 den Zutritt verboten hatte, feierten sie heimlich und auf sehr einfache Weise die Messe. So zum Beispiel bei der Arbeit in der Plantage, wobei die Wärter das Knien der Priester als Arbeitshaltung interpretierten. Hostien und Wein schmuggelte Josefa Mack, eine Kandidatin der „Armen Schulschwestern“, unter dem Vorwand, Gemüse und Blumen fürs Kloster einzukaufen, über die Verkaufsstelle der Plantage ins KZ.

siehe Aktuelles vom 21. September 2013

KZ-Priester Hermann Scheipers, geboren 1913, berichtet über seine Zeit im KZ Dachau unter anderem:
Am nächsten Tag konnte Dr. [Bernhard] Wensch schon vor Schwäche nicht mehr kommen; aber er schickte mir durch Karl Leisner das wahre Brot des Lebens, Christus den Herrn, verborgen in einer Tablettenschachtel. Einige Juden, die auf dem Weg von Buchenwald zur Vergasung nur kurz in Dachau waren, standen dabei Schmiere. Keiner von diesen Todgeweihten ahnte, daß mir da durch den Stacheldraht hindurch die heilige Kommunion gereicht wurde.
Bernhard Wensch hatte seinen Platz in meiner Stube am Nebentisch von Karl Leisner. Sicher haben die beiden über meine aussichtslose Situation gesprochen, und Karl übernahm gern den gefährlichen Gang am Abend, um mir den Leib des Herrn zu bringen – wie alle glaubten, zum letzten Mal vor meinem Abtransport zur Vergasung.
In dieser Zeit des Wartens auf die Gaskammer begegnete ich ein zweites Mal Karl Leisner. Wir Invaliden wurden zum Bad geführt, ein trauriger Zug ausgemergelter Gestalten, die sich zum Teil kaum noch vorwärts bewegen konnten. Während sich die Arbeitskommandos in den Werkstätten und auf der Plantage aufhielten, waren die Lagerstraße und der Appellplatz leer.
Karl steht mit ein oder zwei Gefangenen in der Nähe des Krankenreviers. Als er mich im Zug entdeckt, löst er sich aus der Gruppe, kommt auf mich zu und begleitet mich fünf oder zehn Meter. Auch das war für ihn schon gefährlich. Er flüsterte mir zu: „Denk an die drei Jünglinge im Feuerofen.“ [Dan 3,51–97] Mit diesem Wort wollte er mir sagen, wie er dies ganze furchtbare Geschehen im Lichte des Glaubens sah. […]
Karl wollte mir offenbar damals sagen: Hab keine Angst. Du bist jetzt zum Feuer verurteilt, aber Gott vermag doch alles. So wie er einst seine Getreuen aus dem Feuerofen des Königs von Babylon errettet hat, kann er auch dich vor dem Feuerofen der Gaskammer retten, und so wie ihnen kann er auch dir seinen rettenden Engel schicken. – Er hat es getan! – Der rettende Engel war meine Zwillingsschwester […].[1]

[1] Scheipers, Hermann: Gratwanderungen, Priester un­ter zwei Diktaturen, Leipzig 1999: 61f.