P. Gregor Schwake OSB:
Der 1. April [1945] und das heilige Osterfest fielen zusammen. Pontifikalamt. Abt Hondet zelebrierte. Choralproprium etwas lahm, weil gute Sänger entlassen. Ordinarium mehrstimmig. Ich orgelte. Abt Hondet predigte. Lateinisch. Lang. Für manche Aufgeregte viel zu lang, so daß sie die Kapelle verließen, obschon sie Zeit genug hatten. Das Amt wurde illegal photographiert; zu sehn in dem Buch von Sales Hess „Dachau, eine Welt ohne Gott“. Der breite Rücken des Organisten und Schreibers dieser Zeilen ist entzückend drauf gekommen.[1]
[1] Schwake, Gregor: Vor zehn Jahren. April 1945, Ostern und Freiheit, in: Singt dem Herrn. Sängerblatt des ACV für Deutschland, Österreich und die Schweiz 6 (1955): 14
Pater Dr. Gregor (Theodor) Schwake OSB (* 15.4.1892 in Emmerich am Rhein, † 13.6.1967 in Dülmen) – Eintritt bei den Benediktinern in Gerleve – Profeß 8.9.1912 in Gerleve – Priesterweihe 25.7.1917 – Veranstaltung von Volkschoralwochen im gesamten deutschsprachigen Raum und in Jugoslawien 1929–1943 – Am 6.10.1943 wurde er in Österreich im Dom zu Linz von den Nationalsozialisten verhaftet und kam am 2.1.1944 ins KZ Dachau, wo er bis zu seiner Entlassung am 10.4.1945 zur Arbeit in der Plantage eingeteilt war.
Er leitete den Priesterchor und komponierte u. a. die „Dachauer Messe“ als „Missa antiphonaria“ mit Blechbläsern. Diese widmete er seinem französischen Mithäftling Bischof Gabriel Piguet von Clermont. Sie erklang zum ersten Mal mit dem Priesterchor am Sonntag, dem 24.9.1944, dem Fest der allerseligsten Jungfrau Maria vom Loskauf der Gefangenen (Festum B.M.V. de Mercéde), in der Lagerkapelle. Seit der liturgischen Kalenderreform 1969/1970 gibt es dieses Fest nicht mehr.[1]
[1] Das Fest „Mercedes“ bzw. „Barmherzige Maria“ wurde zuerst im Orden der Mercedarier gefeiert, dann von Papst Innozenz XII. (1615–1700) Ende des 17. Jh. für die ganze Kirche eingeführt. Der Name „Maria vom Loskauf der Gefangenen“ geht zurück auf den Orden der Mercedarier, der Geld sammelte, um damit gefangene und versklavte Christen aus der Hand der Sarazenen freizukaufen (s. Schwake, Gregor: Vor zehn Jahren. Dezember 1944, Priesterweihe. In: Singt dem Herrn. Sängerblatt des ACV für Deutschland, Österreich und die Schweiz 5 1954: 34).
P. Gregor Schwake OSB:
Außer dem großen Orchester ist plötzlich eine starke Blechmusik da, die an einigen Sonntagabenden Platzkonzert und eine Zeitlang zu den Appellaufzügen Marschmusik bietet. […] Schon Ende August, nach den Friedenschören, wurde ich von priesterlichen Kameraden gebeten, eine Dachauer Messe zu komponieren. Karl Schrammel gab mir Notenschreibpapier und übernahm nach Fertigstellung meiner Niederschrift alles andere, die Vervielfältigung der Noten mit Lichtpause und das Einüben. Ich komponierte keine Konzertmesse für Chor allein, wodurch die kostbare, einzigartige, aktive Opfergemeinde des Dachauer Heiligtums zum Schweigen und Zuhören gebracht worden wäre. Es wurde eine „Missa antiphonaria“, eine Messe im Wechselgesang hin und her zwischen vierstimmigem Chor und einstimmigem Volksgesang, genau wie wenn wir ein gregorianisches Ordinarium sangen. Aber die Tatsache, daß wir in der Kapelle nur ein kleines Harmonium, im Lager aber eine Menge von besten Blechbläsern hatten, brachte mich auf den Gedanken, alle Volkssätze von vier Bläsern begleiten zu lassen. So wurde die Komposition von mir in der heimlichen Tischecke unseres Plantagenbüros zu Papier gebracht. Sonntag, den 24. September [1944], erklang sie zum ersten Mal. Es war das an sich sehr kleine, aber für uns außerordentlich große „Fest Mariens vom Loskauf der Gefangenen“. Ehe das Hochamt begann, konnte ich die Mitbrüder aus allen Nationen in einer einfachen lateinischen Predigt über den Sinn unseres Vorhabens belehren. Dieses Hochamt ließ die arme Baracke in anderer Weise erzittern, als es bei dem Donnern der Flakgeschütze geschah. Nach Beendigung herrschte eine Freude, die über das halbe Lager zu fluten schien. Die vier Bläser aus vier Nationen, ausgesucht vom Hilversumer Kapellmeister, wurden vom Pfarrerblock reichlich mit Lebensmitteln beschenkt. Die SS, die sich sonntags kaum blicken ließ, hat nichts von dem Hochamt erfahren (Schwake, Gregor: Vor zehn Jahren. Dezember 1944, Priesterweihe. In: Singt dem Herrn. Sängerblatt des ACV für Deutschland, Österreich und die Schweiz 5 1954: 34; Albert, Marcel (Hg.): Gregor Schwake. Mönch hinter Stacheldraht. Erinnerungen an das KZ Dachau, Münster 2005: 106).
Lange galt die Messe als verschollen. Eleonore Philipp vom Verein „Zum Beispiel Dachau“ fand eine Abschrift, die P. Gregor Schwake OSB für die Franziskanerinnen in Reute bei Bad Waldsee angefertigt hatte. Er hatte die Messe für Frauenstimmen mit Orgelbegleitung umgeschrieben. Am 18.10.1997 erklang die Messe in dieser Fassung – zurücktransformiert für Männerstimmen – erstmals in Ettenkirch bei Friedrichshafen, wo P. Gregor Schwake OSB von 1945–1947 Pfarrer war, anläßlich einer Gedenkfeier seines 30. Todestages. Weitere Aufführungen in dieser Fassung erfolgten am 18.1.1998 in Dachau Heilig Kreuz, am 25.3.2000 in Emmerich am Rhein St. Aldegundis und wiederum am 2.11. 2003 in Dachau Heilig Kreuz.
Aus der Zeitschrift Stimmen von Dachau:
Josef Helmus feierte sein Goldenes Priesterjubiläum am 11.6.1961 in Gladbeck-Rentfort. Höhepunkt dieses Festtages war das Jubelhochamt, in dem der große Kirchenchor von St. Josef die „Dachau-Messe“ von P. Gregor Schwake OSB in neuer Bearbeitung für Chor und Orchester zum Vortrag brachte (s. Stimmen von Dachau 1961 – Nr. 12: 10: Aus unserer Priestergemeinschaft).
Hans-Karl Seeger:
Beim Durchblättern der Stimmen von Dachau stieß ich auf die Bemerkung, daß am 11.6.1961 zum Goldenen Priesterjubiläum des ehemaligen KZ-Priesters Pfarrer Josef Helmus die Dachauer Messe in der Originalfassung gesungen wurde. Helmut Färber, Chormitglied in St. Josef Gladbeck-Rentfort, fand im Notenschrank Originalexemplare der Messe, von denen er mir freundlicherweise eines überließ. In dieser Fassung wurde die Messe am 1.11.2004 nach 60 Jahren zum ersten Mal im Kloster Gerleve, dem Heimatkloster des Komponisten, aufgeführt.
Irmgard Reichl, Kirchenmusikerin der Pfarrei Heilig Kreuz in Dachau und Dekanatsmusikpflegerin hat die Dachauer Messe für vierstimmigen gemischten Chor bearbeitet. Dabei blieb die Komposition weitgehend unangetastet. Durch Austeilen von Notenheften war auch ansatzweise ein chorunterstützender Wechselgesang mit Gemeinde möglich. Anhand der Orgelstimme wurde nur eine Tenorstimme hinzugefügt. In dieser Fassung erklang die Messe am Kirchweihsonntag 2004 das erste Mal in der Pfarrkirche Heilig Kreuz nur 500 m vom Entstehungsort entfernt und ein zweites Mal im großen Festgottesdienst am 19.12.2004 anläßlich des 60. Weihetages der Priesterweihe (17.12.1944) von Karl Leisner.
Nun sind die Noten der Dachauer Messe digitalisiert und auf dieser Homepage unter Archiv gespeichert.