Die F.A.Z. vom 6. September 2013 brachte einen beeindruckenden ganzseitigen Artikel von Jan Grossart über den „Kräutergarten Dachau“:
„Heil Kräuter. Vor achtzig Jahren schuf das NS-Regime den Reichsnährstand. Hier wurde der Bauer zum Mysterium, Vollkornbrot zum Politikum – und deutsche Karrieren nahmen ihren Lauf.
Auf der Plantage war Himmler gern zu Besuch und sah nach dem Rechten. Dort fragte er bei seinen Brüdern von der SS, ob alles in Ordnung sei im biologisch-dynamischen Kräutergarten. Alles war stets in allerbester Ordnung: Man sah Gladiolen, Thymian und Pfefferkraut in langen Reihen der Sonne entgegensprießen. Der biologisch-dynamische Kräutergarten stand am Rande des Konzentrationslagers Dachau. Die vielen hundert Häftlinge, die jeden Morgen als Arbeitssklaven hergetrieben wurden, fuhren erst mit Schubkarren Säcke voller Bio-Heilkräuter über das Gelände – und später die ausgemergelten Leichen der Häftlinge, die den Tag nicht überlebten.
Heute ist die Plantage zerfallen. Die Glasscheiben der Gewächshäuser sind zerbrochen, Bewässerungsrohre durchrostet, die Beete von Gras überwuchert. Dieser Ort nördlich von München ist ein makabres Relikt der nationalsozialistischen Ernährungspolitik. Kuhhorn wurde hier zerrieben, Mondphasen wurden studiert; der SS-Führer Heinrich Himmler war der Esoterik und der Steinerschen Landwirtschaft mit ihren eigenwilligen Rezepturen zugetan. Von der SS-eigenen Plantage aus ging das Pfeffergewürz an die Ostfront, andere Kräuter fanden Verwendung in Menschenversuchen mit homöopathischen Arzneien, der Pharmakonzern Merck bestellte Hagebutten, und die Bürger Dachaus kauften im Hofladen ein. Hier existierten Völkermord und eine beispiellose staatliche Gesundheitsfürsorge wie selbstverständlich nebeneinander.
Es ist ein rätselhaftes Überbleibsel. Himmlers Gartenhäuser hinterlassen so viele Fragen wie Scherben: Wieso beschäftigten sich die Nationalsozialisten nicht nur, wie weitgehend bekannt, mit halluzinierten Feinden, mit Waffen und Schädelformen – sondern auch mit Basilikum? Wieso war es ihnen so wichtig, was die Leute aßen? Es sollte regional, ökologisch, saisonal, wenig verarbeitet, vitaminreich und fleischarm sein, von bäuerlichen Höfen erzeugt, frei von Pestiziden, wie man es sich eben so wünscht.
[…]“
„Plantage“ war der Kommandobegriff für die Arbeit im „Kräutergarten Dachau, Deutsche Versuchsanstalt für Verpflegung und Ernährung GmbH, Werk Dachau“. Sie wurde 1938/1939 auf Veranlassung des Reichsführers-SS Heinrich Himmler als Heilkräuterkultur angelegt. „Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung“ war die offizielle Bezeichnung. Es gab eine Verkaufsstelle für die Zivilbevölkerung.
Im Kräutergarten arbeiteten viele Kommandos, 12 Capos und 25 Untercapos besorgten die Aufsicht und die Arbeitszuweisung. Die Abteilungen hießen: „Tee- und Gewürzebau“, „Lehrkultur“, „Gemüseland“, „sechs Gewächshäuser“, „Freiland I und II“ usw.
Die Plantage entwickelte sich zu einem wichtigen Produzenten eines Ersatzgewürzes, des Deutschen Pfeffers, und eines Vitamin-C-Konzentrates, das nach einem in Dachau entwickelten Verfahren aus dort angebauten Gladiolen in relevanten Mengen gewonnen wurde.
Die Höchstzahl der Arbeiter betrug im Sommer 1.300 und im Winter 400 Häftlinge. Ab März 1942 gab es dort auch Arbeitskommandos der Priester. Plantagearbeit gehörte offiziell zu den leichteren Arbeiten. In Wirklichkeit aber war die Arbeit außerordentlich schwer, gerade im Jahr 1942, dem furchtbaren Hungerjahr.
Vermutlich mußte Karl Leisner wegen seiner Erkrankung nie in der Plantage arbeiten, dennoch gehen verschiedene Beziehungspunkte dorthin.
Es gab dort zum Beispiel „botanische Maler“. Von einem könnte das Portrait Karl Leisners stammen, welches heute in der Wohnung von dessen Schwester Elisabeth Haas hängt.
siehe dazu Aktuelles vom 24. Januar 2012
Verkaufsstelle
Josefa Mack, Kandidatin der Armen Schulschwestern im Angerkloster in München, die später von den KZ-Häftlingen den Decknamen Mädi bekam, fuhr am 16. Mai 1944 zum ersten Mal zum KZ Dachau, um in der Verkaufsstelle der Plantage Pflanzen für das Kloster zu holen. Dabei erwarb sie das Vertrauen des Priesterhäftlings Dr. Ferdinand Schönwälder, der in der Verkaufsstelle der Plantage Dienst tat. Damit begann eine große Hilfsaktion, denn vieles an Botschaften und Hilfsmitteln wie Nahrung und Medikamente lief über diese Schaltstelle zwischen dem KZ und der Außenwelt.