Zeichnung von KZ-Seminarist Ferdinand Dupuis[1]
Bischof Gabriel Emmanuel Joseph Piguet von Clermont (* 24.2.1887 in Macon-sur-Saône/Saône-et-Loire/F, † 3.7.1952) – Priesterweihe 2.7.1910 in Paris (St. Sulpice) – Bischofsweihe zum Bischof für das Bistum Autun/Saône-et-Loire 27.2.1934 – Wahlspruch „Veritatem in caritate – Wahrhaftig in der Liebe“ (Eph 4,15) – Bischof von Clermont 11.3.1934 – Am 28.5.1944 (Pfingstfest) wurde er in Clermont-Ferrand nach dem Pontifikalamt im Bischofskleid von der Gestapo verhaftet und kam über das Gefängnis in Clermont-Ferrand und das KZ Natzweiler-Struthof/Elsaß am 6.9.1944 ins KZ Dachau. Am 22.1.1945 kam er in den „Ehrenbunker“ und wurde am 4.5.1945 von den Amerikanern auf der Evakuierungsfahrt vom 24.4.1945 nach Südtirol in Niederdorf/Villabassa/I befreit.
Clément Cotte (* 15.7.1913 in Firminy/Loire/F, † 12.5.2011) – Priesterweihe in Clermont-Ferrand/Puy-de-Dôme/F 1939 – Kaplan in Clermont-Ferrand Sacré-Cœur – Er kam wegen Tätigkeit in der Katholischen Aktion am 21.7.1944 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Er lebte zuletzt als Emeritus in La Côte-St. André/Isère im Bistum Grenoble.
Erst jetzt haben wir vom Tod des französischen KZ-Priesters erfahren.
Bischof Gabriel Piguet über seinen Kaplan Clément Cotte:
In Dachau gefangene Priester, schon informiert von den Erstangekommenen aus Natzweiler, wußten bereits im voraus, daß ich in diesem Transport sein mußte. Mehrere suchten mich und begrüßten mich mit respektvoller Sympathie. Unter ihnen befand sich einer meiner Vikare aus Clermont, Abbé Cotte, der freiwillig in den Arbeitsdienst nach Deutschland gegangen war, um junge Arbeiter nicht ohne geistlichen Beistand zu lassen. Sein Eifer und seine Mißachtung von Gefahr hatten ihn schließlich ins KZ Dachau gebracht. Sich unter Priestern und Freunden zu befinden, auch im gemeinsamen Elend, macht immer Freude.[1]
[1] Mgr Gabriel Piguet. évêque de Clermont. Prison et déportation. Témoignage d’un Évêque français [Bischof Gabriel Piguet. Bischof von Clermont. Gefangenschaft und Deportation. Zeugnis eines französischen Bischofs], Paris 1947: 69
1940 waren vier Priester und zwei Seminaristen gefallen und weitere gefangengenommen worden. 1940 gab es nur fünf Priesterweihen und vier 1941, aber 1942 waren es 15. Die Situation wurde schwierig, weil der Pflichtarbeitsdienst durch die Deutschen folgte, dem die Seminaristen auf Grund ihres Alters unterworfen waren. Im Oktober 1942 traten 52 neue Seminaristen ins Seminar ein, davon 18 aus der Stadt Clermont-Ferrand selbst, damit waren im Priesterseminar über 100 Seminaristen. Bischof Gabriel Piguet ließ sie bezüglich ihrer politischen Aktivitäten frei entscheiden. Nur wenige gingen in den Untergrund. Die Mehrheit fand ein individuelles Versteck und studierte weiter. 1944 wurden fünf von ihnen geheim in Cellule (Puy-de-Dôme)[1] geweiht. Einige Seminaristen leisteten der Einberufung zum Arbeitsdienst Folge. Bischof Gabriel Piguet betrachtete ihr Gehen als Apostolat, sie sollten vor allem ihren Kameraden spirituelle Unterstützung geben. In seinem Hirtenbrief von 1946 schreibt er dazu:
Wir haben einen unserer clermontesischen Vikare beim Arbeitsdienst mitmachen lassen, damit er ein heimliches Apostolat der Katholischen Aktion mitten unter den französischen Arbeitsdienstdeportierten ausüben kann. Anschließend haben wir diesen Priester, Herrn Abbé Cotte, im KZ von Dachau wiedergetroffen, wohin ihn die Aufdeckung seiner Aktivitäten gebracht hatte.[2]
[1] In Cellule, in der Nähe von Riom, hatte man ein großes kirchliches Haus während des Krieges als Priesterseminar eingerichtet.
[2] Lettre Pastorale. Quelques aspects de la résistance spirituelle contre le nazisme, Clermont-Ferrand 1946 [Hirtenbrief, Einige Aspekte des spirituellen Widerstandes gegen den Nazismus]: 12
Am 27. September 2000 fand in Clermont-Ferrand die Vorstellung des Buches von Martin Randanne & Marc-Alexis Roquejoffre, Monseigneur Piguet, un évêque discuté [Bischof Piguet, ein umstrittener Bischof], statt. Im dritten Teil dieses Buches befinden sich acht bis dahin unveröffentlichte Zeugnisse von Menschen, die Bischof Gabriel Piguet gekannt und an seiner Seite gearbeitet haben. Nachdenklich stimmt das Interview von Marc-Alexis Roquejoffre mit Abbé Clément Cotte.
Clément Cotte:
Nun! … Monseigneur, (Christus ließ sich nie so nennen, nun ja!) Monseigneur, ich gehe nach Deutschland. Ich werde im Untergrund arbeiten. Soll ich in Zivilkleidung fahren?
Die Antwort des Bischofs ließ nicht auf sich warten. „Fahren Sie, wie Sie es für richtig halten“, sagte er mir, „aber ich werde Sie nicht zurückholen!“
Marc-Alexis Roquejoffre:
Warum reagierte er so, während er zur gleichen Zeit immer wieder andere Priester ermutigte, ihren gefangenen Brüdern nach Deutschland zu folgen?
C.C.: Oh, das weiß ich nicht. Das war typisch Piguet. Wenn ich es so sagen darf, würde ich hinzufügen, er wollte die Besten behalten. Die anderen konnten weggehen. Also bin ich gegangen und habe Kontakt mit den deutschen Behörden aufgenommen.
M-A.R.: Père Cotte versetzt sich in die damalige Zeit und erzählt mir von seiner Ankunft in Dachau.
C.C.: Ich kam dort mit dem berüchtigten Transport von Compiègne und seinem schrecklichen Todeszug [vom 5. Juli 1944] an. Im Lager wurde ich in Block 28 gepfercht. Bei uns war ein gewisser [Edmond] Michelet. […] Dann wiesen mich die SS Block 26, dem Priesterblock, zu. Père [Marie Emile Auguste ] Daguzan, Generalvikar der Diözese Pau, war für die Gruppe der Franzosen zuständig. Mein Blockchef, ein Österreicher, Père [Georg] Schelling, wußte noch nicht, daß ich aus der Auvergne stammte. Am 7. September 1942 sagte er mir: „Heute gehen Sie nicht zur Arbeit. Sie holen diejenigen ab, die vom Lager Struthof kommen. […] Ich ging zum Appellplatz. Es sind an die 100 Menschen, die auf dem blanken Boden sitzen oder liegen. Und dann, die Überraschung der Überraschungen, ich stand plötzlich meinem Bischof gegenüber. […]
M-A.R.: Haben Sie Ihre Überraschung gezeigt?
C.C.: Natürlich nicht. Ich war übrigens in jenem Augenblick der einzige Priester aus dem [Departement] Puy-de-Dôme, der einzige, der die wahre Identität des Priesters mit dem Namen Gabriel Piguet kannte, der Gefangener im Lager Dachau geworden war. Er lag auf der Erde neben General [Charles-Antoine] Delestraint, ein rotes ganz verrostetes Eßgeschirr auf den Knien, ein Stück Brot mit einem Bindfaden daran gehängt.
M-A.R.: Was haben Sie zu ihm gesagt:
C.C.: Nun, sind Sie gekommen, mich zu holen?
M-A.R.: Selbst in dieser Situation hatten Sie Humor?
C.C.: Warum nicht?
M-A.R.: Was hat er Ihnen gesagt? Hat er Sie angelächelt?
C.C.: Oh, geben Sie sich keinen Illusionen hin … (Père Cotte erregt sich). Piguet und irgendein Lächeln zeigen? Nein. Er hat sich damit begnügt, sich zu weigern, daß ich ihn entkleide. Mein Blockältester hatte mich deshalb dorthin geschickt. Ich mußte ihn nackt ausziehen, unter die Dusche und in die Quarantäne schicken.[…] Dann folgte mir Père Piguet bis zum Priesterblock. Dort wählte er die Stube der Deutschen. (Père Cotte schweigt abrupt)
M-A.R.: Was bedeutete diese Wahl für Sie und die anderen Priester und Ordensleute?
C.C.: Aber mein Herr, machen Sie sich das klar. Bei den Franzosen hätte er sich einrichten sollen und nicht bei den Deutschen. Mit der Zeit habe ich dieses rätselhafte Gesicht der Person „Gabriel Piguet“ akzeptiert. Dennoch mochte er unsere Feinde nicht, die Eindringlinge in unser Land. Piguet verurteilte den Krieg und die Unterdrückung, auch wenn er sich General [Henri Philippe] Pétain, den er wegen seiner Vergangenheit von 1914/18 verherrlichte, nie öffentlich widersetzte. Ich glaube, Piguet war vielmehr von einer einzigen „fixen Idee“, nämlich seinem persönlichen Vorteil, wie besessen.
M-A.R.: Haben Sie versucht, ihn umzustimmen, damit er in den Block der französischen Priester kam?
C.C.: Ich habe nichts gesagt.
M-A.R.: Haben die anderen deutschen Priester begriffen, daß Gabriel Piguet Bischof war?
C.C.: Ja, sehr schnell und ohne jeglichen Zweifel. Man muß jeden Abend das Zeremoniell gesehen haben, das Piguet eingeführt hatte. Selbst ohne bischöflichen Ornat, in Zivil wie wir, verhielt er sich wie ein „Prinz der Kirche“. Er war wirklich ein Bischof des 17. Jahrhunderts.
M-A.R.: Piguet wußte, daß Sie aus seiner Diözese waren. Wie waren Ihre Beziehungen während dieser gemeinsamen Haft?
C.C.: Piguet interessierte sich nie für unsere pastorale Arbeit, die wir seit Monaten leisteten. Ich sagte es Ihnen bereits. Nur er allein zählte. Manchmal ließ er mich an seine Seite kommen. Im Block hatten wir Spinde. […] Piguet und ich hatten unseren nebeneinander. Sie dienten uns oft als Versteck, wenn unsere menschlichsten Wächter uns einen Teil ihrer Mahlzeit schenkten, zu Kriegszeiten aber wird das Teilen in diesem Lager als Delikt angesehen. Einmal befahl mir Piguet, jegliche Spur seiner Mittäterschaft in diesem Räderwerk verschwinden zu lassen. Er fürchte eine Durchsuchung der SS.
M-A.R.: Unterhielten Sie sich denn nie während dieser langen Tage der Haft?
C.C.: Nein, wir sprachen nur sehr wenig. Mir vertraute er sich nicht an. Er schlief neben [P. Léon] de Coninck. […] Bei ihm beklagte er sich, der Papst [Pius XII.] wisse nicht, daß er gegen seinen Willen in einem Lager eingesperrt sei. Und trotz der Empfehlungen de Conincks, der Bischof möge ruhig sein, informierte Piguet schließlich das ganze Lager über die unhaltbaren Haftbedingungen für einen Kirchenmann. Die Deutschen schienen diese Klagen nicht zu schätzen. Damals schlug mir Père Daguzan vor, die französischen Priester sollten anläßlich der Verlegung von Mgr Piguet [am 22. Januar 1945 in den Ehrenbunker] eine Messe feiern. Es war beschlossene Sache, auf dem Weg zur Arbeit, am 21. Januar 1945, dem Tag der heiligen Agnes. Einige Stunden später rief Père Schelling mich. „Sie gehen nicht zur Arbeit“, sagte er mir erneut… „Heute bewachen Sie den Block.“
Gegen 11.00 Uhr morgens sah ich Père [Jules] Jost […]. Er reichte mir ein Papier. Ich las es und verstand sofort, daß man den Gefangenen 103.001 verlangte. Es war mein Bischof. Ohne irgend jemandes Wissen hatte er also an den Papst geschrieben. Und ich hatte, ohne den Inhalt zu kennen, den Brief aus dem Lager gebracht, weil ich die Aufgabe hatte, wenn ich zur Arbeit ging, die von meinen Mithäftlingen geschriebene Post aufzugeben. Ich habe den Bischof benachrichtigt. Er begab sich sofort ins Sekretariat. Wir haben ihn nie wieder in unserer Stube gesehen. Bischof Piguet wohnte von da an im Ehrenbunker.
Am Ende des Krieges habe ich den Bischof während einer Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau von Orcival wiedergesehen. Nie hat er auch nur irgendeine Anspielung auf unseren Zwangsaufenthalt in Dachau gemacht.[1]
[1] Martin Randanne & Marc-Alexis Roquejoffre, Monseigneur Piguet, un évêque discuté [Bischof Piguet, ein umstrittener Bischof], Clermont-Ferrand 2000 : 177-181
Bischof Gabriel Piguet und über 100 weitere Prominente wurden am Dienstag, dem 24. April 1945, aus dem KZ Dachau in Autos nach Tirol gebracht. Die Priester hatten einen Meßkoffer dabei. Michael Kardinal von Faulhaber hatte Johannes Neuhäusler einen solchen zu Weihnachten 1941 ins KZ Dachau bringen lassen.
Bischof Gabriel Piguet schreibt:
24. April Unseren Kameraden erschien unsere Odyssee tragisch. Die davon unterrichteten Priester versuchten, mich zu erreichen und sich von mir zu verabschieden. Einige gelangten bis zu mir. Die Bekundungen ihrer Zuneigung, ihre mühevoll unterdrückten Tränen, der rührende Abschied meines clermontesischen Vikars [Abbé Clément Cotte], die Bitte um meinen Segen und das Ausharren meiner befreundeten Priester in der Nähe meines Autos trotz der Befehle und Drohungen zeigte mir klar und deutlich aller Sorge um mein Schicksal.[1]
[1] Piguet 1947: 143f.
Am 11. Oktober 1951 überreichte Divisionsgeneral Chaudesolle, Offizier der Ehrenlegion, in Anwesenheit des Präfekten des Departements Puy-de-Dôme M. Rix und vieler Ehrengäste, Bischof Gabriel Piguet um 11.00 Uhr im Bischofshaus das Ritterkreuz der Ehrenlegion.
Die Deportierten repräsentierten die Herren Doktores Lignerat, Thabourin und Fric sowie Abbé Cotte und M. Moine. Als deren Vertreter zeigte Doktor Lignerat die einzelnen Stationen des Bischofs auf, angefangen von seiner Verhaftung am 28. Mai 1944 bis zur Rückkehr nach Clermont-Ferrand am 14. Mai 1945. Dabei erwähnte er auch die Priesterweihe Karl Leisners:
Und Sie haben die tiefe Freude, das große Glück, das authentische Zeichen des Sieges des Priestertums über den niederträchtigen Nazimaterialismus empfunden: Am 3. Adventssonntag, am 17. Dezember, haben Sie einen Priester geweiht, ohne daß auch nur das Geringste der vorgesehen Riten ausgelassen wurde. Wie groß an diesem Tag die Andacht, Inbrunst und Rührung aller in einem solchen Augenblick, an einem solchen Ort war, können Sie, meine Herren, sich vorstellen.[1]
[1] La vie catholique du diocèse de Clermont [Katholisches Leben in der Diözese Clermont] N° 42 vom 20.10.1951: 409
Der IKLK bewahrt dem Mithäftling von Karl Leisner Clément Cotte ein dankbares Gedenken.
Todesanzeige in Frankreich: