Mit dieser Kampfansage rief vor 75 Jahren der Wiener Erzbischof, Theodor Kardinal Innitzer (1875–1955), im Wiener Stephansdom die Jugend auf, sich zu „Christus, ihrem Führer, Meister und König“ zu bekennen. Nur einen Tag später stürmte die Hitler-Jugend das Bischöfliche Palais.
Am Rosenkranzfest, dem 7. Oktober 2013, schlug Christoph Kardinal Schönborn (* 1945) im Wiener Stephansdom eine Brücke zwischen der „Wiener Anti-Nazi-Demonstration 1938“ und der Christenverfolgung von heute und fragte: „Woher dieser Hass gegen die Christen?“
Stephansdom in Wien
In einem Brief vom 12. Oktober 1938 an Walter Vinnenberg beschreibt Karl Leisner das damalige Geschehen.
Karl Leisner aus Nijmegen am 12. Oktober 1938 an Walter Vinnenberg in Rheine:
Grüß Gott, lieber Walter!
[…] Hier las ich grade ziemlich ausführlich über die neuesten Schwierigkeiten, die [Theodor] Kardinal Innitzer in Wien hat. Danach scheint der Friede zwischen Staat und Kirche in Österreich, von dem manche sich doch manches versprachen, doch ernstlich gefährdet. Wie die Presse hier schreibt, hat I. [Innitzer] sich in einer Predigt in St. Stefan ernstlich über die Gefährdung der christlichen Jugenderziehung beklagt, worauf dann lebhafte Ovationen vor seinem Palais stattfanden. Die nächsten Tage aber gab es mehrere sehr erregte und handgreifliche Protestaktionen. Abschließend hat der Bürgermeister von Wien dann festgestellt, daß Kardinal I. sich nur vorher um die Jugend habe kümmern sollen unter einem System, das die Religion für politische Zwecke mißbraucht habe. Gauleiter [Joseph] Bürckel werde sich in den nächsten Tagen in einer Massenkundgebung äußern über das Problem Staat und Kirche in Österreich. Man kann also doch bis dahin noch Gutes erwarten.
„Die Tagespost“ vom 10. Oktober 2013:
Christenverfolgung sei „eine ganz reale und gegenwärtige Tatsache“, sagte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, beim Rosenkranzfest am Montagabend im Wiener Stephansdom und stellte die Frage: „Woher dieser Hass gegen die Christen, speziell gegen die katholische Kirche?“ Der tiefste Grund für die Verfolgung von Christen durch Nazis, Kommunisten und andere Diktatoren liege darin, „dass wir überzeugt sind, dass der Mensch nicht nur dem Staat gehört. Wir sind Mitglieder der weltlichen Stadt, aber auch der Civitas Dei [des Gottesstaates]. Wir wollen bekennen, dass Gott an erster Stelle steht.“ Das Bekenntnis, dass Christus der Herr ist, habe den totalitären Anspruch aller Diktatoren gestört, doch könne kein Mensch beanspruchen, ganz Herr über einen anderen Menschen zu sein. Darum sei das Gebet „in manchen Zeiten ein Akt der Rebellion, weil das Gebet hinordnet auf den, der der wahre Herr ist“, so der Wiener Kardinal.
Genau 75 Jahre zuvor, am 7. Oktober 1938, hatte der damalige Wiener Erzbischof einen Eklat gewagt, den Adolf Hitlers Wiener Gauleiter Josef Bürckel [1895–1944] nur als Kampfansage verstehen konnte. Kardinal Theodor Innitzer rief den gut 7000 zum Rosenkranzfest im Stephansdom versammelten Jugendlichen zu: „Einer ist euer Führer! Euer Führer ist Christus! Wenn ihr ihm die Treue haltet, werdet ihr niemals verloren gehen.“ Beim militärischen Anschluss Österreichs an Hitlers Reich im März 1938 hatten Kardinal Innitzer und die österreichischen Bischöfe noch gehofft, sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren zu können. Überfordert von der Situation und schlecht beraten empfahlen sie, bei der von Hitler nach dem Einmarsch inszenierten Volksabstimmung für den „Anschluss“ zu stimmen. Innitzer selbst fügte einem Brief eigenhändig ein „Heil Hitler“ hinzu, wofür er nach Rom zitiert und von Papst Pius XI. gerügt wurde.
Doch ein halbes Jahr später hatte Wiens Oberhirte alle Illusionen verloren, ging offen auf Konfrontation zu den Nazis. Zum Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938 hatte er die katholische Jugend per Mundpropaganda in den Stephansdom geladen. Ein paar Hundert erwartete man, mehr als 7000 kamen. Was hier mit dem Lied „Ein Haus voll Glorie schauet“ begann, wurde zur größten öffentlichen Massenkundgebung gegen die Nazi-Herrschaft. Kardinal Innitzer stieg auf die Pilgram-Kanzel des Stephansdoms. „Liebe katholische Jugend! Ihr habt in den letzten Monaten viel verloren. Eure Verbände, Eure Jugendgemeinschaften, die ihr mit einem so schönen Idealismus aufgebaut hattet, sind nicht mehr da. Eure Fahnen, Ihr dürft sie nicht mehr tragen. Wir wollen gerade jetzt in dieser Zeit umso fester und standhafter unseren Glauben bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König und zu seiner Kirche.“ Und dann fielen die Worte, die für die Nazis das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachten: „Einer ist euer Führer. Euer Führer ist Christus.“
Die Jugendlichen, die den Dom verließen, wurden von „Sieg Heil!“-Rufen der Nazis empfangen. Und sie antworteten mit dem Herz-Jesu-Lied „Auf zum Schwure, Volk und Land“, dessen dritte Strophe lautet: „Fest und stark zu unserm Gott, stehen wir trotz Hohn und Spott; fest am Glauben halten wir, unseres Volkes schönster Zier.“ Die katholische Jugend versammelte sich aus eigenem Antrieb, ja gegen den Wunsch des Kardinals, still nach Hause zu gehen, beim Erzbischöflichen Palais: „Ein Volk, ein Reich, ein Bischof!“ riefen einige, andere „Lieber Bischof, sei so nett, zeige dich am Fensterbrett!“ Schließlich drängten Hitler-Jugend und Polizei die jungen Katholiken ab, Innitzer segnete vom Fenster.
Nur einen Tag später, am Abend des 8. Oktober, stürmte eine Hundertschaft der Hitler-Jugend das Erzbischöfliche Palais. Der Erzbischöfliche Sekretär versteckte den Kardinal und die geistlichen Schwestern, aß rasch die konsekrierten Hostien. Mehr als tausend Fensterscheiben gingen zu Bruch. Tische, Stühle und Kreuze wurden zerschlagen. Ein Bild des gekreuzigten Christus traktierte die HJ mit Messern. Domkurat Johannes Krawarik wurde aus einem Fenster im ersten Stock in den Hof geworfen. Am 13. Oktober 1938 sammelte Gauleiter Bürckel zur Großkundgebung 200 000 Menschen auf dem Heldenplatz. „Nieder mit dem Klerus“, „Pfaffen auf den Galgen“ und „Innitzer und Jud, eine Brut“ stand auf Transparenten. Der NS-Gauleiter drohte, laut Zeitzeugen im angetrunkenen Zustand: „Wir dulden nicht, dass gewissenlose Hetzer den jämmerlichen Versuch unternehmen, ihre sogenannten christlichen Österreicher vom deutschen Volk loszubeten. Die Ostmark ist bei Deutschland und wird es immer bleiben.“ Die Masse zog zum Erzbischöflichen Palais, und der Wiener Kardinal hörte sie von seinem Zimmer aus rufen: „Innitzer an den Galgen!“
Am Montag nun erinnert sich im Stephansdom eine 93jährig Zeitzeugin, Johanna Paradeiser, die Tochter des von den Nazis in Dachau zu Tode gefolterten Hans-Karl Zeßner-Spitzenberg [1885–1938] , an das Rosenkranzfest 1938: „Der Kardinal, der uns bei der Volksabstimmung so schwer enttäuscht hatte, begann seine Predigt mit einem Schuldbekenntnis.“ In Hochstimmung habe die katholische Jugend damals den Dom verlassen: „Dieser Tag war ein erster großer Lichtstrahl, der das Dunkel der Gegenwart erhellte.“ Kardinal Schönborn meinte, das Zeugnis der 7000 Jugendlichen von damals für die Zeit von heute bestehe in dem sichtbaren „Mut, sich zu Christus zu bekennen“.
Das energische Auftreten Kardinal Innitzers mag Karl Leisner mit dem seines Bischofs Clemens August Graf von Galen verglichen haben, der ebenso mutig auftrat und gegen das NS-Regime Stellung bezog. 1934 war er selbst dabei, als sich bei der Großen Brandprozession in Münster, an der 14.000 Gläubige teilnahmen, Ähnliches wie in Wien vollzog.
Karl Leisner in seinem Tagebuch:
Münster, Montag, 9. Juli 1934, Große Brandprozession
6.00 Uhr raus. Deutsches Morgengebet. Stille Messe. – Nach dem Kaffee Zimmer und Tisch aufgeräumt. – 8.05 am Dom. Alles fertig, – die Studentenverbindungen im „Dress“ und (CV en couleur [Farben tragend]). Domkapitel – Professorenschaft in feinster Tracht. Gegen 8.15 Uhr los! – [St.-] Aegidii-Kirche, wo der Bischof [Clemens August Graf von Galen] selbst den Segen gibt! – Überwasser – [St.] Martini – [St.] Lamberti – [St.] Servatii – [St.] Ludgeri – Dom. Große Beteiligung! – Jugend mit Bannern, Bischof in cappa magna![1] – Großartig. Überall Altäre oder Altärchen, Fahnen, Baum- und Blumenpracht. – Im Dom Bannerwald der Jugend. (Sie stehen schon zwei Stunden da!) – Bischof zieht hinter dem vom Weihbischof [Johannes Scheifes] getragenen Sakrament in cappa magna ein – segnend. – Nachher Marsch der Banner zum bischöflichen Palaishof. Als der Bischof den Dom verläßt brausende Heilrufe – gewaltige, spontane Begeisterung: Volk, Jugend und Klerus sind eins! Der Bischof segnet, er ist gerührt! – Spontan klingt auf „Heil’gem Kampf sind wir geweiht!“ Aus tausenden Kehlen begeisterter Menschen! Wie ein Schwur. Der Bischof hört ergriffen zu. – Dann schallen wieder die Heilrufe über den weiten Platz. – Banner schwenken – Herzen schlagen hoch in Wogen stürmischer Begeisterung für unsern Bischof Clemens August. – Der Bischof geht ins Palais – die Menge singt „Fest soll mein Taufbund immer stehn!“ – wie Hammerschläge auf den Amboß der Zeit![2] Hier steht eine stahlharte Gemeinschaft, die Geschichte formt: katholisches deutsches Volk! – Der Bischof zeigt sich am Fenster oben links über dem Eingangsportal des Palais. Er segnet sein Volk. Rasende Heilrufe! – „Und wenn wir marschieren, dann leuchtet ein Licht, das Dunkel und Wolken strahlend durchbricht! – Du Volk aus der Tiefe, du Volk aus der Nacht – vergiß nicht das Feuer, bleib auf der Wacht!“ – O jubelndes Licht, o Freude, o rasende Ergriffenheit. Ein Moment ist es still. Nach dem Segen hatte der Bischof sich vor Rührung weinend zurückgezogen – selbst einige ergraute Malteserritter aus westfälischem Adel konnten die Tränen nicht mehr zurückhalten. – Sie weinten vor ergreifender Freude über dieses jubelnde Treuebekenntnis des westfälischen Volkes zu seinem Bischof! – Eine Spanne von 10 oder 20 Sekunden – Stille. Alles erwartet noch was: Da – ein Pfiff, ein Kommando: „Banner einrollen!“ – Jeden packt der ingrimmige Zorn! „Eine solche Jugend darf in Deutschland nicht mehr marschieren!“ – Aber wir marschieren geistig – wir sind stahlharte Gemeinschaft – junge, leidende Kirche, die singt, die leidend jubelt, die fanatisch um ihr Recht kämpft! – Die Banner sind eingerollt, da klingt’s „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.“ – Das Volk zerstreut sich, viele warten noch: Es ist zu schön! – Alle sagen „Mensch, das war ein Erlebnis, ein heilig flammendes Bekenntnis – uns kriegen sie nicht kaputt!“ Das war ein Fest – eine heilige Stunde geboren aus dem Bewußtsein: „Wir sind katholisches Volk – wir lassen ihn uns nicht rauben, den heiligen Väterglauben! Wir halten zusammen ob Leben ob Tod – uns zwingt nicht Schmach, Verbot und Not!“[3]
[1] cappa magna (lat.) = großer Mantel – vorne teilweise aufgeschlitzter langer Mantel mit Schleppe u. einem, im Winter mit Hermelin besetzten, Schulterteil aus roter Seide – Gewand eines Bischofs bei feierlichen Anlässen
[2] Bischof Clemens August Graf von Galen in seiner Predigt in der Überwasserkirche in Münster am 20.7.1941:
Hart werden! Fest bleiben! Wir sind in diesem Augenblick nicht Hammer, sondern Amboß. Andere, meist Fremde und Abtrünnige, hämmern auf uns, wollen mit Gewaltanwendung unser Volk, uns selbst, unsere Jugend, neu formen, aus der geraden Haltung zu Gott verbiegen. Wir sind Amboß und nicht Hammer! Aber seht einmal zu in der Schmiede! Fragt den Schmiedemeister und laßt es euch von ihm sagen: Was auf dem Amboß geschmiedet wird, erhält seine Form nicht nur vom Hammer, sondern auch vom Amboß. Der Amboß kann nicht und braucht auch nicht zurückzuschlagen, er muß nur fest, nur hart sein! Wenn er hinreichend zäh, fest, hart ist, dann hält meistens der Amboß länger als der Hammer. Wie heftig der Hammer auch zuschlägt, der Amboß steht in ruhiger Festigkeit da, und wird noch lange dazu dienen, das zu formen, was neu geschmiedet wird (Peter Löffler: Bischof Clemens August Graf von Galen. Akten, Briefe und Predigten 1933–1946. 2 Bde., Paderborn 1996 Bd. II: 859).
[3] vermutlich von Karl Leisner verfaßt