Neben den Untergruppen „Termine“ und „Nachrufe“ in der Rubrik Aktuelles gibt es als weitere Untergruppe „Ergänzungen“. Dort wird vermerkt, was von Lesern der Lebens-Chronik an Ergänzungen bzw. Richtigstellungen eingeht.
Foto Joachim Albrecht / medienflotte.de
Tagebucheintrag vom 22. Mai 1933
Kleve, Montag, 22. Mai 1933
Morgens um 9.00 Uhr Zug der Nazis an der Schule vorbei. Der Oberbonze [Alwin] Görlich wird als Bürgermeister eingesetzt. Zur selben Zeit lasen wir Plato: Apologie [des Sokrates]; Kapitel XIX, folgende Sätze, die recht „aktuell“ waren: siehe Kapitel XIX, S. 25. Zeile 11 – Schluß.[1]
[1] Platon:
Mir aber ist dies von meiner Kindheit an geschehen: eine Stimme nämlich, welche jedesmal, wenn sie sich hören läßt, mir von etwas abredet, was ich tun will, – zugeredet aber hat sie mir nie. Das ist es, was sich mir widersetzt, daß ich nicht soll Staatsgeschäfte betreiben. Und sehr mit Recht scheint es mir sich dem zu widersetzen: Denn wißt nur, ihr Athener, wenn ich schon vor langer Zeit unternommen hätte, Staatsgeschäfte zu betreiben, so wäre ich auch schon längst umgekommen und hätte weder euch etwas genutzt noch auch mir selbst. Werdet mir nur nicht böse, wenn ich die Wahrheit rede! Denn kein Mensch kann sich erhalten, der sich – sei es nun euch oder einer andern Volksmenge – tapfer widersetzt und viel Ungerechtes und Gesetzwidriges im Staate zu verhindern sucht: sondern notwendig muß, wer in der Tat für die Gerechtigkeit streiten will, auch wenn er sich nur kurze Zeit erhalten soll, ein zurückgezogenes Leben führen, nicht ein öffentliches (Platon: Des Sokrates Verteidigung Bd. I: 24).
Folgendes Foto aus: Weber, Hildegard (Fotoauswahl). Tausend ganz normale Jahre, ein Fotoalbum des gewöhnlichen Faschismus von Otto Weber, Nördlingen 1987 (Die andere Bibliothek, hg. von H. M. Enzensberger) Nördlingen 1987, S. 58f. könnte einen gewissen Eindruck vom im obigen Tagebucheintrag erwähnten Zug der Nazis an der Schule vorbei vermitteln.
NS-Aufmarsch vor dem Gymnasium in Kleve