So überschrieb der KZ-Priester Franz Zeuch[1] einen Artikel in „Stimmen von Dachau – Nachrichtenblatt der Gemeinschaft ehemaliger KZ-Priester“ Nr. 4, März 1957: 1, mit dem Untertitel „Eine Erinnerung an ein Geschehen vor 17 Jahren“.
[1] Franz Zeuch (* 15.11.1883 in Küllstedt, † 7.11.1964) – Priesterweihe 25.7.1910 in Paderborn – Er kam am 14.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am 18.3.1941 entlassen.
Stimmen
Im Januar 1941 änderte sich die Situation der Priesterhäftlinge durch die Einrichtung einer Lagerkapelle auf Block 26. Vermutlich sollte sie wie im KZ Sachsenhausen bereits im August 1940 geschaffen werden, wurde aber erst auf Grund des angekündigten Besuches von Heinrich Himmler[1] realisiert. Sie wurde zum Schaustück der Lagerleitung für Besucher des KZ.[2]
[1] Heinrich Himmler (* 7.10.1900 in München, † Suizid 23.5.1945 in einem britischen Gefangenenlager in Lüneburg) – bereits in den 1920er Jahren im Dunstkreis von Adolf Hitler – Reichsführer der SS als Unterabteilung der SA 6.1.1929 – Aufbau u. Leitung des KZ Dachau 1933 – Adolf Hitler unmittelbar unterstellt als Reichsführer-SS Juli 1934 – Ernennung zum „Chef der Deutschen Polizei“ u. somit Herr über den gesamten nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Terrorapparat 17.6.1936 – mit Reinhard Heydrich Errichtung des Systems der Konzentrations- und Vernichtungslager u. entscheidender Organisator der millionenfachen Massenmorde an den Juden – Reichsinnenminister 1943 – nach Kapitulationsangebot an die Westalliierten Enthebung aller Ämter durch Adolf Hitler 29.4.1945 – unter falschem Namen in britischer Gefangenschaft
[2] s. Rundbrief des IKLK Nr. 50 – Februar 2005: Dachau-Altar
P. Johann Lenz[1]:
Ein ähnlicher Befehl [wie im KZ Sachsenhausen] muß wohl seit Anfang August 1940 schon dagewesen sein. Am 5. August 1940 wurde nämlich in Sachsenhausen schon die erste heilige Messe gefeiert. Wir [Priester] aber in Dachau kamen noch bis zum Dezember [1940] in die Strafkompanie.[2]
[1] Pater Johann Nepomuk Lenz (* 7.4.1902 in Graz/A, † 16.7.1985 in Villach/A) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 7.9.1923 – Priesterweihe 26.7.1935 – Er kam als Dollfußanhänger und wegen der Reden gegen das Regime am 9.8.1940 ins KZ Dachau und war dort, mit einer kurzen Unterbrechung im KZ Mauthausen und im KZ Gusen, bis zur Befreiung am 29.4.1945. Die Gewährung seiner Bitte um Entlassung aus der Gesellschaft Jesu zog sich aus verschiedenen Gründen von 1940 bis zum 24.4.1950 hin. Am 23.6.1950 kam er ins Noviziat der Kalasantiner und legte am 25.6.1951 Ewige Profeß ab. Im August 1954 trat er aus der Gemeinschaft aus, um Weltpriester zu werden, aber keine Diözese konnte ihn recht verwenden. Er behielt den Titel Pater für sich persönlich bei. Zuletzt wirkte er als Einsegnungspriester in der Erzdiözese Wien. Ab Frühjahr 1979 lebte er bei einer befreundeten Arztfamilie in Villach. In seiner Todesanzeige heißt es: „Pater Johannes Maria Lenz, Ordenspriester und katholischer Schriftsteller“; das Direktorium der Erzdiözese Wien gedenkt seines Todes mit dem Vermerk „P. Johannes M. Lenz, Einsegnungspriester i. R.“.
[2] Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchengeschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 79 (zit. Lenz 1957)
Besuch Heinrich Himmlers im KZ Dachau am 21. Januar 1941
v. r.: Lagerführer Egon Zill, Lagerkommandant Alex Piorkowsky[1], Heinrich Himmler
[1] SS-Obersturmbannführer Alex Piorkowsky (* 11.10.1904 in Bremen, † hingerichtet 22.10.1948 in Landsberg am Lech) – Mitglied der SA 1929 – Mitglied der SS 1.6.1931 – Lagerführer im KZ Dachau 1938 – Lagerkommandant 19.2.1940 bis 31.8.1942 – Im August 1943 gab es Ermittlungen gegen ihn wegen Korruptionsverdachtes, und im selben Jahr wurde er wegen Dienstunfähigkeit aus der SS entlassen. Nach Internierung 1945 wurde er im Januar 1947 zum Tode verurteilt.
P. Hugo Montwe OFMCap[1]:
Schon lange sollte eine Kapelle kommen und sie war auch von Berlin befohlen. Aber [die Lagerführer] Hofmann[2] und Zill[3] wehrten sich dagegen, solange es ging. Als dann im Januar 1941 Himmler gemeldet wurde, war die Kapelle in einigen Stunden fertig.[4]
[1] Pater Hugo (Leonhard) Montwe OFMCap (* 31.5.1887 in Aachen, † 7.1.1952 in Bad Mergentheim) – Eintritt in den Kapuzinerorden 17.9.1908 – Priesterweihe 4.8.1914 – Guardian in Dieburg – Er kam am 18.4.1941 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 entlassen.
[2] SS-Hauptsturmführer Franz Johann Hofmann (* 5.4.1906 in Hof/Saale, † 14.8.1973 in der Justizvollzugsanstalt Straubing) – gelernter Tapezierer – Angehöriger der Wachmannschaft im KZ Dachau September 1933 – Beförderung zum SS-Oberscharführer 1937 – Aufstieg zum Rapportführer u. SS-Hauptscharführer 1939 – zweiter Lagerführer u. Dienstrang eines SS-Untersturmführers 1941 – Beförderung zum SS-Obersturmführer u. damit zum ersten Lagerführer im KZ Dachau April 1942 – Versetzung zum Stammlager des KZ Auschwitz/PL 1.12.1942 – Am Ende des Krieges tauchte Franz Hofmann mit einer falschen Identität unter, arbeitete in der Landwirtschaft und als Heizer. Seine Verhaftung erfolgte am 16.4.1959. In einem ersten Prozeß, in dem seine Rolle im KZ Dachau verhandelt wurde, erfolgte eine Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus.
[3] SS-Hauptsturmführer Egon Gustav Adolf Zill (* 28.3.1906 in Plauen, † 23.10.1974 in Dachau) – Bäckergeselle – Ausschluß aus der SA 1923 – Eintritt in die SS 5.10.1925 – Eintritt in die NSDAP 25.10.1925 – 9 Jahre Tätigkeit in verschiedenen Konzentrationslagern – Lagerführer im KZ Dachau 1939 bis 3.1.1942 – Die KZ-Häftlinge beschrieben ihn als roh und ordinär. Nach dem Krieg lebte er unter falschem Namen. Nach seiner Entdeckung 1955 wurde er verhaftet, und man machte ihm den Prozeß. Ein Münchner Gericht verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Nach erfolgreicher Berufung reduzierte sich die Strafe auf 15 Jahre.
[4] Montwe, Hugo: Erinnerungen an Dachau [1945 aufgeschrieben]. In: Assisi-Glöcklein. Familiennachrichten der Rhein.-Westfäl. Kapuzinerprovinz Nr. 29–40 (1952–54) 1945 VIII: 28
Hans Carls[1]:
Auf Block 26 gab es seit 1941 einen Gottesdienstraum. Dieser mußte damals auf Befehl Himmlers plötzlich in ein paar Tagen eingerichtet werden.[2]
[1] Caritasdirektor Hans Carls (* 17.12.1886 in Metz/Moselle/F, † 3.2.1952 in München) – Priesterweihe 24.6.1915 in Köln – Caritasdirektor in Wuppertal 1924 – Er kam wegen staatsgefährlicher Predigten am 13.3.1942 ins KZ Dachau und dort später wegen Beförderung von Schwarzpost in den Bunker. Am 29.4.1945 wurde er aus dem KZ befreit. 1947 gab er als erster die „Stimmen von Dachau“ heraus.
[2] Carls, Hans, in: Stimmen von Dachau, 15. Dezember 1947 – Nr. 12: 43
Joseph Buchkremer[1]:
Zentrum und Symbol dieses christlichen Europa war die „Kapelle“ in unserer Priesterbaracke Block 26, ein Raum, der [gegen Ende der Lagerzeit] tagsüber als Arbeitsraum benutzt wurde – eine wohl einmalige Stätte inmitten einer „Hölle“. Papst Pius XII. hatte diese Möglichkeit erwirkt, und man hatte sie gewährt, auch um ein Alibi zu haben: Internationale Kommissionen, die das Lager besichtigen wollten, wurden immer auch in diesen Raum geführt als Beweis der „Humanität“.[2]
[1] Weihbischof Joseph Buchkremer (* 4.10.1899 in Aachen, † 24.8.1986) – Priesterweihe 10.8.1923 in Köln – Er kam wegen Jugendseelsorge am 27.3.1942 ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 entlassen. – Bischofsweihe zum Weihbischof für das Bistum Aachen 21.12.1961
[2] Buchkremer, Joseph: Dachauer Geistliche und christliches Europa. In: Internationale katholische Zeitschrift COMMUNIO, März/April 1977: 187
Die „Kapelle“ war durch Stacheldraht vom übrigen Lager eigens abgezäunt und wurde durch die SS und einflußreiche Personen aus den Kreisen der Häftlinge überwacht. Die SS suchte nach Vorwänden, die Kapelle rechtmäßig zu schließen und aus dem Lager zu entfernen. Dabei ging ihnen ein großer Teil der Häftlinge bereitwillig zur Hand.
Dienstag, 21. Januar 1941
Die Priester hatten zwei Militärmeßkoffer aus dem KZ Sachsenhausen mit ins KZ Dachau gebracht.[1] Eigentlich sollte die erste heilige Messe schon am 21. Januar gefeiert werden, aber der berüchtigte Lagercapo Rudolf Hentschel[2] hatte als Sakristan Hostien und Wein vergessen. So wurde statt der Eucharistiefeier eine Marienandacht gehalten, und die erste Zelebration fand erst am nächsten Tag um 5.00 Uhr morgens statt.[3]
[1] Fritz Remy am 1.9.1946 an das Erzbischöfliche Generalvikariat in Köln:
Auch unsere Lagerkapelle ging [vom KZ Sachsenhausen] mit nach Dachau, wo wir seit Januar 1941 wieder täglich das hl. Meßopfer mitfeiern konnten.
s. auch: Lenz 1957: 77
[2] Rudolf Hentschel (* 16.3.1907 in Metz/Moselle/F, † ?) – Der konfessionslose Techniker kam am 15.11.1937 ins KZ Dachau, bekam die Häftlings-Nr. 13020, war Lagercapo und 1941 Sakristan der Lagerkapelle.
[3] s. Lenz 1957: 80
Lagerkapelle im Advent 1944[1]
[1] Farbzeichnung vermutlich von Br. Raphael Tijhuis OCarm im KZ Dachau für eine Gratulationskarte zu Karl Leisners Priesterweihe
Mittwoch, 22. Januar 1941
Erste Eucharistiefeier in der Lagerkapelle des KZ Dachau durch den polnischen Lagerkaplan Paul Prabutzki[1].[2] Von diesem Zeitpunkt an konnte jeden Tag die heilige Messe gefeiert werden. Anfangs durfte nur der polnische Lagerkaplan zelebrieren.[3] Um Zeit zu sparen, nahm jeder Priester wie schon im KZ Sachsenhausen beim Eintritt in die Kapelle eine Hostie in seine Handfläche, und der Zelebrant verwandelte zugleich mit seiner Hostie am Altar alle anderen, und bei der Kommunion reichte sich jeder selbst den Leib des Herrn.[4]
[1] Paul Prabutzki (Pawel Prabucki) (* 3.9.1893 in Iwiczno Diözese Kulm/Chełmno/PL, † 30.8.1942 im KZ Dachau) – Priesterweihe 17.6.1923 – Leutnant/Hauptmann in der deutschen Armee 1914–1918 – 1939 wurde er zum Militärpfarrer in der polnischen Armee ernannt, nach deren Zusammenbruch im Oktober 1939 entlassen und im November 1939 in Thorn/Toruń/PL von der Gestapo verhaftet. Am 15.1.1940 kam er ins KZ Stutthof/PL und von dort am 10.4.1940 ins KZ Sachsenhausen, wo er am 5.8.1940 Lagerkaplan wurde. Am 15.12.1940 kam er ins KZ Dachau und wurde dort ebenfalls Lagerkaplan, bis die polnischen Priester am 20.9.1941 von der Lagerkapelle ausgeschlossen wurden.
[2] Der Ortspfarrer von St. Jakob in Dachau Friedrich Pfanzelt hatte bereits ab Ostersonntag 1933 sonntags vor einer Lagerbaracke mit Häftlingen die heilige Messe gefeiert. Aber bald zogen die maßgeblichen Männer die Sache so ins Lächerliche, daß es unmöglich wurde, den Gottesdienst weiter zu feiern.
s. Rundbrief des IKLK 2005 – Nr. 50: 12ff. „Priester und Seelsorge im Konzentrationslager“
[3] s. Majdański, Kazimierz: Ihr werdet meine Zeugen sein. Meine Zeit im KZ, Mittelbiberach 1995: 72f.
[4] s. Josef Steinkelderer in: Lenz 1957: 85f.
Quelle der Fotos: Karl Leisner-Archiv