„Erste hl. Messe im KL Dachau“

Gottesdienst auf Block 26 zu Ostern am 1. April 1945

Gottesdienst auf Block 26 zu Ostern am 1. April 1945

So überschrieb der KZ-Priester Franz Zeuch[1] einen Artikel in „Stimmen von Dachau – Nachrichtenblatt der Gemeinschaft ehemaliger KZ-Priester“ Nr. 4, März 1957: 1, mit dem Untertitel „Eine Erinnerung an ein Geschehen vor 17 Jahren“.
[1] Franz Zeuch (* 15.11.1883 in Küllstedt, † 7.11.1964) – Priester­weihe 25.7.1910 in Pa­der­born – Er kam am 14.12.1940 ins KZ Da­chau und wurde am 18.3.1941 entlassen.

Stimmen

 

Im Januar 1941 änderte sich die Situation der Priesterhäftlinge durch die Ein­richtung einer Lagerkapelle auf Block 26. Vermut­lich sollte sie wie im KZ Sachsenhausen bereits im August 1940 geschaffen werden, wurde aber erst auf Grund des ange­kündigten Besuches von Heinrich Himmler[1] realisiert. Sie wurde zum Schaustück der Lagerleitung für Besucher des KZ.[2]
[1] Heinrich Himmler (* 7.10.1900 in München, † Suizid 23.5.1945 in einem britischen Ge­fangenenlager in Lüneburg) – bereits in den 1920er Jahren im Dunstkreis von Adolf Hitler – Reichsführer der SS als Unterabteilung der SA 6.1.1929 – Aufbau u. Leitung des KZ Dachau 1933 – Adolf Hitler unmittelbar unterstellt als Reichsführer-SS Juli 1934 – Er­nen­nung zum „Chef der Deutschen Polizei“ u. somit Herr über den ge­samten nationalsoziali­sti­schen Unter­drückungs- und Terrorappa­rat 17.6.1936 – mit Reinhard Heydrich Errichtung des Systems der Konzentrations- und Vernichtungslager u. entscheidender Orga­ni­sator der millio­nenfachen Massenmorde an den Juden – Reichsin­nenmi­ni­ster 1943 – nach Kapi­tula­tionsangebot an die Westalliierten Enthebung aller Ämter durch Adolf Hitler 29.4.1945 – unter falschem Namen in briti­scher Gefangen­schaft
[2] s. Rundbrief des IKLK Nr. 50 – Februar 2005: Dachau-Altar

P. Johann Lenz[1]:
Ein ähnlicher Befehl [wie im KZ Sachsenhausen] muß wohl seit Anfang August 1940 schon dagewe­sen sein. Am 5. August 1940 wurde nämlich in Sachsenhausen schon die erste heilige Messe gefeiert. Wir [Priester] aber in Dachau kamen noch bis zum Dezember [1940] in die Strafkompanie.[2]
[1] Pater Johann Nepomuk Lenz (* 7.4.1902 in Graz/A, † 16.7.1985 in Vil­lach/A) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu 7.9.1923 – Prie­ster­weihe 26.7.1935 – Er kam als Dollfußanhänger und wegen der Reden gegen das Regime am 9.8.1940 ins KZ Da­chau und war dort, mit einer kurzen Unterbre­chung im KZ Maut­hausen und im KZ Gusen, bis zur Be­freiung am 29.4.1945. Die Gewährung seiner Bitte um Ent­lassung aus der Ge­sell­schaft Jesu zog sich aus ver­schiedenen Gründen von 1940 bis zum 24.4.1950 hin. Am 23.6.1950 kam er ins Novi­ziat der Kalasantiner und legte am 25.6.1951 Ewige Profeß ab. Im August 1954 trat er aus der Gemein­schaft aus, um Welt­priester zu werden, aber keine Di­özese konnte ihn recht verwenden. Er be­hielt den Titel Pa­ter für sich persönlich bei. Zuletzt wirkte er als Ein­seg­nungsprie­ster in der Erzdiözese Wien. Ab Früh­jahr 1979 lebte er bei einer befreundeten Arztfamilie in Vil­lach. In seiner Todesanzeige heißt es: „Pater Johannes Maria Lenz, Ordenspriester und ka­tholi­scher Schriftstel­ler“; das Direkto­rium der Erzdi­özese Wien ge­denkt sei­nes Todes mit dem Vermerk „P. Jo­hannes M. Lenz, Ein­segnungspriester i. R.“.
[2] Lenz, Johann: Christus in Dachau oder Christus der Sieger. Ein religiöses Volksbuch und ein kirchen­geschichtliches Zeugnis (mit 100 Bildern). Für Priester und Volk, Wien 61957: 79 (zit. Lenz 1957)

2014_04_01Himmler_inDachau2Besuch Heinrich Himmlers im KZ Dachau am 21. Januar 1941
v. r.: Lagerführer Egon Zill, Lagerkommandant Alex Piorkowsky[1], Heinrich Himmler
[1] SS-Obersturmbannführer Alex Piorkowsky (* 11.10.1904 in Bremen, † hinge­richtet 22.10.1948 in Landsberg am Lech) – Mitglied der SA 1929 – Mitglied der SS 1.6.1931 – Lagerführer im KZ Dachau 1938 – Lager­kommandant 19.2.1940 bis 31.8.1942 – Im August 1943 gab es Ermitt­lungen gegen ihn wegen Korruptionsverdachtes, und im selben Jahr wurde er wegen Dienstun­fähigkeit aus der SS entlassen. Nach Internierung 1945 wurde er im Januar 1947 zum Tode verurteilt.

P. Hugo Montwe OFMCap[1]:
Schon lange sollte eine Kapelle kommen und sie war auch von Berlin be­fohlen. Aber [die Lagerführer] Hofmann[2] und Zill[3] wehr­ten sich dagegen, solange es ging. Als dann im Januar 1941 Himmler gemeldet wurde, war die Kapelle in einigen Stunden fertig.[4]
[1] Pater Hugo (Leonhard) Montwe OFMCap (* 31.5.1887 in Aachen, † 7.1.1952 in Bad Mer­gentheim) – Eintritt in den Kapuzineror­den 17.9.1908 – Prie­sterweihe 4.8.1914 – Guardian in Dieburg – Er kam am 18.4.1941 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 ent­lassen.
[2] SS-Hauptsturmführer Franz Johann Hofmann (* 5.4.1906 in Hof/Saale, † 14.8.1973 in der Justizvollzugsanstalt Straubing) – gelernter Tapezierer – Ange­höri­ger der Wachmannschaft im KZ Dachau September 1933 – Beförderung zum SS-Oberscharführer 1937 – Aufstieg zum Rapportführer u. SS-Hauptscharführer 1939 – zweiter Lagerführer u. Dienstrang eines SS-Untersturmführers 1941 – Beförderung zum SS-Obersturmführer u. damit zum ersten Lagerführer im KZ Dachau April 1942 – Verset­zung zum Stammlager des KZ Ausch­witz/PL 1.12.1942 – Am Ende des Krieges tauchte Franz Hofmann mit einer falschen Iden­tität unter, arbeitete in der Landwirtschaft und als Heizer. Seine Ver­haftung erfolgte am 16.4.1959. In einem ersten Prozeß, in dem seine Rolle im KZ Dachau verhandelt wurde, erfolgte eine Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus.
[3] SS-Hauptsturmführer Egon Gustav Adolf Zill (* 28.3.1906 in Plauen, † 23.10.1974 in Dachau) – Bäckergeselle – Ausschluß aus der SA 1923 – Eintritt in die SS 5.10.1925 – Eintritt in die NSDAP 25.10.1925 – 9 Jahre Tätigkeit in ver­schiedenen Konzen­trations­la­gern – Lager­führer im KZ Dachau 1939 bis 3.1.1942 – Die KZ-Häftlinge be­schrieben ihn als roh und ordi­när. Nach dem Krieg lebte er unter falschem Namen. Nach seiner Ent­deckung 1955 wurde er ver­haftet, und man machte ihm den Prozeß. Ein Mün­chner Ge­richt verurteilte ihn zu le­bens­langer Haft. Nach erfolgreicher Berufung reduzierte sich die Strafe auf 15 Jahre.
[4] Montwe, Hugo: Erinnerungen an Dachau [1945 aufgeschrieben]. In: Assisi-Glöcklein. Familiennach­rich­ten der Rhein.-Westfäl. Kapuzinerprovinz Nr. 29–40 (1952–54) 1945 VIII: 28

Hans Carls[1]:
Auf Block 26 gab es seit 1941 einen Gottesdienstraum. Dieser mußte da­mals auf Befehl Himmlers plötzlich in ein paar Tagen einge­richtet werden.[2]
[1] Caritasdirektor Hans Carls (* 17.12.1886 in Metz/Moselle/F, † 3.2.1952 in München) – Priester­weihe 24.6.1915 in Köln – Caritasdirektor in Wup­pertal 1924 – Er kam wegen staatsge­fährli­cher Predigten am 13.3.1942 ins KZ Dachau und dort später wegen Beförde­rung von Schwarz­post in den Bunker. Am 29.4.1945 wurde er aus dem KZ befreit. 1947 gab er als erster die „Stimmen von Dachau“ heraus.
[2] Carls, Hans, in: Stimmen von Dachau, 15. Dezember 1947 – Nr. 12: 43

Joseph Buchkremer[1]:
Zentrum und Symbol dieses christlichen Europa war die „Kapelle“ in un­serer Priesterbaracke Block 26, ein Raum, der [gegen Ende der Lager­zeit] tagsüber als Arbeitsraum benutzt wurde – eine wohl einmalige Stätte in­mitten einer „Hölle“. Papst Pius XII. hatte diese Möglichkeit erwirkt, und man hatte sie gewährt, auch um ein Alibi zu haben: Internationale Kom­missionen, die das Lager besichtigen wollten, wurden immer auch in die­sen Raum geführt als Beweis der „Humanität“.[2]
[1] Weihbischof Joseph Buchkremer (* 4.10.1899 in Aachen, † 24.8.1986) – Priesterweihe 10.8.1923 in Köln – Er kam wegen Jugendseelsorge am 27.3.1942 ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 ent­lassen. – Bischofsweihe zum Weihbischof für das Bistum Aachen 21.12.1961
[2] Buchkremer, Joseph: Dachauer Geistliche und christliches Europa. In: Internatio­nale katholische Zeitschrift COMMUNIO, März/April 1977: 187

Blick vom Kapellenfenster auf die Blockstraße und die Absperrung zur Lagerstraße

Blick vom Kapellenfenster auf die Blockstraße und die Absperrung zur Lagerstraße

 

Die „Kapelle“ war durch Stacheldraht vom übrigen Lager eigens abge­zäunt und wurde durch die SS und einflußreiche Personen aus den Kreisen der Häftlinge überwacht. Die SS suchte nach Vorwän­den, die Kapelle recht­­mäßig zu schließen und aus dem Lager zu entfernen. Dabei ging ihnen ein großer Teil der Häftlinge bereitwillig zur Hand.

 

Dienstag, 21. Januar 1941
Die Priester hatten zwei Militärmeßkof­fer aus dem KZ Sachsenhausen mit ins KZ Dachau gebracht.[1] Eigentlich sollte die erste heilige Messe schon am 21. Januar gefeiert werden, aber der berüchtigte La­gercapo Rudolf Hent­schel[2] hatte als Sakristan Hostien und Wein ver­gessen. So wurde statt der Euchari­stiefeier eine Marienandacht gehalten, und die erste Zelebration fand erst am nächsten Tag um 5.00 Uhr mor­gens statt.[3]
[1] Fritz Remy am 1.9.1946 an das Erzbischöfliche Generalvikariat in Köln:
Auch unsere Lagerkapelle ging [vom KZ Sachsenhausen] mit nach Dachau, wo wir seit Januar 1941 wieder täglich das hl. Meßopfer mitfeiern konnten.
s. auch: Lenz 1957: 77
[2] Rudolf Hentschel (* 16.3.1907 in Metz/Moselle/F, † ?) – Der konfessionslose Techniker kam am 15.11.1937 ins KZ Dachau, bekam die Häftlings-Nr. 13020, war Lagercapo und 1941 Sakristan der Lagerka­pelle.
[3] s. Lenz 1957: 80

2014_04_01_Kapelle Tijhuis

 

Lagerkapelle im Advent 1944[1]
[1] Farbzeichnung vermutlich von Br. Raphael Tijhuis OCarm im KZ Dachau für eine Gratulations­karte zu Karl Leisners Priesterweihe

 

 

Mittwoch, 22. Januar 1941
Erste Eucharistiefeier in der Lagerkapelle des KZ Dachau durch den polni­schen Lagerka­plan Paul Prabutzki[1].[2] Von diesem Zeitpunkt an konnte jeden Tag die heilige Messe gefeiert werden. Anfangs durfte nur der polni­sche Lagerkaplan zelebrie­ren.[3] Um Zeit zu sparen, nahm jeder Prie­ster wie schon im KZ Sachsenhausen beim Eintritt in die Kapelle eine Hostie in seine Hand­fläche, und der Zele­brant ver­wandelte zugleich mit seiner Hostie am Altar alle anderen, und bei der Kommunion reichte sich jeder selbst den Leib des Herrn.[4]
[1] Paul Prabutzki (Pawel Prabucki) (* 3.9.1893 in Iwiczno Diözese Kulm/Chełmno/PL, † 30.8.1942 im KZ Dachau) – Priesterweihe 17.6.1923 – Leutnant/Haupt­mann in der deut­schen Armee 1914–1918 – 1939 wurde er zum Militärpfarrer in der polni­schen Armee er­nannt, nach deren Zusam­menbruch im Oktober 1939 entlassen und im No­vem­ber 1939 in Thorn/Toruń/PL von der Gestapo ver­haftet. Am 15.1.1940 kam er ins KZ Stutt­hof/PL und von dort am 10.4.1940 ins KZ Sachsenhausen, wo er am 5.8.1940 Lager­kaplan wurde. Am 15.12.1940 kam er ins KZ Dachau und wurde dort eben­falls Lager­kaplan, bis die polni­schen Priester am 20.9.1941 von der Lagerkapelle ausge­schlos­sen wurden.
[2] Der Ortspfarrer von St. Jakob in Dachau Friedrich Pfanzelt hatte bereits ab Oster­sonntag 1933 sonn­tags vor einer Lagerbaracke mit Häftlingen die heilige Messe gefeiert. Aber bald zogen die maßgeblichen Männer die Sache so ins Lä­cherliche, daß es unmög­lich wurde, den Gottesdienst weiter zu feiern.
s. Rund­brief des IKLK 2005 – Nr. 50: 12ff. „Priester und Seelsorge im Konzen­tra­tions­­la­ger“
[3] s. Majdański, Kazimierz: Ihr werdet meine Zeugen sein. Meine Zeit im KZ, Mittelbiberach 1995: 72f.
[4] s. Josef Steinkelderer in: Lenz 1957: 85f.

Quelle der Fotos: Karl Leisner-Archiv