Familie Wilhelm Leisner und die Schreibmaschine

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„Das waren noch Typen: Die Schreibmaschine lebt“, so titelte die F.A.Z. am 16. Juli 2014.

Der schriftliche Nachlaß von Familie Wilhelm Leisner gibt Zeugnis von der Bedeutung des Schreibmaschine für die Familienmitglieder.

Eine Erfindung der Neuzeit setzte sich langsam durch. Offensichtlich war es aber auch 1931 noch etwas Besonderes, einen Brief zu bekommen, der nicht mit der Hand, sondern mit einer Schreibmaschine geschrieben war. So bedankt sich Karl Leisner am 14. Juli 1931 bei Dr. Walter Vinnenberg:
Lieber Walter!
Für Deinen Schreibmaschinenbrief vom 2.6. besten Dank.

In der Jugendarbeit kam die Schreibmaschine auch zum Einsatz. Liederbögen wurden teils mit Schreibma­schine, teils handschriftlich auf Wachsmatrizen geschrieben und ver­vielfältigt.

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Entwurf                                                            Ausführung

Karl Leisner hat zwar Stenographie gelernt, beherrschte aber nicht das Schreiben mit der Schreibmaschine. 1934 füllte er die Personalkarte für die Universität in Münster u. a. wie folgt aus:
Hitler-Jugend, bzw. Jugendbund: Katholischer Jungmännerverband Deutschlands
Darin tätig als: von Mai 1933 – Ostern 1934 als Bezirksjungscharführer[1] bzw. Pfarrjung­scharfüh­rer
Kenntnisse in Stenographie, Schreibmaschine: Stenographie
Sprachkenntnisse: Holländisch, Französisch, Italienisch
Welche Musikinstrumente spielen Sie: Klavier, Schulflöte, Harmonium

[1] Karl Leisner war vom 18.3.1933 bis Juni 1934 Bezirksjungscharführer und bis Juni/Juli 1933 noch im Katholischen Wandervogel (KWV).

Offensichtlich hat er sich aber doch bemüht, dieses Schreibinstrument zu beherrschen. Am 12. Januar 1935 schrieb er als Diözesanjungscharfüh­rer einen Schreibmaschinenbericht an Diözesanpräses Heinrich Roth.

Im Nationalsozialismus wurden Schreibmaschinen entsprechend aufgerüstet. Die Type ß gab es zum Beispiel nicht auf allen Maschinen, dafür aber die SS-Runen ϟϟ.

Karl Leisners Wissenschaftliche Arbeit ist mit Schreibmaschine geschrieben. Aber dabei hat ihm Kurt Pohl (* 28.3.1916, † 16.3.2003) geholfen, der ab 1936 kurze Zeit auch Theologiestudent war. Karl Leisner kannte ihn schon von der Jugendarbeit her. Kurt Pohl führte im Bezirk Moers die Jungschar. Am 10. August 1999 berichtete er, er habe zusammen mit Theo Kuypers Fahrten mit Karl Leisner in den Reichswald und nach Holland gemacht. Er mußte zum Mili­tär, verlor im Krieg ein Bein, studierte Volkswirtschaft, heiratete und war als Caritas­direktor des Dekanates Freiburg/Br. tätig.

Am 4. Januar 1938 schrieb Karl Leisner in sein Tagebuch:
WA [Wissenschaftliche Arbeit] angefangen zu tippen mit Kurt Pohl. Tem­pus fit. [Es wird Zeit.] Es ist nichts Rechtes, aber … na ja.

8. Januar 1938
Gott sei Dank, die Wissenschaftliche Arbeit hab’ ich fertig. Kurt Pohl half mir dabei. Bis 23.00 Uhr spät sah ich sie noch nach. Recht gefallen tut sie mir noch nicht – aber weg damit! Heiho!

Die Briefe, die Karl Leisner aus dem KZ nach Haus schrieb, wurden in der Familie mit Durchschlägen abgeschrieben und an Verwandte und Bekannte verteilt. Das besorgte Vater Leisner in seinem Büro beim Gericht.

Original, erste Abschrift und Durchschlag des Briefes aus dem KZ Dachau vom 11. Januar 1942

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Willi Leisner aus Berlin am 24. Januar 1944 an seine spätere Ehefrau Franziska Sauer im Spessart:
Mein Vater schreibt diese Briefe im Büro auf der Maschine an alle aus­wärtigen Kinder, und jede „Filiale“ bekommt einen Durchschlag. So weiß ein je­der von uns, was los ist.

1943 war Vater Wilhelm Leisner wegen eines anonymen Briefes eine Woche im Gefängnis. Dieser war zwar auf seiner Schreibmaschine geschrieben, konnte ihm aber nicht eindeutig zugeordnet werden, da auch andere Personen diese Maschine benutzten.

Auch 1945 war es noch nicht selbstverständlich, Zugang zu einer Schreibmaschine zu haben. Willi Leisner schrieb aus Berlin-Lichterfelde, Hortensienstraße 17aI, am 12. August 1945:
Ihr Lieben daheim!
Vaters Rundbriefe waren uns allen vertraut geworden und allerschönste Grüße der Heimat. Wie werde ich mich auf die Nr. 1 nach dem Kriege freuen!
Heute möchte ich in Vaters Fußstapfen treten und auch mit einem Rund­brief beginnen. Eine Schreibmaschine in meiner neuen Wohnung verlockt mich dazu.

Zum Thema „Schreibmaschine“ siehe auch folgenden Link