Es ist eine abenteuerliche Geschichte, auf welchen Wegen die Fotos von Karl Leisner aus dem KZ Dachau zu Familie Leisner nach Niedermörmter gelangten.
P. Otto Pies SJ:
Zwei Tage vor dem [auf den 17.12.] festgesetzten Weihetag konnte Karl aufstehen und heimlich das Revier verlassen. In der Kapelle des Priesterblocks wurde die Generalprobe gehalten. Alles wurde bis ins Letzte eingeübt. Die Feier sollte würdig und schön verlaufen, wie in einer Domkirche. Bei dieser Gelegenheit wurden [von P. Sales Heß OSB] Photoaufnahmen gemacht, die uns glücklicherweise Bilder von Karl im priesterlichen Ornat geschenkt haben. Es war äußerst gefährlich, es hätte sogar das Leben kosten können im KZ zu photographieren. Aber damals wagte man viel und es gelang. Nur mußte man der absoluten Verschwiegenheit sicher sein, und außer den wenigen Eingeweihten hatte tatsächlich auch niemand, selbst auf dem Priesterblock, etwas gemerkt.[1]
[1] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer, Kevelaer: Butzon & Bercker 1950: 167
P. Sales Heß OSB:
Ich hatte die Aufgabe, botanische Versuche und Pflanzenversuche auf der Plantage zu fotografieren. Dazu hatte ich zwei Fotoapparate eine Exakta und eine Leica. Ich habe mit einem dieser Apparate kurz vor dem Tag der Priesterweihe, dem dritten Adventssonntag 1944, in der Kapelle des Lagers KZ mehrere Aufnahmen von Karl Leisner gemacht.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 1851f.
Der belgische Zeichner Didgé hat im Comic „Victor in Vinculis – Sieger in Fesseln“ die Begebenheit in folgenden Szenen dargestellt:
Alois Knecht aus Bregenz am 28. Dezember 1950 an Reinhold Friedrichs in Münster:
Jener Benediktinerpater [P. Sales Heß OSB] hat unser Tütenklebkommando in der Plantage draußen wiederholt photographiert, er war ja der behördlich konzessionierte Photograph von Blumen, Pflanzen etc. etc., und so konnte er auch eines Tages uns ungeniert aufnehmen. Aber nie bekam ich ein Bild davon zu sehen, weder im noch außerhalb des Kazetts.
Die Negative von den Fotos bei der Probe zur Priesterweihe wurden über Leo Pfanzer aus dem KZ Dachau geschmuggelt und ohne Kommentar mit der Post an Willi Leisner nach Berlin geschickt. Leo Pfanzer war Angestellter bei der Bayerische Warenvermittlung (Baywa) in Dachau, als solcher hatte er freien Zutritt zur Plantage und war Vermittler hinaus und herein.
P. Sales Heß OSB:
Besonders danken wir ihm [Leo Pfanzer] seine Hilfe für unsere illegalen und sehr gefährlichen fotografischen Aufnahmen. Wir hätten keine Bilder von unserer Kapelle, der Madonna, des Primizianten Karl Leisner und vieler anderer Konfratres, wenn er nicht mit großem Risiko für ihn und uns die entwickelten Filme schnellstens aus dem Lagerbereich hinauszuschaffen und in seinem Hause bis zum Ende unserer KZ-Haft zu verwahren bereit gewesen wäre.[1]
[1] P. Sales Heß OSB in: Stimmen von Dachau, 1967/68 – Nr. 9: 76
P. Otto Pies SJ am 29. März 1945 an Willi Leisner in einem Nachsatz:
PS Ich habe von der Weihe zwei Serien Bilder geschickt. Sind beide angekommen, auch die in Paramenten?
Willi Leisner aus Berlin am 15. April 2003 nach seinen Kalenderaufzeichnungen an Hans-Karl Seeger:
Die Negative, die Pater Sales Heß [OSB] im KZ Dachau gemacht hat, schmuggelte er [P. Otto Pies SJ durch Leo Pfanzer] aus dem KZ und kamen in einem Briefumschlag ohne Beilage bei mir an.
Abzüge von den Negativen machte mir Dr. [Hermann] Eising, damals Kaplan in St. Matthias am Winterfeldplatz in Berlin-Schöneberg. […] Mit ihm hatte ich wegen der Zustimmung von Bischof [Clemens August] Graf von Galen zu Karls Priesterweihe laufend Kontakt. […]
Den Eltern schickte ich am 6. Januar 1945 das Foto Karl im Ornat und am 7. Januar das Foto Karl und [P.] Otto Pies [SJ] mit der Briefpost nach Niedermörmter.
Die Negative bekam später [P.] Otto Pies [SJ] für seine Veröffentlichungen. Ein Fotograf hat sie verbummelt und nicht wieder aufgefunden.
Kleine Geschichten illustrieren das Geschehen in der Hölle des KZ Dachau. Es existiert nicht nur ein Bild von Karl Leisner im roten Meßgewand, in dem er am Fest des ersten Martyrers Stephanus seine erste und einzige heilige Messe feierte, sondern auch ein Foto, das ihn in einem Pullover zeigt. Sein Mithäftling Pfarrer Josef Albinger aus Fulda zog sich im SS-Magazin insgeheim mehrere Pullover übereinander und verteilte sie dann an schwerkranke KZ-Insassen. Einen davon gab er dem an Lungen-Tbc leidenden Diakon Karl Leisner mit den Worten: „Weil Du immer so frierst.“ Die Pullover hatte man den als Kriegsgefangene ins KZ Dachau gebrachten italienischen Soldaten abgenommen.
Mit dem heimlich beschafften Fotoapparat sollte auch der französische Bischof Gabriel Piguet photographiert werden. Das gestattete er jedoch nicht.
Gabriel Piguet:
Als mich die deutschen Priester baten, ich solle mich in meinen Bischofskleidern neben den neuen Priester und seine Mitbrüder, die uns während der Zeremonien umgeben hatten, vor einen heimlich beschafften Fotoapparat stellen, weigerte ich mich. Ich bringe mich zwar in Gefahr, um einen Priester zu weihen, aber ich bringe mich nicht für ein Foto in Gefahr, das ein Beweis gegen mich sein kann und auf Grund dessen man mich vielleicht verurteilt. Vor allem kann ich meine Diözese [Clermont] nicht vergessen, die mich erwartet, und in die ich zurückzukehren hoffe.[1]
[1] Piguet, Gabriel: 1947: Mgr Gabriel Piguet. évêque de Clermont. Prison et déportation. Témoignage d’un Évêque français [Bischof Gabriel Piguet. Bischof von Clermont. Gefangenschaft und Deportation. Zeugnis eines französischen Bischofs], Paris 1947: 105
Quelle der Fotos: Karl Leisner-Archiv