Geschichte der Fotos vom 15. Dezember 1944 im KZ Dachau

Leisner 1944 600 dpi

 

Es ist eine abenteuerliche Geschichte, auf welchen Wegen die Fotos von Karl Leisner aus dem KZ Dachau zu Familie Leisner nach Niedermörmter gelangten.

 

 

 

 

Primiziant

P. Otto Pies SJ:
Zwei Tage vor dem  [auf den 17.12.] festgesetzten Weihetag konnte Karl auf­stehen und heimlich das Revier verlassen. In der Kapelle des Priester­blocks wurde die General­probe gehalten. Alles wurde bis ins Letzte ein­geübt. Die Feier sollte würdig und schön verlaufen, wie in einer Dom­­kir­che. Bei dieser Gelegenheit wurden [von P. Sales Heß OSB] Photoauf­nahmen gemacht, die uns glücklicher­weise Bilder von Karl im priester­li­chen Ornat geschenkt haben. Es war äußerst gefähr­lich, es hätte sogar das Leben kosten können im KZ zu photographie­ren. Aber damals wagte man viel und es gelang. Nur mußte man der ab­solu­ten Verschwiegenheit sicher sein, und außer den wenigen Eingeweih­ten hatte tatsächlich auch nie­mand, selbst auf dem Priester­block, et­was gemerkt.[1]
[1] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Prie­ster und Opfer, Kevelaer: Butzon & Bercker 1950: 167

P. Sales Heß OSB:
Ich hatte die Aufgabe, botanische Versuche und Pflanzenversuche auf der Plantage zu fotografieren. Dazu hatte ich zwei Fotoapparate eine Exakta und eine Leica. Ich habe mit einem dieser Apparate kurz vor dem Tag der Prie­sterweihe, dem dritten Adventssonntag 1944, in der Ka­pelle des Lagers KZ mehrere Aufnahmen von Karl Leisner gemacht.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 1851f.

Der belgische Zeichner Didgé hat im Comic „Victor in Vinculis – Sieger in Fesseln“ die Begebenheit in folgenden Szenen dargestellt:

2012_12_15_Foto1a

2012_12_15_Foto1b

2012_12_15_Foto1c

Alois Knecht aus Bregenz am 28. Dezember 1950 an Rein­hold Friedrichs in Münster:
Jener Benediktinerpater [P. Sales Heß OSB] hat unser Tütenkleb­kom­mando in der Plantage draußen wiederholt photographiert, er war ja der behörd­lich kon­zes­sio­nierte Photograph von Blumen, Pflanzen etc. etc., und so konnte er auch eines Tages uns un­geniert aufnehmen. Aber nie bekam ich ein Bild da­von zu sehen, weder im noch außerhalb des Kazetts.

Die Nega­tive von den Fotos bei der Probe zur Priesterweihe wurden über Leo Pfanzer aus dem KZ Dachau ge­schmug­gelt und ohne Kommentar mit der Post an Willi Leisner nach Berlin geschickt. Leo Pfanzer war Angestellter bei der Bayerische Warenvermittlung (Baywa) in Da­chau, als solcher hatte er freien Zu­tritt zur Plan­tage und war Vermittler hinaus und herein.

P. Sales Heß OSB:
Beson­ders danken wir ihm [Leo Pfanzer] seine Hilfe für un­sere illega­len und sehr ge­fährlichen fotografi­schen Aufnah­men. Wir hätten keine Bilder von unserer Ka­pelle, der Madonna, des Primizianten Karl Leis­ner und vieler anderer Konfratres, wenn er nicht mit gro­ßem Ri­siko für ihn und uns die ent­wickelten Filme schnellstens aus dem Lager­be­reich hinauszu­schaffen und in sei­nem Hause bis zum Ende unse­rer KZ-Haft zu ver­wah­ren bereit gewesen wäre.[1]
[1] P. Sales Heß OSB in: Stimmen von Dachau, 1967/68 – Nr. 9: 76

P. Otto Pies SJ am 29. März 1945 an Willi Leisner in einem Nach­satz:
PS Ich habe von der Weihe zwei Serien Bilder geschickt. Sind beide ange­kommen, auch die in Paramenten?

Willi Leisner aus Berlin am 15. April 2003 nach seinen Kalender­auf­zeich­nungen an Hans-Karl Seeger:
Die Negative, die Pater Sales Heß [OSB] im KZ Da­chau gemacht hat, schmug­gelte er [P. Otto Pies SJ durch Leo Pfanzer] aus dem KZ und kamen in ei­nem Briefumschlag ohne Bei­lage bei mir an.
Abzüge von den Negativen machte mir Dr. [Hermann] Eising, damals Kaplan in St. Matthias am Win­terfeldplatz in Berlin-Schöneberg. […] Mit ihm hatte ich wegen der Zustimmung von Bischof [Clemens August] Graf von Galen zu Karls Priester­weihe laufend Kontakt. […]
Den Eltern schickte ich am 6. Januar 1945 das Foto Karl im Ornat und am 7. Januar das Foto Karl und [P.] Otto Pies [SJ] mit der Brief­post nach Nieder­mörmter.
Die Negative bekam später [P.] Otto Pies [SJ] für seine Veröffent­lichun­gen. Ein Fotograf hat sie verbummelt und nicht wieder aufge­funden.

Kleine Geschichten illustrieren das Geschehen in der Hölle des KZ Dachau. Es existiert nicht nur ein Bild von Karl Leisner im roten Meß­gewand, in dem er am Fest des ersten Martyrers Ste­phanus seine erste und einzige heilige Messe feierte, sondern auch ein Foto, das ihn in einem Pullover zeigt. Sein Mithäftling Pfarrer Josef Albinger aus Fulda zog sich im SS-Magazin insge­heim mehrere Pullover übereinander und verteilte sie dann an schwerkranke KZ-Insassen. Einen davon gab er dem an Lungen-Tbc leidenden Diakon Karl Leisner mit den Worten: „Weil Du immer so frierst.“ Die Pullover hatte man den als Kriegsge­fange­ne ins KZ Dachau gebrachten italienischen Soldaten abgenom­men.
Mit dem heimlich beschafften Fotoapparat sollte auch der franzö­si­sche Bischof Gabriel Piguet photo­graphiert werden. Das gestattete er je­doch nicht.

Gabriel Piguet:
Als mich die deutschen Priester baten, ich solle mich in meinen Bi­schofs­kleidern neben den neuen Priester und seine Mit­brüder, die uns während der Zeremonien umgeben hatten, vor einen heimlich beschafften Fotoap­parat stellen, weigerte ich mich. Ich bringe mich zwar in Gefahr, um einen Priester zu weihen, aber ich bringe mich nicht für ein Foto in Gefahr, das ein Beweis gegen mich sein kann und auf Grund dessen man mich viel­leicht verur­teilt. Vor allem kann ich meine Di­özese [Clermont] nicht ver­gessen, die mich erwartet, und in die ich zurückzu­kehren hoffe.[1]
[1] Piguet, Gabriel: 1947: Mgr Gabriel Piguet. évêque de Clermont. Prison et déporta­tion. Témoignage d’un Évêque fran­çais [Bischof Gabriel Piguet. Bi­schof von Cler­mont. Ge­fan­genschaft und Deportation. Zeugnis eines fran­zö­si­schen Bi­schofs], Paris 1947: 105

Quelle der Fotos: Karl Leisner-Archiv