In seiner Sitzung vom 22. Juni 2003 beschloss der Hauptausschuss der Stadt Goch die Haupterschließungsstraße in einem Neubaugebiet im Südwesten der Stadt nach dem Seligen Karl Leisner zu benennen. Die Karl-Leisner-Straße verbindet die Hassumer mit der Gaesdoncker Straße. Ihre Nebenstraßen sind nach Personen benannt, die im Nationalsozialismus Widerstand leisteten. Begründet wurde die Benennung nach Karl Leisner unter Bezugnahme auf die Anregung durch den IKLK mit seinem Leben und Wirken, der heimlichen Priesterweihe im KZ Dachau, der Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. und besonders mit seinen engen Beziehungen zur Stadt Goch.[1]
[1] Beschlussvorschlag der Stadt Goch vom 8.7.2003, Seite 2f.
Am Sonntag, dem 17. April 2005, wurde in einem Gottesdienst in der Pfarrkirche Liebfrauen[1] in Goch das Straßenschild vom Präsidenten des IKLK, Spiritual Hans-Karl Seeger, gesegnet und anschließend in Anwesenheit von Bürgermeister Karl-Heinz Otto und Pfarrer Günter Hoebertz an Ort und Stelle montiert. Der aus Goch stammende Vizepräsident des IKLK, Dr. Georg Kaster, hatte die Gemeinde begrüßt und an die Seligsprechung Karl Leisners 1996 durch Papst Johannes Paul II. erinnert.
[1] Liebfrauenkirche in Goch: Errichtung nach einem Entwurf von Dominikus Böhm – Einweihung durch Weihbischof Johannes Scheifes am 30.4.1933 – Zerstörung der Kirche am 30.9.1944 – Wiedereinzug 12.12.1948 – Profanierung am 22.11.2009
Mit Schreiben vom 2. September 2001 an die Stadt Goch hatte Hans-Karl Seeger im Namen des IKLK unter Hinweis auf die engen Beziehungen Karl Leisners zu Goch die Umbenennung des Platzes vor der Liebfrauenkirche von Kirchplatz in Karl-Leisner-Platz angeregt. Der Vorschlag wurde von der Stadtverwaltung dahingehend geändert, dass „nunmehr das gesamte Kirchengrundstück einschließlich Pastorat und Kindergarten“[1] umbenannt werden sollten. Dieser ergänzte Vorschlag wurde der Pfarrgemeinde Liebfrauen vorgelegt. Der Kirchenvorstand der Liebfrauenpfarrei sprach sich gegen eine Umbenennung des Platzes aus, da diese nicht sinnvoll sei und für erhebliche Verwirrung sorgen würde. Er schlug der Stadt Goch vor, eine Straße in einem Neubaugebiet nach Karl Leisner zu benennen.[2] Der IKLK wurde anschließend von der Stadtverwaltung Goch mit dem Hinweis verständigt, dass man sich weiterhin um eine geeignete Möglichkeit zur Straßenbenennung an anderer Stelle bemühen werde.[3]
[1] Schreiben der Stadt Goch vom 11.12.2001
[2] Siehe Schreiben der Zentralrendantur der Katholischen Kirchengemeinden im Dekanat Goch an die Stadtverwaltung Goch, z. Hd. Herrn Kaster, vom 13.12.2001
[3] Schreiben der Stadt Goch vom 20.12.2001
Die Mitglieder des IKLK wurden mit dem Rundbrief Nr. 45, Seiten 114-116, vom Februar 2002, über die Ablehnung der Umbenennung unter Darstellung der engen Beziehungen Karl Leisners zu Goch informiert. Im Rundbrief Nr. 49, Seite 83, vom Februar 2004, wurde die geplante Karl-Leisner-Straße angekündigt und im Rundbrief Nr. 51, S. 76f. folgte der Bericht über die Einweihung einschließlich eines Fotos von der Anbringung des Straßenschildes.
Die Stadt Goch grenzt im Norden an die Stadt Kleve, die Ortskerne sind nur 11 km voneinander entfernt. Karl Leisner hatte eine sehr enge Beziehung zu Goch. Seine Eltern Wilhelm Leisner[1] und Amalia Leisner[2] stammten aus Goch. Als sein Vater im Ersten Weltkrieg zum Wehrdienst einberufen wurde, zog seine Mutter mit ihm in das Haus seiner Großeltern an der Klever Straße. Karl Leisner bezeichnet das großelterliche Haus in Goch als seine Heimat, er, aber auch die gesamte Familie, besuchten dort häufig die Schwestern seines Vaters Juliane[3] und Maria Leisner[4]. Darüber hinaus kamen die Jungen auf ihren Fahrten immer wieder in die Stadt Goch und ihre inzwischen eingemeindeten Ortsteile wie Asperden, Kessel und Pfalzdorf.
[1] Justizoberinspektor Wilhelm Johannes Josef Leisner (* 26.9.1886 in Goch, katholisch getauft 3.10.1886 in Goch St.-Maria-Magdalena, † 13.10.1964 in Kleve) – 1913 zog Wilhelm Leisner als Amtsgerichtssekretär von Goch nach Neuss, Canalstraße 17.
[2] Amalia (Amalie, Maly) Everhardine Maria Mathilde, geb. Falkenstein (* 26.10.1892 um 2.00 Uhr in Goch, Cleverstr. 36, katholisch getauft 27.10.1892 in Goch St.-Maria-Magdalena, † 19.2.1983 in Kleve) – malia Falkenstein zog mit ihrer Familie 1910/1911 von Goch nach Neuss, Josefstr. 25.
Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat sie 1981 als Zeugin ausgesagt.
[3] Juliane (Julchen) Leisner (* 25.5.1876 in Mülheim an der Ruhr, † 22.1.1944 in Goch) –Goch, Klever Str. 182/167 – Sie führte ihrer Schwester Maria, Lehrerin, den Haushalt.
[4] Maria Leisner (* 23.5.1884 in Oppum, † 25.1.1944 in Goch) – Goch, Klever Str. 182/167 – Lehrerin an der Steintorschule in Goch
Kleve, Samstag, 2. Juni 1928
Radfahrt mit Papa und Br. [Bruder] zur Niers (Protokoll [Strafmandat])
[…] Dann nach Tante Julchen gefahren. Dort lecker Kaffee getrunken. Dann nach Haus gefahren. In Pfalzdorf Glockenweihe gesehn.
Kleve, Sonntag, 3. Juni 1928
Wir gingen 8.30 Uhr durch den Tannenbusch nach Goch. Dort bis 17.00 Uhr geblieben. Rad von Onkel Fritz bekommen, auf dieser [Fitz] fuhr ich 17.30 Uhr nach Hause.
Kleve, Sonntag, 30. Juni [1. Juli] 1928
Morgens um 9.30 Uhr fuhr ich mit Papa, Mama, Maria, Paula und Elisabeth zur Gocher Kirmes. (Willi war mit Ferdinand [Falkenstein] aus Neuß zu Haus geblieben.) In Goch wurden Johannis- und Erdbeeren gegessen. 5,00 Reichsmark Kirmesgeld zusammen von Onkel Fritz. Auf der Kirmes 0,10 Reichsmark ausgegeben! Um 19.15 Uhr [mit dem Fahrrad] abgefahren. 20.15 Uhr zu Hause.
Kleve, Donnerstag, 23. August 1928
Ich ging mit unserer Familie über Kessel, Schloß Graefenthal (dort regnete es) immer rechts der Niers entlang nach Goch zu Tante Maria und Tante Julchen. Bei ihnen tranken wir lecker Kaffee und wir Kinder spielten im Garten. Dann gingen wir nach Pfalzdorf. Von dort fuhren wir mit der Eisenbahn nach Bedburg.
Kleve, Freitag, 7. September 1928
Mit Mama, Willi, Ferdinand [Falkenstein] und Maria machte ich heute eine Wallfahrt nach Kevelaer. Wir fuhren um 6.45 Uhr mit dem Zug dorthin […] Auf dem [Rück-]Weg trafen wir einen Wagen, der uns bis Goch mitnahm. In Goch gingen wir drei Jungens zu [Heinrich] Kemper, wo Ferdinand Grüße von Opa [Friedrich Falkenstein] bestellen sollte und wo wir fein bewirtet wurden. Wir guckten noch zu, wie eine Kuh geschlachtet wurde und gingen dann nach Tante Maria und Tante Julchen, wo wir noch mal Kaffee tranken und im Garten spielten. Von dort gingen wir alle zum Pfalzdorfer Bahnhof und fuhren nach Cleve zurück.
Nach den ersten Aufführungen mit dem Kaspertheater in Kleve machten die Jungen mehrere Spielfahrten.
Kleve, Mittwoch, 10. April 1929
Spielfahrt vom 10.4. bis 12.4.1929
Am Mittwoch, den 10.4. trafen wir uns um 8.00 Uhr auf der Münze. Wir luden das Kaspertheater mit Koffer und Kulissen auf Willi Berns seinen Leiterwagen mit unserer Deichsel. Wir zogen über die Gocher Chaussee nach Goch. Dort ging ich eben bei Tante Maria und Tante Julchen Kaffee trinken.
Kleve, Mittwoch, 22. Mai 1929
Willi und ich standen um 5.30 Uhr auf und fuhren mit den Rädern „stikum aleikum“ [heimlich] über Qualburg – Reiherbusch nach Goch zu Tante Maria und Tante Julchen. Um 6.45 Uhr weckten wir sie und tranken lecker Kaffee. Um 8.00 Uhr sausten wir nach Cleve zurück.
Kleve, Donnerstag, 23. Mai 1929
Mama, Willi und ich fuhren mit den Rädern um 14.00 Uhr nach Goch. Dort tranken [wir] bei den Tanten [Maria und Julchen] Kaffee. Dann gings zum alten Friedhof [Ecke Gaesdoncker Straße/Greversweg], wo wir Großmutters [Marianne Falkenstein] Grab in Ordnung brachten. Um 18.15 Uhr ging [es] wieder heim.
Auf dem Rückweg von einer Fahrradtour nach Wesel zu den Verwandten machen Karl und Willi Leisner erneut in Goch bei den Tanten Julchen und Maria Leisner eine Pause.
Wesel, Samstag, 25. Mai 1929
Um 16.45 Uhr gings weiter über Sevelen – Geldern – Kevelaer – nach Goch, wo wir bei Tante Julchen eine Tasse Tee [tranken]. Um 20.15 Uhr fuhren wir weiter nach Cleve.
Kleve, Sonntag, 23. Juni 1929
Fahrt nach Goch und Kasperspielen im Calbecker Wald vor dem Kreuzbund Goch
Dann gings über den Hervorsterweg nach Goch zu Herrn [Franz] Peiffer[1], wo’s Futter gab und wo wir mit Klavier sangen. Hierauf gings zum Annastift[2], wo das Kasperhäuschen aufgebaut wurde. Kaum war dies getan, als es hieß: „Auf zum Calbecker Wald“. Unter einer offenen Scheune spielten wir dort.
[1] Franz Peiffer (* 25.5.1896 in Kleve, † 8.12.1939) – Heirat (1. Ehe) mit Luise Peiffer, geb. Schöning – 2 Kinder – wohnhaft in Goch bis 1930 – Franz Peiffer war Karl Leisners väterlicher Freund.
[2] Annastift auf der Klever Str. 67, früher Steinstr. – Es entstand 1887 auf Grund der Schenkung von Anna Schüller aus Goch zur Betreuung und Versorgung verwaister und verwahrloster Mädchen. Diese Aufgabe übernahmen die Schwestern von der Göttlichen Vorsehung. Heute ist es eine Jugendhilfeeinrichtung.
Kleve, Sonntag, 14. Juli 1929
Kasperlespielen in Goch
Mit den Rädern fuhren wir mit der Gruppe um 14.30 Uhr nach Goch. Im Gesellenhaus spielten wir Kasperletheater (Dr. Faust), 17,00 [Reichsmark] Reinertrag. Um 19.00 Uhr gings nach Hause. Unterwegs aßen wir [in Goch bei] Tante Julchen und Tante Maria, die bei uns in Cleve waren, im Garten Stachelbeeren. Um 20.00 Uhr zu Hause.
Im September 1929 besuchte Karl Leisner seinen Bruder Willi in der Kinderheilanstalt Süchteln, wo dieser wegen einer Rückgradverkrümmung stationär behandelt wurde.
Kleve, Sonntag, 1. September 1929, 1. Tag
Fahrt per Rad nach Süchteln (zu Willi) – Neuß – Goch wieder nach Cleve Vom 1. September bis zum 2.9.1929
Ich fuhr über Goch, wo ich am Steintor die Gocher und Dortmunder [Verwandten], die auf der Wallfahrt nach Kevelaer waren, traf, nach Weeze.
Kleve, Freitag, 1. November 1929
Nachdem wir in der Kirche gewesen waren, gings gegen 8.30 Uhr mit der ganzen Familie, außer Willi, der in Süchteln ist, und Tante Thea [Thomas] aus Neuß durch den Reichswald nach Goch zu den Tanten [Maria und Julchen]. Nach dreistündiger Wanderung langten [wir] dort an. – Nach der Ankunft bekamen wir ein gutes Mittagessen. Wir machten uns im Garten zu schaffen. Warfen Pfirsiche und Äpfel von den Bäumen und verzehrten sie usw. Nachmittags gings zu den Gocher Gräbern. – Hier beteten wir für die Verstorbenen (Großeltern [Karl und Anna Leisner]). – Nach dem Abendessen bei den Tanten fuhren wir wieder nach Hause.
Kleve, Sonntag, 29. Dezember 1929
Um 8.00 Uhr Kirchgang. – Um 9.45 Uhr gings, trotzdem das Wetter nicht einladend aussah, zu Fuß nach – – – Goch?! Aber, als wir beim „Weißen Tor“ waren, fings dermaßen an zu stürmen und Regenböen peitschten uns so ins „Angesicht“, daß wir schon in Bedburg zum Bahnhof gingen, um mit dem Zug nach Goch zu fahren. (Mama mit Willi, der wegen seinem Gips nicht so weit laufen kann, waren von Cleve aus mit dem Zug gefahren.) Gegen 11.30 Uhr langten wir bei den Tanten [Maria und Julchen] in Goch an. […] Um 17.30 Uhr sangen wir beim Weihnachtsbaum. – Dieser wurde auch [von Süßigkeiten] „geplündert“.
Kleve, Montag, 31. März 1930
Nachmittags fuhr ich mit Rud Retzlaff zu Tante Julchen und Tante Maria nach Goch. Nur Tante Julchen war zu Hause. Sie machte mir flott etwas Kaffee mit Butterbroten fertig. Ich mußte fragen, ob Tante Maria zur Beerdigung von Leo Naß aus Wyler ginge. Da Tante Julchen dies bejahte, hatte ich meine Aufgabe schon erfüllt.
Kleve, Sonntag, 26. Juni 1932
Sonntags vor „Peter und Paul“ ist Gocher Kirmes. Traditionsgemäß fuhr unsere ganze Familie hin. – Diesmal waren Onkel Hans und Tante Clara aus Wesel auch da, die Hermann [Mies] und ich ja vorigen Sonntag [18./19.6.] „belästigten“. – Mittags spazierten alle zum Gocher (Rosen-)Stadtpark [an der Niers]. Eine feine neue Anlage! –
Dann ging’s zur Kirche [St.-Maria-Magdalena][1], wo wir neben den klobigen Fenstern von [Anton] Wendling[2] die zierlich geschriebene Urkunde für die neue Kirche [Liebfrauen] lasen und den Grundstein beguckten.[3] – Darauf besuchten wir den Kirmesmarkt.
[1] Dreischiffiger, gotischer Kirchenbau – Im Boden der St.-Maria-Magdalena-Kirche sind Fundamente einer romanischen Kirche aus dem 12. Jh. festgestellt worden. Die ältesten Teile sind das Mittel- und Nordschiff, die 1323 eingeweiht wurden. – Erweiterungsbau im 15. Jhdt.
[2] In der Kirche gab es damals vier St.-Martin-Fenster von Anton Wendling. Diese wurden im Krieg so stark beschädigt, dass eine Wiederherstellung nicht sinnvoll erschien. Die heutigen Fenster wurden von Joachim Klos entworfen und 1983 von der Glasmalerei Derix in Kevelaer gefertigt.
[3] Infolge starker Bevölkerungszunahme im Osten der Stadt Goch nach dem Ersten Weltkrieg begannen 1927 Kirchbauplanungen im Bereich der Kalkarer Straße. Ein Kirchbauverein bildete sich 1928. Der genannte Grundstein ist der der späteren Liebfrauenkirche auf der anderen Seite der Niers. 1933 wurde das Pfarrrektorat Liebfrauen errichtet.
Ein einschneidendes Erlebnis für Karl Leisner waren im April 1933 die Gymnasiastentagung und die anschließenden Exerzitien in Schönstatt zu denen Josef Vermeegen[1] aus Goch ihn mitnahm.
[1] Pater Josef Arnold Vermeegen SAC/ISch (* 21.2.1913 in Goch, † 24.3.2008 in Schönstatt) – Eintritt in die Quarta des Gymnasiums in Kleve 1926 – Abitur am Gymnasium in Kleve 7.3.1933 – Noviziat bei den Pallottinern in Olpe 1.5.1933 bis 1.5.1935 – Priesterweihe 26.3.1939 in Limburg – 1932/1933 war er als Oberprimaner in der gemischten Prima zusammen mit Karl Leisner als Unterprimaner. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.
Kleve, Mittwoch, 5. April 1933, 1. Tag
Fahrt nach Schönstatt
8.15 Uhr ab Cleve. – In Goch Tanten [Maria und Julchen] besucht, T. M. [Tante Maria] krank. Jeder 1,00 RM fürs Zeugnis. – Gegen 10.15 Uhr ab Steintor mit vier Gochern: Raphael Gerhards, Hermann Eickmans, Jupp Vermeegen und Walter Utzen.
Kleve, Sonntag, 21. Mai 1933
9.45 Uhr [Gruppenfahrt] ab Hiby zum Eisernen Mann – sauber! […] Um 16.30 Uhr los über Weeze nach Goch. Neue Kirche [Liebfrauenkirche in Goch] prächtig, stilvoll! – Bei Tante Maria Citronenwasser.
Kleve, Sonntag, 25. Juni 1933
11.00 Uhr Volks- und Staffellauf. (1. Fest der deutschen Jugend.) Ich fuhr bis Goch immer etwa 500 m vor der Staffel her. – Gocher Kirmes! Um 12.15 Uhr Mittag. – 14.00 Uhr Andacht in der neuen Kirche [Liebfrauen] ([Pfarrer Ferdinand] Zumegen). – Nachher – 15.30 Uhr Kirmesmarkt. (1,00 RM von Tante Maria und Füller bezahlt). 16.00 Uhr Kaffee mit Kuchen! Hm! – Nachher Skat und im Garten! Echt! Um 18.30 Uhr zurück nach Kleve.
Kleve, Dienstag, 1. August 1933
Es ist der 1. August. Ich denke allmählich daran, meine Klamotten zu packen und frage meinen Vater um Geld [für die Gruppenfahrt nach Baltrum]. Er will mir und kann mir nur 21,00 RM geben. Woher den Rest beschaffen? Ich schwinge mich aufs Rad und bin im Nu in Goch bei meinen Tanten [Maria und Julchen], wo auch der „dicke Onkel“ Fritz zu Besuch ist. „Gesamterlös“: 4,50 RM. Ja, wenn man nicht so gute Tanten hätte!
Am 5. Mai 1934 zieht Karl Leisner in das Collegium Borromaeum in Münster um Priester zu werden. Er hält Rückblick auf die vergangenen Monate.
Kleve, Dienstag, 1. Mai 1934
Und dann nach der bestandenen [Abitur-]Prüfung [im Februar 1934] die frische Arbeit im Bezirk [Kleve als Bezirksjungscharführer]. Heute hier – morgen da! Wie ein „rasendes Ungeheuer“ fizte ich durch den ganzen Kreis. Eine Scharstunde nach der andern. Heute bei den Präsides in Goch, bei Kaplan [Josef] Bühren[1], bei Kaplan [Bernhard] Wormland[2].
[1] Josef Bühren (* 22.11.1906 in Appeldorn, † 28.5.1965) – Priesterweihe 6.8.1933 in Münster – Kaplan in Goch Rektoratskirche Liebfrauen 10.8.1933 bis 8.7.1939
[2] Bernhard Wormland (* 10.12.1907 in Bottrop, † ertrunken 4.9.1961 in Xanten) – Priesterweihe 23.12.1933 in Münster – Kaplan in Goch St.-Maria-Magdalena 8.1.1934 bis 1946 – Kreisvikar im Dekanat Goch 21.1.1939 – nach Soldatenzeit (1940–1945) Rückkehr nach Goch – Propst in Xanten 5.3.1955 bis 4.9.1961 – Als einer der priesterlichen Freunde Karl Leisners hielt er die Predigt bei dessen Beisetzung am 20.8.1945 in Kleve.
[3] Dr. theol. Joseph Storm (* 13.8.1884 in Goch, † 24.1.1950 auf der Gaesdonck) – Priesterweihe 13.6.1908 in Münster – Studienrat in Bocholt 1924 bis 1.4.1929, in Duisburg-Meiderich 1929–1944 – Studienrat i. R. auf der Gaesdonck 1944 bis 24.1.1950
Goch, Sonntag, 29. Dezember 1935, Weihnachtssonntag
7.00 Uhr heilige Messe in der Liebfrauenkirche [in Goch], die Rektor Studienrat [Joseph] Storm[3] feiert. Die Ausstattung der Kirche mit der Baumsilhouette aus Tannengrün und den lebendigen Bäumen gefällt gut. Auch die Krippe ist gut (vom jungen Künstler [Alexander] Walterfang – Kleve) Stall und Figuren! – Eiligen Schrittes geht’s dann mit Tante Maria zur Klever Straße 167. Wir wetteten darum, ob Studienrat Storm die heilige Messe hatte; Tante Maria setzte 1,00 RM, ich 0,50 RM. (Ich gewann sie, ich war der Sache sicher!) – Kaffeetrinken am lieben Gocher Küchentisch, worum der gute Großvater [Karl Leisner] und die Großmutter [Anna Henrich] und all meine Tanten und Onkels so oft gesessen. Onkel Fritz, Tante Maria und Maria Haags trinken mit.
In dem nachfolgenden Eintrag schildert Karl Leisner die „Weihnachtsfeier“ in Goch und bezeichnet das Elternhaus seines Vaters als Heimat.
Kleve, Sonntag, 5. Januar 1936
Heute ging’s mit der ganzen [Familie] zu den lieben Tanten [Maria und Julchen] nach Goch, wie so oft nach alter Familientradition zur Weihnachtsnachfeier. Tante Julchen ist diesmal leider krank – es ist ein böses hartnäckiges Leiden. (Eine Art Tuberkulose.) Es wird schön, wir sind in herrlichster Stimmung mit uns sieben.[1] […] Dann vor Mittag bei Tante Julchen [im Krankenhaus]. Die junge Frau, die vorgestern „einquartiert“ wurde, liegt auch zu Bett. Vorgestern war’s sehr lustig. Heute morgen wieder derselbe Spöks [Unsinn] mit Vater zusammen. – Mächtig aufgezogen mit den verdröögten Plätzkes [vertrockneten Plätzchen] und Zeugs. So richtig Schlingel. Abschied.
Dann der „Heimat“ zu – Kleverstraße 167. Den Mittag über viel Freud’. Opa [Karl Leisner, gestorben 1915 in Goch] und Oma [Anna, geborene Henrich, gestorben 1926 in Goch] haben sicher im Himmel mitgelacht. Ich bin stolz auf sie, wenn ich so das Bild [in der großelterlichen Wohnung] da hängen sehe!
Zu 15.30 Uhr bei Tante Julchen [im Krankenhaus] – Riesengaudium. Ich bin heut’ richtig toll und ausgelassen. Dat küt davan! [Das kommt davon!] Oft etwas zu „geistreichelnd“. Aber trotzdem viel Freud’ und Spaß. Gemeinsames Abendessen, Erzählen, Witz, Spaß, schöne Stunden der „Sippe“.
[1] Gemeint sind die Eltern Leisner mit ihren fünf Kindern.
Kleve, Sonntag, 1. Januar 1939
Das Weihejahr 1939! Consecra me, Domine! [Weihe mich, Herr!] Hole heim, verwandle meine ganze Natur zur christlichen, zu Deiner Priesterpersönlichkeit! Christus, mein Heiland und Erretter! Dein eigen will ich sein.
Um 11.30 Uhr sind wir alle außer Paula, die fürs Abitur schafft, in Goch bei den Tanten [Maria und Julchen]. […]. Das gemeinsame Mahl erfreut Herz und Gemüt; soviel Scherz und Freude und Lachen wie an diesem Nachmittag gab’s selten! Kurz – fast eineinhalb Stunden – am Nachmittag noch weg. Dann zusammen bis zum Abendtisch. O grande fez! [O große Freude!] Die Fröhlichkeit der Gotteskinder erfüllt das Haus! Nach 21.00 Uhr fahren wir wieder heim [nach Kleve].
Kleve, Freitag, 17. März 1939
In Goch. Viel Freud mit Tante Julchen und [Tante] Maria. Bei Paul [Dyckmans] in Gaesdonck. Abends 9.21 Uhr zurück [nach Kleve].
Vor Pfingsten 1939 wird bei Karl Leisner eine Lungentuberkulose diagnostiziert, die er im Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien auskurieren soll.
Samstag, 5. August 1939
Bernhard Wormland besucht Karl Leisner in St. Blasien. Gemeinsam schreiben sie eine Karte an Tante Maria Leisner in Goch:
Grüß Gott!
Ein Treffen auf hoher See [einem der Schwarzwaldseen]! Karl geht es immer besser. Am liebsten würden wir ihn mitnehmen, ins Tirolerland hinein. Wir erleben herrliche Tage. Ihnen und Ihrer Schwester [Julchen] herzliche Grüße Ihr B. Wormland
Ihr Lieben! Ganz toll, was man nicht alles für Besuch bekommt! War platt. Herzliche Schwarzwaldgrüße Euer Karl.
Am 9. November 1939 wird Karl Leisner verhaftet und kommt in das Gefängnis in Freiburg. Mangels Schreibuntensilien nutzt er die freien Seiten in seinem Brevier und im Missale für seine Tagebucheinträge.
Freiburg/Br., Freitag, 1. Dezember 1939 [Missale]
Herz-Jesu-Freitag – Sühne – bei herrlichem Sonnentag! Goch [die Tanten Maria und Julchen Leisner] schickt Butter und Speck.
Von Freiburg aus kommt Karl Leisner über das Gefängnis Mannheim am 16.3.1940 in Schutzhaft in das KZ Sachsenhausen und am 14. Dezember 1940 als Schutzhäftling in das KZ Dachau.
Um nicht auf jegliche Verbindung mit seinen Verwandten und Freunden zu verzichten, sucht er durch Grüße und Glückwünsche zu den Gedenktagen den Kontakt mit ihnen zu halten. In beinahe allen Briefen an daheim grüßt er die „Gocher“ Verwandten, hin und wieder schreibt er ihnen auch in einem Beibrief.
Sonntag, 11. August 1940
Karl Leisner aus Sachsenhausen, Block 17, an seine Familie in Kleve:
So oft denke ich an Euch und all unsre lieben Verwandten, Freunde und Mitbrüder, an die Kameraden der Front zumal. Alle, alle grüßt viel tausendmal! Besonders die lieben Gocher, W. [Weseler], D. [Dortmunder], N. [Neußer Verwandten]
Samstag, 25. Januar 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Familie in Kleve:
An die lieben Gocher [Tanten Julchen und Maria] besonderen Dank für die 10,00 RM und innige Grüße.
Samstag, 17. Mai 1941
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, an seine Tanten Julchen und Maria Leisner in Goch:
Meine lieben Gocher Tanten!
Wie freu’ ich mich jedesmal von Euch zu hören. Und vor allem, daß es mit unserer lieben kranken Tante Maria wieder tüchtig bergauf geht, so daß sie doch wohl bald wieder bis „Tön an den Berg“[1] hinaufkommt. Nur weiter so! Wir sind eine zähe Rasse, gel’ Ihr lieben Tanten. Vielleicht haben wir durch unser Leid so manches ins Rechte zu setzen; das zu denken, hilft über viel hinweg. Laßt Euch die goldene Lenzessonne aufs „Fell“ und ins Gemüt scheinen, dann wird’s bald wieder ganz gut, so daß wir uns alle in Gesundheit und Fröhlichkeit im schönen Garten bei Kuchen und Kaffee wiedersehen – bald. Feiert Vaters-Bruders-Namenstag gesund! Innigst!
Euer Karl
[1] Gaststätte in Pfalzdorf vor den Toren Gochs
Sonntag, 23. August 1942
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an Tante Maria Leisner in Goch:
Meine liebe Tante Maria!
Zu Deinem Namensfeste [am 12.9., dem Fest Mariä Namen,] Dir aus ganzer Seele Glück und Segen! Feiere den Tag in herzlicher Gemeinschaft mit Deiner lieben Schwester [Julchen] und allen Lieben in der Heimat! In lebendiger Erinnerung und Geistesgemeinschaft feiere ich den Tag mit. Grüß’ bitte auch alle Eure lieben Nachbarn und Deine [Lehrer-]Kolleginnen herzlich von mir! Mit welcher Freude würde ich den Tag in Eurer schönen Gartenlaube gerne mitfeiern, aber so geht’s auch – vielleicht ein wenig tiefer und inniger. Deiner großen heiligen Patronin halten wir uns allzeit befohlen. In Treuen, Dein Karl
Ende 1942 wird im KZ Dachau die Paketsperre aufgehoben und Karl Leisner wünscht sich von den Tanten Julchen und Maria Leisner aus Goch ein Obstpaket.
Samstag, 12. Dezember 1942
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an seine Familie in Kleve:
Liebe Eltern und Geschwister!
Der Nikolaustag [6.12.] war voll köstlicher Freuden. Das Paket der lieben Gocher Tanten [Maria und Julchen] war einfach prachtvoll. Das Herz lachte einem im Leibe. Diese kostbaren Früchte! Herzlichen Dank, ihr guten Tanten!
Samstag, 23. Januar 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Euer Prachtpaket vom 4.1. und das der lieben Gocher Tanten [Maria und Julchen] ließen mich aus dem freudigen Erstaunen nicht mehr rauskommen. Vergelt’s Gott! Aber daß Ihr mir selbst genug zu essen behaltet!
Samstag, 3. April 1943
Karl Leisner aus Dachau, Block 26/3, an seine Familie in Kleve/Goch:
Meine lieben Eltern und Geschwister, liebe drei Tanten [Julchen, Maria und Paula] in Goch!
Zunächst meinen herzlichen Dank für das herrliche Gocher Paket, das ich vorgestern erhielt. Welch köstliche, schöne Gaben! Dir, liebe Tante Paula, auch noch besonderen Dank für Deinen 20,00-Reichsmark-Gruß. Ist’s in Dortmund derzeit zu gefährlich? Einen kleinen Eindruck aus der Ferne von der Furchtbarkeit der feindlichen Fliegerangriffe erhielten wir hier beim letzten Angriff auf München.
Freitag, 4. Juni 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Auch den lieben Tanten [Maria und Julchen] in Goch Dank für ihr schönes Paket mit Krinteweck [Rosinenbrot] und Fischkonserven usw.
Samstag, 31. Juli 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Auch die feinen Pakete aus Goch, Frankfurt/M. [von Paula] und von Euch daheim habe ich mit Dank empfangen. […] Aus dem feinen Paket der lieben Gocher Tanten [Maria und Julchen] haben mir am meisten die frischen Eier aus der großelterlichen Hühnerzucht gefallen. Bisher sind übrigens alle Eier frisch und gut übergekommen, auch nicht eins kaputt.
Sonntag, 5. September 1943
Karl Leisner aus Dachau an seine Tante Maria Leisner in Goch:
Meine liebe Tante Maria!
Zu Deinem Namensfeste [am 12.9., dem Fest Mariä Namen,] wünsche ich Dir von Herzen Glück und Heil. Über Euere lieben Grüße und das feine Paket habe ich mich sehr gefreut, und danke ich Tante Julchen, Onkel Hans und Dir herzlich dafür. Gerade kam auch das schöne Eier- und Hustenbonbonpäckchen vom Besuch der Unseren [in Goch] an. Für alles Dank. Auch an Familie Bauer [Wilhelm] Schmitz – Pfalzdorf sowie Bernhard Wormland besten, persönlichen Dank. Euer aller Liebe beglückt mich immer wieder. Ich danke Gott alle Tage dafür. Die Liebe des göttlichen Herzens und die Seiner lieben Mutter durchströmt uns Tag für Tag. Und das ist alles. So wollen wir miteinander in rechter Fröhlichkeit den Namenstag Deiner großen Schutzherrin begehen, der wir alles anvertrauen. In treuem Gedenken Dein und Euer Karl
Samstag, 1. Januar 1944
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Es kamen an: Euere Pakete Nr. 1 und Nr. 3. Von [Familie Ludwig] Krekeler – Neuß, von Tante Paula – Dortmund, von Tanten [Maria und Julchen] – Goch, von Hannes Pollmann je ein Paket. Am meisten hat mich Willis Päckchen aus Berlin gefreut mit dem Ia Kaffee. Allen des Christkindes Dank und Segen. Auch Bernhard Wormlands Frontgruß im Gocher Paket erwidert dankbar.[1] Tante Julchen gute Genesungswünsche.
[1] Bernhard Wormland war als Kaplan von Goch aus zur Wehrmacht eingezogen worden.
Am 22. Januar 1944 stirbt die schon länger erkrankte Schwester von Vater Wilhelm Leisner, Juliane Leisner, und drei Tage später unerwartet seine Schwester Maria Leisner, die gemeinsam in seinem Elternhaus in Goch wohnten. Karl Leisner blickt dankbar zurück auf das Gute, das er durch sie erfahren hat.
Samstag, 19. Februar 1944
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Lieber Vater, meine Lieben alle!
Am Priestersamstag, den 4.2. [5.2.], erfuhr ich den Tod unserer beiden lieben Tanten Julchen und Maria, Deiner geliebten Schwestern, Vater. Zunächst hat’s mir schon etwas ans Herz gegriffen, aber dann hab’ ich den Rosenkranz für sie gebetet. Und im Gebet löst sich das Herz von den kleinen Gesichtspunkten der Erde und schwingt sich auf in freiem Flug zu den Höhen des Höchsten. Und da kam mir dieselbe Schau, die Dechant [Jakob] Brimmers so fein in Worte kleidete. Ist es nicht wunderbar so für die lieben beiden? Wir haben als Lebende doppelten Schmerz zu tragen, aber sie haben dafür doppelte Freude. Besonders fühle ich mit Dir, mein Vater; denn eines guten Bruders Herz hängt doch sehr an den Schwestern, zumal, wenn es so liebenswerte, prächtige Menschen sind wie unsere Tanten. Uns Kindern ist ein gut Stück Heimat mit ihrem Sterben verlorengegangen wie Dir und Mutter. Mit ihren Särgen ist irdische Heimat ins Erdengrab gesenkt, auf daß wir uns noch wesentlicher auf die himmlische ausrichten, – auf unseren Gott, den sie jetzt beginnen zu schauen (ich meine, so dürfen wir wohl annehmen). Denn reichlich hat Liebe und Leid die kleinmenschlichen Scharten des Lebens bei ihnen ausgewetzt. Sie waren beide reif, Gott zu schauen, heimzugehen zur ersehnten, endgültigen Heimat. Wie schön muß es dort erst sein, wenn es schon im gottgesegneten Gocher Heim[, Kleverstraße 167,] so schön und traut war! Welche Freude, welch’ selige Erinnerung wird sich zeitlebens in uns erneuern, wenn wir ihre Namen nennen! Gelebte Religion, gelebte Liebe zu Gott und dem Nächsten leuchtete ja in jedem Winkel ihres Lebensheimes auf. Deshalb fühlten wir uns ja auch so daheim und wohlgeborgen bei ihnen.
Impressionen zur Karl-Leisner-Straße
Text und Fotos Christa Bockholt