Große Prozession 2011
Ankündigung der Großen Prozession 2015
Foto Michael Bönte
Karl Leisner in seinem Tagebuch
Münster, Montag, 9. Juli 1934, Große Brandprozession
6.00 Uhr raus. Deutsches Morgengebet. Stille Messe. – Nach dem Kaffee Zimmer und Tisch aufgeräumt. – 8.05 am Dom. Alles fertig, – die Studentenverbindungen im „Dress“ und (CV en couleur [Farben tragend]). Domkapitel – Professorenschaft in feinster Tracht. Gegen 8.15 Uhr los! – [St.-]Aegidii-Kirche, wo der Bischof [Clemens August Graf von Galen] selbst den Segen gibt! – Überwasser – [St.] Martini – [St.] Lamberti – [St.] Servatii – [St.] Ludgeri – Dom. Große Beteiligung! – Jugend mit Bannern, Bischof in cappa magna[1]! – Großartig. Überall Altäre oder Altärchen, Fahnen, Baum- und Blumenpracht. – Im Dom Bannerwald der Jugend. (Sie stehen schon zwei Stunden da!) – Bischof zieht hinter dem vom Weihbischof [Johannes Scheifes] getragenen Sakrament in cappa magna ein – segnend. – Nachher Marsch der Banner zum bischöflichen Palaishof. Als der Bischof den Dom verläßt brausende Heilrufe – gewaltige, spontane Begeisterung: Volk, Jugend und Klerus sind eins! Der Bischof segnet, er ist gerührt! – Spontan klingt auf „Heil’gem Kampf sind wir geweiht!“[2] Aus tausenden Kehlen begeisterter Menschen! Wie ein Schwur. Der Bischof hört ergriffen zu. – Dann schallen wieder die Heilrufe über den weiten Platz. – Banner schwenken – Herzen schlagen hoch in Wogen stürmischer Begeisterung für unsern Bischof Clemens August. – Der Bischof geht ins Palais – die Menge singt „Fest soll mein Taufbund immer stehn!“ – wie Hammerschläge auf den Amboß der Zeit![3] Hier steht eine stahlharte Gemeinschaft, die Geschichte formt: katholisches deutsches Volk! – Der Bischof zeigt sich am Fenster oben links über dem Eingangsportal des Palais. Er segnet sein Volk. Rasende Heilrufe! – „Und wenn wir marschieren, dann leuchtet ein Licht, das Dunkel und Wolken strahlend durchbricht! – Du Volk aus der Tiefe, du Volk aus der Nacht – vergiß nicht das Feuer, bleib auf der Wacht!“ – O jubelndes Licht, o Freude, o rasende Ergriffenheit. Ein Moment ist es still. Nach dem Segen hatte der Bischof sich vor Rührung weinend zurückgezogen – selbst einige ergraute Malteserritter aus westfälischem Adel konnten die Tränen nicht mehr zurückhalten. – Sie weinten vor ergreifender Freude über dieses jubelnde Treuebekenntnis des westfälischen Volkes zu seinem Bischof! – Eine Spanne von 10 oder 20 Sekunden – Stille. Alles erwartet noch was: Da – ein Pfiff, ein Kommando: „Banner einrollen!“ – Jeden packt der ingrimmige Zorn! „Eine solche Jugend darf in Deutschland nicht mehr marschieren!“ – Aber wir marschieren geistig – wir sind stahlharte Gemeinschaft – junge, leidende Kirche, die singt, die leidend jubelt, die fanatisch um ihr Recht kämpft! – Die Banner sind eingerollt, da klingt’s „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.“ – Das Volk zerstreut sich, viele warten noch: Es ist zu schön! – Alle sagen „Mensch, das war ein Erlebnis, ein heilig flammendes Bekenntnis – uns kriegen sie nicht kaputt!“ Das war ein Fest – eine heilige Stunde geboren aus dem Bewußtsein: „Wir sind katholisches Volk – wir lassen ihn uns nicht rauben, den heiligen Väterglauben! Wir halten zusammen ob Leben ob Tod – uns zwingt nicht Schmach, Verbot und Not!“[4]
[1] cappa magna (lat.) = großer Mantel – vorne teilweise aufgeschlitzter langer Mantel mit Schleppe u. einem, im Winter mit Hermelin besetzten, Schulterteil aus roter Seide – Gewand eines Bischofs bei feierlichen Anlässen
[2] aus dem Lied „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“
[3] Bischof Clemens August Graf von Galen in seiner Predigt in der Überwasserkirche in Münster am 20.7.1941:
Hart werden! Fest bleiben! Wir sind in diesem Augenblick nicht Hammer, sondern Amboß. Andere, meist Fremde und Abtrünnige, hämmern auf uns, wollen mit Gewaltanwendung unser Volk, uns selbst, unsere Jugend, neu formen, aus der geraden Haltung zu Gott verbiegen. Wir sind Amboß und nicht Hammer! Aber seht einmal zu in der Schmiede! Fragt den Schmiedemeister und laßt es euch von ihm sagen: Was auf dem Amboß geschmiedet wird, erhält seine Form nicht nur vom Hammer, sondern auch vom Amboß. Der Amboß kann nicht und braucht auch nicht zurückzuschlagen, er muß nur fest, nur hart sein! Wenn er hinreichend zäh, fest, hart ist, dann hält meistens der Amboß länger als der Hammer. Wie heftig der Hammer auch zuschlägt, der Amboß steht in ruhiger Festigkeit da, und wird noch lange dazu dienen, das zu formen, was neu geschmiedet wird (Löffler, Peter: Bischof Clemens August Graf von Galen. Akten, Briefe und Predigten 1933–1946, 2 Bde., Paderborn 21996 Bd. II: 859).
[4] vermutlich von Karl Leisner verfaßt
Die Große Prozession in Münster am Montag, dem 8. Juli 1935, mit 20.000 Gläubigen hatte ca. 6.000 mehr als im Vorjahr.
Antwort des Bischofs auf die Große Prozession 1935
Hintergrundinformationen zur Großen Prozession
Der Ursprung der Großen Prozession liegt in einem Gelübde von Domkapitel und Stadtrat nach schweren Brand- und Pestkatastrophen im 14. Jahrhundert. Damals galten Krankheit und Unglück allgemein als Prüfungen und Heimsuchungen Gottes. Zu den schlimmsten Geißeln der Menschheit gehörten Pest und Brand. Bei seinem ersten Auftreten im Abendland um die Mitte des 14. Jahrhunderts erregte der „Schwarze Tod“, wie man die Pest nannte, großes Entsetzen. Die damalige Medizin stand der Seuche hilflos gegenüber. Allein in Münster soll sie 1382 innerhalb von 6 Monaten mehr als 8000 Tote gefordert haben. Als im darauffolgenden Jahr noch ein ungeheurer Brand einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche legte, gelobten Bürgerschaft und Geistlichkeit, eine jährliche allgemeine, pfarrübergreifende Buß- und Bittprozession.
Von da an zogen, wie aus dem Zweiten Domordinarius hervorgeht, alljährlich am Montag vor St. Margaretha (13. Juli im münsterschen Kalender) Bürgerschaft und Geistlichkeit mit dem Allerheiligsten zu den Hauptkirchen der Stadt. Dort wurde jeweils der sakramentale Segen erteilt und Gott angerufen, die Stadt vor Pest und Brand, Hunger und Krieg zu schützen. Welt- und Ordensklerus trugen Kerzen in den Händen und begleiteten das Allerheiligste in schwarzen Paramenten als Zeichen des Bußcharakters der Prozession.
Im Rahmen der religiösen Barockkultur des 17. Jahrhunderts verfügte Fürstbischof Christoph Bernhard v. Galen (1650 – 1678) die Umwandlung der schlichten Buß- und Bittprozession in eine triumphale Sakramentsprozession mit festlichen Paramenten, begleitet von Glockengeläut und Böllerschüssen, jedoch unter Beibehaltung der Buß- und Bittgebete in den Stationskirchen.
In der Zeit des Nationalsozialismus unter Bischof Clemens August Graf von Galen (1933 – 1946) gaben die Münsteraner mit außerordentlichen Teilnehmerzahlen in der Prozession ein überwältigendes Zeugnis ihres christlichen Glaubens.
In den 1960er Jahren stellte man Überlegungen an, die Form der Großen Prozession zu verändern; denn zahlreiche Teilnehmer konnten weder das Allerheiligste sehen noch den eucharistischen Segen empfangen. Die Eucharistie wurde gefeiert, während ein großer Teil der Prozession bereits auf dem Weg war. Hätte man sie im Anschluß gefeiert, dann hätte die Spitze der Prozession zwei Stunden warten müssen. Das Domkapitel und die Pfarrer der Stadt waren der Überzeugung, man müsse eine neue Form finden, bei der sowohl die eucharistische Verehrung als auch das Gelübde Berücksichtigung fänden. Daher faßte man den Beschluß, in den Pfarrkirchen der Stadt, gleichsam als Stationskirchen, den Wortgottesdienst zu feiern und dann in Prozession sternförmig zum Dom zu ziehen, um dort unter Teilnahme des Bischofs die Eucharistie zu feiern. Diese einschneidende liturgische Veränderung wurde am 9. November 1965 von der Heiligen Ritenkongregation in Rom genehmigt. Seit dem 1200jährigen Bestehens der Stadt 1993 findet die Große Prozession in der Regel am Sonntag vor dem 13.Juli statt.
Fotos aus alter und neuer Zeit von Markus Tüshaus