Artikel von Hans-Karl Seeger
Wie sich die Schicksale dieser beiden Menschen in den Jahren 1933 und 1934 ähneln. Beide haben damals Vergleichbares erlebt, bevor sie ihr Abitur und die Hochschulreife bekamen. Im Mai 1934 mit Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster zum Theologiestudium lernten sie sich kennen.
Hans Werners
1. Generation:
Eheleute Johannes Werners (Rektor) u. Josefine Werners, geb. Gertsschmidt
2. Generation:
2a. Dr. theol. h. c. Johannes (Hans) Werners (* 6.9.1914 in Recklinghausen, † 24.2.1995) – Abitur am Gymnasium Petrinum in Recklinghausen – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1934 – Außensemester 1936/1937 in Freiburg/Br. – Priesterweihe 23.9.1939 in Münster – nach der Weihe Vikar in Heuweiler bei Freiburg/Br. – Heeresdienst – russische Kriegsgefangenschaft bis 1949 – Studentenpfarrer an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1956–1975 – Akademikerseelsorger des Bistums Münster 1968 – Gründungsmitglied des Freckenhorster Kreises 1969 – Pfarrer in Münster-Angelmodde St. Agatha 1975–1989 – Ehrendoktor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1979 – Pfarrer em. in Münster-Nienberge St. Sebastian 1989 – wesentliche Beteiligung an der „Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ in Würzburg 1971–1975 – Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.
2b. Tochter – 1937 wohnhaft in Münster
Ihre Freisemester verlebten beide in Freiburg. Dort wohnte Karl Leisner bei Familie Ruby und Hans Werners bei Familie Fischer, wo sich auch Karl Leisner häufig aufhielt. Dr. med. Thomas Fischer schickte mir folgenden Artikel, den er beim Aufräumen gefunden hatte. Er stammt aus dem Buch
„Der Unterricht ging pünktlich weiter“: Zur Geschichte des Gymnasium Petrinum in Recklinghausen in der Zeit von 1933-1945
Klartext Verlag, 2016
ISBN-10 : 3837515877
ISBN-13 : 978-3837515879
Werners
Am 8. Juni 2021 stellte Dr. med. Thomas Fischer den Artikel von Hans Werners zur Verfügung.
Die Jahre 1933 bis 1934 bei Hans Werners und Karl Leisner
Hans Werners im Gymnasium Petrinum in Recklinghausen und Karl Leisner im Staatlichen Gymnasium in Kleve erlebten in den letzten Jahren ihrer Schulzeit 1933 und 1934 vor dem Abitur und der Hochschulreife Ähnliches in bezug auf den Nationalsozialismus. Nachfolgend einige Beispiele.
Hans Werners:
Der einzige, der sich gezielt politisch in der Öffentlichkeit profiliert hatte, war wohl der damalige Direktor, der seit einigen Jahren Vorsitzender der Zentrumspartei in Recklinghausen bis zu ihrer Auflösung war; aber das drückte sich in seinem Unterricht in keiner Weise aus. […] Der Direktor selber war in seiner Stellung gefährdet (wenige Monate nach unserem Abitur wurde er seiner Stellung enthoben und ins Sauerland versetzt).
Karl Leisner:
Prof. Dr. Karl Hofacker, genannt Zeus, (* 6.10.1877 in Straelen, † 23.7.1959) – Heirat 24.8.1910 – Lehrer für alte Sprachen u. Geschichte – Oberstudiendirektor u. Leiter des Gymnasiums in Kleve 1930–1934 – Entlassung durch die Nationalsozialisten 1.7.1934 – sechs Monate später Zwangspensionierung – Obwohl er zu Karl Leisners Abitur als Direktor bereits abgesetzt war, bat ihn die gesamte Klasse zu einem Abiturfoto (untere Reihe 3. v. l.).
Hans Werners:
Soweit ich mich erinnere, waren höchstens zwei Schüler in unserer Klasse (es gab noch eine Parallelklasse, in der die Situation ähnlich war) nationalistisch orientiert, etwa im Sinne der Stahlhelm-Idee und der deutschnationalen Volkspartei.
Karl Leisner:
Reinshagen, Sonntag, 14. Januar 1934, 3. Tag [Tgb. 12, 4f.]
Die Führer der HJ Kleve [zwei Schüler aus Karl Leisners Klasse] stehn schon um 5.15 Uhr auf, um zeitig zum Führertreffen der HJ in Düsseldorf zu gelangen.
Klaus Riße aus Kleve am 8. November 1996 an Heinz Junge in Dortmund:
Zu Karl Leisners neusprachlicher Parallelklasse gehörte außer zwei jungen Nazis, die wesentlich auch für die Bücherverbrennung [am 18.5.1933] auf dem Schulhof verantwortlich sind, auch der Kommunist Hans Gerats, der als Unterprimaner nach dem Reichstagsbrand untertauchen mußte, nachdem er einen heimlichen Hinweis bekommen hatte, daß er von den Nazis verhaftet werden sollte.
Vater Wilhelm Leisner nach 1945 in einem Vortrag bei Jung-KKVlern:
Anfang Mai 1933 wurden auf dem Schulhof des Gymnasiums unter Führung eines Primaners alle Bücher verbrannt, die nicht mehr zum Dritten Reich paßten. Mit erhobenem Arm stand sogar der katholische Religionslehrer [Bernhard Peters] dabei.[1] Nur fünf Unterprimaner [Oberprimaner] – darunter mein Sohn Karl – hoben den Arm nicht, und wenn ich mich nicht irre, auch Dr. [Heinrich] Schönzeler [Lehrer von Karl Leisner] nicht.
[1] Hermann Ringsdorff [Klassenkamerad von Karl Leisner] hat über die Vorladung der Schüler mit Dr. Bernhard Peters [Priester und Religionslehrer von Karl Leisner] gesprochen. Dieser sagte ihm, er habe vom Bischof von Münster [Clemens August Graf von Galen] die Anweisung bekommen sich zurückzuhalten, um an der Schule bleiben zu können, daher habe er die Schüler nicht in Schutz genommen.
Zwischen dem 5.1.1933 und dem 28.10.1933 hatte das Bistum Münster allerdings keinen Bischof.
Hans Werners:
Es erhob sich die bange Frage: Wird Hitler die radikalen Aussagen in seinen Reden und in seinem Buch „Mein Kampf“ realisieren, oder wird er sich einfügen in das vorgegebene politische Muster?
Karl Leisner:
Bereits 1933 beschäftigte sich Karl Leisner mit dem „Kampfbuch“. Er schrieb am 18. Oktober 1933 an Walter Vinnenberg:
Lieber Walter!
[…]
In der Schule lesen wir Hitlers „Mein Kampf“[1], das mir – abgesehen von einigen komischen Sachen – gut gefällt. Aber, was läßt sich davon durchführen? Und nachher kann man gut über die Fehler anderer als „geistig überlegener“ schimpfen. Wenn heute alles nach dem Buch ging, dann wär’s wenigstens erträglich. (Den zweiten Teil hab’ ich allerdings noch nicht gelesen.) – Was hältst Du übrigens von der ganzen außenpolitischen Sachlage? Wie meinst Du, soll man den Stimmzettel [zur Reichstagswahl am 12.11.1933 ignorieren] oder muß man ihn ankreiden? – Ich will doch mal Jacques [Gilbert], von dem ich gerade einen feinen Brief und – meinen verbessert zurück – bekam, fragen, was das Ausland und er davon hält.[2] Der Jacques ist ein Prachtkerl; das tut mir verflixt nicht leid, daß wir den mitgenommen oder besser – daß er mit uns gekommen ist.
[1] Hitler, Adolf: Mein Kampf. München Bd. I. 1925, Bd. II. 1927. 1933 war die 45. Auflage erschienen. Der Jungführer 1934: 225 brachte Lesehilfen: Hitlers Mein Kampf und das Christentum.
Hermann Ringsdorff an Hans-Karl Seeger:
Wir haben „Mein Kampf“ nicht in der Schule gelesen. Karl Leisner hat das für sich getan, um in der Schule gerüstet zu sein. Das paßt zu seiner Art.
[2] Jacques Gilbert war ein belgischer Freund von Karl Leisner. Auf Einladung von Walter Vinnenberg nahm er an der Baltrumfahrt 1933 teil. Drei Tage verbrachte er während der Flandernfahrt 1935 mit der Gruppe und führte sie durch Brüssel.
Auf einem undatierten Zettel hat Karl Leisner notiert:
Zu lesen: Geschichte!
Adolf Hitler, Mein Kampf.
Aktennotiz vom 25.2.1959 von Heinrich Tenhumberg in Münster für Josef Brink in Münster:
Lieber Josef!
Soeben schreibt mir Heinrich Enneking: „[…] Gestern haben wir unsern guten Pastor [Joseph Grote] von Rüschendorf [bei Damme] zu Grabe getragen. Ich mußte noch an seine Marienpredigt denken, die er vor vielen Jahren aus Hitler: Mein Kampf gehalten, wobei Karl Leisner noch herzlich gelacht hat. Die können oben jetzt ihre Gespräche fortsetzen.“
Elisabeth Haas, geb. Leisner, aus Kleve am 7.1.2010 an Hans-Karl Seeger:
Als Hitler in Deutschland an die Macht gekommen war, führten Vater, Tante Maria – seine Schwester – und Karl viele intensive Gespräche miteinander, wie sie sich zum Nationalsozialismus verhalten sollten.
Da Karl Hitlers Buch „Mein Kampf“ gelesen und sich mit [Karl] Marx und [Wladimir Iljitsch] Lenin auseinandergesetzt hatte, konnte er Vater und dessen Schwester ganz eindeutig Richtung weisen.
Tagebuch:
Münster, Samstag, 23. Juni 1934
Vormittags: Vigilmesse: Buße und Vorfreude. Sine C. [ohne Kommunion] – Von 8.00 bis 10.00 Uhr Exerzieren mit Reibereien übler Art (Nationalsozialismus – Katholizismus). Einige von uns hatten sich auch wirklich dämlich benommen.
Um 11.00 Uhr erste Fachschaftssitzung. Stürmisch! Professor [Anton] Baumstark wird scharrend empfangen. – Der „Führer“ ein oberschlesischer Theologe: Schmollertz verteidigt ihn. Professor [Joseph] Schmidlin meint, er sei damit gemeint und ruft: Ich melde mich zur Geschäftsordnung. Klatschen, Trampeln, Bravorufe – Auflösung der Versammlung! – Mißverständnis! – Erneute Eröffnung! – Dann beginnt Professor [Franz] Täschner, der Gauführer der AKD (Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher). Er geißelt die Verbindung Zentrum – SPD und lobpreist das Dritte Reich und seine grundsätzlich gute Einstellung zum Katholizismus. Etwas Wahres ist ja dran, was er mit dem Satze „gratia supponit naturam“ [die Gnade setzt die Natur voraus] ausdeutet. Auch das heikle Thema Weltanschauung und Glaube tut er mit professoralen Theorien ab, die wohl wahr sein könnten, es aber praktisch heute nicht sind! – Wer das Gedankengut des NS kennenlernen wolle, solle Hitlers Werk [Mein Kampf] und Reden studieren. Er allein sei maßgebend – (Schmidlin ruft dazwischen: und [Alfred] Rosenberg! – Beifall!)[2]. – Zum Schluß spricht dann Professor [Egon] Schneider und meistert als Jurist ganz glänzend die Lage. – Schmollertz’ Einladungen bemäkelt er vortrefflich und stellt das anfängliche Mißverständnis klar und – als Schm. [Schmollertz oder Schmidlin] aufsteht, um das Schlußwort zu sprechen, sagt er: Im Auftrag des Herrn Schm. darf ich also hiermit die Versammlung schließen. Prächtig! Beifall!
Hans Werners:
Der „Deutsche Gruß“ wurde verpflichtend eingeführt, Lehrer und Schüler haben sich ihm nicht verweigert.
Karl Leisner:
Kleve, Dienstag, 2. Mai 1933 [Tgb. 8, 1f.]
Tag des Schulbeginns![1] 8.00 Uhr Hitlergeburtstagsnachfeier.[2] Loyale, gute Rede von „Zeus“ [Dr. Karl Hofacker]. Beispiel an Hitlers Willenskraft, Arbeitswillen etc. Nur ärgerte mich, daß dieser alte Bierphilister [Spießbürger] so hitlerranerisch sprach. Beim Horst-Wessel-Lied [Die Fahne hoch] alles die „Flossen“ hoch [zum Hitlergruß]. Vom Chor nur Jupp [Gerlings], Hermann [Mies] und ich nicht! „Die Hände hoch!“ beim Deutschlandlied finde ich direkt geschmacklos. Als ob denn D. [Deutscher] gleich Nazi wäre! Nein!
[1] Es ist nicht klar, was mit „Schulbeginn“ gemeint ist. Die Osterferien waren bereits am 21.4. zu Ende.
[2] Adolf Hitlers Geburtstag am 20.4. fiel 1933 in die Osterferien.
Hans-Werners:
Durch eine sogenannte „Hochschulreife“ wollte man den Zugang zum Studium drosseln. Nach dem Abitur warteten wir bis wenige Tage vor Beginn des Sommersemesters 1934 auf die Mitteilung, ob wir die Hochschulreife, die von einer Instanz in Münster ausgesprochen wurde, erhielten. […] Ich konnte mein Studium trotzdem beginnen, weil der damalige Bischof Clemens August von Galen Abiturienten auch ohne Hochschulreife ins Collegium Borromäum aufnahm, während der andere Schüler sein Studium im Germanicum in Rom begann. Eine gesonderte Erteilung der Hochschulreife hat nur 1934 stattgefunden.
Karl Leisner:
[Kladde: 15f.]
Bis zum 24.3.1934
Herrn Direktor Dr. [Robert] Melcher, Münster, Collegium Borromaeum, Domplatz 8/9.
Auch Abiturienten ohne Hochschulreifezeugnis.
Jeder Bewerber muß daher, sobald ihm die Entscheidung über seine Zulassung zum Universitätsstudium zugestellt wird, unverzüglich zu seinen schon eingereichten Papieren auch noch diese Entscheidung einreichen in Original oder beglaubigter Abschrift.
[Tgb. 16, 4]
Ja und dann ging’s zur Uni [Westfälischen Wilhelms-Universität] nach Münster. Zunächst war Absage vom Collegium Borromaeum gekommen. Ich hatte mich schon für den Arbeitsdienst gemeldet, war untersucht und bereit, übermorgen ins Lager Friedrichsfeld abzureisen[2], da kommt von Münster der bischöfliche Bescheid, sofort kommen, wenn Hochschulreife erhalten – und schon war ich stud. theol. Zu Beginn, am Start zum großen Lebensziel, das ich mir in manch harter, banger, stiller und ernster Stunde mit meinem Heiland allein – langsam und still keimend und wachsend vom Wunsch zur Tat – vorgenommen habe. Und es kam noch so viel Leben, Wachsen, Fallen und Wiederaufstehn, soviel Freude und Wonne, soviel Sonne und Licht – ach, ich bin ganz übervoll davon – ich kann Ihm, dem Allgütigen nur sagen: Dank Dir und Preis für all Deine gütige Führung und Schenkung.
Münster, Dienstag, 12. Juni 1934
[Tgb. 13, 57f.]
Heute früh zum Sekretariat [der Universität am Rosenhof]. Dort festgestellt, daß mein Hochschulreifezeugnis noch nicht da [ist] (am 8.6.[1934] schon war’s beantragt![2]). – Ich hoffe, daß keine „Hinterlist“ von irgendeiner Seite [da]hintersteckt!
[Tgb. 13, 63]
Brief:
Der Oberpräsident der Rheinprovinz Koblenz, den 14. Juni 1934
– Abtlg. höh. Schulwesen –
I Nr. 8410
Auf Ihre Eingabe vom 12. ds. Mts.
Über die Zuerkennung der Hochschulreife steht für Sie noch die Entscheidung des Herrn Ministers aus.
Im Auftrage
gez. Dr. Langenhorst
Beglaubigt: Henkel
Reg.-Kzl.-Assistent
An Herrn Karl Leisner
[Tgb. 13, 89]
Ein „geschichtliches Dokument“.
War die „Geit“ [Wilhelm Verleger] mit im „Spiel“?
Nette Sache! – Na, denk’ ich, der Herrgott hat bis jetzt geholfen. Er hilft auch weiter! Ich bete auf der Kapelle. Nach der feinen Choralstunde bei D. [Domvikar Hubert] Leiwering über die Entstehung des Chorals und des Notensystems gehe ich zum Herrn Direktor [Franz Schmäing] in hac causa [bezüglich der Zuerkennung der Hochschulreife]. – „Na – ich bliebe jedenfalls aufgenommen und bekäme die Aufnahme durch den Bischof, falls es nicht anders sei.“ „Gott, erbarme Dich derer, die mir Übles wollen!“ Abends bei Jupp Ratte „Katholische Korrespondenz“ studiert!
* * * *
Hans Werners
Außensemester/Freisemester im Hause Fischer:
Witwe Fischer lebte mit ihren 4 Kindern in Freiburg/Br., Emil Göttstr. 7. Ihre Kinder waren oft bei Familie Joseph Ruby zum Spielen und Schulaufgaben machen. Ein Sohn von Familie Fischer, Willi, wollte Priester werden und war als Student in Knechtsteden bei den Steyler Missionaren. Frau Fischer trat, als ihre Kinder erwachsen waren, in einen Orden ein. Auch Karl Leisners Kursgenossen Hans Werners und Wilhelm Jansen wohnten als Studenten bei Familie Fischer, ebenso Josef Vienenkötter.
Freckenhorster Kreis
Gründung unter maßgeblicher Beteiligung von Johannes Werners in Freckenhorst (Kreis Warendorf) April 1969 – zwecks theologischer Profilstärkung gegenüber dem Bistum Münster u. dem Vatikan zunächst nur Mitarbeit für Priester – Öffnung des Kreises für Laien 1975 – seitdem neben aktuellen Projekten u. a. in Brasilien, Nepal u. der Ukraine unermüdlicher Einsatz für Modernisierung u. Demokratisierung in der Katholischen Kirche
* * * * *
Erwähnung von Hans Werners im erhaltenen schriftlichen Nachlaß von Karl Leisner
Georgsdorf (im Arbeitsdienst), Sonntag, 20. Juni 1937 [Tgb. 21, 56f.]
[…]
Lesen ([Michael] Pfliegler [„Vor der Entscheidung“]) und Englisch. Noch Brief an Hans Werners. – Ruhig um 21.45 Uhr in die Falle nach schönem Spaziergang.
Münster, Montag, 8. November 1937 [Tgb. 22, 27]
Gestern [8.11.1937] feines Coll. [colloquium] mit Hans W. de fam. [familia] R. [Gespräch mit Hans Werners über Familie Joseph Ruby] – Sehr tiefer Blick: Das innere Familienleben fehlt! – Und doch außergewöhnliche prachtvolle Menschen!
Münster, Montag, 6. Dezember 1937 [Tgb. 22, 61–63]
Gestern zweimal Nikolaus gespielt. In der Familie, wo die Schwester von Hans Werners wohnt. (Behütgott[1]). Brille beschlug unter der Maske. Verwirrt. So den Werner (15½ [Jahre]) etwas in der Verwirrung nicht feinfühlig genug angepackt. – Sonst wurde es denn. Nachher kurz mit Hans und seiner Schwester oben gesessen und geplaudert, sowie „e wäng“ [ein wenig] Nikolaussachen geknabbert. War nett.
[1] vermutlich der Name des Hauses der erwähnten Familie
Karl Leisner aus Münster am 12. Februar 1938 an Bernhard Ruby in Backnang:
Lieber Bernhard!
[…]
Von Hans Werners soll ich Dir bestellen (er sagte das ein klein wenig ärgerlich): er habe Deine Exmatrikel hier nach mancherlei Müh’ erledigt.[5] – Ich rücke den Kerlen gleich noch auf den Bau. Jeder soll Dir seinen eigenhändigen Wilhelm drunter setzen.[6]
Dein Karl
Viel Gutes und Kraft bis zum Ende
Hans W. [Werners]
Wir sind hier fast bei lebendigem Leib begraben. Wie bist Du zu beneiden!
[5] Laut Bernhard Rubys jüngster Schwester Maria Becker-Flügel war ihr Bruder zwei Semester in Münster, und zwar im Sommersemester 1937 und Wintersemester 1937/1938. Da währenddessen seine Zeit im RAD begann, war er vermutlich im Wintersemester 1937/1938 noch nicht exmatrikuliert.
[6] „Seinen Friedrich Wilhelm unter etwas setzen“ bedeutet etwas persönlich unterschreiben.
Die Redensart wird vor allem dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) zugeschrieben. Im Gegensatz zu anderen Regenten, die meist mit ihren zum Teil künstlerisch gestalteten Initialen unterzeichneten, schrieb er seinen Namen vollständig und sehr leserlich aus.
Vom 17. bis 19. Jh. gab es im deutschsprachigen Raum zahlreiche Regenten mit dem Namen Friedrich Wilhelm. Während die Untertanen nur selten lesen oder schreiben konnten, entwickelte sich die Unterzeichnung von Urkunden und Verträgen mit diesem Namenszug zum Synonym für das Wort Unterschrift.
Münster, Montag, 18. April 1938, Ostermontag [Tgb. 23, 54–58]
Eine feine Unterhaltung nach Tisch noch mit Sepp Kreuzer (Freiburger ND-Theologe), Hans W. [Werners], Hans Vossel- [Vosselmann] und Heini Thbg. über die Situation der Kirche, Liturgie, Wortverkündigung, Gemeindebildung, Aufnehmen der uralten Tradition, Übertragen in deutsches Form- und Sprachgewand. – Ich spüre mein mangelhaftes Wissen in all den Dingen.
Donnerstag, 17. November 1938
Karl Leisner aus Münster (Priesterseminar) an Elisabeth Ruby in Freiburg/ Br.:
PS Von Hans Werners, Willi Fasbender und den anderen soll ich herzlich glückwünschen und grüßen. Wann feiert Gertrud [Ruby] eigentlich, im November oder März?[1]
[1] Am 17.11. wird die hl. Gertrud von Helfta und am 17.3. die hl. Gertrud von Nivelles gefeiert.
Münster, Donnerstag, 5. Januar 1939
[Tgb. 28, 7]
Geduld erreicht alles!
15.00 Uhr Ceroferar mit Hans Werners in der Pontifikalvesper.[1]
[Tgb. 26, 34]
Gottes Hochzeitsfest mit der Erde: Christus als Göttlicher Bräutigam Seiner Kirche.
In der ersten Vesper [zum Fest der Erscheinung des Herrn] diene ich mit Hans Werners am Altar als Wachsträger (Ceroferarius). Der Hochwürdigste Herr Weihbischof [Heinrich Roleff] feiert sie, der Hochwürdigste Herr Bischof [Clemens August Graf von Galen] assistiert.[2] – Es ist „Generalprobe“ für morgen. Manches geht daneben.
Ruhe, Würde, Schwung im Schreiten und Tun und echte ungekünstelte Natürlichkeit, Schlichtheit, Demut und Ehrfurcht gehn dir noch ab beim heiligen Dienst.
Zugleich selbstverständlicher und ehrfürchtiger: das ist wahrer Dienst!
[1] Kerzenträger in der ersten Vesper zum Fest der Erscheinung des Herrn am 6.1.
[2] s. Glossar: Pontifikalassistenz
Karl Leisner als Tbc-Kranker
Hans Werners:
Wegen der Ansteckungsgefahr musste der ganze Flur [im Priesterseminar in Münster], in dem er [Karl Leisner] gewohnt hatte, desinfiziert werden.[1]
[1] Seligsprechungsprozeß: 781
Freiburg/Br., Freitag, 1. Dezember 1939 im Freiburger Gefängnis [Missale]
[…]
WH fr. j. [? Hans Werners fragt jetzt] nach.[1]
[1] Hans Werners aus Münster am 1.12.1976 an Heinrich Kleinen in Uedem:
Es stimmt, daß ich damals in Freiburg/Br. war, als Karl Leisner angezeigt wurde und ins Gefängnis nach Freiburg kam. Ich war ja damals als Vikar in der Nähe von Freiburg [in Heuweiler] tätig. Ich bin zum Gefängnis gegangen, um dort Karl Leisner aufsuchen zu können, wurde aber nicht vorgelassen, und habe dann ein Gespräch mit dem damaligen Gefängnispfarrer geführt, Pfarrer Fleischer [Richard Trudpert Gutfleisch]. Der konnte mir aber auch keinen Zutritt vermitteln. Ich habe in dem Gespräch dort kaum etwas über den Zustand und die Situation von Karl Leisner erfahren.