„Christus – Du bist meine Leidenschaft – Heil!“, so endet ein Gebet, zu dem Karl Leisner am 2. September 1935 einen Nachtrag zum Eintrag vom 1. Mai 1934 in sein 9. Tagebuch machte.
73 Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus leben nicht mehr viele Menschen, die sich gegen den Gruß „Heil Hitler!“, den Deutschen Gruß, gewehrt und ihn verweigert oder ihn voll Hoffnung und Vertrauen ausgesprochen haben.
Nur wenige Menschen erkannten in den 1930er Jahren, daß hier ein Gruß mißbraucht wurde. Aufzeichnungen von Karl Leisner, vor allem vor 1933, lassen, wie zum Beispiel obiges Zitat belegt, keinen Zweifel daran, in welchem Zusammenhang das Wort „Heil“ zuvor gebraucht wurde. Neben der großen religiösen Dimension, die in dem Satz zum Ausdruck kommt, verweist er auf einen jugendbewegten Hintergrund. Die Wurzeln gehen bis zum alttestamentlichen Denken und Glauben zurück.
Im Hebräischen bedeutet ישע „jescha“ Hilfe, Rettung, Heil, Glück und bezieht sich auf das eschatologische Handeln Gottes.
Im Griechischen entspricht dem hebräischen „jescha“ der Begriff „σωτηρία soteria“. So übersetzt ihn auch die Septuaginta.
Auch das griechische Wort „ολος holos“ ganz, ungeteilt gehört in diesen Zusammenhang; denn heil ist nur der Mensch, der auch ganz und ungeteilt ist.
Im Lateinischen gibt es den Begriff „salus“ für Wohl, Heil. Die Vulgata übersetzt damit sowohl „σωτηρία“ als auch „jescha“. Neben Heil, Wohl und Glück sind auch Gesundheit, Wohlbefinden und Rettung gemeint. Der römische Staatsmann Cicero (106-43 v.Chr.G.) formulierte für die Herrschenden den Grundsatz: „Salus publica suprema lex esto – Das Gemeinwohl soll das oberste Gesetz sein.“ Dementsprechend heißt der Leitspruch für die Ärzte: „Salus aegroti suprema lex esto“ – Das Heil des Kranken soll das oberste Gesetz sein.“
Bischof Johannes Poggenburg (1862-1933) von Münster, den Karl Leisner sehr verehrte, entschied sich für den Wahlspruch“ „Crux Christi nostra salus – Das Kreuz Christi ist unser Heil!“ Eine weitere Übersetzung für das lateinische Substantiv „salus“ lautet „Gruß“ von „salutare = grüßen“ im Sinne von „jemandem Heil wünschen“. So findet es sich auch heute noch im französichen Gruß „salut“ und im spanischen Wunsch „salud“.
Wenn heute der Leitspruch der Jesuiten „(Omnia) Ad maiorem dei gloriam – (O.)A.M.D.G. – Alles zur größeren Ehre Gottes“ – ergänzt durch „inque hominum salutem – in dem das Heil der Menschen ruht“ – übersetzt werden soll, zögern viele, den Begriff „salutem“ mit „Heil“ wiederzugeben, sei es, weil das Wort seit der Zeit des Nationalsozialismus negativ besetzt ist, sei es, weil es vielleicht bereits an die Ewigkeit und damit den Tod denken läßt. Sie begnügen sich mit der Übersetzung „Wohlsein, Wohlfahrt, Wohlstand“ oder bei der Übersetzung ins Englische mit „well-being“.
Im Englischen gibt es unter anderen folgende Begriffe im Sinne von „heil“: hale = frisch, gesund; whole = ganz, ungeteilt, vollkommen; holy = ganz, ungeteilt, heilig.
Aus dem Mittelhochdeutschen kennen wir saelde = Gesundheit, Rettung, Heil, irdisches Glück durch die Gunst des Himmels und saelec = wohlgeartet, gut, gesegnet, glücklich.
Heilung und Heilsein beinhaltet Ganzheit. Heil bringt den positiven Sinn des Christusgeschehens zur Geltung. Während der Begriff „Erlösung“ zum theologischen Fachbegriff geworden ist, geschah dies mit dem Begriff „Heil“ nicht. Jegliche Religion kreist um das Heil, weil Leben und Heil für den Menschen nie identisch sind. In den Religionen mit einer personalen Gottesvorstellung verhilft der Heiland zum Heil; denn es läßt sich durch keine menschliche Aktivität, sondern nur durch Gottes Heilshandeln erreichen. Heil im eigentlichen Sinn ist Tat Gottes. Überall, wo Christus herrscht, ist Heil. Die Adveniataktion 1995 stand unter dem Leitwort: „Allen Menschen Gottes Heil.“ Erläutert wurde die Aktion mit folgenden Worten: „Das heutige Wort ‚Heil’ meint mehr als gesund. Wo alles Entfremdete, Vorläufige, Fragmentarische überwunden ist und der Mensch seinen unendlichen Drang nach Glück, Leben und Freude ganz verwirklicht, wenn er ganz bei sich ist und mit sich übereinstimmt im Hinblick auf seine persönlichen Wünsche, seine mitmenschlichen Beziehungen und sein Verlangen nach einer Welt, die ‚Heimat’ für ihn ist, dann hat er sein Heil gefunden.“
Heilung bedeutet, einen gestörten oder geteilten Zustand wieder in Ordnung zu bringen, wieder heil zu machen. Das ist vor allem eine innere, seelische Angelegenheit, die sich dann von selbst auf den Körper auswirkt. Innere Heilung als Bekehrung und Versöhnung stehen an erster Stelle. Das ist eine gute Voraussetzung für eine physische Heilung.
Unser deutscher Begriff Ganzheit ist nicht mehr abzuleiten, er läßt sich am ehesten mit Heil vergleichen. Unser Körper kann gesund geworden sein, was aber nicht heißt, daß wir heil sind. So sind von den zehn Aussätzigen im Evangelium (Lk 17,11-19) alle zehn gesund geworden, aber nur der Mann aus Samarien ist heil geworden.
Unsere Vorstellung von Gesundheit weitet sich heute aus. Für Gesundheit sind Wohlbefinden in der Umwelt, körperliches Wohlbefinden, soziales Wohlbefinden, emotionales Wohlbefinden und religiöses Wohlbefinden von Bedeutung. Für die 1948 gegründete WHO (World Health Organization – Weltgesundheitsorganisation) bedeutet Gesundheit den Zustand völligen körperlichen, geistig-seelischen und sozialen Wohlbefindens (state of complete physical, mental and social well-being). Gesundheit ist nicht so sehr die Abwesenheit von Störungen als vielmehr die Kraft, mit ihnen zu leben. Im Krankheitsfall geht es nicht nur um Gesundung, sondern um Individuation und Selbstwerdung, um die Herstellung einer Sinnfindung, die ihrerseits einen im Grunde des Krankseins liegenden Sinnverlust aufhebt. Jeder Krankheitsprozeß ist selbst immer auch ein Stück weit Heilungsprozeß. Ein gewisses Maß an auch einmal „Krank-sein-können“ beziehungsweise „Krank-sein-dürfen“ gehört zur Gesundheit. Heilung hat nichts mit Reparaturmentalität zu tun. Hospitäler sind Orte menschlicher Annahme. Sie sollen helfen, die innere Heilkraft im Menschen zu mobilisieren, die Gott jedem Menschen mitgegeben hat. Sie ist der erste und inwendige Arzt.
Im aufgezeigten Zusammenhang ist auch die Grußformel „Heil Dir! Heil!“ zu betrachten. Sie ist seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich. Im „Kaiserliederbuch“ findet sich das Lied „Heil dir im Siegerkranz“ (Text: Heinrich Harries 1790, Melodie: B.G. Schumacher 1793). Das Lied endet in der 5. Strophe mit „Heil, Kaiser, dir!“
Dr. Christoph Kösters (* 1961) aus Bonn hat dieses Thema in seiner in Paderborn im Schöningh-Verlag 1995 unter dem Titel „Katholische Verbände und moderne Gesellschaft, Organisationsgeschichte und Vereinskultur im Bistum Münster 1918-1945“ erschienenen Dissertation behandelt und für die Lebens-Chronik zu Karl Leisner Hinweise zu diesem Thema gegeben. Hilfreich waren auch die Hinweise von Bernd Börger (* 1938) aus dem Jugendhaus Düsseldorf, der in Bezug auf das Wort „Heil“ damalige Führungszeitschriften der katholischen Jugend und die Reden von Prälat Ludwig Wolker[1] durchgesehen hat.
Die im 19. Jahrhundert entstehende Turnerbewegung benutzte den Gruß „Gut Heil“. Vermutlich fand der Heil-Gruß über die fortschrittlichen Kerngruppen der katholischen Jugendbewegung Eingang in breitere Kreise der katholischen Jugend. Dazu trug in besonderem Maße auch Ludwig Wolker bei.
In der Aprilausgabe 1929 der „Jugendwacht, Zeitschrift katholischer Jugend“ steht ein Artikel mit dem Titel „Heil euch!“ über den Vergleich der Jugend mit dem Frühling. Der Text endet mit dem Satz „Darum unserem Bund der Papstgarden Wort: Tapfer und Treu!“
Vom 18. bis 22. Juni 1931 fand in Trier die VI. Reichstagung des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschland statt, deren Höhepunkt die „Apostelweihe“ in den Abendstunden des 20. Juni am Grab des heiligen Matthias war. In jenem Jahr wurde die alte, an der Losung der Papstgarden orientierte Grußformel „Tapfer und Treu“ abgelöst und als Grußruf bei Aufmärschen und Kundgebungen wie in Versammlungen „Treu Heil“ im Grundgesetz des Katholischen Jungmännerverbandes festgeschrieben. Verbunden war der Treu-Heil-Gruß mit der erhobenen Schwurhand. Als Gegengruß zum sogenannten Deutschen Gruß wurde er ein entschiedenes katholisches Bekenntniszeichen bei Wallfahrten und Kundgebungen katholischer Jugendlicher.
Der Generalpräses[2] des Katholischen Jungmännerverbandes, Ludwig Wolker, ermunterte in einem Grußwort immer wieder dazu, den Gruß „Treu Heil!“ beziehungsweise „Es lebe Deutschland! Heil!“ am Ende einer Versammlung zu rufen. Der Reichsobmann[3] des Katholischen Jungmännerverbandes, Albert Steiner[4], begann sein Grußwort mit den Worten „Gruß und Heil diesem Tag!“
Eine Schallplattenansprache von Ludwig Wolker aus dem Jahr 1934 endet mit den Worten: „Alles für Deutschland, Deutschland für Christus, Heil!“
„Die Wacht, Zeitschrift katholischer Jungmänner“ vom Mai 1929 berichtet unter der Überschrift „Heil euch, ihr Brüder im Jugendreich“, wie sich die Mädchen die Jungen wünschen.
Im Jahrgang 1930 „Jugendführung, Werkblatt für Jungführer“ erschien ein Artikel unter der Überschrift „Heil unseren Präfekten!“ Die Ausführungen über die Aufgaben eines Präfekten in der Jugendarbeit beginnen mit den Zeilen: „Als wir bei der Reichsführerschaft in Altenberg den Namen Präfekt als einheitliche Amtsbezeichnung für unsere Vereinsvorstände, -leiter, -senioren usw. ausgerufen haben, da erscholl ein kräftiges ‚Heil den Präfekten!’ durch den Saal…“
1932 berichtet „Die Wacht“ unter der Überschrift „Heil Limburg!“ über eine Tagung des Diözesanverbandes Limburg. Im selben Jahr erschien im „Jugendpräses, Werkblatt für Präsides“ ein kleiner Artikel unter der Überschrift „Ins volle Menschenleben“. Dort heißt es: „Heil Piele! 28 neue Fußballklubs in einer Stadt. Überall wird ‚geheilt’. Heil, heil! Aber was soll das, Heil Piele? Eine neue Partei? Ein neuer Volksbeglücker? Alles nicht. Man kann aber hinkommen, wohin man will. Die Eingeweihten werden so begrüßt. Die Hand geht hoch, man streckt die Finger aus; herüber und hinüber heißt´s: Heil Piele! …“
„Die Wacht“ von 1933 berichtet unter der Überschrift „Baden – Treu-Heil!“, der badische „Kämpfer“ habe seinen Jahrgang 1932 mit den Worten „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ geschlossen. Da der „Kämpfer“ sein Erscheinen eingestellt habe, sollten die badischen Brüder Leser der Wacht sein. Die Notiz endet mit den Worten: „Heil, Badener Land!“
[1] Prälat Ludwig Wolker, von den Jugendlichen kurz General genannt, (* 8.4.1887 in München, † 17.7.1955 in Cervia bei Ravenna/I) – Studium in München u. Innsbruck/A – Priesterweihe 29.6.1912 in Freising – Diözesanpräses des KJMVD in der Erzdiözese München und Freising Mai 1926 – Landespräses für Bayern Juni 1926 – Wahl zum Generalpräses des KJMVD u. Vorsitzender des DJK 9.11.1926 – nach Freigabe durch Michael Kardinal von Faulhaber Umzug nach Düsseldorf 3.5.1927 – Verhaftung durch die Nationalsozialisten 6.2.1936 – Haftentlassung 12.5.1936 – Tätigkeit bei der Bischöflichen Hauptstelle für katholische Jugendseelsorge und Jugendorganisation 1940 – Leiter derselben u. Direktor von Haus Altenberg 1945 – Beauftragung durch die Bischöfe mit der Führung der kirchlichen Jugendarbeit 9.11.1945 – Weichenstellung für den BDKJ – Geistlicher Leiter des 1947 in Hardehausen entstandenen BDKJ 1947–1952 – Vorstandsmitglied des Deutschen Sportbundes u. Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees 1950 – Entlastung von allen Führungsämtern 1952
[2] Bezeichnung für den geistlichen Leiter eines katholischen Verbandes.
[3] Bezeichnung für den hauptverantwortlichen Laienführer im Jugendhaus Düsseldorf in den zwanziger und dreißiger Jahren.
[4] Eheleute Albert Steiner (* 1907, † beim Luftangriff auf Aachen 11.4.1944) u. Christa Steiner geb. Köning (* ?, † beim Luftangriff auf Aachen 11.4.1944) – Heirat 2.5.1935 im Altenberger Dom – 5 Kinder: Hedwig, Norbert, Walburga, Mechtild u. Roswitha, alle gestorben beim Luftangriff auf Aachen 11.4.1944 – Albert Steiner war von 1907–1944 Reichsobmann des Katholischen Jungmännerverbandes, 1927 Mitarbeiter im Jugendhaus Düsseldorf und 1930 Nachfolger von Georg Wagner.
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Was aber ist Glück (lat. beatitudo)? Eine Unterscheidung zwischen „Glück“ und „Heil“ läßt sich als Gegensatz zu „irdisch“ und „ewig“ verstehen.
Nachfolgend eine vorsichtige Annäherung an den schwer faßbaren Begriff Glück: Es handelt sich um einen Augenblick der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit, des Sich-frei-Fühlens von inneren und äußeren Spannungen, um Eins-Sein mit sich selbst und seiner Umgebung, um einen Zustand der Harmonie. „Wunschlos glücklich“ zu sein ist ein Ideal.
In der christlichen Theologie ist die Rede von „Glück“ auf der einen und „Heil“ auf der anderen Seite. Heil ist der umfassende Begriff im Sinne von „von Gottes Willen her den Menschen zugedacht“. Glück umschreibt die Beglückungserfahrung aus Sicht des Menschen. Anders gesagt, bezeichnet Glück die persönliche Wahrnehmung, Empfindung und Erfahrung des Menschen. Heil hingegen ist der Maßstab dessen, der mir Heil zuwendet, und das ist Gott.
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Karl Leisner benutzt den Begriff „Heil“ in unterschiedlichen Zusammenhängen. Seine diesbezüglichen Zitate werden nach Themen geordnet mit jeweils einem Aspekt pro Artikel wie in den Serien über seine Lieder, seine Spiele und seine Sehnsucht in der kommenden Zeit vorgestellt.