Hermann Ringsdorff — ein Schulfreund von Karl Leisner

Ein ganz besonderes Beispiel von gelebter Ökumene. Heute (02.01.) vor 85 Jahren hatte Karl Leisner mit Hermann Ringsdorff ein ökumenisches Gespräch.

Hans-Karl Seeger berichtet davon, dass er oft den evangelischen Hermann Ringsdorff Zuhause in Kalkar besucht hat. Er hat ihm viel erzählt und viele Bücher ausgeliehen, die mit der Zeit zu tun hatten.

Quelle des Fotos: KL-Archiv

 

Am 3. Dezember 1998 berichtete Hermann Ringsdorff ihm folgendes: Das Kreuz im Namen Jungkreuzbund hat es Karl Leisner angetan. Karl Leisner hat mich, den pietistisch erzogenen Jungen als Schüler gefragt: „Bekreuzigst du dich, wenn du morgens aufstehst?“ — „Nein.“ — „Dann tue es nur!“ — Ich tue es auch heute noch. Das Kreuz war für Karl Leisner etwas ganz Wichtiges. Es war so, als wäre in ihm das Märtyrer-sein-Müssen schon angelegt gewesen. Karl Leisner hatte sich damals mit einigen Klassenkameraden dem Jungkreuzbund angeschlossen. In einem weiteren Gespräch mit Hans-Karl Seeger berichtet Hermann Ringsdorff: Als wir in der Obersekunda waren (1932/1933), meinte er [Karl Leisner] eines Tages, er werde vielleicht einmal in Rom tätig werden und wolle Italienisch lernen. Er fragte mich, ob ich mitmachen wolle. Wir sind zusammen angefangen und haben eine Zeitlang Italienisch gelernt.

Nach Aussagen seines Konabiturienten Lambert Michels war Karl Leisners Abiturnote die beste Note in seiner Klasse. Hermann Ringsdorff: Karl war immer einer der besten Schüler, wenn nicht der beste (Seligsprechungsprozeß: 530).

Karl Leisner und Hermann Ringsdorff haben sieben Jahre lang nebeneinander im Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve gesessen. Die Schule lag in der Nähe von Karl Leisners Elternhaus und er konnte sie zu Fuß in 5 Minuten erreichen.

In einem weiteren Gespräch mit Hans-Karl Seeger erzählte Hermann Ringsdorff: Als ich ihn [Karl Leisner] 1938 traf – ich wollte mich gerade mit Margot Schloenbach verloben – kam er darauf zu sprechen, dass auch er zeitweilig vorgehabt habe, sich zu verloben, oder doch zumindest daran gedacht hatte, das Theologiestudium aufzugeben und zu heiraten.

Am  11. Februar 1938 schrieb Hermann Ringsdorff an Karl Leisner in Münster einen Brief vom Gut Varchminshagen / Kreis Köslin Pommern. In dem Brief kündigt er seine Verlobung an und erklärt auch warum er nicht mehr Theologe werden kann. Sie können den interessanten Brief in der Lebens-Chronik von Karl Leisner im Band II auf den Seiten 1562 und 1563 nachlesen.

Im Zweiten Weltkrieg war Hermann Ringsdorff Oberleutnant im Kavallerieregiment von Philipp Freiherr von Boeselager (1917–2008), der mit seinen Offizieren dem militärischen Widerstand angehörte. Er berichtete Hans-Karl Seeger folgendes: Im Zuge weiterer französischer Maßnahmen nach dem Ersten Weltkrieg, dem aktiven und passiven Widerstand der Bevölkerung an der Ruhr Einhalt zu gebieten, wurde unsere Familie 1923 ins unbesetzte Gebiet ausgewiesen. Mein Vater war als Reichsfinanzbeamter führend im Passiven Widerstand engagiert.

Ringsdorff wollte nach dem Abitur Pfarrer werden. Er hatte das Studium auch begonnen, aber aus Gehorsam gegenüber seinem Vater dessen Betrieb als Verkaufsdirektor der Ringsdorff-Werke in Bonn nach Promotion zum Dr. rer. pol. übernommen. Wenn sie in den Reichswald gingen und sich bei Leisners trafen, haben sie zusammen vor der Madonna gebetet und er hat von Karl übernommen, das Kreuzzeichen zu machen. Als er das erzählte, bekam er feuchte Augen. Hermann Ringsdorff hat als Zeuge im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner im Jahr 1981 ausgesagt. Er starb am 14. Oktober 2002 im Alter von 89 Jahren.

Nachfolgend das ökumenische Gespräch aus Karl Leisners Tagebuch.
Kleve, Donnerstag, 2. Januar 1936 [Tgb. 16, 151–154] auszugsweise
Mit Hermann plaudere ich morgens über Theologie. Er zeigt mir ‘ne gute Bibelkunde von seinem Professor Thilo, der neben seinem Professorat noch ‘ne praktische Pfarrstelle hat.[1]. – Abends spazieren wir zusammen bis Donsbrüggen, und er erzählt mir vom Leidensweg der evangelischen Kirche, der bekennenden Brüder [in der Bekennenden Kirche]. Im Gespräch ist christliche Höhe und Brudersinn. Furchtbar beschämend diese Dinge, die er mir erzählte von seiner Kirche. – „Ach – hätten wir doch christliche Einheit.“ Das ist mein Denken. Aber nur in christlicher Liebe und im Leiden der Zeit, die so groß und schwer ist, wird sie kommen. Unsere Generation ist der Samen, der sterben muß.[2]. Ich glaube, es kommt durch uns und nach uns die Einheit. Das ist unsere Lebensaufgabe: christliche Gaben der Liebe bringen für das Werk der Einheit im Glauben. – Es beginnt zu regnen. Fest und froh, in herrlicher Laune verabschieden wir uns – beide einmal, so ist unser Hoffen, Priester nach dem Herzen Gottes.
[1] Thilo, Martin: Alttestamentliche Bibelkunde. Ein Handbuch für Bibelleser, Stuttgart 1935
Prof. Dr. theol. Emil Martin Thilo (* 23.6.1876 in Borgholzhausen, † 14.3.1950 in Eitorf) – Pfarrer – Privatdozent für Altes Testament an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
[2] Karl Leisner dachte vermutlich an das Gleichniswort vom Weizenkorn (Joh 12,24) oder auch an den Satz von Tertullian „Semen est sanguis Christianorum – (lat.) = Samen [neuer Christen] ist das Blut der Christen [der Martyrer]“.

Der vorstehende Text ist ein Auszug aus dem Bericht von Hans-Karl Seeger, den er am 31. Oktober 2016 unter Aktuelles, Aktuelles 2016, Allgemein abgelegt hat. Nachfolgend finden Sie eine Auswahl von weiteren Berichten, die Hans-Karl Seeger verfasst hat, in denen Hermann Ringsdorff genannt wird. Die Auswahl ist nicht vollständig.

LINK zu „Vor 70 Jahren starb Jan (Johannes) Hus auf dem Scheiterhaufen“
LINK zu „Karl Leisner und das Kreuz Christi“
LINK zu „Karl Leisner und Heinrich Brüning“
LINK zu „Karl Leisner und der Versailler Vertrag“
LINK zu „Vor 50 Jahren starb Karl Barth“
LINK zu „Wer war in der NS-Zeit ein Held?“
LINK zu „Am 21. Mai vor 80 Jahren „verabschiedete“ sich Karl Leisner von Elisabeth Ruby“
LINK zu „Karl Leisners Widerstand am 9. November 1939“
LINK zu „Ein Jahr der Jubiläen für Augustin Wibbelt“
LINK zu „Vor 60 Jahren starben Karl Leisners Lehrer Dr. Bernhard Peters und Dr. Müller-Reinhard“
LINK zu „Karl Leisner und der Kreuzbund“
LINK zu „200 Jahre Freiherr vom-Stein-Gymnasium in Kleve“

Nachfolgend können Sie eine komprimierte Darstellung als Auszug aus dem IKLK-Rundbrief Nr. 47 von Februar 2003 nachlesen.
IKLK_Rundbrief_47_Ringsdorff

Dieser Bericht ist ein Versuch, Karl Leisners Beziehung zu Protestanten und das Geschehen in der damaligen Zeit wach zu halten. Auslöser dafür ist ein Text, der am 28. Dezember 2020 in der Rheinischen Post Kleve erschienen ist.
RP_Kleve20201228_L.3_15