Keramik-Relief der Dachauer Bildhauerin Annelise von Stokar (1999): Das Mädchen Josefa Mack 1945 auf dem Weg zur Plantage des KZ Dachau
Quelle des Fotos: Rita Strothjohann
Schwester Maria Imma (Josefa) Mack (* 10.2.1924 in Möckenlohe, † 21.6.2006 in München) – Sie wurde im April 1940 Kandidatin der Armen Schulschwestern im Angerkloster in München und machte eine Ausbildung als Handarbeitslehrerin. Als die Nationalsozialisten die Ausbildung unmöglich machten, kam sie im April 1942 in die Filiale St. Klara in Freising als Helferin im Kinderheim. Nebenbei machte sie im Januar 1943 die Gesellenprüfung als Damenschneiderin. Ihrem Wunsch, ins Noviziat aufgenommen zu werden, konnte wegen der Kriegsverhältnisse erst am 18.8.1945 entsprochen werden, ihre Gelübde legte sie am 29.8.1946 ab. Von Mai 1944 bis April 1945 wurde sie zur großen Helferin für viele Häftlinge im KZ Dachau. In der Plantage des KZ Dachau, wo sie als junge Kandidatin Blumen kaufte, wurde der Priesterhäftling Dr. Ferdinand Schönwälder auf sie aufmerksam. Er hielt sie für vertrauenswürdig, Kurierdienste zu übernehmen, und sie bekam den Decknamen Mädi. Von 1946–1948 war sie als Handarbeitslehrerin in Garmisch tätig und von September 1948 bis zu ihrer Pensionierung im Lehrerinnenseminar in München in der Aue. Sie gab gern, vor allem jungen Menschen, Auskunft über ihre Erfahrungen während der NS-Zeit. Auf Grund ihres Einsatzes für die Häftlinge im KZ Dachau wurde sie am 19.12.2004 in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Am 6.6.2005 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Im Martyrerprozeß für Karl Leisner hat sie 1990 als Zeugin ausgesagt.
Dienstag, 16. Mai 1944
Josefa Mack, die später von den KZ-Häftlingen den Decknamen Mädi bekam, fuhr zum ersten Mal zum KZ Dachau, um in der Verkaufsstelle der Plantage Pflanzen für das Kloster zu holen. Dabei erwarb sie das Vertrauen des Priesterhäftlings Dr. Ferdinand Schönwälder, der in der Verkaufsstelle der Plantage Dienst tat. Damit begann eine große Hilfsaktion.[1]
[1] s. Mack, Josefa, Maria Imma: Warum ich Azaleen liebe. Erinnerungen an meine Fahrten zur Plantage des KZ Dachau von Mai 1944 bis April 1945, St. Ottilien 1988: 33–39 (zit. Mack 1988)
Donnerstag, 23. November 1944
Ferdinand Schönwälder:
Es war an einem nebeligen, grauen Novembermorgen des Jahres 1944, als mir Pater [Otto] Pies [SJ] mitteilte, er wolle nun alles daran setzen, daß sein Freund [Karl] Leisner noch in diesem Jahre die Priesterweihe erhalte. Ich konnte es kaum fassen. Aber P. P. [Pater Otto Pies SJ] hatte öfters Einfälle, die einem gewöhnlichen Sterblichen kaum in den Kopf gekommen wären. Wir standen zu Arbeitskommandos formiert auf dem Appellplatz und warteten auf die Posten, die uns zur Arbeitsstelle begleiten sollten. P. P. weihte mich in seinen Plan ein. Ich sollte helfen, die Verbindung mit der Außenwelt herzustellen. Damals hatte ich einen Posten [in der Plantage] inne, der mir Gelegenheit gab, mit Zivilisten zusammenzukommen, und ich hatte auch schon dank der Vorsehung eine feste und ständige Verbindung mit dem Kloster [St. Klara] der Armen Schulschwestern in Freising. […] Jede Woche kam auch von dem Kloster eine Kandidatin [Josefa Mack], die jetzige Schwester Imma, von uns mit dem Decknamen „Mädi“ bedacht, und brachte für die polnischen Geistlichen, die damals nur im geheimen zelebrieren durften, Meßwein und Hostien. Es galt nun, auch die Frau Oberin [Schwester Saba Gigl] für unser Vorhaben zu gewinnen, und wie zu erwarten war, ging sie uns sofort mit jugendlichem Eifer an die Hand. Die Arbeit konnte beginnen. Strengste Diskretion war Bedingung.
Zuerst mußte Mädi zwei wichtige Briefe herausschaffen. Einen an S. Eminenz, den Herrn [Michael] Kardinal [von] Faulhaber, den anderen an S. Exzellenz, den Bischof von Münster [Clemens August Graf von Galen], aus dessen Diözese Karl Leisner stammte.[1] Beide Kirchenfürsten gaben ihre Bewilligung überraschend schnell. Im Lager befand sich damals der französische Bischof von Clermont [Gabriel Piguet], der die Weihe vornehmen sollte. Sie wurde auf den dritten Advents-Sonntag des Jahres 1944 festgesetzt. Der Priesterkandidat lag damals schwer krank im Revier. P. P. [Pater Otto Pies SJ] pflegte ihn mit hingebungsvoller Liebe, es fehlte aber an den nötigen Arznei‑ und Lebensmitteln, um dem Kranken wenigstens etwas zu helfen. Als dies die Frau Oberin erfuhr, sprangen die Schulschwestern in Freising sofort ein. Es wurde ja schon damals viel für die Geistlichen getan, jetzt aber schien es, die Schwestern hätten ihre Rührigkeit verdoppelt. Mädi kam auch zweimal wöchentlich, hochbepackt mit Arzneien und Lebensmitteln. Die Schwestern hatten es sich in den Kopf gesetzt, daß Karl Leisner seine Weihe erhalten sollte und daß er zu dieser Weihe gesund und munter sein sollte! Das Beste vom Guten wurde für den jungen Leviten geschickt und ins Lager hineingeschmuggelt. Butter, Eier, Wein und Cognac und viele andere Sachen, die uns Häftlingen nur dem Hören nach bekannt waren. Mir kam es manchmal vor, daß sich die Schwestern viele Sachen vom Munde abgespart hatten. Nun konnte P. P. pflegen. Der Kranke gedieh prächtig. Eine Woche vor seiner Priesterweihe konnte er sogar schon ein bißchen im Saal herumspazieren. Jetzt fehlten nur noch die liturgischen Gewänder und Bücher. Mädi schleppte auch dies aus Freising herbei, und wir brachten es auf Schleichwegen ins Lager.[2]
[1] Clemens August Graf von Galen hatte bereits seine Zustimmung gegeben. (s. Aktuelles vom 22. November 2014 – Der entscheidende Brief kam aus dem St.-Josef-Stift in Sendenhorst). Der zweite Brief war für Jesuitenfrater Johannes Zawacki bestimmt.
[2] in: Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer, Kevelaer: 1950: 155–157, 7. Auflage 2008 kommentiert von Hans-Karl Seeger (zit. Pies 1950)
Sr. Imma Mack SSND:
In der ersten Adventswoche[1] sagte mir Schönwälder, daß er einen ganz wichtigen Auftrag von Pater Pies für mich hätte. Dabei überreichte er mir zwei Briefe von ihm, die noch nicht zugeklebt waren. Der eine war für Kardinal Faulhaber bestimmt, der andere für den Jesuitenfrater Johannes Zawacki. Vor der Weitergabe an die Adressaten sollte ich sie zuerst selbst lesen, damit ich genau um den Inhalt wüßte. Schönwälder erklärte mir dann noch, daß der Diakon Karl Leisner, der bereits lange Zeit im KZ Dachau inhaftiert sei, schwerkrank im Revier liege. Pater Pies betreue ihn freundschaftlich, zeitweise würde er ihn auch pflegen. Vor kurzem sei ein französischer Bischof [Gabriel Piguet] auf dem Priesterblock eingeliefert worden. Pater Pies habe mit Karl Leisner und Exzellenz Gabriel Piguet überlegt, ob dieser nicht den todkranken Diakon in der Lagerkapelle zum Priester weihen könne. Dafür sei aber Verschiedenes nötig; Näheres stehe in den beiden Briefen. Pater Pies habe ihm gesagt, daß ich das Schreiben für den Kardinal persönlich überbringen solle. Zawacki sollte mich dabei begleiten. Ich solle die schriftliche Bitte von Pater Pies, die Priesterweihe von Karl Leisner zu genehmigen, mündlich bekräftigen und Zawacki könnte mich dabei unterstützen. Aus folgenden Gründen sollte ich die Erlaubnis schon nächste Woche nach Dachau bringen: Zum einen werde der Bischof sicher nicht lange auf dem Priesterblock bleiben, sondern bald in den Bunker zu den „Ehrenhäftlingen“ kommen. Zum anderen sei der Gesundheitszustand des Diakons so schlimm, daß niemand mehr zu glauben wage, Leisner könne die Befreiung aus dem KZ noch erleben. Der Auftrag, den ich mit diesen beiden Briefen erhalten hatte, beeindruckte mich tief. […]
Zu Hause [in Freising] angekommen, las ich mit Frau Oberin [Sr. Saba Gigl] und Schwester Vigoris [Wolf] die beiden Briefe. Dann klebte ich sie mit dem Wunsch zu, daß sie die Adressaten sicher erreichen möchten. Den für den Jesuitenfrater Zawacki in Pullach bestimmten warf ich in einen Briefkasten der Stadt. Den für Kardinal Faulhaber verwahrte ich sorgsam.[2]
[1] Der 1. Adventssonntag war 1944 am 3.12.
[2] Mack 1988: 78–83
P. Johannes Zawacki SJ:
Ich wußte von ihrer [Josefa Macks] Tätigkeit, sonst aber arbeitete jeder aus Sicherheitsgründen für sich allein. In diesem Fall sollte ich allerdings mit ihr gemeinsam zum Bischof [zu Michael Kardinal von Faulhaber] gehen und ihm die Bitte der Häftlinge vortragen sowie das Mädchen vorstellen und als vertrauenswürdig empfehlen. Kardinal Faulhaber empfing uns sehr gütig und verständnisvoll. Nachdem ich ihn kurz informiert hatte, erklärte er sich einverstanden, und ich brauchte mich mit der Angelegenheit nicht mehr zu befassen. Ich hörte erst später, daß alles geglückt war. Von dem Mädchen erfuhr ich auch, daß meine Gänge ins Lager von einigen Leuten, die in der Gärtnerei wohnten, bemerkt und wahrscheinlich beobachtet wurden. Trotzdem geschah die ganze Zeit hindurch nichts.[1]
[1] P. Johannes Zawacki SJ in: Stimmen von Dachau, Sommer 1968 – Nr. 10: 61
Donnerstag, 7. Dezember 1944
Sr. Imma Mack SSND aus München am 13. August 2002 an Hans-Karl Seeger:
Frater Johannes Zawacki rief von Pullach aus in Freising an, und man vereinbarte vor dem zerbombten Bahnhof in München ein Treffen am Donnerstag, dem 7. Dezember 1944. Von dort ging es zu Fuß zum Bischofspalais. Von Pullach aus hatten die Jesuiten den Besuch beim Kardinal angemeldet, daher erwartete uns der Sekretär des Kardinals, Hubert Wagner.
Sr. Imma Mack SSND:
Am Donnerstag [7.12.] fuhren wir [Fr. Johannes Zawacki SJ und ich] zusammen nach München und brachten die Bitte um die Priesterweihe für Herrn Karl Leisner bei H. H. Kardinal bescheiden vor. Freundlich gewährte er sie und wir erhielten auch gleich das [Katechumenen-]Öl und alles andere, was nötig war.[1]
[1] in: Pies 1950: 162; s. auch Mack 1988: 83–85
Michael Kardinal von Faulhaber notierte sich auf einem Zettel in Gabelsberger-Kurzschrift[1]:
[1] Die Transkription der zitierten Faulhaber-Notizen hat Alois Schmidmaier vorgenommen. Hans Gebhardt, ebenfalls Fachmann für Gabelsberger-Kurzschrift, hat den Text gegengelesen und einige Unklarheiten beseitigt.
[Donnerstag] 7.12.44 [begleitet] fr [Frater Johannes] Zawacki [SJ] persönlich Josefa Mack [zu mir ins Bischofspalais]: Münster [Bischof Clemens August Graf von Galen] hat durch litterae die Erlaubnis gegeben (dimiss. [dimissoriae]), Diak[on] Karl Leisner zu weihen. Er wurde [19]39 kurz vor der Weihe hierher versetzt.
[Ich habe] Gleich mitgegeben in weiser Ahnung: Pontificale, Kat. [Katechumenenöl] möglich, 2 viol. [violette] Tunic. [Tunicellae][1], viol. [violette] Strümpfe und Handschuhe (Schuhe[2] war nicht möglich).
Sowie 3 heilige Oele und 2 Chorröcke.[3]
[1] Vermutlich waren es zwei Gewänder, weil eine als Dalmatik verwendet wurde.
[2] Es handelte sich vermutlich um Pontifikalschuhe.
[3] Erzbischöfliches Archiv München und Freising NL Faulhaber 683,
ausführliche Kommentierung in: Seeger, Hans-Karl: Persönliche Notizen Kardinal Faulhabers am Ende der Zeit des Nationalsozialismus. In: Anton Landersdorfer, Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte, Bd. 48, München 2005: 375–453
Prälat Johannes Waxenberger, der letzte Sekretär von Michael Kardinal von Faulhaber, hat Einsicht in die Besuchertagebücher des Kardinals genommen und teilte am 14. Februar 2002 telefonisch mit, der Kardinal habe in Gabelsberger-Kurzschrift folgende Notiz gemacht:
Do. 7.12.1944, 10.30 Uhr. Jos. Mack mit Brief von Πιες [Pies]. Rückbericht durch Frater Zawacki. Ordin. pres. [Weiheerlaubnis] erteilt worden Λεισνερ [Leisner] Münster. Und dazu die Sachen schicken.[1]
[1] Erzbischöfliches Archiv München und Freising NL Faulhaber 10022: 88
Siehe Aktuelles vom 7. Dezember 2015 – Hilfe für die Priesterweihe von Karl Leisner im KZ Dachau.
Montag, 11. Dezember 1944
Josefa Mack brachte die von Michael Kardinal von Faulhaber erhaltenen Dinge nach Dachau.[1]
[1] s. Pies 1950: 162
Sr. Imma Mack SSND:
Pater Pies kam unter irgendeinem Vorwand zu Schönwälder ins Verkaufsbüro [der Plantage]. Er wollte möglichst bald erfahren, wie unser Gespräch bei Kardinal Faulhaber verlaufen sei, und ob ich die wichtigen Unterlagen mitgebracht hätte. Zu seiner großen Freude konnte ich ihm alles übergeben. Er sagte mir, daß schon am kommenden Sonntag, 17. Dezember, dem Gaudete-Sonntag, die Weihe stattfinden werde.[1]
[1] Mack 1988: 84