Obwohl Karl Leisner mit seinem Abitur zu den Besten seiner Klasse gehörte, wurde ihm wie vielen, die sich aktiv als Christen engagierten, ein Studium an einer Universität nicht gestattet.
Karl Leisner machte sein Abitur 1934. Das Schriftliche begann am 2. Februar 1934, das Mündliche war am 22. März 1934.
obere Reihe v. l.: 1. Johann van Aken, 2. Josef Gerlings, 3. Hermann Mies,
mittlere Reihe v. l.: 4. Emil de Vries, 5. Hermann Ringsdorff, 6. Gerhard Tosses, 7. Karl Leisner,
8. Gerhard Siebers, 9. Johann van Lier, 10. Otto Andrae,
untere Reihe v. l.: 11. Lambert Michels, 12. Wilhelm Homrighausen, 13. Dr. Karl Hofacker,
14. Studienrat Dr. Josef Müller, 15. Paul Brückner, 16. Edmund van Fonderen
Auch die Abiturienten, die Theologie studieren wollten, wußten damals noch nicht, was auf sie zukam. Eventuell würde sie der Bischof von der Zuerkennung der Hochschulreife befreien.
Dann kam ein Schreiben des Reichsministers Wilhelm Frick (1877–1946) über die Voraussetzungen zur Zulassung heraus.
Im Tagebuch von Karl Leisners Kursgenossen Antonius Wissing befindet sich folgender Zeitungsausschnitt:
Theologie und Hochschulreife
Ein Schreiben des Reichsministers [Wilhelm Frick] – Voraussetzungen zur Zulassung
München, 12. April [1934]
In einem Schreiben des Reichsministers an die Unterrichtsverwaltung der Länder heißt es, daß das württembergische Kultusministerium, der evangelisch-lutherische Landes[kirchen]rat und der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz [Adolf Kardinal Bertram] übereinstimmend dargelegt haben, daß die Kirchen ihren Bedarf an Theologiestudenten aus der Zahl der hochschulreifen Abiturienten zu decken nicht in der Lage seien. Wenn auch die Zahl der für hochschulreif erklärten Abiturienten nicht so hoch bemessen werden kann, daß die Kirchen mit dieser Zahl ihren Nachwuchsbedarf decken können, so müsse doch andererseits den Kirchen ermöglicht werden, die nötige Zahl von Theologen ins Studium zu bringen. In dem Schreiben wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Kirchen wohl bemüht sein müßten, ihren Nachwuchsbedarf in erster Linie aus den hochschulreifen Abiturienten zu erlangen. Soweit ihnen dies nicht möglich ist, dürfen die Kirchen die am Nachwuchsbedarf fehlende Zahl aus den nichtberechtigten Abiturienten unter folgenden Voraussetzungen ergänzen:
1. Kirchen stellen bezirksweise (nach Landeskirchen, Provinzen oder Diözesen) ihren Nachwuchsbedarf zahlenmäßig fest.
2. Die Kirchen decken diesen Bedarf in erster Linie aus den Meldungen der hochschulreifen Abiturienten.
3. Nichtberechtigte Abiturienten dürfen nur innerhalb der Bedarfszahl (zu 1) unter Abrechnung der zugelassenen hochschulreifen Abiturienten (zu 2) ins Studium der Theologie eintreten.
4. Die nichtberechtigten Abiturienten haben (durch Vermittlung der Religionslehrer) eine Bescheinigung des Leiters der Schule, an der sie die Reifeprüfung abgelegt haben, beizubringen, wonach aus der Versagung der allgemeinen Hochschulreife keine schweren Bedenken gegen das Studium der Theologie herzuleiten sind.
5. Die gemäß Ziffer 4 beurteilten und von den Kirchenbehörden in die Bedarfszahl aufgenommenen Abiturienten sind zur Einschreibung in die theologischen Fakultäten (nicht in andere Fakultäten) bzw. zur Aufnahme in die den theologischen Fakultäten entsprechenden Anstalten als vollberechtigte Studenten zugelassen. Ob sie zur Tätigkeit als Religionslehrer im staatlichen Amte und zur akademischen Prüfung zugelassen sein werden, bleibt späterer grundsätzlicher Entscheidung vorbehalten. Der Zugang zu anderen Studienbahnen ist ihnen verschlossen.
Offensichtlich erreichte auch Karl Leisner diese Nachricht, und er beantragte am 8. Juni 1934 die Hochschulreife.
Münster, Dienstag, 12. Juni 1934
Heute früh zum Sekretariat [der Universität am Rosenhof]. Dort festgestellt, daß mein Hochschulreifezeugnis noch nicht da [ist] (am 8.6.[1934] schon war’s beantragt!). – Ich hoffe, daß keine „Hinterlist“ von irgendeiner Seite [da]hintersteckt!
Münster, Samstag, 16. Juni 1934
Ich erhalte einen Brief vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz [Hermann Freiherr von Lüninck] folgenden Inhalts:
Der Oberpräsident der Rheinprovinz Koblenz, den 14. Juni 1934
– Abtlg. höh. Schulwesen –
I Nr. 8410
Auf Ihre Eingabe vom 12. ds. Mts.
Über die Zuerkennung der Hochschulreife steht für Sie noch die Entscheidung des Herrn Ministers aus.
Nette Sache! – Na, denk’ ich, der Herrgott hat bis jetzt geholfen. Er hilft auch weiter! Ich bete auf der Kapelle. Nach der feinen Choralstunde bei D. [Domvikar Hubert] Leiwering über die Entstehung des Chorals und des Notensystems gehe ich zum Herrn Direktor [Franz Schmäing] in hac causa [bezüglich der Zuerkennung der Hochschulreife]. – „Na – ich bliebe jedenfalls aufgenommen und bekäme die Aufnahme durch den Bischof, falls es nicht anders sei.“
Münster, Donnerstag, 21. Juni 1934
Heute kam ich aus Anlaß des „dies academicus“[1] zum Briefeschreiben: […] 2. An P. Ho [Heinrich Horstmann SJ].
ad 2: Gratulation zum 25. Priestertum [Priesterweihe am 9.6.1909]. – Arbeit und Gebet für den Bezirk [Kleve] – Klage über das Unrecht bei meiner Hochschulreife und Bitte um Abhilfe.[2]
[1] dies academicus (lat.) = akademischer Tag – besonders gestalteter Tag der Universität mit Sonderveranstaltungen ohne normalen Vorlesungsbetrieb
[2] P. Heinrich Horstmann SJ aus Düsseldorf am 23.6.1934 an Karl Leisner in Münster:
C! [Carissime – Teuerster!]
Herzlichen Dank für die lieben Wünsche. In Deiner Sache kann ich selbst gar nichts tun, weil ich weder Wege noch Beziehungen dafür kenne. Vielleicht kann P. [Ludwig] Esch [SJ] helfen? Oder weiß denn die Studenten-Seelsorge oder -hilfe in diesen wichtigsten Fragen keinen Rat? Oder der Bischof bzw. Ordinariat. Schließlich ist das doch deren Aufgabe.
Treu Heil Dein P. Horstmann
Münster, Mittwoch, 4. Juli 1934
PS Heute morgen bekam ich Bescheid von Koblenz! „Hochschulreife erhalten!!“ Deo mille gratias! [Gott tausend Dank!] – Der Mensch denkt, Gott lenkt – et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris [und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern]! Amen.[1]
[1] Bitte aus dem Pater noster – Vater unser