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Unter dem Thema „GÜTIG UND SELBSTLOS VON HERZEN“ predigte der Bischof in der Stiftskirche St. Peter und Paul und nannte Karl Leisner einen „Musterchristen“.
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Die Worte, die wir heute im Evangelium (Mt. 11, 25-30) hören, sind wohl sehr bekannt, nicht nur weil wir sie schon oft gehört oder gelesen haben, sondern weil sie so oft von Jesus in verschiedener Art und Weise in der Verkündigung seiner Frohbotschaft wiederholt werden.
Immer wieder unterstreicht Jesus die Vorliebe Gottes für die Kleinen und die Armen, die Geringen und die Notleidenden. In der Bergpredigt heisst es: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich . . . selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt. 5, 3.7). An einer anderen Stelle sagt Christus: „wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt. 18, 3). Und heute lautet es: Gott hat den Kleinen und Niedrigen seinen Heilsplan geoffenbart. Und: wer Christi Jünger sein will, muss von ihm lernen, selbstlos und gütig zu sein.
Wir könnten die Auswahl noch beliebig verfolgen, aber für uns Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die so viel Wert auf Leistungen legen, auf Ansehen, Prestige, Reichtum und Macht, bleibt die Frage, worauf beruht diese Vorliebe Jesu, diese Betonung der Demut und der Sanftmut?
Das Evangelium, die Lehre und das Beispiel des Herrn, gibt uns eine doppelte Antwort, die auf der selben Linie liegt wie die ganze Tradition des Alten Testamentes: die „anawim“, die Armen von Jahwe.
Gott hat erstens die Kleinen und die Niedrigen lieb, weil sie sich ihrer Geringheit und ihrer Schwachheit bewusst sind und darum bereit sind, die Hilfe der Gnade Gottes dankbar anzunehmen. Sie wissen um die Grenzen ihres Wissens und Könnens und sind für das Wort und Wirken Gottes aufnahmefähig. Sie besitzen dank ihrer Demut ein unbegrenztes Vertrauen auf Gott, der sie in allen Umständen ihres Lebens festhält, sie begleitet und liebt. Gott ist für sie immer der barmherzige Vater, der sich über ihre Geringheit erbarmt, der auf sie wartet, sie wie der Vater des verlorenen Sohnes aufnimmt, trotz ihrer Sünden und trotz ihrer Unterlassungen.
Zweitens ist aber dieses fundamentale und unzerstörbare Gottesvertrauen für sie kein Alibi für Passivität oder Fatalismus. Nein, wir sehen immer wieder im Alten und im Neuen Testament, dass die Armen von Jahwe auch um ihre eigene, Verantwortung wissen, um ihre persönlichen, unveräusserlichen Auftrag, für den Ausbau des Reich Gottes hier auf Erden zu arbeiten. Aber – und das ist gerade der Unterschied zu der Haltung der Pharisäer und der Grund für ihre Auserwählung von der Seite Gottes – sie tun es nicht für sich selbst, sie suchen nicht, mit ihren Leistungen, Eigennutz und Selbstbehauptung nachzustreben. Ihr Einsatz ist uneigennützig und selbstlos. Sie engagieren sich einfach und schlicht für die Anderen und lassen sich selbst ausser acht.
Jesus ist den Weg der Armen von Jahwe gegangen, den Weg der Dienstbarkeit und der Selbstentäusserung. Er hat sich selbst am Kreuz hingegeben, um die Menschen von Tod und Sünden zu befreien und ihnen den Weg zum Reich Gottes zu eröffnen.
Viele sind Christus auf diesem Wege der selbstlosen Liebe gefolgt. Zuerst seine Mutter Maria, die Magd des Herrn, die einfach und bescheiden in ihrem Gottesdienst ausgeharrt hat, trotz aller Konsequenzen von Leiden und Opfern, im Bewusstsein, dass Gott in seiner grossen Barmherzigkeit auf ihre Niedrigkeit niedergeschaut hat.
Niedrige Dienstbarkeit und starkes Gottesvertrauen sind immer die authentischen und unentbehrlichen Merkmale der Heiligkeit geblieben.
Sicher kennen wir auch in unserer Umgebung solche Christen, die anspruchslos und schlicht ihre Pflicht erfüllen und mehr noch, die nicht sich selbst suchen, sondern ihr Glück nur darin finden, anderen zu dienen; die Frieden stiften, wo sie können; die keinen Angst haben der Geringste zu sein, weil sie alles, was sie haben und können, für das Heil ihrer Mitmenschen einsetzen; die in Elend nicht erbittern und in Leiden nicht ihre Gemütsruhe verlieren, weil sie wissen, dass sie in Gottes Hand sind.
Bei dieser Wallfahrt zum Heiligen Kreuz hier in Kranenburg, möchte ich gerne einen dieser Musterchristen nennen, der in dieser Gegend geboren und aufgewachsen ist: Karl Leisner aus Kleve. 1933 [1935], als Hitler an die Macht kam, schreibt Karl, 18 [20] Jahre alt, in seinem Tagebuch: „Christus, meine Leidenschaft“. Am Anfang des Krieges wird er als Gegner des Nazi-Regimes verhaftet und in Dachau eingesperrt. Fünf leidvolle Jahre verbringt er im Konzentrationslager. Da wird er am 17. Dezember 1944 im Geheimen zum Priester geweiht. Wir werden im Dezember dieses Jahres den siebzigsten Jahrestag feiern. Er stirbt, total erschöpft, kurz nach dem Ende des Krieges und wird von Papst Johannes Paul II. 1996 in Berlin selig gesprochen. Sein Grab ist in der Krypta im Xantener Dom. Karl ist in seinem Leben bewusst und konsequent Christus nachgefolgt, wie er sich fest vorgenommen hatte. 1939 schreibt er in seinem Tagebuch: „Ich gehe den Kreuzweg des Priestertums in unserer Zeit mit Christus“.
Wenn wir ihn und viele andere Heilige unserer Tage erkennen, dann haben wir den Weg entdeckt, den auch wir gehen müssen und gehen können: den Weg der getreuen und durchgehaltenen Nachfolge Christi.
Beten wir um den Beistand des Heiligen Geistes (Lesung: Röm. 8. 9.11-13), dass er uns die Kraft verleiht, um aus der Nachfolge Christi zu leben, um gütig und selbstlos die Aufgaben und Schwierigkeiten unseres Lebens im Alltag anzugehen, im Vertrauen, dass Gott in seiner Barmherzigkeit und Liebe uns Ruhe für unsere Seele schenken wird.
Amen!