Oskar Severus Benedikt Bernhard Schmerbach (* 3.12. 1913 in Mülheim/Ruhr, Priesterweihe 17.12.1955 in Paderborn, † 19.1.2005) – 9.1.1956–31.1.1956 Aushilfe in Gelsenkirchen Bismarck St. Franziskus; 17.2. 1956–27.10.1960 Vikar in Dortmund St. Joseph
Foto Archiv Erzbistum Paderborn
Pfarrer Oskar Schmerbach:
Erinnern, das erinnernswert.
Nach meiner Priesterweihe im Advent 1955, die im Hohen Dom zu Paderborn stattfand, bekam ich meine erste Vikarsstelle [nach einer Aushilfe in Gelsenkirchen-Bismarck] in der St. Josefsgemeinde im Norden der Großstadt Dortmund.
Die erste Vikarsstelle war somit meine „erste Liebe“. Alles stimmte und passte zusammen. Der erste Pastor, der gütige Friedrich Ernst, Mitbegründer der Schönstattbewegung, Bundesvorsitzender des Kreuzbundes – ich durfte sogar in seiner Gegenwart meine geliebte Pfeife rauchen – war in seinem ganzen Leben ohne Schonung seiner Person unermüdlicher Künder der Frohen Botschaft und opferbereiter Spender der Gnaden Jesu Christi. Die Jugend von St. Josef weiß es noch heute, daß ich bei meinem ersten Vorstellen Ende Dezember 1955 im Beisein des Pastors und meines Vorgängers, der nach Werl versetzt wurde, versprochen habe, daß es mein Pastor bei mir „gut haben würde“.
Wie gesagt: alles stimmte – nur der Pastor war schon damals schwer krank, und nur er wußte es und seine Hilfe im Pfarrbüro, die Schwester Marianne. So kam es, daß ich 99% aller Beerdigungen auf dem Dortmunder Hauptfriedhof und allen Friedhöfen in der Umgebung vorzunehmen hatte.
Offen gestanden, ich war ein wenig knatschig, und als ich darüber mit meiner Mutter gesprochen hatte, riet sie mir, auf meine Gesundheit aufzupassen. Ihr stand vor Augen ein Kaplan Aegidius Prümmer, der mit 28 Jahren nach St. Mariä-Geburt in Mülheim an der Ruhr kam und als jüngster Kaplan, bei vier Kaplänen in dieser Pfarrei, jahrelang fast alle Beerdigungen getätigt hatte und mit 40 Jahren zu Ostern 1923 einen Schlaganfall erlitt, an dessen Folgen er viereinhalb Jahre darniederlag und am 23. Oktober 1927 zu Grabe getragen wurde.
Im übrigen war meine Mutter die einzige, mit der ich darüber gesprochen habe. Ich habe meine Beerdigungen durchgeführt, die ganze Geistlichkeit von Dortmund auf den Friedhöfen kennen gelernt und auch nicht gemuckt, als der Hallenmeister (Hilchenbach oder so ähnlich hieß er) meinte, man solle mir doch am Hauptfriedhof ein Häuschen bauen, dann bräuchte ich nicht jedesmal wieder mit der Straßenbahn in die Stadt zurück zu fahren.
Doch in die Stadt und zur Pfarrgemeinde wollte ich zurück – denn es war eine Pfarrfamilie mit lebendiger Jugend, mit einer großen Meßdienerschar, mit einem fabelhaften Kirchenchor samt Männerschola für anstehende Vespern, mit einer rührigen KAB, einer Müttergemeinschaft, die man weit und breit suchen mußte, und vor allem, mit einer kleinen Seele, die der Großnichte des Pastors gehörte und die ein Stück des verlorenen Paradieses zurückbrachte, wenn sie im Gotteshaus auftauchte und laut mit dem eucharistischen Herrn im Tabernakel plauderte. Die kleine Dorothea hatte die Herzen aller Gemeindemitglieder erobert, die mit ihr jeh zusammenkamen, und ihr Tod in der Morgenfrühe ihres Lebens – sie wurde 7 Jahre alt – war auch für den verwandten Pastor ein Stich ins Herz. Knapp 9 Monate später, in der Frühe des 28. März 1962, konnte er das ihm auferlegte leidvolle Kreuz ablegen.
Es kam das Weihnachtsfest des Jahres 1959. Ein Glied der Gemeinde, die Ehefrau Paula V ä t h[[1]] von der Heroldstrasse [24], war mit der Eisenbahn unterwegs zu Verwandten [in Wesel[2]] am Niederrhein. Für sie war der Weg zur Ewigkeit nicht weit. Auf dem Hauptbahnhof Essen hat ein Herzschlag sie ereilt. Vor Jahresschluß, am 29. Dezember 1959, haben wir für sie das Requiem in der St. Josefskirche gefeiert, und am Nachmittag haben wir sie zur letzten Ruhe geleitet. Die Zeremonien einer christkatholischen Beisetzung waren beendet, und ich wandte mich den nächsten Angehörigen der Verstorbenen zu. Ihr Sohn Willi[[3]] nahm mich am Arm und sagte mir: „Herr Vikar, darf ich Sie mit der Schwägerin meiner verstorbenen Mutter bekannt machen – es ist die Mutter[[4]] von Karl Leisner!“ – Wie ein elektrischer Schlag ging es durch meinen ganzen Körper; nur ein Gedanke beseelte mich: du stehst vor der Mutter eines Heiligen! – Eigenartig! – So sehen Mütter von Heiligen aus? – Die sehen ja gar nicht „anders“ aus! – Und doch sehen sie „anders“ aus!
Ich schaute in ein ganz liebes – herbes – mütterliches Gesicht, in das Gesicht der Mutter von Karl Leisner. Sein Leben und Sterben kannte ich aus dem schon fast
vergessenen Buch „Stephanus heute“[[5]].
Zu der Zeit, als er als katholischer Jungführer am Niederrhein tätig war, lagen wir mit der Mülheimer Jungschar in Ursel bei Xanten auf einem Bauernhof. Im Dom zu Xanten waren 1934 die Märtyrergräber entdeckt worden, und unvergessen bleibt mir jener Abend auf dem Bauernhof Schmitthausen[[6]], als wir mit der Jugend von Xanten zusammensaßen, das Christusbanner lag auf der Wiese, alle Bauern der Umgebung dabei, ein Feuer brannte, und Pastor Johannes Bernhard Heinrichsbauer aus Mülheim brachte es auf einen Nenner: „Eine gnadenvolle Zeit, die die Gräber der Märtyrer finden durfte!“
1934 war das Jahr, da Karl Leisner sein Abitur baute und sich für das Priestertum entschied. Die Jugend, die er führte, war ebenfalls Christusjugend, die der Ideologie des „Dritten Reiches“ nicht verfallen sollte. Wir standen gemeinsam zu den Idealen „Gloria Dei“ – „Jugendreich der Gotteskinder“ – „Christi Reich im Deutschen Reich“. Das waren für uns keine Schlagworte! Materiell waren unsere Kerle arm, aber ideell sehr reich. Es blieb später einem Kölner Priester (Dr. A. Fr.) vorbehalten, in Altenberg zu betonen, es sei auch „viel Strohfeuer“ dabei gewesen(!)
Als ich nach der Beerdigung der Tante von Karl Leisner an jenem 29. Dezember 1959 wieder in die Stadt Dortmund zurückfuhr, war ich sehr getrost. Nun lag keine Bedrückung mehr auf mir ob der vielen, vielen Beerdigungen. Nun spürte ich, daß mir an jenem Tag etwas widerfahren war, das keiner meiner vielen Brüder im Priesteramt je erleben würde – an einem Grabe der Mutter eines Heiligen zu begegnen.
Später bin ich noch oft mit meinen Meßdienern und mit den Müttervereinen nach Xanten gewesen. Dann haben wir am Grabe von Karl Leisner gestanden, der dort in der Märtyrerkrypta mit zwei weiteren Opfern des NS-Regimes [Heinz Bello und Gerhard Storm] ruht.[[7]] Und jedesmal habe ich ihnen und den sonst Anwesenden erzählt, daß ich die Mutter des dort Ruhenden auf einem Dortmunder Friedhof habe kennen lernen dürfen.
Und gemeinsam haben wir ergriffen das Gebet um seine Seligsprechung gesprochen:
„Herr, unser Vater! Du gabst unserem Bruder Karl ein begeisterungsfähiges Herz. Die Natur schaute er als Dein Werk, den Menschen als Dein Ebenbild; in Jesus Christus,dem Sohn Mariens, fand er die Krone der Schöpfung. Für Ihn wollte er leben, für Ihn suchte er in unermüdlichem Einsatz junge Menschen zu gewinnen.
In einer Welt des Hasses glaubte er an die Liebe, schenkte er die Liebe, sehnte er sich nach der Verwirklichung Deines Reiches auf Erden. Er bat um Deine Führung für sein Leben. Du hast ihn in der Nachfolge Christi bis zur Höhe des Kreuzes geführt. So gab er als Priester sein junges Leben als Opfer für die Jugend, für eine geschlagene, blutende Menschheit, für die Versöhnung der Völker, für ein christliches Europa.
Die Leiden, die er getragen, sind sein Gebet für uns. Zeig ihn der Kirche als Heiligen und Fürsprecher, damit wir uns an ihm aufrichten. Durch Christus, unseren Herrn. Amen.“
Die Kirchenzeitung des Bistums Trier „PAULINUS“ brachte in ihrer Ausgabe Nr. 8/1996 einen zweiseitigen Artikel von Günter Beaugrand zur Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. am 23. Juni 1996 in Berlin unter dem Titel „… und koste es das Leben!“
Darunter eine Eintragung [vom 25. Februar 1939] in eins [Tgb. 26, 92–99] seiner 28 Tagebücher, die wohl das ganze Lebensprogramm Karl Leisners ausdrückt: „Ich spreche ‚Ja, Vater!’[[8]], weil Gott zu mir gesprochen hat: ‚Ja, du bist mein lieber Sohn.’ [vgl. Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22] Ich kann und will nicht mehr anders, und koste es das Leben des Kreuzes, und das kostet es ganz sicher mehr, als ich es aussprechen kann. Aber ich ahne es, Herr, ich entscheide mich frei für Dich, Dir gehört mein Leben und Sterben!“
Die Kirchenzeitung für das Erzbistum Paderborn brachte diesen Artikel in ihrer Nr. 17/1996 ebenfalls. Den Trierer Artikel habe ich sogleich an den noch lebenden Cousin von Karl Leisner, Herrn Willi Väth, nach Dortmund gesandt. In seiner Antwort vom 11.03. schrieb er: „Es war für uns eine Freude; dabei werden gute Erinnerungen wach. Vielen Dank für Ihre Zeilen und die interessante Beilage über Karl. Es ist mittlerweile jetzt amtlich, daß die Seligsprechung [am 23. Juni 1996] anläßlich des Papstbesuches in Berlin stattfindet.“
Ich wünsche allen Gliedern der Familie Leisner und den noch lebenden nächsten Angehörigen, daß sie gesund an dieser Gnadenstunde im Juni dieses Jahres in Berlin teilnehmen können!
[1] Väth, Paula, Tante väterlicherseits von Karl Leisner, geb. Leisner (* 13.12.1878 in Oppum, † 25.12.1959 auf der Fahrt im Zug von Dortmund nach Wesel)
[2] In Wesel wohnte ihr Bruder Justizoberinspektor Johannes (Hans) Leisner (* 3.11.1888 in Goch, † 27.9.1968 in Wesel) mit Familie.
[3] Väth, Willi, Vetter väterlicherseits von Karl Leisner, (* 15.11.1922, † 1.6.2011) – langjähriger Schüler u. Meßdiener bei Studienrat Lorenz Jaeger, dem Leiter des ND in Dortmund u. späteren Kardinal u. Erzbischof von Paderborn – RAD 1941 – anschließend Soldat, u. a. 1943 in Dänemark – nach Kriegsende selbständiger Textilkaufmann – Heirat mit der Gesangspädagogin Margarete Väth, geb. Hellmich (* 3.3.1929, † 28.10.2002) – 1 Tochter Monika u. 1 Sohn Andreas – Als Kind war Andreas Väth oft bei Familie Wilhelm Leisner zu Besuch.
[4] Leisner, Amalia (Amalie, Maly) Everhardine Maria Mathilde, Mutter von Karl Leisner, geb. Falkenstein (* 26.10.1892 um 2.00 Uhr in Goch, Cleverstr. 36, katholisch getauft 27.10.1892 in Goch St.-Maria-Magdalena, Taufpaten Matthias Vaegs u. Everhardine Hartjens, geb. van Krügten, † 19.2.1983 in Kleve) – Einträge in den Personalausweisen von 1953 u. 1978: Größe: 158 cm, Farbe der Augen: braun, unveränderliche Kennzeichen: keine. Nach dem Besuch der Volksschule lebte sie in Maria Roepaan/NL. Aus dieser Zeit stammen ein am 18.7.1906 begonnenes handgeschriebenes Gebetbuch sowie eine lebenslange Freundschaft mit der Niederländerin Cornelia Anna Maria (Corry) Paanakker, geb. von Roessel.
Amalia Falkenstein zog mit ihrer Familie 1910/1911 von Goch nach Neuss, Josefstr. 25. Dort traf sie Wilhelm Leisner wieder, den sie von Goch her kannte, wo ihrer beider Familien auf der Klever Str. gewohnt hatten. Am 25.12.1913 war ihre Verlobung mit Wilhelm Leisner in Neuss, am 24.4.1914 heirateten sie dort standesamtlich, und am 25.4.1914 war die kirchliche Trauung am Grab des heiligen Albertus Magnus in St. Andreas in Köln.
Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat sie 1981 als Zeugin ausgesagt.
[5] Pies, Otto: Stephanus heute. Karl Leisner. Priester und Opfer, Kevelaer: Butzon & Bercker 1950 (1.–5. Td.), 21950 (6.–8. Td.), 31951 (9.–13. Td.), 41953 (14.–18. Td.), 51958 (19.–21.Td.), 61962 (2.000), 7. Auflage 2008 kommentiert von Hans-Karl Seeger
[6] Von diesem Bauernhof stammte der spätere Ehrendomkapitular Johannes Schmitthausen (* 14.4.1919 in Ursel, Priesterweihe 8.9.1949 in Münster, † 21.9.2005)
[7] Karl Leisner war im September 1966 während der Großen Viktortracht von Kleve aus seinem ersten Grab in die erweiterte Krypta des Xantener Domes umgebettet worden.
[8] Anklang an den Buchtitel: Gräf, Richard: Ja, Vater! Alltag in Gott, Regensburg 1936