Johann Gottlieb Fichte (* 19.5.1762 in Rammenau, † 29.1.1814 in Berlin) – deutscher Philosoph – Vertreter des „Deutschen Idealismus“
Karl Leisner hat sich im Philosophiestudium intensiv mit diesem Philosophen beschäftigt. Die F.A.Z. würdigte Johann Gottlieb Fichte am 29. Januar 2014 mit einem langen Artikel von Jürgen Stolzenberg, Professor für Geschichte der Philosophie in Halle-Wittenberg, unter der Überschrift „Die Unbedingtheit des Ich in den Freiheitskriegen“.
Auszüge aus dem Artikel:
Unter der Überschrift
„Die Weiße Rose“ und die „Reden an die Nation“
heißt es unter anderem:
Karl Leisner schrieb am 19. Dezember 1934 in sein Tagebuch:
Dann im Trapp [um 16.15 Uhr] zu [Professor] Peter Wust: Über Fichtes Leben – ein Gedicht! Die wunderbaren Schickungen.[1] Wust fand feine Worte über Volksverbundenheit: „Die davon (tagaus, tagein) immer reden, wissen (vielleicht) gar nicht um ihr Wesen![2] Sie muß einem in die Wiege gelegt sein!“ Fichte: Er sei ihm unverständlich, irr vorgekommen nach den Vorlesungen Clemens Baeumkers[3]. Aber nach Lesen der Biographie von [Fritz] Medicus[4] habe er ihn liebgewonnen: Er [Fichte] wurde der große Apostel der Freiheit, des Geistes und so – durch den Geist! – brachte er dem deutschen Volk Kraft, Schwung, Zucht, Rettung gegen den Feind. – Nur die Waffen des Geistes führen unser Volk wieder zu Aufstieg und Sieg!! Das lehrt uns der große Fichte. – Eins noch lehrte mich diese Vorlesung: Man soll aufgeschlossen sein für alles Gute und Schöne bei allen andern Menschen – auch wenn sie daneben noch so viel Dunkles und Falsches an sich haben!
[1] Fichtes Vater war ein armer Bandweber in Rammenau bei Bischofswerda. Nachdem er in seiner frühen Jugend die Stadtschule in Meißen besucht hatte, ermöglichte ihm eine kuriose Geschichte eine höhere schulische Ausbildung: Eines Tages kam der Gutsherr Freiherr Haubold von Miltitz, der die Predigt des Sonntags verpaßt hatte, nach Rammenau. Fichte bemerkte diesen Gutsherrn und versicherte, ihm die Predigt wiederholen zu können. Daraufhin imitierte Fichte den Pfarrer so perfekt, dass der Gutsherr in seiner Entzückung dem Kind eine Ausbildung an der Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg (Saale) finanzierte (URL http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlieb_Fichte – 15.6.2011).
[2] vermutlich Anspielung auf die Nationalsozialisten und deren Anhänger
[3] Peter Wust hatte Clemens Baeumker während seines Studiums in Straßburg gehört. Vermutlich hatte dieser sich zurückhaltend bis negativ zu Fichte geäußert, denn damals war der Deutsche Idealismus nicht sehr geschätzt.
[4] Medicus, Fritz: Fichtes Leben, Leipzig 1914
In der Vorlesung bei Professor Peter Wust am 16. Januar 1935 notierte Karl Leisner folgendes Diktat:
29. Die Hauptgedanken seines Systems hat Fichte in den drei Grundsätzen dargestellt, die er in der Wissenschaftslehre von 1794 behandelt. Der erste Grundsatz lautet: Das Ich setzt sich selbst. In diesem Satz erhält der metaphysische Idealismus Fichtes seinen klarsten Ausdruck. Man darf freilich Fichte nicht so verstehen, als wolle er dem empirischen Ich die Absolutheit der göttlichen Aseität verleihen. Fichte denkt vielmehr an das absolute Ich, das heißt an die Ichheit oder die Vernunft überhaupt, die als die Voraussetzung all unseres menschlichen Wahrheitssuchens und sittlichen Strebens zu gelten hat. Diese Vernunft überhaupt ist als das Urwahre und Urgute unendliches Leben, das nichts Erstarrtes neben sich dulden kann, und sie ist das stets sich selbst gleichbleibende Urleben oder ihr absoluter Wahrheitszusammenhang, in dem jede von uns und ausgesprochenen Einzel- oder Teilwahrheit ihren überzeitlichen Geltungsgrund hat.
30. Natürlich hat dieser erste Grundsatz eine gewisse Beziehung zum empirischen Ich. In einer Sommervorlesung von 1794 formuliert Fichte den Satz: „Alle vernünftigen Individuen sind in der Einheit des reinen Ich eingeschlossen.“ Die Urvernunft ist also gleichsam das Einheitsband aller Geister. Mit diesem Gedanken gerät Fichte in den Pantheismus. Man darf jedoch nicht verkennen, daß er mit diesem Gedanken an eines der schwierigsten Probleme der Geistesphilosophie rührt. Übrigens will auch der Setzungsgedanke Fichtes nicht der Willkür des einzelnen Subjekts das Wort reden. Fichte denkt vielmehr dabei an die schlechthinnige Unvertretbarkeit des Subjekts, was die innerste Wahrheitsüberzeugung angeht. Evidenz und Überzeugung sind für ihn an den heroischen Einsatz der ganzen Persönlichkeit gebunden.
31. Der zweite Grundsatz Fichtes lautet: „Das Ich setzt sich ein Nicht-Ich entgegen.“ Auch hier ist an das absolute Ich gedacht, das ein absolutes Nicht-Ich oder Objekt ausschließt, wenn der monistische Idealismus gewahrt bleiben soll. Nun erfahren wir aber in der Wirklichkeit unseres empirischen Bewußtseins den Gegensatz von Subjekt und Objekt, von Erkanntem und noch nicht Erkanntem, von einem durch uns Geformten und noch nicht Geformten. Da dieser Dualismus unseres empirischen Bewußtseins für Fichte nicht als ein absoluter Dualismus gelten kann, so muß der Gegensatz in das absolute Ich fallen. Die absolute Vernunft könnte nämlich ohne die von ihr gesetzte Schranke des Nicht-Ich sich weder offenbaren noch bewähren; um ihrer Aufgabe willen bedarf sie jenes „Anderen“ oder der „Natur“, die Fichte deshalb bezeichnet als das „versinnlichte Materiale der Pflicht“.
32. In seinem dritten Grundsatz weist Fichte auf die innige Verschlungenheit dieser beiden Momente von Ich und Nicht-Ich hin. Die Scheidelinie zwischen der Ich-Region und der Nicht-Ich-Region liegt nicht fest, sondern ist selbst in einer stetigen Fortbewegung begriffen in die Unendlichkeit.
Ich → Nicht-Ich →Unendliches Ziel.
Diese Verschiebbarkeit der Scheidelinie zwischen Ich und Nicht-Ich drückt Fichte aus durch den Begriff der Teilbarkeit des Ich und des Nicht-Ich. Und so lautet jetzt der dritte Grundsatz: „Das Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen.“
Zur Thesis des ersten und zur Antithesis des zweiten Satzes bildet dieser dritte Satz die Synthesis. In dem immer neuen Setzen des Ich und Gegensetzen des Nicht-Ich sieht Fichte die Einheit des nie stillstehenden Lebens: der Vernunft, die den aus ihr selbst heraus immer wieder drohenden Tod besiegt und in jedem errungenen Siege sich auch wieder von neuem vor die Todesdrohung des Nicht-Ich gestellt sieht.