Holzvergaser
Trockenes und in Streichholzschachtelgröße zerteiltes Holz (alternativ auch Holzkohle) wird in einem geschlossenen Behälter nicht verbrannt, sondern „unter Sauerstoffmangel“ verschwelt. Dabei entsteht ein aus Kohlendioxyd, Kohlenmonoxyd, Methan, Ethan, Wasserstoff und Wasserdampf zusammengesetztes Holzgas. Diese heiße, mit Teerölen verunreinigte Gasmischung wird gekühlt, gereinigt und anschließend in den Brennraum des Motors geleitet. Während des Zweiten Weltkrieges stellte man vor allem Ackerschlepper und Lieferwagen, aber auch zahlreiche Personenwagen auf Holzgas um.
Quelle des Fotos: Verkehrszentrum des Deutschen Museums
Der ehemalige KZ-Häftling Josef Neunzig verhalf mit einem Holzvergaser ehemaligen KZ-Häftlingen und auch dem Leichnam von Karl Leisner zur Rückkehr in die Heimat.
Josef Neunzig (* 1.3.1904 in Bedburg bei Köln, † an den Folgen eines Autounfalls am 1.5.1965 auf dem Weg nach Dachau zu einem Treffen der Dachaupriester 4.8.1965 in München) – Priesterweihe 12.3.1932 in Trier – Die Nationalsozialisten wiesen ihn am 30.11.1939 aus dem Bistum Trier aus. Am 3.1.1941 wurde er Pfarrvikar in Halver (Erzbistum Paderborn), dort aber am 23.8.1941 von der Gestapo verhaftet. Er kam wegen Jugendseelsorge, Verstoßes gegen den Kanzelparagraphen u. Beschenkens polnischer Zivilarbeiter mit Zigaretten am 14.10.1941 ins KZ Dachau, wurde am 9.4.1945 entlassen und kehrte am 29.5.1945 nach Halver zurück. Nach seiner Entlassung fuhr er meist mit einem Holzkocher, einem mit Holz statt mit Benzin angetriebenen Lastwagen, dem sog. Circus-Neunzig, nach München und transportierte ehemalige Häftlinge und deren Angehörige durch die amerikanische, französische und britische Besatzungszone nach Wuppertal und zurück. Er überführte auch Karl Leisners Leichnam von Planegg bis Wuppertal. Er war einer der Herausgeber der „Stimmen von Dachau“. Am 23.1.1948 wurde er Pfarrer von Herdorf und am 27.4.1956 Pfarrer in Bad Bertrich.
Christa Neunzig am 21. Mai 1966 an Heinz Römer in Haardt:
Er [Josef Neunzig] gönnte sich aber keine Ruhe und fuhr kurz hintereinander dreimal nach Dachau, um Kameraden zu holen, die in Folge von Krankheit oder Mangel an Transportmöglichkeiten nicht nach Hause konnten. Wie er die erste Fahrt organisiert hat, weiß ich gar nicht mehr. Da brachte er Caritasdirektor [Hans] Carls mit. Dann hat dieser in Elberfeld von einem Fabrikanten einen Lastwagen zur Verfügung gestellt bekommen. Wissen Sie, das war noch einer mit Holzvergaser. […] Beim dritten Transport sollte der inzwischen verstorbene, im KZ geweihte junge Priester Karl Leisner in die Heimat geholt werden. Nun wehrte sich aber die Mutter, daß ihr Sohn schon wieder fahren sollte, weil er doch nun dringend etwas Schonung gebraucht hätte. Auch seine [Josef Neunzigs] Gemeinde, die ihn so lange entbehrte, sah es gar nicht gerne. Er war damals noch Pfarrvikar: Sie gaben ihm schon den Namen „Fahrvikar“. Da kam der Herr Caritasdirektor eigens aus Elberfeld, um erstens die Mutter umzustimmen, und zweitens stieg er bei einer Abendandacht auf die Kanzel unseres Diasporakirchleins und erzählte der aufmerksamen Gemeinde die Geschichte von Karl Leisner und warum ihr Vikar noch ein letztes Mal nach Bayern müßte. Nun, alle ließen sich beschwichtigen und Josef tat den letzten Liebesdienst an dem [zwischenzeitlich verstorbenen] Primizianten von Dachau.[1]
[1] Original im Bistumsarchiv Speyer, Nachlaß Römer Nr. 5
Nach Karl Leisners Tod am 12.8.1945 gelangte sein Leichnam mit dem dritten Treck von „Circus-Neunzig“ vom 15.8.1945 nach Wuppertal und von dort mit einem Leichenwagen nach Kleve.
Maria Husemann aus Wuppertal-Elberfeld am 5. Februar 1966 an Heinz Römer in Haardt:
Ich war 1945 im Juni einige Tage nach meinem Todesmarsch [aus dem KZ Ravensbrück] aus der Tschechei vor H. C. [Hans Carls] in Wuppertal angekommen. […] Kurz nach meinem Eintreffen hier wurde ich von einer Elberfelder Autofirma gebeten, mich für die Beschaffung von Benzin einzusetzen. Ich tats und so war es möglich, mit H. C. auch Pfr. Neunzig nach hier zu holen. Dann organisierten diese beiden Herren mit Hilfe von einigen Persönlichkeiten weitere Transporte von der Speditionsgesellschaft. Holten die Geistlichen von München ab, eintreffen im [St.] Marienheim Elberfeld, von wo weitere Fahrten möglich gemacht wurden.[1]
[1] Original im Bistumsarchiv Speyer, Nachlaß Römer Nr. 55
Heinz Römer:
Wißt Ihr übrigens, daß es unserem unvergeßlichen Hans Carls zu verdanken ist, daß Karl Leisners Leiche bald nach seinem Tod in die Heimat überführt werden konnte? Er und seine Sekretärin [Maria Husemann], die auch gerade aus dem KZ heimgekommen war, organisierten damals das Benzin und die Autos, die nötig waren, um die überlebenden Priester aus dem Süden [mit dem Circus-Neunzig] nach dem Norden zu bringen und dann auch Leisners Leiche.[1]
[1] Heinz Römer in: Stimmen von Dachau, Osterzeit 1966 – Nr. 5: 15
Tagebucheintrag
Planegg, Montag, 9. Juli 1945
„Circus-Neunzig“ reist ab. Vater mit. Mutter bleibt. Bekommt Lebensmittelmarken.[1]
[1] Heinrich Auer am 14.11.1945 an Emil Thoma:
[…] Sein [Karl Leisners] Vater fuhr auf unserem Lastwagen mit, der unter Führung von Jupp Neunzig eine Anzahl Kameraden und mich am 10. Juli von [Schloß] Nymphenburg [in München] der Heimat zuführte. In Karlsruhe verließ ich den Lastkraftwagen, dessen Zielstation Wuppertal-Elberfeld war.
Johannes Rindermann:
Es wurde Juli. Ich wartete auf die Heimreise. Eines Tages wurde mir mitgeteilt, daß unser Mitbruder Josef Neunzig mit einem Auto kommen würde, um uns ins Rheinland zu bringen. In München bestieg ich mit Domkapitular Nikolaus Jansen das Auto, er im vorderen Wagen und ich hinten in einem kleinen Möbelwagen, der als Anhänger diente. Es war kein komfortables Fahrzeug, aber wir waren froh, daß es der Heimat zuging (Rindermann, Johannes: Hans Rindermann, Pfarrer in Eschweiler-Bergrath. Erinnerungen an Dachau 1941–1945. In: Selhorst 1972: 140–162, hier 161).
Elisabeth Haas, geb. Leisner:
Vater konnte sich nur einige Tage bei Karl am Krankenbett aufhalten, weil er seinem Beruf [am nach der Zerstörung Kleves nach Kalkar verlegten Gericht] nachgehen mußte. Er hatte die Möglichkeit, mit dem „Treck“ (einem LKW und Anhänger [Circus-Neunzig]), den der ehemalige KZ-Priesterhäftling Pfarrer Neunzig von Nord nach Süd und umgekehrt für entlassene KZ-Häftlinge und deren Angehörige organisierte, von München bis Wuppertal mitzufahren.
Für Mutter wurden nach einigem Bemühen Lebensmittelmarken sowie Aufenthalt im Waldsanatorium Planegg besorgt, so daß sie ihrem schwerstkranken Sohn noch bis zum Ende in mütterlicher Liebe beistehen konnte. Mutter und Karl dankten Gott für dieses einmalige Geschenk des Beisammenseins. Es war immer Mutters Wunsch gewesen, ihren kranken Sohn noch einmal pflegen zu dürfen.[1]
[…]
Meine Schwestern Maria, Paula und ich verließen am 5.8.1945 per Güterwagen den Klever Bahnhof. Auf der Fahrt Richtung Wuppertal passierten wir dreimal den Bahnhof der Stadt Goch, die zwölf Kilometer von Kleve entfernt liegt. Im evangelischen Krankenhaus in Wuppertal fanden wir freundliche Aufnahme. Unsere Fahrt [mit Circus-Neunzig] in zwei Tagen nach München ging gut vonstatten. Ich kann mich noch gut entsinnen, daß wir in der Nähe von Stuttgart bei einer älteren evangelischen Dame übernachteten, die zum Frühstück aus der Heiligen Schrift vorlas. Das beeindruckte mich tief.
Am 9.8.1945 erreichten wir gegen 21.00 Uhr das Waldsanatorium Planegg bei München. Vinzentinerinnen leiteten das Haus. Zu so später Stunde erlaubten uns die Schwestern keinen Besuch mehr bei unserem ältesten Bruder, da er bereits für die Nacht versorgt war und nicht mehr gestört werden durfte.[2]
[…]
Das erste Seelenamt für Karl wurde am 14.8.45 – meinem Geburtstag – in der Kapelle des Sanatoriums von P. Otto Pies [SJ] gefeiert, und am 15.8. – dem Fest Mariä Himmelfahrt – startete der von Pfarrer Neunzig organisierte „Treck“ – LKW und Anhänger – wie geplant gen Wuppertal. Wie eine wunderbare Fügung der Gottesmutter sahen wir diese Fahrt, bei der die Leiche im Anhänger mittransportiert wurde, an.[3] Paula und ich „trampten“ an diesem Morgen schon früh in Richtung Frankfurt/M. Mutter und Maria fuhren mit dem „Treck“. Wir beide erreichten am Abend des 15. Frankfurt am Main und übernachteten bei Schwestern im Monikaheim, die wir von Praktika unserer Ausbildung her kannten.[4] Am 16.8. stellten wir uns wieder an die Straße und erreichten am späten Abend Vater in Kleve, dem wir Karls Tod und die Überführung seines Leichnams mitteilen konnten. Wir erledigten mit ihm alle Vorbereitungen für die Beerdigung. Die einzige in Kleve erhaltene Kirche befand sich im Kapuzinerkloster [Spyckkloster]. Dort vereinbarten wir das Requiem für den 20.8.[5]
[1] Haas, Elisabeth: Dokumentation vom 30. Januar 1991, (Manuskript) 1991: 3f. (zit. Haas, E. 1991)
[2] Haas, E. 1991: 4f.
[3] Heinz Römer:
War er [P. Odilo Gerhard OFM] doch bei denen, die seinerzeit den Sarg mit Karl Leisners Leiche auf den Wagen hoben zum Heimtransport nach Kleve (in: Stimmen von Dachau, Winter 1966/67 – Nr. 7: 24).
[4] Paula Leisner war vom 3.1. bis 10.3.1941 und Elisabeth Leisner vom 3.5. bis 29.7.1943 dort tätig.
[5] Haas, E. 1991: 6–8