Am Sonntag, dem 28. Juni 1998, wurden im Rahmen eines Dorffestes in Altkalkar die Straßenschilder mit der neuen Bezeichnung „Karl-Leisner-Platz“ feierlich enthüllt. Vorausgegangen war ein Festgottesdienst mit dem Präsidenten des IKLK, Spiritual Hans-Karl Seeger, in der an diesem Platz liegenden St. Pankratiuskirche[1].
[1] Die Pfarrkirche St. Pankratius wurde erstmalig 1281 erwähnt. – vollständig Zerstörung 1640 – 1689 Errichtung einer neuen Kirche – nach erneuter Zerstörung 1892 Bau einer Kirche im neugotischen Stil
Erich Haas, ein Schwager Karl Leisners, hatte als Kalkarer Ratsmitglied 1984 nach dem 88. Katholikentag in München die Anregung gegeben, in Kalkar eine Straße nach Karl Leisner zu benennen. 14 Jahre später ging sein Wunsch in Erfüllung. Am Donnerstag, dem 11. Dezember 1997 beschloss der Rat der Stadt Kalkar die Umbenennung des Kirchplatzes St. Pankratius von Gocher Straße (Nr. 6 bis 10) in Karl-Leisner-Platz. Vorausgegangen war der Vorschlag von Gerd Fonck, den Platz rund um die St. Pankratiuskirche nach Karl Leisner zu benennen.
An der von Erich Haas vorgeschlagenen feierlichen Veranstaltung nahmen auch Karl Leisners Schwestern Maria Leisner und Elisabeth Haas teil. Der stellvertretende Bürgermeister Peter Sakowski hielt eine Ansprache und enthüllte das Straßenschild. Hans-Karl Seeger überbrachte die Grüße des IKLK.
Die Mitglieder des IKLK wurden mit dem Rundbrief Nr. 39, Seite 149, vom Februar 1999, über die hinzugekommene Ehrung Karl Leisners informiert.
Das heutige Stadtgebiet von Kalkar grenzt im Westen an die Stadt Kleve, die Ortskerne sind nur etwa 12 Kilometer voneinander entfernt. Sowohl Kalkar, als auch die verschiedenen inzwischen eingemeindeten Ortsteile wie Altkalkar, Wissel, Kehrum, Niedermörmter, Reeserschanz oder der Monreberg werden von Karl Leisner in seinen Aufzeichnungen erwähnt und waren häufig Ziele von Wandertagen oder wenn die Jungen „auf Fahrt“ waren.
In Kalkar wohnte die Familie Bettray, mit der Familie Wilhelm Leisner befreundet war. Otto Andrae und Willi Joosten waren Mitschüler von Karl Leisner, und im Collegium Borromaeum lernte er die gebürtigen Kalkarer Franz Wolff und Willi van Gemmeren kennen.
Kleve, Samstag, 29. [30.] Juni 1928
(Wandertag) Um 7.45 Uhr trafen wir (unsere Klasse U III g) [uns] am Bahnhof [in Kleve]. Bis Calkar gings mit dem Zug.[1] Von dort zu Fuß über den Damm zur Ponte [Reeserschanz]. – Dort kurze Rast; dann übergesetzt. […] Dann wieder übergesetzt und in eineinviertel Stunde neun km mit Jan [Ansems] und noch ein paar vorgeklotzt. Um 15.00 Uhr von Calkar nach Cleve gefahren. Dort gegen 15.45 Uhr angekommen.
[1] Die Strecke Kleve-Kalkar ist stillgelegt.
Ab 1925 besuchte Karl Leisner alljährlich die Kalkarer Freilichtspiele. 1924 war der Beginn dieser Freilichtspiele in Kalkar, dem „Oberammergau des Niederrheins“, mit der Aufführung des Passionsspiels „Das Leiden Christi“. Die Spiele hatten für Karl Leisner eine große Bedeutung.
Kleve, Dienstag, 10. Juli 1928
Wir fuhren nach Kalkar, stellten dort bei [Familie Friedrich] Bettray[1] unsere Räder unter, und wohnten mit dem Gymnasium dem Parsifalspiel bei. Bis jetzt habe ich alle Kalkarer Freilichtspiele gesehen.
[1] Bettray, Familie
1, Generation: Eheleute Friedrich Bettray (* ?, † 10.3.1921) u. Mathilde Bettray, geb. Theißen (* 20.6. 1863 in Kalkar, † 11.12.1942) – Heirat 18.8.1885 – Kalkar – 15 Kinder
2. Generation: Eheleute Eduard Bettray (* 9.4.1898 in Kalkar, † beim Luftangriff auf Kleve 7.10.1944) u. Alwine Bettray, geb. Brüker aus Niedermörmter (* 2.4.1902 in Niedermörmter, † ?) – Heirat 5.2.1929 – Sie zogen von Kalkar nach Kleve in die Landkrankenkasse Ecke Lindenallee 37/Triftstr. Dort war Eduard Bettray Geschäftsführer. Das Ehepaar war mit Familie Wilhelm Leisner befreundet.
Eduard Bettray, Heinrich Otten und Vater Wilhelm Leisner waren Skatbrüder.
Durch Kasperlespielen verdiente sich die Katholische Wandervogelgruppe St. Werner, der Karl Leisner angehörte, Geld für ihr Heim und die Fahrten. Ende April gab es eine Spielfahrt mit den Kasperlefiguren nach Kalkar.
Sonntag, 28. April 1929
Auf der Landstraße bei Schloß Moyland am 28.4.1929
(Wir gingen zum Kasperspielen nach Kalkar.) Photo: Jan [Ansems]
Karl Leisners Bruder Willi Leisner schreibt dazu in einem Brief vom 15. Mai 1929 an Walter Vinnenberg:
Beim Kasperletheaterabholen von Calcar haben sich die meisten „eifrig“ gedrückt. Denn nur Jan [Ansems] und wir zwei [Karl und Willi] waren am Dienstag, dem 30. im Ostermond, zum Abholen am Bahnhof.
Kleve, Freitag, 24. Mai 1929
Fahrt mit dem Rad nach Wesel vom 24.5. bis 25.5.1929
Wir zwei [Karl und sein Bruder Willi] standen um 5.30 Uhr auf und fragten Papa um Erlaubnis, [mit dem Fahrrad] nach Wesel zu fahren. Papa sagte sofort „Ja“. Also machten wir alles fertig und aßen. Um 7.00 Uhr starteten wir über die Uedemer Straße nach Qualburg. Von dort radelten wir über Calkar nach Reeserschanz, wo wir zusammen für 50 Pfennig mit dem Motorboot [über den Rhein] übersetzten.
Kleve, Sonntag, 7. Juli 1929
Fahrt mit dem Rad nach Kalkar zu den Kreisjugendwettspielen
Mit vier Mann hauten wir um 9.30 Uhr vom „Dicken Baum“ über Schneppenbaum, wo wir im Wald Waldbeeren aßen, nach Kalkar. Dort stellten wir die Räder bei Bettray unter und gingen zum Monreberg, wo wir futterten und Herrn [Gerd] Matthäi mit seinen vier Jungens [Hermann, Wilhelm, Bernhard und Werner] trafen. Es regnete ziemlich viel. Wie lieferten eine „Tannenzapfen-Schlacht“ und trieben allerhand Blödsinn. Um 14.30 Uhr gings nach Kalkar, wo wir bis 19.00 Uhr auf’m Sportplatz und auf’m Markt uns die Kreisjugendspiele usw. ansahen. Dann fuhren wir nach Hause, wo wir um 20.00 Uhr landeten.
Juni 1930
Passionsspiele 1930 in Kalkar
Auch in diesem Jahr fuhren wir wieder mit der Schule hin. Es war ein Erlebnis! – Wie wundervoll natürlich die Kalkarer Laienspieler ihre Rollen spielten, ist nicht zu sagen. […] Wann ich da war, weiß ich nicht, da ich mir’s nicht aufgeschrieben habe. Aber auf’s Datum kommts ja nicht an, sondern auf das Erleben eines solchen Schauspiels. Kalkar darf sich meiner Ansicht nach mit Recht „Niederrheinisches Oberammergau“ nennen. Denn was die Kalkarer Laienspieler uns dort vorführten und wie, das hätten ihnen so meisterhaft nicht die besten Berufsspieler nachgemacht. – Bis jetzt war ich noch jedesmal in Kalkar und es hat mir noch immer sehr gut gefallen.
Siehe Aktuelles vom 19. April 2014 – Karl Leisner sah 1930 die „Calcarer Passion“.
Kleve, Sonntag, 1. Juni 1930
Fahrt zum Monreberg
Dann ging’s unter Erzählen (mit Föns [van Thiel]) und Singen bis in die Nähe des Monrebergs. Als wir bald in Kalkar waren, trafen wir Jan Laakmann in seiner neuen Harald-Riecken-Tracht. „Fein! und praktisch!“ Auf dem Monreberg zunächst hingelegt und ausgeruht und erzählt.
Ein besonderes Erlebnis war für die Jungen die 700-Jahrfeier von Kalkar über die Karl Leisner am nächsten Tag im Gymnasium auch einen Aufsatz schrieb.
Kleve, Sonntag, 19. Oktober 1930
Fahrt zur 700-Jahrfeier nach Kalkar am Sonntag, den 19.10.1930
[…] Dann über die Straße – auf das Schloß [Moyland] zu – auf der Landstraße nach Kalkar. – Dort Singen. In Kalkar – am Stadteingang rechts die neue Eierbörse[1]! Triumphbogen: „700 Jahre Stadt Kalkar“. – Durch die fahnenbehangenen Straßen zum Marktplatz. – Dort den Klängen eines Trommler- und Bläserchores gelauscht. – (Karte gekauft und Walter geschrieben.) – Um 18.15 Uhr setzte die Beleuchtung der Kirche [St. Nicolai][2] ein. An der linken Rathauswand wurde eine große Leinwand angebracht.
[1] Die Eierbörse wurde anlässlich der 700-Jahrfeier am 18.10.1930 eröffnete. Es war ein Versteigerungs- und Verwaltungsgebäude der Nutzgeflügelzucht- und Absatzgenossenschaft des Kreises Kleve, Jahresumsatz ca. 12 Millionen Eier. Heute befindet sich dort ein REWE-Markt.
[2] St. Nicolai in Kalkar wurde 1230 als dreischiffige Hallenkirche mit zwei parallelen Chören und einem eingebauten Westturm errichtet. – Brand 1409 – Einwölbung des Chores 1421 – Umfassende Restaurierung um die Wende vom 19. Jhdt. zum 20. Jhdt. – Behebung der erheblichen Kriegsschäden nach dem Zweiten Weltkrieg
Kalkar: Rathaus und Rathausplatz
Kalkar: Blick vom Rathausplatz auf die Nicolaikirche und Innenraum der Kirche
Gegen 18.45 Uhr begann ein Lichtbildervortrag [von Rektor Johannes op Gen Oorth[1]] über Kalkars Entstehen und Gedeihen. Zunächst wurden alte Gemälde, Kupferstiche, Urkunden und Siegel über Kalkar gezeigt. – Der Film wurde eine kurze Zeit von einem lebenden Bilde [einer kleinen Theaterszene] unterbrochen, das die Überreichung der Stadternennungsurkunde für Kalkar durch den Erzbischof von Köln [Graf Heinrich I. von Müllenark] darstellte. Dann wurden uns die in der Blütezeit Kalkars entstandenen Kunstwerke der alten Kalkarer Schule vorgeführt. Wunderbar! – Auch hier wurde ein lebendes Bild eingefügt. Es stellte die alten Kalkarer Meister dar, wie sie wirkten und schafften.[2] – Zuletzt sahen wir noch einige neuere Aufnahmen der Stadt, unter anderm auch die Eierbörse, die neuerdings etwas mehr Handel und Verkehr nach Kalkar bringt. – Als letztes Bild wurde gezeigt, wie vielleicht der Marktplatz im Jahre 1950 aussehen wird (riesiger Verkehr!). Darauf fand ein Fackeltanz [statt], dem ich nicht gut folgen konnte, weil ich trotz meiner Länge nicht über den gewaltigen Menschenstrom hinwegschauen konnte. – Inzwischen war auch das Rathaus beleuchtet worden, während die vielen Häuser, die den Marktplatz umgeben, schon vorher im Licht erstrahlten. – Nach dem Tanz bildete sich ein Fackelzug, an dessen Spitze eine Gruppe in alter Tracht ging. – Auch die Fahnenträger der Vereine hatten vielfach die alte Tracht an. Als wir den Fackelzug gesehen hatten, mußten wir leider an den Rückmarsch denken. Auf der Landstraße betrachteten wir noch einmal von ferne das hellerleuchtete Kalkar. – Ein herrliches Bild! – Unter Singen zogen wir nach Hause zurück.
[1] Johannes (Jean) op Gen Oorth (* 25.7.1887 in Goch, † 15.12.1954 in Weeze) – Priesterweihe 8.3.1913 in Münster – Schulrektor in Kalkar 28.8.1917 bis 1.12.1948
[2] z. B. Meister Arnt, Ludwig Jupan, Jan van Halderen, Jan Joest, Henrik (Heinrich) Douvermann und Arnt van Tricht
Kleve, Dienstag, 26. Mai 1931, Pfingstdienstag
Früh raus! – Papa, Willi (im Urlaub) und ich fahren über Kalkar – Marienbaum nach Labbeck.
Pfingsten 1932 wandern die Jungen zum Bundestag des Katholischen Wandervogels in Marienthal bei Wesel und verbringen die erste Nacht auf dem Monreberg, auf dem Rückweg fahren einige ab Kalkar mit dem Zug.
Donnerstag, 12. Mai 1932, 1. Tag
Unter traurigem Gesicht des Himmels zogen wir los. Doch schon hinter Bedburg, auf dem Weg zum Monreberg, wurde es uns zu heiß in unsern Mänteln. Kurz vor Kalkar rasteten wir und stärkten uns.
Am Monreberg holten wir bei einem Bauern Stroh und zelteten. Es war aber zu naß. Deshalb zogen wir in eine windige Bude auf einem Berg. Wir verhingen die offenen Stellen so gut wie möglich mit Zeltbahnen und machten uns ein Nachtlager zurecht. Nach einer guten Stärkung tummelten wir uns in der nahen Sandgrube. Langsam wurde es Abend. Die Nachtigallen schlugen herrlich die ganze Nacht. Das entschädigte einen voll für den „windigen Schlaf“.
Monreberg, Freitag, 13. Mai 1932, 2. Tag
Um 5.00 Uhr waren wir schon auf. Es war frisch. Wir konnten uns nicht waschen, weil kein Wasser da war. – Das Holz war zu naß; so kochten wir mit Stroh. Langsam, aber sicher bekamen wir eine gute Haferflockensuppe mit „Strohfischkes“[1] fertig. Es brach ein prächtiger Frühlingstag an. Gegen 7.30 Uhr brachen wir auf. Die Sachen blieben ungespült. Ein Stück waren wir schon gelaufen, da merkte ich, daß ich ein paar Riemen zurückgelassen hatte. Also zurück! –
[1] vermutlich Teilchen vom Strohfeuer
Währenddessen spülten die andern in einem Graben an der Kalkarer Landstraße. Willi machte eine feine Aufnahme davon. (siehe Bild)
Man kann auch mit Stroh ’ne Supp’ kochen! Spülen im Graben an der Landstraße
Marienthal, Mittwoch, 18. Mai 1932, 7. Tag
Um 5.30 Uhr tippelten wir los. […] Wir setzen [in Rees] über [den Rhein]. In Niedermörmter legten wir uns „schachmatt“ hin, und es gab Wasser mit Brot. Dann ging’s durch die Affenhitze auf Kalkar zu. Unterwegs kam mir der Gedanke, einen Teil mit dem Zug fahren zu lassen. Doch es fehlten 19 Pfennig. – Also „ködden“. – Doch bei den Bauern bekommt man kein Geld. – So mußten wir also die Bahn „betuppen“. Willi fuhr ganz; die andern drei „Schwächlinge“: Erich, Wem M. [? Meyer] und Fränz [Ebben] fuhren halb, trotz ihrer 11 Jahre.
Zum Schuljahresende 1933 erwähnt Karl Leisner Wilhelm Joosten[1] aus Kalkar.
[1] Wilhelm (Willi, Wem) Joosten (* 9.11.1911 in Kalkar, † ?) – Abitur am Gymnasium in Kleve 1935
Kleve, Dienstag, 4. April 1933
Beginn der Osterferien
Schulschluß! […] Leider blieb Wem Joosten pappen. Schade, denn er weiß mehr als manch’ andrer; er war wiederholt schwerfällig und etwas faul.
Von einer Singekreistagung in Marienthal bei Wesel geht es per Fahrrad über Kalkar nach Kleve.
Marienthal, Dienstag, 6. Juni 1933
In Marienthal! Abends 19.20 Uhr ab nach Cleve. 22.00 Uhr Calcar. – Radschlag endlich geflickt! Um 22.45 Uhr zu Haus. (Lampe [fürs Fahrrad] gekauft.)
Im August 1933 fahren die Jungen unter der Leitung von Walter Vinnenberg[1] mit dem Fahrrad nach Baltrum. Am ersten Tag kommen sie auch durch Kalkar.
[1] Prälat Dr. phil. Walter Vinnenberg (* 8.6.1901 in Lippstadt, † 1.12.1984 in Bocholt) – Priesterweihe 27.2.1926 in Münster – Kaplan in Kleve St. Mariä Himmelfahrt u. Religionslehrer am Gymnasium in Kleve in allen Klassen v. 1.4.1926 bis Pfingsten 1929 – Außerdem unterrichtete er Hebräisch und Sport und leitete eine religionsphilosophische Arbeitsgemeinschaft. Er gewann Karl Leisner für die Jugendarbeit und gab den Anstoß zur Gruppenbildung. Mit den Jungen unternahm er zahlreiche Fahrten auch noch nach seiner Tätigkeit in Kleve.
Kleve, Mittwoch, 2. August 1933, 1. Tag
5.20 Uhr ab Hause. (Vorher geklöngelt [Zeit vertan]!). Feiner Morgen! Durch Sternbusch nach Kalkar – Xanten – Rheinwiesen – Wesel.
Im September 1933 erwähnt Karl Leisner erstmalig seinen Konabiturienten Otto Andrae[1] aus Kalkar.
[1] Dr. med. dent. Otto (Ött) Andrae (* 27.11.1912 in Kalkar, evangelisch getauft, † 1991) – Er wechselte Ostern 1929 von der Rektoratsschule in Kalkar in die Obertertia des Gymnasiums in Kleve und war Konabiturient von Karl Leisner. Im Seligsprechungsprozeß für Karl Leisner hat er 1981 als Zeuge ausgesagt.
Kleve, Mittwoch, 20. September 1933
In der vierten Stunde (Latein bei [E.] Bauer) erscheint die „Geit“ [Wilhelm Verleger] und hält in Sachen [Otto] Andrae eine große Strafpredigt ans Volk, besonders an die „S.-S.“ [Sturmschar] – Haha! Lächerlich!
Kleve, Donnerstag, 5. Oktober 1933
Gute Beicht’ bei Kaplan [Hermann-Josef] Wolffram, meinem Beichtvater. Endlich Sache c. capra [capra (lat.) Ziege – Geit] et andrae [mit Dr. Wilhelm Verleger und Otto Andrae] erledigt!
Kleve, Dienstag, 10. Oktober 1933
7.00 Uhr raus. – [Giovanni] Papini [Die Lebensgeschichte Christi] gelesen. Erste Stunde Latein. Wir lesen Tacitus Annalen Buch II, cap. 5. – [? Wem] Joosten stellt sich bockbeinig an. Wir bewundern die Selbstzucht Dr. [E.] Bauers.
Kleve, Dienstag, 27. Februar 1934
Heute morgen hatten wir eine sehr interessante Zeichenstunde. Voriges Mal hatten wir ein Bild zu beschreiben und zu deuten gehabt. Der „Erfolg“ war niederschmetternd (so [Zeichenlehrer Studienassessor] Prechtl!). In einer anschließenden Debatte zwischen Herrn Prechtl und Paul Brückner, Otto Andrae und [Wilhelm] Joosten, Manes [Hermann] (Mies) und mir ergab [sich] für mich folgendes (etwas zu einseitige) Urteil: Der Durchschnittspennäler ist ein Phrasendrescher und ein „So-tun-als-ob-Mann“. Er quatscht von Rasse, Volkstum usw., das Ganze aber ist „Grammophon“. Nichts Tiefes ist an ihm, alles „Oberflächliche“. (Das Tiefste steckt vielleicht doch noch tief in ihm drin.) Alles ist angepaukt, nichts ist erlebt. Daher dieser verfluchte „Kultur- und Bildungstiefstand“, das Fliehen zum rein Stofflich-Sinnlichen (Saufen, Markieren, Poussieren bzw. „Schweinereien“). Die meisten Pennäler sind mit etwas Wissen oder besser Halbwissen vollgestopfte Wesen, geistige Unnatur. Sie sind eben nicht „total“ gebildet (zum Beispiel nach „tief christ-katholischem“, „mittelalterlich-modernem“ „System“), sondern haben mal hier, mal da „genippt“ und wissen schließlich nichts mehr von ihrer Nipperei. Diese verfluchte liberalistisch-pfropfende „Erzieherei“! Gott sei Dank, wenn das anders werden sollte. – Wie aber ist damit an den Pennen abzubauen? 1. Schulreform, 2. Gesinnungsreform. („Totaler“ alles! tiefer, gründlicher! – Demütiger, ehrfürchtiger, christlicher!)
Kleve, Freitag, 23. März 1934
Und dann andern Morgen das Schönste: Jupp [Gerlings] hat nachträglich mit „Gut“ zuerkannt bekommen! – Wir beiden fielen uns bald um den Hals! Mit je einem Päckchen Feigen zu 18 Pfennig ziehen wir in den Sternbusch und freuen uns und sind übermütig und reden mal ganz derb und lustig über die „Mühen“ des vergangenen Jahres.
„Geit“ [Dr. Wilhelm Verleger] – Protestantische Toleranz – Ött [Otto Andrae] – Kontekrüpper [Arschkriecher] – reden – vielleicht etwas zu deutlich und vielleicht auch übertrieben und ungerecht! – Aber es quillt uns nur so aus siegesfrohen Herzen und wir lachen über so manches aus vollem Herzen! – Und sind froh!!
Kleve, Samstag, 19. Mai 1934, Pfingstvigil
UNSERE PFINGST-FAHRT 1934
Schnell packen Willi und ich die nötigen Sachen in unsere Affen und dann geht’s auf die Räder! 15.00 Uhr sind wir am Prinz-Moritz-Grab. – Zusammen sind wir 14 […] Hurtig ging’s los, nachdem wir uns in drei Gruppen [der Zeit entsprechend[1]] eingeteilt: Kalkar – Xanten (Dom!) – Rheinwiesen – Türme von Wesel – [Rhein-]Brücke zu Onkel Hans.
[1] Leisner, Willi: Tagebuch Nr. 5: 33
Als Großgruppe hätten sie bei den Nationalsozialisten Aufsehen und Argwohn erregt.
Am 1. Mai 1934 war Karl Leisner in das Collegium Borromaeum in Münster eingetreten, um Priester zu werden. Mit ihm trat auch Wilhelm van Gemmeren[1] aus Kalkar ein.
[1] Willi (Wem) van Gemmeren (* 1.2.1912 in Kalkar, † ?) – Abitur am Collegium Augustinianum Gaesdonck – Medizinstudium 1933–1934 – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1934 – Er wurde kein Priester.
Am 1. Mai 1934 war Karl Leisner in das Collegium Borromaeum in Münster eingetreten, um Priester zu werden. Mit ihm trat auch Wilhelm van Gemmeren[1] aus Kalkar ein.
Kleve, Dienstag, 22. Mai 1934
Um 13.30 Uhr zu Paul Dyckmans gefahren und dann mit ihm weiter über Erfgen-Till nach Wissel zu [Josef] Perau, einem Gaesdoncker Borromaeer des 2. Kursus. Mit Perau und meinem Kursusgenossen Wilhelm van Gemmeren aus Kalkar zogen wir dann in die Wisseler Dünen, wo wir uns ein wenig hinlegten und über alles mögliche Unsinn zusammenphilosophierten.
Nach den Pfingstferien fährt Karl Leisner wieder nach Münster.
Kleve, Montag, 28. Mai 1934
Endlich sitze ich dann um 8.45 Uhr auf dem Stahlrößle. Meine gute Mutter hat mir alles schon fein zurechtgepackt.
[…] Nun auf! Sternbusch, der spitze Zeigefingerkirchturm [von St. Martinus in Qualburg] und die neue Hasselter Kirche grüßen herüber – Kalkar – Marienbaum: Einkehr beim Gnadenbild Mariens und Bitte um gute Fahrt ins Semester.
Münster, Freitag, 15. Juni 1934, Oktav des Herz-Jesu-Festes
Mit Theo van Aaken, [Josef] Perau und Wem van Gemmeren suche ich im Antiquariat Schöningh rum und bummele dann mit Wem v. G. wieder zum lieben „Kasten“ zurück. Auf Wem’s Bude gibt’s Tomaten und Schokolade.
Münster, Sonntag, 24. Juni 1934, Heiliger Johannes Baptista [der Täufer]
Nachher nur mit Paul Dy. [Dyckmans], [Josef] Perau und [Willi] v. Gm. [van Gemmeren] los und – unnötigerweise – über die „Geit“ [Dr. Wilhelm Verleger] geschimpft. Ich muß das sein lassen, wenn ich ein ganzer Christusjünger sein will! Weg damit!
Münster, Freitag, 20. Juli 1934, Heiliger Hieronymus von Aemiliani
Ein großer Kinder- und Krankenfreund! – Nachmittags bis 15.00 Uhr mit [Josef] Perau, Paul D. [Dyckmans] und Wem v. Gem. [van Gemmeren] im Schloßgarten spazieren.
Münster, Sonntag, 22. Juli 1934, 9. Sonntag nach Pfingsten
Nach dem Essen um 13.00 Uhr mit den „Rhenanen[1]“ los nach Hugerlandshof (Handorf). Dort von 14.30 bis 17.15 Uhr gemütlich zusammengesessen. Feine Stimmung. Wir singen Kosakenchöre: Ganz glänzend! – Wem van Gemmeren und [Josef] Peraus Eis darf ich auflutschen! Lecker! –
[1] Rhenania: Landsmannschaft der niederrheinischen Theologen
Münster, Sonntag, 16. Dezember 1934, Gaudete!
12.45 Uhr los mit den „Rhenanen“ mit Paul D. [Dyckmans], Willi Gr. [Grave], [Joseph] Perau und Wem v. G. [van Gemmeren] zu ‘ner Kaffeewirtschaft.
Samstag, 29. Juni 1935
Ende des Sommersemesters
Nachtrag / Fortsetzung. (Rückblick auf die Ferien)
Kaum zu Hause geht’s los mit einigen Kerlen aus den St[? Sturmschar]=gruppen (den Älteren) nach Kehrum, zu van Gemmeren, die uns eingeladen hatten. Tummeln, Tollen, Spielen, Raufen, Schwimmen! Erntearbeit, Pferde, Kühe, Hunde, Katzen – Hühner, Futter echtester Art – alles, was ein Jungenherz begehrt. Wald, Felder, Bach, Sonne!
Am Freitagabend [19.7.] fahr ich schon von Marienthal vor nach Hause und […] o hartes Geschick – der erste aus der Reihe unserer Konabiturienten – unser lieber Paul Brückner, höre ich als erste Nachricht, ist gestorben an seinem bösen Magenbluten. Morgen in Düren Beerdigung. Ich fahr’ also am Samstagmorgen [20.7.] früh 5.00 Uhr mit einigen Kameraden per Autobus (v. Scholz) hin. In Düren zunächst heilige Messe – ich opfere die heilige Kommunion für Pauls Seelenruhe und für die Metanoia [Bekehrung] meines lieben Jan A. [Ansems] und Willi J’s [Joosten] auf. (Ich bin erschüttert über ihren Abfall von Christus![1]) […]
Und auf dem Rückweg, wie Wem [Willi] Joosten mir von seinen [? Angehörigen] und seiner Angebeteten erzählt. Er ist doch irgendwie sehnsüchtig und brennt vor Glut, aber Gottes Geist hat ihn zur Zeit nicht mehr ergriffen – er ist Nietzsche und seinen Propheten des Blutes verfallen.
[1] Sie hatten sich dem NS-Regime zugewandt.
Seinen Kurskollegen Franz Wolff[1] aus Kalkar erwähnt er nur einmal nach einer Predigtübung.
[1] Franz Wolff (* 22.8.1909 in Kalkar, † 14.6.1981) – Abitur am Gymnasium in Kleve – Eintritt ins Collegium Borromaeum in Münster 1.5.1932 – Aufgabe des Theologiestudiums nach 1935
Münster, Sonntag, 24. November 1935
Nachher Predigtübung. Es predigt [Franz] Wolff – Kalkar – über „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Kleve, Donnerstag, 2. Januar 1936
Morgens traf ich auch Willi Joosten, der mir von seinem neuen Mädchen [erzählte], einer Pfälzer Lyzeistin [Gymnasiastin] a. D. – intellektuell, interessant, ihn ansprechend. Er gehört quasi mit zur Familie. Er ist richtig im vollen Besitz seiner Ruhe und des Lebens, fast Spießer meint er einmal. Wie immer hab’ ich den Willi gern. – Er ist eine künstlerische Natur mit stark intellektuellem, manchmal fast dämonischem Einschlag. – Komischer Kerl, seltener Entwicklungsgang.
Karl Leisner verbringt die Semesterferien in Kleve.
Kleve, Mittwoch, 26. Februar 1936, Aschermittwoch
4.00 Uhr raus! Aufs Rad. 5.15 Uhr in Kalkar. Theo Kuypers getroffen. Zusammen los in froher Fahrt bis Rheinberg.
Im November 1937 trifft Karl Leisner seinen Konabiturienten Otto Andrae aus Kalkar wieder, der inzwischen in der Zahnklinik in Münster arbeitet.
Münster, Mittwoch, 17. November 1937, Buß- und Bettag
Froh zum Collegium Borromaeum. Auf dem Wege Ötte Andrae getroffen. Eine halbe Stunde zusammen geplaudert. Zeit zur Zahnklempnerei festgemacht.[1]
[1] Im Seligsprechungsprozeß berichtete Otto Andrae über eine Begegnung mit Karl Leisner im Sommersemester 1938:
Nach dem Abitur habe ich Karl Leisner nur einmal wiedergetroffen, und zwar im Sommersemester 1938, als ich nach meinen Studien in Rostock und Marburg die klinischen Semester in Münster absolvierte. Ich erinnere mich lebhaft, dass ich Karl vor dem Rathaus in Münster traf. Er kam wohl gerade von einem Spaziergang. Seine Schuhe waren staubbedeckt, bekleidet war er wie es damals üblich war mit der langen Soutane. Einige Blümchen hatte er in der Hand. Er hatte sich gegenüber unserer Gymnasialzeit nicht sehr verändert, sondern war ganz jungenhaft geblieben und wie immer frohen Mutes. Es war ein sehr heisser Sommertag, und ich fragte ihn, ob es ihm in der Soutane nicht zu warm würde. Er verneinte das und sagte mir: „Otto, die Eucharistie ist etwas Heiliges.“ Ich habe das nie vergessen. Kurz danach trennten wir uns. Es war unsere letzte Begegnung (Seligsprechungsprozeß: 380).
Münster, Dienstag, 23. November 1937
8.00 bis 10.00 Uhr Zahnklinik bei Otto Andrae.
Am 9. November 1939 wird Karl Leisner im Lungensanatorium Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien verhaftet und kommt über die Gefängnisse Freiburg und Mannheim am 16. März 1940 in das KZ Sachsenhausen in Schutzhaft und am 14. Dezember 1940 als Schutzhäftling in das KZ Dachau.
Am 7. Oktober 1944 wird in einem gewaltigen Bombenangriff innerhalb von 30 Minuten 80% der Bebauung Kleves zerstört. Das Haus der Familie Leisner ist unbewohnbar, sie findet eine Unterkunft auf dem Hof von Bauer August Janssen[1] in Niedermörmter und bleibt dort bis zum 6. März 1945. In Sammelbriefen an Karl Leisner beschreibt die Familie die Situation.
[1] August Janssen (* 17.2.1882 in Hau, † 4.3.1962) – Er lebte mit zwei Schwestern auf einem Bauernhof in „Niedermörmter 55 über Kalkar“. Der Kontakt kam durch die mit Familie Leisner befreundete Familie Bettray zustande. Alwine Bettray, geb. Brücker, stammte aus Niedermörmter. Außerdem hat Elisabeth Leisner vier Jahre hintereinander ihre Ferien bei Familie Janssen verbracht.
Donnerstag, 12. Oktober 1944
Vater Wilhelm Leisner aus Niedermörmter an Karl Leisner:
Unsere Eilkarte besagte Dir, daß wir alle mit dem Leben davongekommen sind. Du hast sicher gut für uns gebetet. Unser schönes Kleve ist gewesen und so zogen wir mit schwer bepackten Fahrrädern (zwei davon platt) über Materborn, Alte Bahn, Kalkar nach hier, wo wir bei [Familie August] Janssens herzlich aufgenommen wurden.
Montag, 20. November 1944
Mutter Amalia Leisner aus Niedermörmter an Karl Leisner:
Wir sind hier so herzlich gut aufgenommen, und Vater übt in Kalkar seinen Dienst aus, da das Amtsgericht dahin verlegt ist. Gebe Gott, daß wir am lieben Niederrhein bleiben können.
Am 17. Dezember 1944 wird Karl Leisner heimlich zum Priester geweiht, ein einmaliges Geschehen in einem KZ, und am 26. Dezember feiert er Primiz, seine erste und einzige heilige Messe. Nach der Evakuierung aus Kleve ist Familie Leisner kaum noch in der Lage, Karl Lebensmittel zu schicken und dankbar für jede Gabe von Freunden, Verwandten und Bekannten, darunter ist Jean op Gen Oorth aus Kalkar.
Donnerstag, 28. Dezember 1944
Vater Wilhelm Leisner aus Niedermörmter an Karl Leisner:
Lieber Karl!
Als ich nach den Feiertagen gefragt wurde, wie ich Weihnachten gefeiert hätte, sagte ich: Genauso schön, wenn nicht noch schöner als in früheren Jahren. Die nächtliche Überfahrt und die Mette in Rees in Deiner Taufkirche [St. Mariä Himmelfahrt] zu einer Zeit, wo Du vielleicht Dein erstes heiliges Meßopfer darbrachtest. Wir wollen feste weiter beten, damit wir auch noch das Glück haben, Deine Heimatprimiz zu sehen. Jean op Gen Oorth, Kalkar brachte für Dich Speck, [P. Wilhelm] Vollmerig [MSC] Speck und vier Würste; wir gaben sie Hannes P. [Pollmann] mit, damit er sie von Iserlohn aus fortschicke. Alle drei und viele andere gratulieren herzlichst.
Mittwoch, 24. Januar 1945
Mutter Amalia Leisner aus Niedermörmter an Karl Leisner:
Unsere Freude ist groß und nehmen wir an Deinem Glück und innerer Freude von Herzen teil. Wir danken Gott für diese große Gnade, und beglückwünschen Dich nochmals aufs herzlichste. Opa [Friedrich Falkenstein], Tante Paula, Onkel Balthasar und Maria [Väth], Familie [Johann] Pollmann, [Familie Joseph] Gerstner, Kaplan [Heinrich] Hillen, Pfr. [Pfarrer Arnold] Kochen, Materborn, zur Zeit Neheim-Hüsten, Herr Rektor [Johannes] op Gen Oorth, Kalkar, und alle lieben Bekannten wünschen Gottes Segen und Gnade zur heiligen Weihe und Primiz.
Samstag, 27. Januar 1945
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Berlin und Niedermörmter:
Hannes Pollmann, P. [Wilhelm] Vollmerig [MSC] und Jean op Gen Oorth besonders dankbare Segens- und Dankgrüße.
Samstag, 10. Februar 1945
Karl Leisner aus Dachau an seine Familie in Berlin und Niedermörmter:
Daß es in Niedermörmter noch recht geht, freut mich besonders. Vater als alter „Wandervogelpapa“ wird ja die 16 km täglich [hin und zurück nach Kalkar zum Gericht] gut schaffen.
Text und Fotos: Christa Bockholt und IKLK-Archiv