Karl Leisner und seine Sehnsucht (2)

Gott

In dem Wort Gott ist die Beziehung zum Menschen stets mitgedacht. Anderseits ist im Menschen das Geschaffen-Sein auf Gott hin immer schon angelegt.
In Karl Leisners Leben war Gott eine bedeutende Wirklichkeit.

Quelle des Fotos: Gabriele Latzel

Schönstatt, Samstag, 8. April 1933, 4. Tag
Den Gott des gottergriffenen Menschen sucht der moderne Mensch.
Überall Götzendienst (Wirtschaft usw.) deshalb Sehnsucht.
Lebensarmut:
1.
Mangel an Gottergriffenheit
2. Mangel an Christusergriffenheit
Durst, Drang nach Glaubenswahrheit? !! Raus, von!! – Religionsnote, Druck? – Lesen der heiligen Schrift
/ Ergriffenheit / Begeisterung, wie Karl May. Unentwickeltes Erkenntnisbewußtsein. – Die heilige Schrift hat uns aufgewühlt. – Auge noch nicht für die Erkenntnis der Wahrheit, oder ver­dorbener Geschmack! Verbogenheit, Verblödung des Geistes. (Stolz, Sinn­lich­keit hat alles verkrüp­pelt!) Wenn von dem Alltäglichen (Zeitgeist usw.) so ergriffen, dann doch erst recht von der heiligen Schrift und dem Glau­ben.

Münster, Donnerstag, 14. November 1935
Zugleich ein herrliches Geschenk des gütigen ewig jun­gen Got­tes, des Dreieinigen, – o ich erschauere vor jähen Aufwallungen des Glücks und des Jubels – und doch, welch ewiges Drängen und Spüren nach dem Vollkommensein „wie es unser Vater im Himmel ist [Mt 5,48].“ Sehn­sucht nach unendlichen Fernen schmachtet in mir und doch ist alles so nah – in Gott, dem Gegenwärtigen und dem Verborgenen. So will ich mein Le­ben singen „Introibo ad altare Dei – ad Deum, qui laetificat iuventutem meam (lat.) = Zum Altare Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.“ Hintreten will [ich] vor ihn, schreiten zu Christus, dem lebendi­gen Altare Gottes in der Menschheit und mich erfüllen lassen in meiner Jugend Sehn­sucht von Ihm, von Seinem Heiligen Geist! Alleluja!

Münster, Dienstag, 26. November 1935
Ich hab’ mich wieder zur Arbeit aufgeschwungen. Ich spüre lebendig Sen­dungs­kraft gerade ob dieser Zeitlage. Prophetisches Leben und Predigen tut heute not! – Ich probiere einmal statt Kollegs Privatstudium im Lesesaal [Universitätslesesaal am Domplatz]. (Kirsch[1] „Kirchengeschichte“ – Zeit­schriften (evangelische Theologie) (aus allem spüre ich die gewaltige Sehn­sucht nach Gott und zur Einen Hei­ligen Kirche. Wieviel Schönes steht und wächst auch bei den getrennten Brüdern!) – und Chrysostomus auf grie­chisch (ziemlich schwer im Anfang) Homilien zum 1. Korintherbrief[2] und den Kommentar von Sickenberger[3].
[1] Kirsch, Johann Peter: Kirchenge­schichte. 4 Bände, Freiburg/Br. 1930–1949
[2] Johannes Chrysostomus: Erster Brief des heiligen Paulus an die Korinther, Mainz 1859
[3] Sickenberger, Joseph: Die beiden Briefe des heiligen Paulus an die Korinther und sein Brief an die Römer, Bonn 31923

Münster, Mittwoch, 27. November 1935
Augustin [von Hippo] – der ganz große Mensch mit urgewaltigen Elemen­tarkräften in sich, mit der hei­ßen Leidenschaft im Blut, heißer Leidenschaft zum Weib, unermeßlicher Wissensgier, und doch das „ewige Kind“ dabei, das immer wieder den rechten Weg findet. In all seiner heißen Leidenschaft und Glut brannte aber am heißesten und unstillbarsten die große Sehnsucht nach Gott. So geht uns erst im Lichte dieses ganz großen Menschen Augustin sein Spruch[1] vom „Cor inquietum [(lat.) = Unruhig ist unser Herz]“ auf.
[1] Quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te – Denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.

Münster, Freitag, 29. November 1935
O Allerheiligster Dreieiniger Gott, Du überquellendes Leben und höch­ste Ein­heit. Wir leben in der Sehnsucht! Wir sehnen, wir suchen, wir harren in Chri­stus mit der Kirche auf das Ewige Leben in Dir!

Am Morgen des Jahres 1936:
Jahr der Sehnsucht, des jungen Hoffens, Jahr des Heils und des Herrn, Jahr des Suchens und Fahrens in neue Länder, über ferne Meere, Jahr des Hin­fahrens zu Gott, meiner Jugend Stern und Ziel, – 1936! Ich grüße dich – ahoi!

Samstag, 8. Februar 1936
O heiliger Geist, Du Ewige Liebe des Dreieinigen Gottes. Senke einen Fun­ken Deines Göttlichen Feuerbrandes hinein in meine Schwachheit! Du Geliebter, Du Herzensbronn, Du tiefste Sehnsucht meiner Jungen Seele!
Tapfer sein in Schmerzen
Geduld bewahr’n im Herzen

Dienmut bei allen Taten:
Dann bist du wohl beraten!
Im Namen der Allerheiligsten ungeteilten Dreieinigkeit Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes möge nun meine neue Tageskladde be­ginnen. Ihm, dem Ewigen zur Ehre. Allen, so hoff’ ich, zu Freud’ und Lehr und mir ein wenig zur Fröhlichkeit des Herzens, zur Erquickung des Gemü­tes, zur Aneiferung des Willens, zum Wachsen in Gottes Gnade und Kraft, in Einfalt und Dienmut, so ist mein Flehn und mein Begehr.
Ein Singen hebt an, voll Herzensschwung und Auftrieb erneuter Jugend­kraft. Ein Singen der Sehnsucht des liebenden Herzens – ein Jubel und Frohsang der dankenden Seele – ein köstliches Dankeslied, ein Preisgesang von glü­hender Harfe des Seelenbrandes angeklungen: Das ist meiner Seele Singen zu Gott, meinem Schöpfer, Erlöser und Heiliger!

Das neue Jahr 1938
So will ich’s denn wagen im Vertrauen auf meinen Herrn und Gott. Ihm meine Sehnsucht, Ihm meine Liebe, Ihm mein Leben! Er möge alles erfüllen! Herr, sei und bleibe bei uns, wenn es will Abend werden! [vgl. Lk 24,29]

Münster, Donnerstag, 7. Juli 1938
Und doch singe ich das heimliche Lied einer namen­losen Sehnsucht. – Eine Seele ist mir auf­gesprun­gen. – Töd­liches Rin­gen. Daheim in den Karta­gen [zwischen Beendi­gung der Außensemester in Freiburg/Br. und dem Beginn des RAD am 1.4.1937] Ruhe. Deo gratias! – Die alte, ach so ferne Sehn­sucht nach Gott.

Münster, Donnerstag, 2. März 1939
Herrgott, ich glaube, ich beuge in Demut mein Haupt vor Dir, vor Christus, Deinem Sohn, unserm Erlöser, und ich wünsche nichts sehnlicher, als mich Deiner Kirche in Freiheit, Dankbarkeit und reiner Liebe schenken zu dür­fen.
1.
Als jungfräulicher Opferpriester.
2.
Als glühender, frommer Beter.
Sonst hab’ ich keinerlei Ansprüche mehr hier auf Erden. Erfülle Du bitte meine tiefste Herzenssehnsucht, das Flehen meines bedrängten, gefahrum­witterten Herzens von Jugend auf! Und das ist der Schlachtruf: Mit Gott und der heili­gen Jungfrau!