Arbeitsdienstlager „Max v. Hausen“, Dahlen i. Sa.
Fotokarte aus Karl Leisners Tagebuch
Am 20. Mai 1937 erfolgte der Umzug von Sachsen ins Emsland.
Sachsenbrücke 11
Reichsarbeitsdienst Abt. 7/314, „Max von Hausen“, Georgsdorf, Emsland
Fotokarte aus Karl Leisners Tagebuch
Dahlen, Samstag, 1. Mai 1937
Ein Morgen wie noch nie. Beim Frühsport liegt Sonnengold überm Land. Das frische Grün der Birken, das die Sonne ganz hell durchleuchtet, macht das Herze ganz frühlingshaft.
Morgenkaffee nach Festtagsart. Dann frei. Ich singe Frühlings-, Morgen- und Wanderlieder zur Klampfe.
Um 10.00 Uhr alles fertigmachen zum Marsch in 2. Garnitur[1]! Morgens bei der Flaggenparade Aufjubeln zu Gott. In Maien- und Tannenschmuck prangt das Lager. – Es ist mir wohl in den Stiefeln. Ein ganz wonniges Gefühl durchflutet Leib und Herz.
Wir marschieren und singen durch das Städtchen. Heiho! Es schallt über den Markt. „Heute wollen wir das Ränzlein schnüren!“ – Hei Jungs, wir fahren in die Moore, hei Jungs, wir fahren an die Ems!![2]
11.00 Uhr setzt sich der Maizug in Bewegung. Bis 13.15 Uhr Kundgebung, Führerrede.[3] – Dann feudales Mittagsmahl! Eine viertel Stunde drauf Appell zum Urlaub. Mit Glück überstanden. Dann kurz gepackt, Abschied von den „Restlingen“. Dann los mit Franz S. [Schöndorf] zum Bahnhof [in Dahlen]. Dort Urlaubsschein. Dann per pedes über Deutschluppa nach Wermsdorf. Coll. de morali situ cameradorum nostr. [Colloqium de morali situ sociorum nostrorum – Gespräch über die moralische Situation unserer Kameraden] – Ein wunderheller Maientag. Um 18.15 Uhr in Hubertusburg. Pfr. G. [Pfarrer Max Gewinner] noch in Oschatz. Herzlicher, selbstverständlicher Empfang. Singen im Garten mit zwei jugendbewegten Mädchen [Maria Cerman und Agnes Ledermüller[4]]. Zwei Schwestern [Borromäerinnen] hören zu. Frühlings- und Minnelieder. – Pfr. G. kommt bald. Feine Abendtafel in schöner Burgtradition. Die Hubertusburg ist Ia! – Heilige Beicht. (Sup. sup.a est! [super supera est – es gilt vor allem] Maß und Ziel in allem!) – 22.00 Uhr Falle nach einem Kartengruß an Dechant K. [Jakob Küppers] und einem Singestündchen. Mit Franz die Komplet lateinisch [aus dem Psalterium Romanum] gesprochen.
[1] Wenn eine Uniform neu war, galt sie als I., war sie etwas abgetragen, als II. Garnitur.
[2] Dieser Satz erinnert an den Refrain des Liedes „Aus grauer Städte Mauern“:
Halli, hallo, wir fahren, wir fahren in die Welt.
Karl Leisner freute sich auf die Verlegung des Arbeitslagers im Mai an die Ems, wo er früher vielfach gezeltet hatte.
[3] Am 1. Mai hielt Adolf Hitler gewöhnlich eine auch im Rundfunk übertragene Rede. 1937 sprach er in Berlin zur HJ im Olympiastadion vor 120.000 Teilnehmern und im Lustgarten vor 1,2 Millionen Menschen.
[4] Die damaligen Anschriften der Mädchen hat Karl Leisner in seine Vornotizen (Tgb. Nr. 21, 133) eingetragen:
Maria Cerman, Dresden A1, Kleine Plauenschegasse 3 I
Agnes Ledermüller, Dresden, Pohlandstr. 13
(Hubertusburg 1. u. 2.V.37 + Pfingsten 37 in Dresden)
Hubertusburg – Barockschloß in der Nähe von Wermsdorf/Sachsen – Errichtung nach dem Vorbild von Schloß Schönbrunn bei Wien durch August I., den Starken, 1721 – Die Pfarrkirche im Schloß Hubertusburg stammt aus dem 18. Jh. In Hubertusburg gab es von 1881 bis 1968 eine Erstkommunikantenanstalt. Unter den Nationalsozialisten war das von Borromäerinnen aus dem Mutterhaus Trebnitz/ Trzebnica/PL (Schlesien) geleitete Haus von 1940 bis 1945 aufgelöst.
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / Author: Andreas Schmidt / CC-BY-SA 3.0 (abgerufen 30.06.2013)
Am Ende von Tagebuch Nr. 21 hat Karl Leisner folgenden Eintrag gemacht:
Tischspruch am 1. Mai
Männer werden nicht gebildet auf des Lebens Sonnenseite,
sondern nur in Sturm und Wetter und in ernstem, hartem Streite.
Darum, Freunde, laßt uns nimmer dem, was schwer ist, feige weichen!
Schweres, selbst das Schwerste wagen, ist des rechten Mannes Zeichen!
Joh. [Johannes] Büchner [1934 vertont von Adolf Lohmann]