Barbara Piatti. Es lächelt der See. Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz. Luzern – Vierwaldstättersee – Gotthard. Zürich 2013
ISBN 9783858695338
Mona Jaeger berichtete über das Buch in der F.A.Z vom 2. April 2016 unter der Überschrift „Schweizsucht. Wo spielt Literatur und warum? Diese vermeintlich simple Frage will die Literaturgeographie beantworten. Besonders aussichtsreich ist der Versuch auf dem Vierwaldstättersee.“
Sie vergleicht es mit einem Literaturatlas, der dem Leser die literarischen Handlungsorte veranschaulicht. In ihrer Rezension genießt Schillers „Wilhelm Tell“ mit dem sogenannten Rütlischwur einen besonderen Stellenwert. Der Satz „Wenn man sich über dem See langsam dem Rütli nähert, bekommt man ein Gefühl dafür, dass Schillers ‚Tell’ nicht dafür gemacht wurde, um zwischen zwei gelben Buchdeckeln eines Reclam-Bändchens zu stecken, sondern um leibhaftig gesehen zu werden: wie er gespielt wird und wo er gespielt hat.“ ruft Karl Leisners Bericht über die Schweizfahrt in Erinnerung.
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Vom 14. August bis zum 1. September 1932 unternahmen Karl und Willi Leisner mit ihren Freunden Hermann Mies und Alfred Stecken eine Schweizfahrt. Erst 1936 hat Karl Leisner aus den Notizen eine Reinschrift des Fahrtenberichtes für sein Tagebuch gefertigt. Darin schildert er die Erlebnisse durchweg in der Gegenwart, so daß der Leser den Eindruck hat, er sei gemeinsam mit den Jungen unterwegs.
Einsiedeln, Mittwoch, 24. August 1932
Bald verabschieden wir uns vom stillen Wallfahrtsdorf. Tagesziel: Vierwaldstätter See. Es will und will nicht klar werden diesen Tag. Zu Mittag sind wir in Schwyz. Besuchen dort das barocke Kirchlein.[1] Das Rathaus ist mit Figuren aus Tell [von Friedrich von Schiller] bemalt.[2] Nachher treffen wir einen Wandergesellen aus der italienischen Schweiz. Er spricht nur italienisch. – In frischer Fahrt geht’s bergab nach Brunnen am Vierwaldstädter See.
Brunnen am Vierwaldstättersee
[1] Pfarrer Reto Müller aus Schwyz am 15.5.2007 an Hans-Karl Seeger:
Karl Leisner meinte wohl die Pfarrkirche [St. Martin]; sie ist im schönsten Spätbarock erstellt und wird vom Kunstführer die festlichste Pfarrkirche der Schweiz genannt. Allerdings ist sie groß; sie hat einige hundert Sitzplätze!
Es gibt noch andere barocke Gotteshäuser in Schwyz: die Kirche des Kollegium Schwyz (Gymnasium mit Internat) und die Kapelle St. Magdalena in Rickenbach oberhalb von Schwyz, doch dem Zitat nach meinte er wohl die dem Rathaus gegenüberliegende Kirche St. Martin.
Diese erschien Karl Leisner im Vergleich zu Einsiedeln offensichtlich klein.
Kirche und Kirchenareal St. Martin in Schwyz
[2] Das Rathaus stammt aus dem 17. Jh., die Fassadenmalerei mit der Schlacht am Morgarten aus dem 19. Jh. Die Schlacht am Morgarten am 15.11.1315 war die erste Schlacht zwischen den Eidgenossen und den Habsburgern.
Rathaus von Schwyz
Morgartendenkmal
Kleines Übersichtskärtchen vom Vierwaldstätter See
Wir kommen auf die weltberühmte Axenstraße. Zur Rechten der See. Tiefe Bläue. Berghäupter spiegeln sich in seiner klaren Flut. Wir staunen, schauen, die Augen können sich nicht satt trinken an dem Wunderbild der Natur. Der See ist heute etwas unruhig. Ein Dampfer zieht seine schnurgerade Bahn. Wolkenfetzen fegen um die hohen Bergspitzen. Hier und da blitzen die schneeigen Berghäupter durch. Es wird immer schöner. Wir träumen. – Morgen steigen wir auf ihre Höhen. – An einem Berghang rasten wir, trinken aus klarem Bergbronn. Der Gotthardexpress donnert durch den Tunnel.
Seestimmung. In strahlendem Sonnenlichte. Am Vierwaldstätter See
Die kleine Axenstrasse von Stansstad nach Kehrsiten (autofrei)
Auf der andern Seite die kleine Axenstraße. – Die Erinnerungen an Tell: Rütli[1] – Schillerstein[2]. – An der Tellskapelle und Tellsplatte[3] verweilen wir eine Zeit. Der Held und Vaterlandsbefreier tritt uns vor die Seele. Schillers Drama gewinnt lebendige Gestalt.[4] In der Kapelle die Gemälde [vom Rütlischwur, Apfelschuß, Tellsprung und Hermann Gesslers Tod in der Hohlen Gasse 1307] von St. …………..[5]. Jetzt sind wir an dem Teil der Straße, wo sie sich durch die Felswand bohrt und Bogen den Blick auf See und Berge freilassen.
[1] Laut Überlieferung ist Rütli der Ort des Geheimbundes der drei Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 gegen Habsburg.
Das Rütli (älter: Grütli „kleine Rodung“) ist eine Bergwiese am westlichen Ufer des Urnersees. Auf dieser Wiese soll der Legende nach [am 1.8.1297] das „ewige Bündnis“ der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden geschlossen worden sein. Der Rütlischwur ist ein Schweizer Nationalmythos. Er besagt, daß Abgesandte aus den drei […] Urkantonen der Schweiz auf dem Rütli, einen Schwur leisteten, der ein Schutz- und Trutz-Bündnis besiegelte. Dieses Bündnis gilt im Volksmund als Gründung der Eidgenossenschaft. Historisch gilt aber heutzutage der Bundesbrief [von August 1291] als Gründungsurkunde (URL http://www.rudern.de/uploads/media/Aufbruch_zum_Ruetli.pdf – 28.4.2011).
[2] Anläßlich der Hundertjahrfeier von Friedrich von Schillers Geburtstag hat man auf einem 30 m hohen Felsen im See nördlich von Rütli die Inschrift „Dem Sänger Tells, F. Schiller, Die Urkantone 1859“ angebracht.
[3] 1387 erbaute man zur Erinnerung an den legendären Sprung Wilhelm Tells aus dem Boot des Landvogts Hermann Geßler eine Kapelle. 1590 wurde sie erweitert. 1879 entstand die heutige Kapelle.
[4] 1928 sah Karl Leisner in Nideggen „Das Tellspiel der Schweizer Bauern“ von Franz Johannes Weinrich und 1930 die Aufführung des [Friedrich von] Schiller’schen Schauspiels „Wilhelm Tell“ im Schwanensaal [in Kleve].
[5] Ernst Stückelberg (1831–1903). Vermutlich wollte Karl Leisner den Namen des populärsten Schweizer Malers nachtragen.
Feine Bilder vom See (siehe Innen!)
Am Beginn der Bogenstraße – steil unter uns der See
In Sisikon kauften wir Schweizer Kas’ – und ließen ihn uns gut schmecken. Einige 100 m nur fahren wir die wundervollen Bogen längs. – Wir lehnen uns über die Straßenböschung – jäher Absturz der Felswand in das Seebecken. Man bebt im ersten Moment ein wenig zurück. – Kühn und trotzig und steil ist die Natur der Berge.
Immer wieder neues Staunen – der Abschied vom Ende des Sees (Flüelen) fällt schwer (siehe Bild Seite 140!). Eine fast andächtige Ergriffenheit packt unsre Herzen ob dieser Größe und Schöne der Gottesnatur. In solchen Augenblicken kann man kaum zweifeln daran, daß es einen lebendigen Gott gibt, der alles erschaffen, erhält und regiert.[1] Stille kommt uns vor ehrfürchtigem Staunen. – Wir schweigen. Dann heißt’s: Aufgesessen! Der Rückweg muß angetreten werden.
[1] Anklang an die zweite Strophe des Kirchenliedes „Lobe den Herren“ (Gotteslob 2013 Nr. 392)
Am Uri-Rotstock[1]
Du, meine Seele, preise den Herrn! Gewaltig groß bist du, Herr, mein Gott, In Pracht und Hoheit gewandet. (Psalm 104,1)
[1] Der Uri-Rotstock ist ein 2928 m hoher Aussichtsberg des gleichnamigen vergletscherten Massivs der Urner Alpen.
Ausblick auf Flüelen (Bogen in der „Felsenstraße“)
Prospektfoto:
Lake of Lucerne in spring [Luzernersee im Frühling], Photo Gabarell
Und so sieht’s im Frühling aus
Bilder, die mich nicht loslassen
Weggis am See im Frühling
In frischer Fahrt geht’s (bergab ein wenig) los. Der Seeblick hält uns in Bann.
Bei dieser Bergabfahrt stürzte Willi Leisner. Dieser schwere Unfall trübte das Ende der Fahrt. Obwohl die Jungen die Heimfahrt ohne Willi antreten mußten, ging letztendlich doch alles noch gut aus.
Schwyz, Donnerstag, 25. August 1932, 12. Tag
Gegen 12.00–13.00 Uhr auf die Rösser – heiho. Ade, Willi – werd’ gut gesund. Am niederen Seegestade vorbei an einem kleinen Nebensee über Arth-Goldau – Zugersee. Durch die hohle Gasse von Küßnacht (Tellzitate schwirren[1]), jetzt am Gestade des Vierwaldstätter Sees wieder vorbei nach Luzern. Es ist heißer Sonnentag. […] Wir schreiben die letzten Schweizer Karten […]. – Gegen 17.00–17.15 Uhr aufgesessen. Es wird schon kühler. Wir fahren noch etwa 15 bis 20 km bis zum Sempacher See – etwas hinter Nottwil.
[1] z. B. „Durch diese hohle Gasse muß er kommen, es führt kein anderer Weg nach Küßnacht“ (Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell IV, 3). Die Hohle Gasse ist ein Hohlweg zwischen Küßnacht und Immensee. Dort soll sich 1307 die Erschießung des habsburgischen Landvogts Hermann Gessler durch Wilhelm Tell ereignet haben.
Hohle Gasse
Prospekt von Luzern:
Der feine Prospekt mit den Bildern vom See und den Bergen
Kapellbrücke in Luzern
Vierwaldstättersee und Hauptkirche von Luzern
Hinter Luzern leuchtet grau in stiller Abenddämmerung auf das gewaltige Bergmassiv des Pilatus.[1] Schweigend und schauend und denkend nehmen wir Abschied von diesem Riesen. Wende mich immer wieder zu ihm um, kann mich nicht satt sehen an seiner Majestät, die er hat dieser Berg – Abschied, leise Wehmut.
[1] Der höchste Gipfel dieses gewaltigen Massivs ist das 2.128,5 m hohe Tomlishorn.
Pilatusgipfelkette und Pilatus
Prospektfoto:
The bay of Weggis and Hertenstein, with the Pilatus
[Die Bucht von Weggis und Hertenstein mit dem Pilatus]
Photo Schneider, Weggis
Abschied von See und Berg
Schiffssteg in Weggis
Quelle der Fotos: Antonio Rama Laguna, Familie Achermann und IKLK-Archiv