Unter der Überschrift „Die Völkermühle Europas. Verwurzelter Niederrheiner liebt die eigene Sprache und ihren singenden Klang“ brachte Martin Ellerich in der „Münsterschen Zeitung“ vom 12. März 2016 einen Artikel über Hanns Dieter Hüsch, den „niederrheinischten aller Niederrheiner“.
Online-Version des Artikels unter MünsterscheZeitung.de vom 11. März 2016 – Am Niederrhein – Daheim in der Völkermühle Europas
Quelle des Fotos: Gabriele Latzel
Auch Karl Leisner liebte den Niederrhein und beherrschte die Klever Mundart. Während er die Sprache verschiedener europäischer Länder lernte und in seinen Tagebüchern neben Lateinisch und Griechisch auch lebende Sprachen wie Französisch und Italienisch verwendete, schrieb er auch Artikel auf „Kleefs Platt“. Seine Liebe zu Europa fand ihren Widerhall unter anderem in seinen Reisen und einem Tagebucheintrag auf dem Sterbebett
Sonntag, 4. April 1926, Ostersonntag
Am Ostersonntag gab es einen Gautag der Rheingau-Jungen im Jungkreuzbund in Kleve.
Hubert Göbels:
Vom Gautag der Jungen des Rheingaues zu Cleve am Osterfest
Die meisten waren herbeigeeilt. – Galt es doch, zu manchen recht wichtigen Fragen Stellung zu nehmen. – Einigung, Älterengemeinschaft, Bundestag und so waren der wichtigen Fragen eine ganze Reihe. – Hierüber noch des Näheren zu schreiben, ist mir nicht möglich. Nur von einem möchte ich noch allen im Bunde Kunde geben. Die Worte C. v. [Carl von] Vogelsangs in unserem letzten Gaubrief sollen es sagen:
„Die Älteren unter uns wissen um die besondere Eigenart unseres Gaues. Ich hoffe und bete, daß unser Idealismus Berge versetzt und daß wir unserer Eigenart, dem Glauben an die Durchführbarkeit der höchsten Ideale, treu bleiben – wenn sonst auch niemand an uns glaubt.“
Mehr kann und mag ich nicht über unsern Gautag schreiben. Was nützt der Bericht. Taten werden bald davon erzählen.
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit![1] H. G.[2]
[1] s. Lied: Brüder zur Sonne zur Freiheit
[2] Johannisfeuer 1926: 122
Tagebucheinträge
Wie Karl vom Möschepiep tom Ritter geschlagen word.
Op usen Rutsch no Cleve komen wi auk an den Reichsbosch. Am Ostersonndag gengen wo dohen. Karl von Möschepiep wor Anführer. He lep emmer newen de Re=ih her wie so´n Leutnant. Dat wo=ullen wi em doch afgewennen. Usen Hubert mek enne Jugendherberg schon en döchtigen Degen. De paßten richtig för et Kalschen. De Jan vom Eller mok en Anstriekerkletsch. O=uk ek hev en Schwert gemakt. Dat kreg de Essener Brellenkieker Welm. – Jetzt marscheerden wi tom Bosch. Vörher moßten wi erst dörch en Sandwüste. Dat wor ne richtige Sahara. Da hewen wi us mehr de Schoh verschleten wie op den ganzen Rutsch no Cleve. Em Bosch hel erst en Doktor [? Dr. Hans van Ackeren] en Ansprok. Dann word Karl von Möschepiep feierlich tom Ritter geschlagen. Use Hubert kreg sich toerst den Karl. Dann sprongen wi alle drop on verzimmden den Karl met de Koppels. Dat wor de Fürstenrente, die he verlangte. He gehört jo ouk to de Adeligen. – Jetz es Schluß em Brotkonsum.
Albert vanne Mintropstrot,
genannt „Fips“.[1]
[1] Johannisfeuer 1926: 122f.
[Wie Carl von Vogelsang zum Ritter geschlagen wurde.
Auf unserer Fahrt nach Kleve kamen wir auch in den Reichswald. Am Ostersonntag gingen wir dahin. Carl von Vogelsang war Anführer. Er lief immer neben der Reihe wie ein Leutnant. Das wollten wir ihm doch abgewöhnen. Unser Hubert Göbels machte in der Jugendherberge schon einen tüchtigen Degen. Der paßte so richtig zum Carlchen. Jan von Düsseldorf-Eller machte eine Anstreicherbürste. Auch hatte er ein Schwert gemacht. Das bekam der Essener Brillenträger Wilhelm. – Jetzt marschierten wir zum (Reichs-) Wald. Vorher mußten wir erst durch eine Sandwüste (Donsbrügger Heide). Das war eine richtige Sahara. Dabei haben wir uns die Schuhe mehr verschlissen als auf der ganzen Fahrt nach Kleve. Im Wald hielt zunächst ein Doktor eine Ansprache. Dann wurde Carl von Vogelsang feierlich zum Ritter geschlagen. Unser Hubert schnappte sich zuerst den Carl. Dann sprangen wir alle auf ihn und schlugen Carl mit den Koppeln. Das war die Fürstenrente, die er verlangte. Er gehört ja auch zu den Adeligen. – Jetzt ist Schluß zum Brotkonsum.
Alfred von der Mintropstraße, genannt „Fips“]
Wie usen Gruppenführer op dem Klever „Hauthing“ verkamesölt word.
Nodem man den Kal verkamesölt hat, woul man ouk Hubert dat Fell verhauen. Alle stürmden op usen Führer. Jetz ge=ing de Klöppere=i los. Alle hauden mit ehre Koppels feste drop. Wi waddischen Küken holpen usen Hubert. Besonners wichste Fips feste dotöschen. Do stowen se wie de Flegen utenauner. Jetz wor usen Huber wer fre=i. Wi Waddischen woren jetz noch alle=in. Die auneren woren alle loupen gegangen. – De Dicken worden dönner gehauen. En Newes (Neviges), wo wi em Mai hengonnt, weren die Langen kötter gehauen, besonders de „Penn“.
Kalschen vom Berg.[1]
[1] Johannisfeuer 1926: 123
[Wie unser Gruppenführer auf dem Klever „Hauthing“ verhauen wurde.
Nachdem man Carl von Vogelsang verhauen hatte, wollte man auch unserem Hubert Göbels das Fell versohlen. Alle stürmten auf unseren Führer. Jetzt ging die Schlägerei los. Alle schlugen mit ihren Koppeln feste drauf. Wir Küken aus Werden an der Ruhr halfen unserem Hubert. Besonders schlug Fips feste dazwischen. Da stoben sie wie die Fliegen auseinander. Jetzt war unser Hubert wieder frei. Wir Werdener waren jetzt noch allein. Die anderen waren alle weggelaufen. – Die Dicken wurden dünner gehauen. In Neviges, wohin wir im Mai gehen, werden die Langen kürzer gehauen, besonders die „Kinder“.]
Vor seinem Sterben denkt Karl Leisner an Europa und möchte Klever Dialekt sprechen. Er ist ganz Niederrheiner – ganz Europäer!
Planegg, Samstag, 16. Juni 1945
Nur eins: Du armes Europa, zurück zu Deinem Herrn Jesus Christus! (Dort ist Deine Quelle für das Schönste, was Du trägst.) Zurück zu den frischen Quellen an göttlich wahrer Kraft!! Heiland, laß mich ein wenig Dir dabei Instrumentum sein, o ich flehe Dich an!
Freitag, 10. August 1945
Elisabeth Haas:
Freitagmorgen – 10.8.1945 – sahen wir Karl gegen 9.00 Uhr wieder. Als wir in das Krankenzimmer eintraten – ich kam zuerst hinein – sagte er nach sechsjährigem Wiedersehen zu mir: „Du siehst ja genauso aus wie ich. Das hab’ ich nicht gewußt.“ Nach herzlicher Begrüßung meinte er: „Jetzt müßt Ihr mir etwas Schönes erzählen, nochmal Klever Dialekt sprechen und herzlich lachen.“[1]
[1] Haas, Elisabeth: Dokumentation vom 30. Januar 1991, (Manuskript): 5