Zentrum für Berufungspastoral
Karl Leisner. In: Jugendgebetbuch ZEIG MIR DEN WEG
Verlag Katholisches Bibelwerk Stuttgart 2020: 92f.
Karl Leisner schrieb sich in Münster am Mittwoch, dem 29. Juni 1938, dem Fest der Heiligen Peter und Paul, in seinem Tagebuch Nr. 25 auf den Seiten 7 bis 13 all seine Not vom Herzen. Er stand vor den damals noch üblichen Niederen Weihen (Ostiarier – Türhüter, Lektor, Exorzist und Akolyth – Leuchterträger).
Der in das Gebetbuch aufgenommene Text erscheint im folgenden Tagebucheintrag in roter Schrift.
Priester werden – Mensch bleiben!
Rein bleiben – reif werden!
Gestern stöhnte ich noch einmal auf unter der Last Gottes und dem Ballast der eigenen Sündhaftigkeit und Schwäche. – Und doch, wie gut ist der Herr! – Er ruft uns als Menschen!
Apparuit humanitas et benignitas Dei Salvatoris nostri! [Erschienen ist uns die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters! (Tit 3,4)]
Echte Menschlichkeit, Menschenfreundlichkeit, wahre, echte Güte strahlte aus vom Herrn, da Er über die Fluren Palästinas wanderte.
Und so soll es auch bei uns sein: ganze Menschen, deutsche Männer mit strahlender, reiner Menschlichkeit, Frische, Freundlichkeit und Güte. Schlichtheit und Freude des Herzens! So wollen wir allezeit in Gottes Auftrag stehen; unsere Speise soll es sein, des Vaters Willen zu erfüllen [vgl. Joh 4,34]. Demütige, wahrhaftige Menschen wollen wir dabei bleiben mit offenen Herzen für jeden Bruder und jede Schwester, die da des Weges mit uns ziehn zum Heil.
Et homo factus est! [Und ist Mensch geworden! (Credo u. vgl. Joh 1,14)] – Verbum caro factum est! [Das Wort ist Fleisch geworden! (Joh 1,14)] Gott im Fleische! Gott in Menschengestalt – das ist das Geheimnis, in dem unsere Erlösung ihren Anfang nahm. Sacratissimum Cor Jesu – miserere nobis! [Heiligstes Herz Jesu – erbarme dich unser!]
Gott ist die Liebe. (1 Joh 4,8.16)
Gestern las ich in Guardini „Neue Jugend und katholischer Geist“ (19244)[1]. – Das Ideal meiner Jugend ist von der Jugendbewegung stark geprägt. Ich entdeckte mich selbst in manchem wieder. – Allerdings stellte ich auch ein Schlappwerden und Absinken vom hohen Ideal fest, zum Beispiel in der Abstinenz. Ich will da doch wieder zur alten ursprünglichen Gerafftheit und Strenge zurückkehren. – Beim Reifwerden ist mir das Reinbleiben, die unbefangene Frische der Jugend doch ein wenig verlorengegangen. 1936/37: das war zuviel auf einmal. Es ist noch manches geistig ungeformt geblieben, und deshalb noch ein wenig viel Wirrwarr in der Seele. – Da kommen jetzt die Jahre der Stille und der Gerafftheit; von ihnen wird alles abhängen. – Die alte Frische und Lebendigkeit, der Schwung und die Begeisterung, die Unbefangenheit und die Entschiedenheit der Jugend will ich mir mein Lebtag wahren. In Gottes ewig neuen Tag will ich Tag für Tag mich versenken, in den ewig aufspringenden Quellen Seiner Wahrheit und Seines Lebens, die da ewig frisch sprudeln, mich baden und erfrischen. – Ewige Jugend! In Gott dein Lebtag jung!
Quis ascendet in montem Domini aut quis stabit in loco sancto eius? Innocens manibus et mundo corde. | [Wer darf den Berg des Herrn besteigen, wer darf an seinem heiligen Orte stehen? Wer reine Hände hat und lautern Herzens ist. (Ps 23/24,3. 4a)[2]] |
Rein bleiben, reif werden! – Menschen bleiben, Priester werden.
Jeder Tag bringt mich näher zu Dir, mein Gott, führt mich in Dein Heiligtum, an Deinen Opferaltar, aber auch näher zu den ewigen Hügeln, wo wir einst wandeln in allzeit neuem Licht, in unverwelklicher Jugend.
Dominus pars hereditatis meae. Funes ceciderunt mihi in praeclaris. | [Mein Anteil ist der Herr. Das Los ist mir auf herrlich schönen Grund gefallen. (Ps 15/16,5f)[3]] |
Ein herrliches Lebenslos hat der Herr mir erkoren. – Auf denn, umfasse es mit aller Kraft!
Mangel an Entschiedenheit, Klarheit, Kraft der Ordnung hab’ ich seit jenen Tagen der Krankheit [20.1. bis 2.2.1937 Mittelohrentzündung im Hause Ruby] gespürt. – Ein unkluges, unklares, oft wirres, Entscheidung scheuendes Getue ist da in meiner Seele Tiefe aufgebrochen – wohl als Reaktion mit auf das vorige zweijährige Angespanntsein. Jetzt aber muß ich zu mir selbst, zu letzter Klarheit, Reinheit und adliger Seelenhaltung erwachen. – Und diese innere Klarheit und Freiheit gewinne ich im entschiedenen Ausschreiten auf den Herrn. Alles Unklare, Finstere, Quallige, Lichtscheue, Feige muß raus, sonst wird deine Seele eine Rumpelkammer, aber kein strahlender, lichter Tempel des Heiligen Geistes. Die göttlichen drei und die menschlichen vier Angeltugenden![4] An denen richte dein Bild aus. In Freiheit entscheide ich mich, in Klarheit bejahe ich diese Entscheidung und in Glaube, Hoffnung und Liebe schreite ich aus auf den Herrn, der mich ruft, Sein testis veritatis et vitae [Zeuge der Wahrheit und des Lebens] zu sein.
Si adhuc hominibus placerem, Christi servus non essem (Gal 1,10).
Quis ascendet in montem Domini? Innocens manibus et mundo corde, qui non accepit in vano animam suam. |
[Wollte ich noch den Menschen gefallen, dann wäre ich kein Knecht Christi.
Wer darf den Berg des Herrn besteigen, wer darf an seinem heiligen Orte stehen? Wer reine Hände hat und lautern Herzens ist, wer nicht auf Eitles richtet seinen Sinn. (Ps 23/24,3f)[5]] |
Reinheit des Werkes, der Taten, Reinheit des Herzens, Reinheit der Gesinnung.
Furchtbar ist mir das Ringen darum nach dem RAD und in diesem Semester noch gewesen. Aber ich darf wohl sagen: Mit Gott kann ich’s. Und ich will es grad und aufrichtig. Deus adiuvet me – adiuvabit me. [Gott möge mir helfen – er wird mir helfen.] Reinheit, Aufrichtigkeit, Demut des Herzens, Schlichtheit des Wesens, Selbstlosigkeit der Absicht – das alles hängt innerlichst ineinander. – Lang hab’ ich jetzt ängstlich auf mich geschaut – die Angst ist vom Teufel.
Jesus Christus, mein Erlöser und Gott, Du kennst mich besser als ich mich kenne. Du hast mich gerufen, Du weißt, warum. Es war ein seltener Weg oft, den Du mich gehen ließest und führtest, für mich bleibt er Geheimnis. Aber ich vertraue Deinem Herzen mehr als meiner kleinen menschlichen Einsicht. – Um was ich Dich heute bitte: Nimm mir alle Unreinheit und allen Eigennutz, alle geheime Zuchtlosigkeit und Feigheit, alle Heimlichtuerei und alles Wichtigtun, reiß es mir aus dem Herzen und pflanze hinein Deine Liebe, Deine Demut und Reinheit. – Bedingungslos folge ich Dir nach, segne meinen Willen und mache ihn zu Deinem. Ohne Angst, nein in heiliger Freiheit und Freude spreche ich mein
Introibo [ad altare Dei] – Viam mandatorum Tuorum cucurri, cum dilatasti cor meum! | [Ich will hintreten zum Altare Gottes. – Die Wege Deiner Satzung will ich laufen, denn Du hast weit gemacht mein Herz! (Ps 118/119,32)[6]] |
Kyrie, eleison [Herr, erbarme dich] – Christe, eleison [Christus, erbarme dich] – Kyrie, eleison – Amen.
[1] Guardini, Romano: Neue Jugend und katholischer Geist, Mainz 1921, 41924
[2] Schenk, Johann. Deutsches Brevier, Regensburg 1937 Bd. I: 46
[3] a. a. O.: 78
[4] Die göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Kardinaltugenden – cardo (lat.) = Türangel – Klugheit, Maß, Tapferkeit und Gerechtigkeit
[5] Schenk 1937 Bd. I: 46
[6] a. a. O.: 18