Ein Gedenkzettel, der Fragen aufwirft

Artikel von Hans-Karl Seeger

Hans-Karl Seeger:
In einem Buch fand ich einen Gedenkzettel, der in bezug auf die Erwähnung von Karl Leisners Namen Fragen aufwirft. Er hat kein Datum, aber es geht um die Priesterweihen 1939 im Bistum Münster.

Am 25. März 1939 erlebte Karl Leisner seine letzte Weihe in Freiheit. Als Diakon wurde er verhaftet und kam über mehrere Stationen letztendlich ins KZ Dachau, wo er zum Priester geweiht wurde.

Karl Leisners Name taucht auf dem Gedenkzettel einmal unter den zum Priester Geweihten vom 23. September 1939 auf, obwohl er zu dem Zeitpunkt noch zur Kur in St. Blasien war, und ist ein zweites Mal, und das zu Recht, unter den Verstorbenen und Gefallenen aufgeführt.

Gedenkzettel vorne
Gedenkzettel hinten

Hermann Gebert 1999 an Hans-Karl Seeger:
Am Samstag, den 27.03.1999 erhielt ich aus dem Nachlaß von Heinrich Enneking nachstehend abgedrucktes (kopiertes) Andenkenbildchen.
Die Innenseite enthält die Namen der Priesterweihekandidaten der Diözese Münster, die am 6. August 1939 und am 23. September 1939 zu Priestern geweiht wurden. Es existiert ein anderes Andenken, bei dem für die zweite Hälfte des Kurses noch das ursprünglich vorgesehene Weihedatum eingedruckt ist: 23. Dezember 1939. Meiner Vermutung nach handelt es sich beim nachstehend kopierten Andenken um einen Nachdruck, bei dem das Datum des wegen Kriesgsausbruch vorgezogenen Weihetermins 23. September 1939 eingedruckt wurde. Vermutlich hatte man vergessen, den Namen Karl Leisner herauszunehmen. Oder aber man beließ den Namen, um daran zu erinnern, daß er zu dieser zweiten Gruppe eigentlich hätte gehören sollen.
Auf der Rückseite des Bildchens ist sein Name bei den Verstorbenen und Gefallenen aufgeführt. – Wer hat das Bildchen drucken (nachdrucken) lassen? Wieso wurde das richtige Priesterweihedatum von Karl Leisner nicht mitgedruckt? Wann ist dieses Andenkenbildchen gedruckt worden?

Gedenkzettel Gebert vorne
Gedenkzettel Gebert hinten

Normalerweise waren in Münster für einen Weihekurs zwei Termine im Jahr für die Priesterweihe vorgesehen.1939 sollten die Weihetermine der 6. August (1. Kurshälfte) und der 23. Dezember (2. Kurshälfte) sein. Karl Leisner war für den De­zembertermin vorgesehen. Als er im Juni ins Lungensanatorium nach St. Blasien kam, hoffte man, daß er im Advent wieder in Münster sei.

Karl Leisner hatte am 4. März 1939 die Subdiakonenweihe und einige Tage später am 25. März die Diakonenweihe empfangen. Tagebuchnotizen zeigen seine Freude über die bevorstehenden Ereignisse.

Münster, Samstag, 25. Februar 1939
Die acht stillen Tage vor dem Subdiakonat.
[…]
3.45 Uhr raus, rasiert. […] Los [zur Wallfahrt nach Telgte]. Es ist sternhelle Frühe draußen. Betrachtend „klotzen“ wir los (wie Hengste, die lang im Stall ge­standen). Je weiter wir aus dem Lichtkreis der großen Stadt weg sind, desto schöner wird es. Langsam kommt der erste Dämmerstrahl auf. Beim Bahn­hof Jägerhaus wird’s hell. – Wallfahrt des Dankes, der Freude und Sühne für den Lebensweg bis hierher, der Bitte und des kindlichen Flehens um Gnade, Kraft und Hochgemutheit der Seele für die kommenden zwei­drit­tel [des Jah­res bis zur Priesterweihe im Dezember 1939] (nach mensch­li­chem Ermes­sen); vor allem um aufrichtige Herzensgesinnung und Gehor­sam und Rein­heit für die Entscheidung des Subdiakonates, die ja doch kein Kin­der­spiel ist, sondern freien Mannes kräftiges Tun, betaut[1] und im letzten erweckt von Gottes Gnadenruf.
[1] Tau als Bild der Gnade, s. Gotteslob 1975 Nr. 103–105; Gotteslob 2013 Nr. 158, 231, 753

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wollte man mit der Weihe nicht bis Dezember warten. Der Termin für den 23. Dezember 1939 muß schon so früh festgestanden haben, daß die Weihebildchen bereits vor dem 6. August, gedruckt waren, vermutlich sogar schon vor dem 5. Juni, als Karl Leisner seinen Aufenthalt im Lungensanatorium in St. Blasien begann. Wäre die Schwere seiner Erkrankung bei Drucklegung der Weihebildchen bereits bekannt gewesen, hätte man seinen Namen vermutlich weggelassen; denn die Ausheilung seiner äußerst schweren Krankheit bis zum Weihetermin im Dezember wäre sehr fraglich gewesen. Die Diakone der zweiten Kurshälfte wurden aus den Ferien nach Münster zurückgerufen und am Samstag, dem 23. September, einem Quatembersamstag[1], geweiht. Das Datum auf dem bereits zum 6. August gedruckten Weihebild­chen än­derte jeder Neu­priester selbst.
[1] Quatembertage sind vier durch das Naturjahr be­stimmte, ursprünglich durch Fasten, Gebet und Al­mosen hervorgehobene Bußwochen im Kirchen­jahr, in denen jeweils der Mittwoch, Freitag und Samstag durch eigene Quatembermessen ausgezeich­net sind. Es sind die Wo­chen nach dem 3. Advents­sonntag, nach dem 1. Fa­stensonntag, nach Pfing­sten und nach dem 3. Septem­bersonntag. Am Ende dieser Wo­chen, am Quatember­samstag, wur­den schon in der frühen Kirche bis zur Liturgiereform die Weihen ge­spen­det (s. CIC 1917, Can. 1006 § 2).

Gedenkzettel 1939 vorne
Gedenkzettel 1939 hinten

Ein Zeugnis für Karl Leisners Hoffnung auf die Weihe und Primiz im Dezember 1939 findet sich in seinem Brief an seinen ehemaligen Religionslehrer Dr. Walter Vinnenberg vom 14. September 1939. Vermutlich wußte er an diesem Tag schon von der Vorverlegung seines Weihetermins auf den 23. September:
Das heilige Ziel des Le­bens steht leuchtend da über jedem Tag. Und so hoffe ich mit Zuversicht, die hei­lige Weihe an Weih­nachten zu empfangen. Dann heißt’s allerdings: ein Jahr äußerste Schonung und noch ein Jahr „langsam tre­ten“.

Auch nach seiner Verhaftung am 9. November 1939 in St. Blasien gab er die Hoffnung nicht auf, am Quatembersamstag, dem 23. Dezember, vor Weihnachten die Weihe zu empfangen. Am 18. November 1939 notierte er im Gefängnis in Freiburg in sein Brevier:
Die Samstagabendglocken läuten mir die Hei­mat ins Ge­müt. O, liebe liebe Heimat, wann sehen wir uns wieder! Ob ich am Stefanstag als Priester das heilige Opfer bei Dir, für Dich feiern kann? Gott allein weiß es. Sein heili­ger guter Wille geschehe!“

Hoffnung spricht auch noch aus der Briefkarte an seinen Freund und Gruppenführer Heinrich Tenhumberg vom 15. Dezember 1939 aus dem Gefängnis in Freiburg:
„Ob mir das Christkind die Freiheit beschert, oder was kommt, weiß ich ge­nauso wenig wie Du. Also wollen’s ganz getrost dem guten Vater im Him­mel und unsrer lieben Mta und der Gestapo überlassen, wie’s wird. Es wird schon recht werden.“

Karl Leisner ahnte damals nicht, daß er ins KZ kommen würde. Aber die Gestapo, die bereits seit 1936 eine Akte über ihn führte, hatte endlich einen Grund gefunden, ihn auszuschalten.

Der Besitzer des Weihebildchens hat dieses nach dem Tod von Karl Leisner am 12.8.1945 zum letzten Mal aktualisiert.

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Ein weiterer Gedenkzettel, auf dem Karl Leisner erwähnt ist, wurde frühestens 1975 erstellt.

Gedenkzettel 1975 vorne
Gedenkzettel 1975 hinten

Gedenkzettel zum Goldenen Priesterjubiläum, auf dem Karl Leisner erwähnt ist.

Gedenkzettel 1989 vorne
Gedenkzettel 1989 hinten

Gruppenfoto des gesamten Weihejahrgangs 1939 ohne Karl Leisner

Gruppenfoto 1939

 

Vor 1979 aufgenommenes Gruppenfoto des gesamten Weihejahrgangs 1939

Gruppenfoto vor 1979

 

Siehe auch „Karl Leisner und Heinrich Kleinen als Kursgenossen“.