Elisabeth Maria Ruby (* 24.3.1914 in Berlin, getauft 25.3.1914, † 25.12.1993)
Karl Leisner schrieb nicht nur Tagebuch für sich, sondern auch für andere.
Für Walter Vinnenberg fertigte er eine Reinschrift der Baltrumfahrt an, das heutige Tagebuch Nr. 11.
Für Elisabeth Ruby wollte er zusammenstellen, was er mit ihr erlebt hatte. Es ist nicht zu klären, ob er den Plan auch ausgeführt hat.
Münster, Mittwoch, 22. Dezember 1937
Ich trampe nach Hause. Ich hab’s nötig, ich muß nach draußen an die frische Winterluft, zur Natur. Ich halt’s nicht mehr aus. – Gestern bei Professor [Joseph] Lortz Examen in mittelalterlicher Kirchengeschichte: 4-.[1] Höj! – Der Chef [Direktor Franz Schmäing] erzählt’s mir um 10.00 Uhr. – Weg jetzt! Ist mir piepe, nur weg. Bei [Professor Michael] Schmaus noch [um 10.15 Uhr] das letzte Kolleg gehört. Dann rasch zur Unibücherei. 11.30 Uhr Straße. Mit Taxe bis Appelhülsen. Gleich weiter mit 6c-Wanderer [der Wanderer-Werke-AG Chemnitz] mit Herrn Schulz – Münster – Pfund’s Coll. [colloquium – Gespräch] – Die alte Liebe zu Beruf und Studium erwacht. Man sieht sich selbst und seine Pflicht wieder klar. Eccla. [Ecclesia] hodie [Kirche heute]! – Ia Ansichten. – In Haltern kurzen Weihnachtsgruß bei Welm H. – Er selbst nicht da. – Weiter! Kein Auto kommt. Bis kurz vor Wulfen durch die herrliche Winterwelt getippelt. Tüchtig ausgeschritten[, insgesamt 35 km]. Je pense [réfléchis] sur l’année prétieuse [précieuse], que je veux écrire pour ma sœur. [Ich denke über das „köstliche Jahr“ nach, das ich für meine Schwester (Elisabeth Ruby) aufschreiben will.] Tiefe Gedanken! Rechte Einordnung, tiefes Erleben noch einmal dieses köstlichen, leidvollen tiefen Jahres. RAD etc., an alles gedacht. Nach gut einer Stunde Auto bis Wulfen. Eineinhalb Stunden gewartet. Weiter! Pensées intérieures. [Innere Gedanken.] Wie fein. Es wird neblig, dann stockfinster. Ich tipple aus Schermbeck raus hinein in das Stockfinstre; dort holte ich mir für drei Groschen Feigen. Ich hatte mächtig Hunger. In Drevenack auf den Zug [nach Wesel]. – Warten im Wartesaal. – Je regarde les formes des mulieres [femmes. – Ich betrachte die Formen / Gestalten der Frauen.] Tiefe Ehrfurcht als letzte Seelenhaltung. Ein reicher Tag klingt aus. – Ich bete. Ich freue mich auf daheim. – 20.15 Uhr endlich ab Wesel [über Menzelen-West nach Kleve]. Es zieht mich heimwärts. – 21.30 Uhr zu Haus’. – Diese Freude! Willi ist auch schon da. Eitel Freude und Ausgelassenheit. Ich bade noch heiß. – Freude! Daheim! Alles ist so klar!
[1] Im Zensurenbuch des Collegium Borromaeum ist dieses Examen nicht verzeichnet. Es ist nicht klar, wofür Karl Leisner es noch benötigte.
Kleve, Freitag, 24. Dezember 1937
Willi und ich sitzen im Zimmer. Willi baut Krippe und Baum – der gute Kerl. Ich lese, versuche zu lernen und zu schreiben am „Köstlichen Jahr.“ Wir haben Freude, daß Christkind kommt und daß wir’s andern bringen dürfen. Fasttag ist heute – wir halten ihn.
Abends saß ich noch lange und meditierte. Im Licht der heiligen Weihnacht wird mir alles so klar. Der Heiland will mich – ja. Ich muß seinem Ruf folgen. Tiefe Erinnerung – o schwer, o süß an den Heilig Abend 1936 [in Freiburg/Br.]. Und doch so beglückend. Heute befreiend, klar! O wundersam holdselige Nacht! Erst gegen 22.30 Uhr finde ich die Falle nach dem Betrachten des heiligen Geheimnisses der Geburt des Erlösers. An alle, alle denke ich in dieser Stunde. Wie bin ich froh – als ob ich da selbst mit auf Bethlehems Fluren kniete bei den guten Hirten. Ja, es ist wahr! Liebe gießt sich aus über alle Welt. Gloria in excelsis Deo et in terra Pax hominibus! [Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erden Friede den Menschen! vgl. Lk 2,14[1]]
Groß und weit und gläubig wird das Herz. Liebevoll!
[1] Beginn des Glorias in der Eucharistiefeier, entnommen dem Gesang der Engel bei den Hirten (Evangelium der Christmette Lk 2,1–14):
Karl Leisner als Kranker
Eine Mittelohrentzündung fesselte ihn vom 20. Januar bis zum 1. Februar ans Bett. Während dieser Zeit pflegte Elisabeth Ruby ihn liebevoll. Sein Zimmer lag im dritten Stock. Auf Weisung von Mutter Elisabeth Ruby durfte ihre Tochter das an Theologiestudenten vermietete Zimmer im Dachgeschoß nur betreten, wenn diese außer Haus waren. Wegen seiner Erkrankung holte man Karl Leisner herunter in das ehemalige Zimmer von Karl Ruby, das sog. „Priezi“ – „Priesterzimmer“. Karl Ruby war am 22. März 1936 zum Priester geweiht worden.
Belebende Wochen erfuhr Karl Leisner gemeinsam mit Elisabeth Ruby während der restlichen Zeit seiner Außensemester in Freiburg. Monate der Sehnsucht folgten im Reichsarbeitsdienst.
Elisabeth Ruby mit Karl Leisner 1937 im Schwarzwald. Foto: Maria Leisner