Karl Leisner und Blaise Pascal

pascal_foto Blaise Pascal (* 19.6.1623 in Clermont-Ferrand/Puy-de-Dôme/F, † 19.8.1662 in Paris) – französischer Mathematiker, Physiker, Literat u. Philosoph

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Unter der Überschrift „Wie viel Augustinus steckt drin? Anordnungsfragen: Philippe Selliers Edition von Pascals ‚Pensees’ liegt nun in einer vorzüglichen deutschen Ausgabe vor.“ besprach Rudolf Behrens die Neuveröffentlichung in der F.A.Z. vom 20. September 2016.

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Blaise Pascal: „Gedanken“. Ediert und kommentiert von Philippe Sellier

Aus dem Französischen und mit einer Konkordanz von Sylvia Schiewe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. 434 S., geb., 39,95 €.

 

Wie sehr sich Karl Leisner für den großen Denker Blaise Pascal interessierte, zeigen die folgenden Dokumente aus seinem schriftlichen Nachlaß.

Karl Leisner aus Kleve in italienischer Sprache am Montag, dem 23. November 1931, an Walter Vinnenberg in Münster:
Dal settembre noi abbiamo una società religiosa nella scuola. (Questa condu) Dr. Peters[1] condurre questa. C’ è là bellis­simo. (Ogni martedi.) Al momento (?) noi parliamo sopra Pascal ed il Jansenismo.
[Seit September haben wir eine reli­giöse Gemeinschaft an der Schule. Dr. Bernhard Peters leitet sie. Sie ist sehr gut. (Jeden Dienstag). Augen­blicklich sprechen wir über Blaise Pascal und den Jansenismus.]

[1] Dr. theol. Bernhard Peters, genannt Omel Bernd, (* 17.12.1876 in Winnenthal, † 5.5.1957 in Kleve) – Eintritt ins Collegium Borro­mae­um in Münster 24.4.1896 – Priester­weihe 9.6.1900 in Münster – Bi­schöfli­cher Kaplan 1900–1902 – Kaplan in Krakau/Kraków/PL 1902–1903 – Re­petent im Collegium Borromaeum in Münster 1903–1908 – Religionslehrer am Gymnasium in Kempen 1908–1914 – Professor am Gymnasium in Kleve 1914–1937 (Beur­laubung nach Haifa/IL 1927–1929) – Präses des Klever Taubstummenvereins 1932 – Pen­sio­nierung 1937 – Kleve, Bergstr. 18

Münster, Dienstag, 15. Mai 1934
Von 11.00 bis 12.00 Uhr [Vorlesung bei Dompropst Adolf] Donders über „Die natürliche Gott­erkenntnis“. Ein tiefes Wort Pascals: „Wir würden ihn nicht suchen kön­nen, wenn wir ihn nicht eigentlich schon gefunden hätten!“[1] – Max Sche­ler! Der rin­gende Gottsucher (ein Beispiel für Pascals anderes Wort: „Das Herz hat oft Gründe, wovon der Verstand nicht weiß.“[2] Sitt­liche Schwierigkeiten als Motiv für den Unglauben. Da in der Seelsorge immer „vorsichtig“! Nie verlet­zen und gleich da einsetzen!

[1] Pascal, Blaise: Über die Religion und über einige andere Gegenstände (Pensées), Berlin 1940 (zit. Pascal 1940), Pensées Nr. 257: 138
[2] Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt. Pascal 1940, Pensées Nr. 277: 143f.

Mittwoch, 14. November 1934
PS Interessante psychologische Lektüre: Pascal, Pensées.

Aus der Vorlesung „Psychologie“ von Peter Wust von Donnerstag, dem 15. November 1934
Immerhin ist auch im Zeitalter der „Psychologie ohne Seele“ der eigent­liche metaphysische Gegenstand nie ganz aus dem Gesichtskreis geschwun­den. So konnte zum Beispiel die Theologie selbstverständlich die Metaphysik der Seele nicht in der Weise unterdrücken wie das der Philosophie dieses Zeitalters möglich gewesen ist. Zudem traten aber auch in der Philosophie Denker mit einer ungewöhnlichen Begabung für die metaphysischen Abgrün­de der Seele hervor, und gerade diese Denker sorgten dann dafür, daß die metaphysische Tradition in der Psychologie nie ganz verloren ging (Pascal, Maine de Biran, Kierkegaard, Nietzsche, Max Scheler).

Aus der Vorlesung „Psychologie“ von Peter Wust von Donnerstag, dem 13. Dezember 1934
33. Das Wesentliche dieser Einmaligkeit der Person liegt in ihrem unend­lichen Seinsgehalt. Sie ist nämlich lebendiger Logos, lebendige Vernunft­ganzheit, die allem Vernunftgehalt des Seins intentional zugeordnet ist (anima est quodam modo omnia = die Seele ist gewissermaßen alles). Überdies ist sie ein unendliches Wert- und Liebeszentrum, ja die Person vollendet sich erst in dem Maße als lebendiger Logos, wie sie als Willens- und Liebeswesen von der Tiefe ihres Gemütes her bestimmt ist. Deshalb ist das „Herz“ (und nicht der Intellekt) das eigentliche Zentrum der Person. In dieser Wahrheit wur­zeln die tiefsten Einsichten Augustins [von Hippo], Pascals, Kier­kegaards, Schelers.

Aus der Vorlesung „Psychologie II“ von Peter Wust von Donnerstag, dem 31. Januar 1935
So hat zum Beispiel Augustin als einer der ersten die rätselhafte Erscheinung des mit sich selbst in Widerstreit stehenden Willens betrachtet. Ebenso hat er die unaufhebbare Spannung zwischen Trieb und Geist, zwischen dem biologischen und dem metaphysi­schen Schwergewicht unserer Existenz in seinen „Confessiones“[1] geschildert. Das gleiche Thema können wir später in den „Pensées“ Pascals und im 19. Jahrhundert in der Existenzdialektik Kier­kegaards verfolgen. In der unmittelbaren Gegenwart hat besonders Karl Jaspers wie­der die Aufmerksamkeit auf die Dialektik der menschlichen Natur hinge­lenkt.

[1] Augustinus, Aurelius (Augustin) von Hippo: Bekenntnisse [Confessiones]. Lateinisch und deutsch, Frankfurt/M. 1987

Aus der Vorlesung „Psychologie II“ von Peter Wust von Donnerstag, dem 7. Februar 1935
Es ist der besondere Vorzug der meta­physischen Psychologie eines Augustin, eines Pascal und sogar eines Kierkegaard, daß sie die Zusammenge­höri­gkeit des dialektischen Charakters der menschlichen Natur und des behar­renden gei­stigen Selbststandes der Person immer scharf betont haben.

Bücherlese vom 19. und 20. Januar 1936
Zur Erbsünde:
„.. das tiefere Verständnis von Welt und Leben, Natur und Geschichte führt zu der Erkenntnis Pascals: „Es ist sonderbar, daß das dun­kelste Geheim­nis, das es für unsern Verstand geben kann, das Myste­rium der Erb­sünde, der einzige Schlüssel zum Verständnis unseres ei­genen Wesens ist. … Ohne die­ses dunkelste aller Geheimnisse sind wir uns selber das größte Rät­sel. Der Knoten unseres Daseins nimmt seine tausendfältigen Windungen und Verschlingungen in diesem Abgrund, so daß der Mensch ohne das Geheim­nis viel unverständlicher ist, als das Ge­heimnis seinem Verstande.“
(Pascal „Pensées“ [Nr. 434][1])

[1] Pascal 1940: 205

Bücherlese 1938
„Seit Pascal sind die beiden benachbarten Begriffe Religion und Moral für lange Zeit auf falschem Wege. Man glaubt, das Gebet sei seinem Wesen nach genußvoll.“ ([Brémond, Henri: Das wesentliche Gebet (La Métaphysique des saints), Regensburg 1936 (zit. Brémond 1936)] S. 31)

Panhedonismus – <Der Aszetismus als 2. Abirrung[1]>

[1] Henri Brémond behandelt die Kapitel II.: Der religiöse Panhedonismus. S. 29–32, und III.: Der Aszetismus. S. 32–40.
Henri Brémond:
Die eine Grundform des Anthropozentrismus [Mensch als Maß aller Dinge] nennen wir panhedonistisch – es ist diejenige Pascals, [Pierre] Nico­les [1625–1695] und [Jacques Bénigne] Bossuets [1627–1704] –, die andere aszetistisch, die jener Ordenstheologen, welche die mystische Lehre des Jesuiten [Louis] Lallemant [1578–1635] und seiner Schule ablehnen. Ohne Ge­nuß kein Gebet – das wäre die extreme Formel des religiösen Panhe­donis­mus (Brémond 1936: 30).

V. Kritik der Wahrnehmung[1] (Kurze Zusammenfassung)
Die Einung in der Liebe Gottes (im Gebet) ist nicht notwendig und erstlich mit „Gefühlen“ (die den niederen Seelenkräften angehören) verbunden, son­dern ist zutiefst und letztlich Zustimmung der „feinen Spitze“ der Seele zu Gottes Willen. – Ja, es kann eine tiefe Trauer, ja Lästerung, Kälte und Ab­scheu der niederen Seelenkräfte (Sinn) damit verbunden sein. (→ heilige Franziska von Chantal). Meist jedoch ist diese „mystische Lie­beserfahrung Gottes“ auch gepaart mit einem äußeren Trost und „Süßig­keit“ der Sinne. Das besagt aber nichts über eine größere und tiefere Fröm­migkeit, über das Wesentliche des Gebetes und der Einung mit Gott! Es ist sogar die (panhe­donistische – Pascal) Gefahr, daß wir nicht den Gott des Trostes, sondern alleine den Trost in Gott suchen, und die äußere sinn­liche Süßigkeit und Trö­stung mit der verborgenen, mystischen, inneren … in der feinen Spitze statt­findet allein zwischen Gott und der Seele, zu verwech­seln.[2]

[1] Brémond 1936: 64–75
[2] inhaltliche Zusammenfassung von Brémond 1936: 72f.

Tagebuch Nr. 24, Seite 106
Pasc. III.
Vermutlich wollte Karl Leisner auf dieser und den folgenden Seiten Lesefrüchte aus Blaise Pascals Pensées Kapitel III. Fragment 184–241, „Gegen die Ungläubi­gen“ eintragen, Pascal 1940: 98–131.