Karl Leisner und Camillo Kardinal Caccia Dominioni

Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 06.01.2018)

Camillo Kardinal Caccia Dominioni (* 7.2.1877 in Mailand/Lombardei/I, † 12.11.1946 in Rom) – Priester­wei­­he 23.9.1899 in Mailand – Apostolischer Protonotar u. Maestro di Camera di Sua Santità (Kammermeister seiner Heilig­keit) ab 16.6.1921 – Maggior­domo di Sua Santità (oberster Leibwächter seiner Heiligkeit) 1935 – Kardinal 16.12.1935 – au­ßer­dem Mit­glied wichtiger vatikani­scher Kongregationen

Unter der Überschrift „Ein besonderer Dienst an der Seite des Papstes“ berichtete L’OSSERVATORE ROMANO vom 9. Februar 2018, Nr. 6, auf Seite 5 über die päpstlichen Kammerherren.

 

 

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Es war Camillo Kardinal Caccia Dominioni zu verdanken, daß Karl Leisner und seine beiden Kommilitonen, Max Terhorst und Josef Köckemann, 1936 bei ihrem Besuch in Rom eine Audienz bei Papst Pius XI. bekamen. Die Vorbereitungen für die Fahrt hatten sie gemeinsam mit Pater Constantin Noppel SJ getroffen. Er vermittelte ihnen den Kontakt zu seinem Freund Kardinal Caccia, der noch sehr beeindruckt war von der Rom­fahrt der Sturmschar zu Ostern 1935.
Von Karl Leisner ist kein Tagebuch über die Romfahrt erhalten, aber Max Terhorst hat die Erlebnisse später aufgezeichnet. Nachfolgend die Begegnungen mit dem Kardinal:

Mittwoch, 27. Mai 1936
Wir schlenderten in unserer etwas auffälligen Wan­derkluft durch Rom. Ei­gentlich waren wir dauernd voller Spannung. Was wird aus unserm Brief in der Villa des Kardinals Caccia werden? – Der Brief war ein Empfehlungs­schreiben Pater Noppels SJ aus Frei­burg/Br., ehemals Lei­ter des Germani­cums in Rom. – Wir hatten ihn lediglich mit unserer au­gen­blickli­chen An­schrift versehen: „Kolping­haus – Via Pet­tinari“ in den Briefkasten des Kardi­nals gewor­fen und wa­ren dann schnell verschwun­den. Wie würde er uns nun benachrichti­gen? Würde er viel­leicht zum Kolpinghaus schreiben oder telefonie­ren? War er überhaupt zu Hause und nicht auf einer Dienstreise? Na, jedenfalls wir waren jetzt in Rom und wollten erst einmal die Stadt kennenler­nen.
Wir standen gerade zum ersten Mal vor dem großen Konstantinsbo­gen. Rechts im Hintergrund die mächtige Fassade des Kolosseums. Wir waren ein­fach fasziniert von dem Herrlichen, was wir da sahen und be­merkten dar­über kaum, daß ein Wa­gen gleich neben uns am Bordstein gehalten hatte. Die Türe des Autos öffnete sich – und erst als uns eine kräftige Männer­stimme ansprach: „Sind Sie viel­leicht Leisner, Köcke­mann und Terhorst?“ – schreckten wir auf und schauten uns um, sahen dann einen Koloß von Mensch, breit und wuchtig, dazu in Kar­dinalsrot – der aus dem Wagen her­aus­schaute, halb herausgebeugt, und eben uns in fast perfektem Deutsch ansprach. Natürlich bejahten wir, stellten uns vor. Der Kardinal stellte sich dann auch vor: „Kardinal Caccia“. Dann sagte er: „Ich habe Ihren Brief von Pater Constantin Noppel er­halten und darf Sie mor­gen zum Mittagessen ge­gen 12.00 Uhr in meinem Hause erwarten.“ Wir wa­ren so überrascht, daß wir gar nichts anderes sagen konn­ten als: „Ger­ne, selbstverständlich!“ Daraufhin sagte der Kardinal: „Entschul­di­gen Sie, ich habe noch zu tun. Wir sehen uns morgen – auf Wieder­sehen!“ Das Auto wurde geschlossen und eine pracht­volle Limousine sahen wir im Verkehr des Rondells um den Konstantinsbo­gen verschwinden.

Donnerstag, 28. Mai 1936
Punkt 12.00 Uhr schritt ich dann als erster durch den etwa fünf Meter lan­gen überdachten Marmor­gang, eine typische römische Loggia, und ging auf die Pforte zu. Ich schellte (der Vortritt war mir durch Los zuge­fallen). Doch ich hatte kaum die Hand von der Schelle, als auch schon die Tür auf­ging und ein Diener in Livree sich verbeugend uns begrüßte. „Bitte, treten Sie ein, Sie wer­den erwar­tet!“ Kaum hatte ich den zweiten Schritt in den Hausflur getan, als mir die Füße unterm Körper weg­rutsch­ten. Draußen war es glatt, hier war es spiegelblank. Der Länge nach sauste ich hin. Karl und Jupp standen noch in der Türe und platzten laut los. Ich ver­suchte verzweifelt meine Knochen zu sortieren, als ich auf­schaue und vor mir im Tür­rahmen eines Zim­mers die mächtige Ge­stalt des Kardinals ent­decke. Wahrlich, ein riesiger Lom­barde, zumal aus der Frosch­­perspek­tive. Und auch er lachte und lachte. Doch dann reichte er mir lie­bevoll die Hand und half mir auf die Beine. Erst halbhoch, benutzte ich gleich die komikgeladene Situation zum obligatori­schen Kniefall mit Ring­kuß.[1]
Entspannt und gelockert vollzog sich jetzt alles Weitere. Zwar über­schlu­gen sich für uns geradezu die Probleme, angefangen beim Schwarzwälder Kirsch, dessen hochprozentige Existenz fast um­werfend war, über’s Spar­gel­essen, das wir auch nicht gerade primae classis [erst­klassig] beherrsch­ten, bis zum Spaghettiberg, der partout insgesamt von der riesi­gen ovalen Schüssel auf dem nur mit Mühe balancierenden Arm des Dieners auf Karls Teller rutschen wollte. Zum Glück hatten der Kar­dinal und seine sechs weite­ren Gäste für unsere Situation volles Ver­ständnis. Und so löste sich alles in Gelächter und Scherz auf. Der Haup­terfolg war gesichert: Wir erhielten Billets zum Betreten des Vatikans und seiner Museen und Bib­liotheken. Wir erhiel­ten Platzkarten für das vom Papst selbst zele­brier­te Pontifikalamt am Pfingsttag und – das war wirklich um­werfend – wir er­hielten die Einladung zu einem persönlichen Gespräch mit Papst Pius XI. Rom hatte für uns wirklich neue Dimensio­nen er­halten.
[1] Kniefall und Ringkuß sind Ausdruck besonderer Ehrerbietung gegenüber geist­lichen und weltlichen Würdenträgern.

Samstag, 30. Mai 1936
Privataudienz bei Papst Pius XI.

Auf Freitag [Samstag] vor Pfingsten lautete unsere Einladung zur Privat­au­dienz beim Papst. Um 10.30 Uhr soll­ten wir an der Pforte des Vati­kan­pala­stes sein. Pünktlich überreichten wir einem der zwei in mit­telal­terlich bunten Landsknechtstrachten gekleideten und mit Helle­barden ausge­rü­steten Schweizergar­disten unsere Einladungsbilletts. Dieser mu­sterte er­staunt un­sere Jungengesichter und wohl auch unsere Kluft, dann wieder unsere Bil­letts, schließ­lich salutierte er stramm. – Unsere Karten schienen ihn zu über­fordern. Wir grinsten uns an. Doch schon sehr bald erschien er wieder, ge­folgt von einem Offizier der Garde, der unsere Einladungen in der Hand hatte. Auch dieser Offi­zier grüßte uns korrekt militärisch, mu­sterte uns genau und forderte uns dann in sehr gutem Deutsch auf, ihm zu folgen. Wir gingen die Stufen hinauf und betraten eine sehr große Emp­fangshalle, in der wohl an die 100 Men­schen ver­sammelt waren. Alle in dunklen, sehr vornehmen Kleidern – die Herren im Frack, die Damen mit Schleiern.
Unser Offizier bahnte mit schnellem Schritt einen Weg durch diese Grup­pen und munterte uns ständig auf, ihm nur auf den Fer­sen zu blei­ben. Wir be­traten einen zweiten Raum, nicht ganz so groß, aber auch hier waren noch viele Menschen, die in Grup­pen zusammenstanden und nur sehr ge­dämpft sich un­terhielten. Sie warteten offenbar auf eine Grup­pen­au­dienz beim Papst.
Auch diesen Raum durcheilten wir schnellen Schritts. Es folgte dann noch ein dritter und vierter Raum, jeweils mit kleineren wartenden Gruppen. Schließ­lich kamen wir in einen Raum, in dem le­diglich eine Gruppe von drei Perso­nen war. Es mußten sehr vornehme Leute sein, wahrschein­lich aus Spanien. Der Offizier wies auf eine uns gegen­überliegende schmuck­volle Tür und sagte: „Dort, hinter dieser Tür ist das Arbeits­zimmer des Pap­stes. Bitte, warten Sie einige Minuten. Sie wer­den gleich hineingebe­ten werden!“ Er sa­lutierte und überließ uns unserm Schicksal.
Die Tür öffnete sich schneller als erwartet, ein Die­ner trat von drüben in unsern Raum und ver­beugte sich grüßend; wir sahen im Hintergrund an ei­nem großen Schreibtisch den Papst noch beschäf­tigt mit Schrift­stücken. Doch ein Lichtblick tat sich auf. Neben dem Papst stand in sei­ner stattli­chen Größe und Fülle Kardinal Caccia, dem wir uns nun schon vertraut fühlten. Zu unserm Erstaunen wur­den wir auch in diesem Falle der ande­ren Gruppe vorgezogen und von dem Diener hineingebe­ten.
Während wir in das Arbeitszimmer des Papstes traten, erhob sich Pius XI., und, begleitet von Kardi­nal Caccia, trat er mit ausgebreiteten Armen auf uns zu und begrüßte uns mit dem Ruf: „Fioretti Germa­niae“ (Blumen aus Deutschland). Wir waren glück­lich. Kniebeuge und Ringkuß wurden un­pro­to­kolla­risch vollzogen und der Papst geleitete uns an einen kleinen Seitentisch mit mehreren Sesseln zum Ge­spräch. Nach der Frage, aus wel­cher Di­özese wir kämen, waren wir überrascht, wie genau der Papst über die Diözese Münster Bescheid wußte. Voller Hochachtung und Bewunde­rung sprach er von Clemens August Graf von Galen, der seit 1933 unser Bischof war. Hier hörte ich zum ersten Male aus dem Munde des Papstes jenen Ehrentitel „Der Löwe von Münster“, der so oft in spä­teren Jahren unserm hochverehrten Bi­schof beigelegt wurde.[1] Voller Hochach­tung sprach der Papst aber auch von den Diözesanen. Längst war man sich auch in Rom der gezielten Irreführung seitens der Nazis durch das 1933 abgeschlossene Konkordat bewußt gewor­den und hatte erst im Vorjahr auf dem großen Sturmschar­treffen 1935 in Rom die Stand­festig­keit der katholi­schen Jugendverbände erfahren. Dann kamen ge­zielte Fragen zur Lage der katholi­schen Jugend in der Diözese und allgemein in Deutsch­land. Hier war nun Karl in seinem Ele­ment. Als jahrelanger Diöze­san­jung­schar­führer wußte er viele Einzelhei­ten zu berich­ten. Jupp und ich konnten nur froh sein, einen solchen Reporter unter uns zu ha­ben.
[1] s. Nicht „Löwe von Münster“, sondern „Löwe von Deutschland“ (Lione della Germania) unter Ergänzungen zur Lebens-Chronik zu Karl Leisner XXV

Montag, 1. Juni 1936
[Zu] Gast bei Kardinal Caccia, Pfingstmontag 1936 in Castel Gandolfo
Mit den beglückenden Erlebnissen der Audienz und der Papstmesse war aber das Füllhorn dieses Pfingstfestes 1936 für uns noch nicht ausge­schöpft. Der Pfingstmontag brachte uns noch einen sehr schönen Ab­schluß. Zum Nachmittag hatte uns Kar­dinal Caccia nochmals zu sich ge­laden. Mit einigen weiteren Gästen des Kardinals fuhren wir in zwei gro­ßen Limousinen – Kennzeichen CD [Corps Diplomatique – Diplo­ma­ti­sches Korps] – nach Ca­stel Gandolfo, der Sommerresidenz des Pap­stes. Die gut 20 Kilometer fuhren wir gemächlich und mit eini­gen Umwegen, so daß wir uns gut ein Bild von der Landschaft, besonders von den Alba­ner Bergen machen konnten. Auf einer großen Terrasse des Castel Gan­dolfo mit einem überwältigenden Aus­blick auf die Bergwelt und einem beeindruckenden Tiefblick auf den wunderbaren blauen Albaner See war die Kaffeetafel gedeckt. In sehr froher Stim­mung er­zählten wir aus un­serm Leben in den deut­schen katholischen Jugendver­bänden. Der Kardi­nal berichtete begeistert von der großen Romwallfahrt der Sturm­schar zu Ostern 1935. Er war enorm be­eindruckt worden von der kir­chen­treuen Haltung der katholischen deutschen Jugend, von Kundge­bungen auf dem Petersplatz und von Audienzen. Und nun wurde uns auch klar, wieso er uns gleich am zweiten Tag unseres Aufenthaltes in Rom auf beleb­tester Straße so sicher hatte herausfinden kön­nen. Unsere Kluft: weiße Hemden, mausgraue Kniehosen, schwarze Koppel hatten ihn in Erinne­rung an die vorjährige Wallfahrt auf die richtige Fährte gesetzt. Wie sehr ihm die deutschen Lieder gefallen hatten, zeigte dann so ganz unmittelbar seine Frage nach einem Lied, von dem er nur noch wußte: „… und treten auf den Fuß“. – Dieses würde er so gerne noch einmal hören. Und schon erklang: „Wenn alle Brünnlein fließen, so muß man trin­ken…“ Angelockt durch das Lied fanden sich im Hof des Castels einige junge Damen ein. Es waren deut­sche Rompilgerinnen. Was war natürlicher, als [daß] auch sie in unsere Rei­hen geholt wurden, und dann erklangen noch viele, viele Lieder – zur Freude aller, besonders des Kardinals und seiner Gäste.
Die Stunden verrannen schnell mit Lied und Scherz. Ein Foto von Kardi­nal Caccia aus damaligem Kreis kann auch heute noch jedem von der ge­lockerten Freude an diesem Tag berichten. Gegen Abend fuhr dann der Kardinal mit seinen Gästen in dem einen Wagen direkt nach Rom zurück. Der zweite Wagen aber wurde samt Fahrer uns zur Verfügung ge­stellt.[1] Und so kam es, daß drei junge deut­sche Student­lein unter der Flagge des CD – Diplomati­schen Korps – eine große Rundfahrt um das langsam in Nacht versinkende Rom über die sieben Hügel der Ewigen Stadt und noch einige Pracht­straßen unter­nahmen.
[1] Josef Köckemann am 11.3.1998 im Gespräch mit Hans-Karl Seeger:
Kardinal Caccia gab die An­weisung an den Fahrer zur Fahrt über die sieben Hügel Roms [Aventin, Capitol, Esquilin, Palatin, Quirinal, Viminalis und Caelius]. Dies sollte ein Abschieds­ge­schenk sein.

Den vollständigen Rombericht enthält der Rundbrief des IKLK Nr. 40 – August 1999 – Karl Leisner in Rom.

Wie nachhaltig der Papstbesuch war, zeigt sich in den erhaltenen Tagebüchern, in denen Karl Leisner unter anderem auch den Kardinal erwähnt.

Münster, Freitag, 1. Juli 1938
Pfing­sten [1936]: Rom. Pius [XI.]. – Car­dinal Caccia. – La Catacombe [Die Kallistus-Katakombe]. – St. Peter. – Il Vesuvio [Der Vesuv]. – Drei Wochen Vita, vita, vita! [Leben, Leben, Le­ben!] – Mit­reißend!

Münster, Montag, 13. Februar 1939
Der Drang des Stolzes hat so oft das Herz im Bann oder wenigstens in Angst und Furcht.
Hinweg mit beiderlei Drang, Gedanken und Vorstellungen. Baue sie ein in dein Lebensziel: Diener Jesu Christi, des ewigen Hohenpriesters zu sein! Und wer könnte dir menschlich und christlich ein herrlicheres Vorbild sein als der verstorbene Pius der Große!
(Mit leichtem Erschrecken fiel mir ein „so beiläufiges“ Dictum von Cardinal Caccia Dominioni [zu Pfingsten 1936] ein, in meinem Gesicht hätte ich Ähn­lich­keit mit dem Papst in seinen jungen Jahren. – Möge es eine Anregung für mich sein zu dem Versuch, ihm irgendwie ähnlich zu werden im inneren Ant­litz!)

Kleve, Sonntag, 12. März 1939
Papstkrönung [Pius XII.] in Rom. Protodiakon Kardinal Caccia Dominioni setzt ihm die Tiara auf.