Camillo Kardinal Caccia Dominioni (* 7.2.1877 in Mailand/Lombardei/I, † 12.11.1946 in Rom) – Priesterweihe 23.9.1899 in Mailand – Apostolischer Protonotar u. Maestro di Camera di Sua Santità (Kammermeister seiner Heiligkeit) ab 16.6.1921 – Maggiordomo di Sua Santità (oberster Leibwächter seiner Heiligkeit) 1935 – Kardinal 16.12.1935 – außerdem Mitglied wichtiger vatikanischer Kongregationen
Unter der Überschrift „Ein besonderer Dienst an der Seite des Papstes“ berichtete L’OSSERVATORE ROMANO vom 9. Februar 2018, Nr. 6, auf Seite 5 über die päpstlichen Kammerherren.
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Es war Camillo Kardinal Caccia Dominioni zu verdanken, daß Karl Leisner und seine beiden Kommilitonen, Max Terhorst und Josef Köckemann, 1936 bei ihrem Besuch in Rom eine Audienz bei Papst Pius XI. bekamen. Die Vorbereitungen für die Fahrt hatten sie gemeinsam mit Pater Constantin Noppel SJ getroffen. Er vermittelte ihnen den Kontakt zu seinem Freund Kardinal Caccia, der noch sehr beeindruckt war von der Romfahrt der Sturmschar zu Ostern 1935.
Von Karl Leisner ist kein Tagebuch über die Romfahrt erhalten, aber Max Terhorst hat die Erlebnisse später aufgezeichnet. Nachfolgend die Begegnungen mit dem Kardinal:
Mittwoch, 27. Mai 1936
Wir schlenderten in unserer etwas auffälligen Wanderkluft durch Rom. Eigentlich waren wir dauernd voller Spannung. Was wird aus unserm Brief in der Villa des Kardinals Caccia werden? – Der Brief war ein Empfehlungsschreiben Pater Noppels SJ aus Freiburg/Br., ehemals Leiter des Germanicums in Rom. – Wir hatten ihn lediglich mit unserer augenblicklichen Anschrift versehen: „Kolpinghaus – Via Pettinari“ in den Briefkasten des Kardinals geworfen und waren dann schnell verschwunden. Wie würde er uns nun benachrichtigen? Würde er vielleicht zum Kolpinghaus schreiben oder telefonieren? War er überhaupt zu Hause und nicht auf einer Dienstreise? Na, jedenfalls wir waren jetzt in Rom und wollten erst einmal die Stadt kennenlernen.
Wir standen gerade zum ersten Mal vor dem großen Konstantinsbogen. Rechts im Hintergrund die mächtige Fassade des Kolosseums. Wir waren einfach fasziniert von dem Herrlichen, was wir da sahen und bemerkten darüber kaum, daß ein Wagen gleich neben uns am Bordstein gehalten hatte. Die Türe des Autos öffnete sich – und erst als uns eine kräftige Männerstimme ansprach: „Sind Sie vielleicht Leisner, Köckemann und Terhorst?“ – schreckten wir auf und schauten uns um, sahen dann einen Koloß von Mensch, breit und wuchtig, dazu in Kardinalsrot – der aus dem Wagen herausschaute, halb herausgebeugt, und eben uns in fast perfektem Deutsch ansprach. Natürlich bejahten wir, stellten uns vor. Der Kardinal stellte sich dann auch vor: „Kardinal Caccia“. Dann sagte er: „Ich habe Ihren Brief von Pater Constantin Noppel erhalten und darf Sie morgen zum Mittagessen gegen 12.00 Uhr in meinem Hause erwarten.“ Wir waren so überrascht, daß wir gar nichts anderes sagen konnten als: „Gerne, selbstverständlich!“ Daraufhin sagte der Kardinal: „Entschuldigen Sie, ich habe noch zu tun. Wir sehen uns morgen – auf Wiedersehen!“ Das Auto wurde geschlossen und eine prachtvolle Limousine sahen wir im Verkehr des Rondells um den Konstantinsbogen verschwinden.
Donnerstag, 28. Mai 1936
Punkt 12.00 Uhr schritt ich dann als erster durch den etwa fünf Meter langen überdachten Marmorgang, eine typische römische Loggia, und ging auf die Pforte zu. Ich schellte (der Vortritt war mir durch Los zugefallen). Doch ich hatte kaum die Hand von der Schelle, als auch schon die Tür aufging und ein Diener in Livree sich verbeugend uns begrüßte. „Bitte, treten Sie ein, Sie werden erwartet!“ Kaum hatte ich den zweiten Schritt in den Hausflur getan, als mir die Füße unterm Körper wegrutschten. Draußen war es glatt, hier war es spiegelblank. Der Länge nach sauste ich hin. Karl und Jupp standen noch in der Türe und platzten laut los. Ich versuchte verzweifelt meine Knochen zu sortieren, als ich aufschaue und vor mir im Türrahmen eines Zimmers die mächtige Gestalt des Kardinals entdecke. Wahrlich, ein riesiger Lombarde, zumal aus der Froschperspektive. Und auch er lachte und lachte. Doch dann reichte er mir liebevoll die Hand und half mir auf die Beine. Erst halbhoch, benutzte ich gleich die komikgeladene Situation zum obligatorischen Kniefall mit Ringkuß.[1]
Entspannt und gelockert vollzog sich jetzt alles Weitere. Zwar überschlugen sich für uns geradezu die Probleme, angefangen beim Schwarzwälder Kirsch, dessen hochprozentige Existenz fast umwerfend war, über’s Spargelessen, das wir auch nicht gerade primae classis [erstklassig] beherrschten, bis zum Spaghettiberg, der partout insgesamt von der riesigen ovalen Schüssel auf dem nur mit Mühe balancierenden Arm des Dieners auf Karls Teller rutschen wollte. Zum Glück hatten der Kardinal und seine sechs weiteren Gäste für unsere Situation volles Verständnis. Und so löste sich alles in Gelächter und Scherz auf. Der Haupterfolg war gesichert: Wir erhielten Billets zum Betreten des Vatikans und seiner Museen und Bibliotheken. Wir erhielten Platzkarten für das vom Papst selbst zelebrierte Pontifikalamt am Pfingsttag und – das war wirklich umwerfend – wir erhielten die Einladung zu einem persönlichen Gespräch mit Papst Pius XI. Rom hatte für uns wirklich neue Dimensionen erhalten.
[1] Kniefall und Ringkuß sind Ausdruck besonderer Ehrerbietung gegenüber geistlichen und weltlichen Würdenträgern.
Samstag, 30. Mai 1936
Privataudienz bei Papst Pius XI.
Auf Freitag [Samstag] vor Pfingsten lautete unsere Einladung zur Privataudienz beim Papst. Um 10.30 Uhr sollten wir an der Pforte des Vatikanpalastes sein. Pünktlich überreichten wir einem der zwei in mittelalterlich bunten Landsknechtstrachten gekleideten und mit Hellebarden ausgerüsteten Schweizergardisten unsere Einladungsbilletts. Dieser musterte erstaunt unsere Jungengesichter und wohl auch unsere Kluft, dann wieder unsere Billetts, schließlich salutierte er stramm. – Unsere Karten schienen ihn zu überfordern. Wir grinsten uns an. Doch schon sehr bald erschien er wieder, gefolgt von einem Offizier der Garde, der unsere Einladungen in der Hand hatte. Auch dieser Offizier grüßte uns korrekt militärisch, musterte uns genau und forderte uns dann in sehr gutem Deutsch auf, ihm zu folgen. Wir gingen die Stufen hinauf und betraten eine sehr große Empfangshalle, in der wohl an die 100 Menschen versammelt waren. Alle in dunklen, sehr vornehmen Kleidern – die Herren im Frack, die Damen mit Schleiern.
Unser Offizier bahnte mit schnellem Schritt einen Weg durch diese Gruppen und munterte uns ständig auf, ihm nur auf den Fersen zu bleiben. Wir betraten einen zweiten Raum, nicht ganz so groß, aber auch hier waren noch viele Menschen, die in Gruppen zusammenstanden und nur sehr gedämpft sich unterhielten. Sie warteten offenbar auf eine Gruppenaudienz beim Papst.
Auch diesen Raum durcheilten wir schnellen Schritts. Es folgte dann noch ein dritter und vierter Raum, jeweils mit kleineren wartenden Gruppen. Schließlich kamen wir in einen Raum, in dem lediglich eine Gruppe von drei Personen war. Es mußten sehr vornehme Leute sein, wahrscheinlich aus Spanien. Der Offizier wies auf eine uns gegenüberliegende schmuckvolle Tür und sagte: „Dort, hinter dieser Tür ist das Arbeitszimmer des Papstes. Bitte, warten Sie einige Minuten. Sie werden gleich hineingebeten werden!“ Er salutierte und überließ uns unserm Schicksal.
Die Tür öffnete sich schneller als erwartet, ein Diener trat von drüben in unsern Raum und verbeugte sich grüßend; wir sahen im Hintergrund an einem großen Schreibtisch den Papst noch beschäftigt mit Schriftstücken. Doch ein Lichtblick tat sich auf. Neben dem Papst stand in seiner stattlichen Größe und Fülle Kardinal Caccia, dem wir uns nun schon vertraut fühlten. Zu unserm Erstaunen wurden wir auch in diesem Falle der anderen Gruppe vorgezogen und von dem Diener hineingebeten.
Während wir in das Arbeitszimmer des Papstes traten, erhob sich Pius XI., und, begleitet von Kardinal Caccia, trat er mit ausgebreiteten Armen auf uns zu und begrüßte uns mit dem Ruf: „Fioretti Germaniae“ (Blumen aus Deutschland). Wir waren glücklich. Kniebeuge und Ringkuß wurden unprotokollarisch vollzogen und der Papst geleitete uns an einen kleinen Seitentisch mit mehreren Sesseln zum Gespräch. Nach der Frage, aus welcher Diözese wir kämen, waren wir überrascht, wie genau der Papst über die Diözese Münster Bescheid wußte. Voller Hochachtung und Bewunderung sprach er von Clemens August Graf von Galen, der seit 1933 unser Bischof war. Hier hörte ich zum ersten Male aus dem Munde des Papstes jenen Ehrentitel „Der Löwe von Münster“, der so oft in späteren Jahren unserm hochverehrten Bischof beigelegt wurde.[1] Voller Hochachtung sprach der Papst aber auch von den Diözesanen. Längst war man sich auch in Rom der gezielten Irreführung seitens der Nazis durch das 1933 abgeschlossene Konkordat bewußt geworden und hatte erst im Vorjahr auf dem großen Sturmschartreffen 1935 in Rom die Standfestigkeit der katholischen Jugendverbände erfahren. Dann kamen gezielte Fragen zur Lage der katholischen Jugend in der Diözese und allgemein in Deutschland. Hier war nun Karl in seinem Element. Als jahrelanger Diözesanjungscharführer wußte er viele Einzelheiten zu berichten. Jupp und ich konnten nur froh sein, einen solchen Reporter unter uns zu haben.
[1] s. Nicht „Löwe von Münster“, sondern „Löwe von Deutschland“ (Lione della Germania) unter Ergänzungen zur Lebens-Chronik zu Karl Leisner XXV
Montag, 1. Juni 1936
[Zu] Gast bei Kardinal Caccia, Pfingstmontag 1936 in Castel Gandolfo
Mit den beglückenden Erlebnissen der Audienz und der Papstmesse war aber das Füllhorn dieses Pfingstfestes 1936 für uns noch nicht ausgeschöpft. Der Pfingstmontag brachte uns noch einen sehr schönen Abschluß. Zum Nachmittag hatte uns Kardinal Caccia nochmals zu sich geladen. Mit einigen weiteren Gästen des Kardinals fuhren wir in zwei großen Limousinen – Kennzeichen CD [Corps Diplomatique – Diplomatisches Korps] – nach Castel Gandolfo, der Sommerresidenz des Papstes. Die gut 20 Kilometer fuhren wir gemächlich und mit einigen Umwegen, so daß wir uns gut ein Bild von der Landschaft, besonders von den Albaner Bergen machen konnten. Auf einer großen Terrasse des Castel Gandolfo mit einem überwältigenden Ausblick auf die Bergwelt und einem beeindruckenden Tiefblick auf den wunderbaren blauen Albaner See war die Kaffeetafel gedeckt. In sehr froher Stimmung erzählten wir aus unserm Leben in den deutschen katholischen Jugendverbänden. Der Kardinal berichtete begeistert von der großen Romwallfahrt der Sturmschar zu Ostern 1935. Er war enorm beeindruckt worden von der kirchentreuen Haltung der katholischen deutschen Jugend, von Kundgebungen auf dem Petersplatz und von Audienzen. Und nun wurde uns auch klar, wieso er uns gleich am zweiten Tag unseres Aufenthaltes in Rom auf belebtester Straße so sicher hatte herausfinden können. Unsere Kluft: weiße Hemden, mausgraue Kniehosen, schwarze Koppel hatten ihn in Erinnerung an die vorjährige Wallfahrt auf die richtige Fährte gesetzt. Wie sehr ihm die deutschen Lieder gefallen hatten, zeigte dann so ganz unmittelbar seine Frage nach einem Lied, von dem er nur noch wußte: „… und treten auf den Fuß“. – Dieses würde er so gerne noch einmal hören. Und schon erklang: „Wenn alle Brünnlein fließen, so muß man trinken…“ Angelockt durch das Lied fanden sich im Hof des Castels einige junge Damen ein. Es waren deutsche Rompilgerinnen. Was war natürlicher, als [daß] auch sie in unsere Reihen geholt wurden, und dann erklangen noch viele, viele Lieder – zur Freude aller, besonders des Kardinals und seiner Gäste.
Die Stunden verrannen schnell mit Lied und Scherz. Ein Foto von Kardinal Caccia aus damaligem Kreis kann auch heute noch jedem von der gelockerten Freude an diesem Tag berichten. Gegen Abend fuhr dann der Kardinal mit seinen Gästen in dem einen Wagen direkt nach Rom zurück. Der zweite Wagen aber wurde samt Fahrer uns zur Verfügung gestellt.[1] Und so kam es, daß drei junge deutsche Studentlein unter der Flagge des CD – Diplomatischen Korps – eine große Rundfahrt um das langsam in Nacht versinkende Rom über die sieben Hügel der Ewigen Stadt und noch einige Prachtstraßen unternahmen.
[1] Josef Köckemann am 11.3.1998 im Gespräch mit Hans-Karl Seeger:
Kardinal Caccia gab die Anweisung an den Fahrer zur Fahrt über die sieben Hügel Roms [Aventin, Capitol, Esquilin, Palatin, Quirinal, Viminalis und Caelius]. Dies sollte ein Abschiedsgeschenk sein.
Den vollständigen Rombericht enthält der Rundbrief des IKLK Nr. 40 – August 1999 – Karl Leisner in Rom.
Wie nachhaltig der Papstbesuch war, zeigt sich in den erhaltenen Tagebüchern, in denen Karl Leisner unter anderem auch den Kardinal erwähnt.
Münster, Freitag, 1. Juli 1938
Pfingsten [1936]: Rom. Pius [XI.]. – Cardinal Caccia. – La Catacombe [Die Kallistus-Katakombe]. – St. Peter. – Il Vesuvio [Der Vesuv]. – Drei Wochen Vita, vita, vita! [Leben, Leben, Leben!] – Mitreißend!
Münster, Montag, 13. Februar 1939
Der Drang des Stolzes hat so oft das Herz im Bann oder wenigstens in Angst und Furcht.
Hinweg mit beiderlei Drang, Gedanken und Vorstellungen. Baue sie ein in dein Lebensziel: Diener Jesu Christi, des ewigen Hohenpriesters zu sein! Und wer könnte dir menschlich und christlich ein herrlicheres Vorbild sein als der verstorbene Pius der Große!
(Mit leichtem Erschrecken fiel mir ein „so beiläufiges“ Dictum von Cardinal Caccia Dominioni [zu Pfingsten 1936] ein, in meinem Gesicht hätte ich Ähnlichkeit mit dem Papst in seinen jungen Jahren. – Möge es eine Anregung für mich sein zu dem Versuch, ihm irgendwie ähnlich zu werden im inneren Antlitz!)
Kleve, Sonntag, 12. März 1939
Papstkrönung [Pius XII.] in Rom. Protodiakon Kardinal Caccia Dominioni setzt ihm die Tiara auf.