Das 1937 erschienene Buch „Der Herr“[1] war auch Karl Leisner in den Blick gekommen. Vermutlich war seine Krankheit der Auslöser, sich mit diesem Buch zu beschäftigen. So bat er Hilde Steiert aus Freiburg, als sie ihn im Lungensanatorium Fürstabt-Gerbert-Haus in St. Blasien besuchte, es ihm zu besorgen.
[1] Guardini, Romano: Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 1937
Donnerstag, 10. August 1939
Hilde Steiert im Seligsprechungsprozeß:
Um den 10. August 1939 herum war ich mit meiner Schwester [Wilhelmine] in St. Blasien, den DG [Diener Gottes Karl Leisner] zu besuchen. Wir sind damals im Park herumgegangen; bei jeder Bank mußte er sich hinsetzen. Ich hatte den Eindruck, daß er seine Krankheit gefaßt getragen hat. Er hat mich dann gebeten, ihm das Buch „Der Herr“ von Guardini zu schicken.
Karl Leisner aus St. Blasien am 14. September 1939 an Walter Vinnenberg in Emmerich:
Von hier kann ich gute Nachricht bringen. Bin seit drei Wochen „negativ“. – Das ist der erste entscheidende Erfolg, den ich nun bis Ende Oktober zu erhalten und vertiefen hoffe. Ein Teil des Hauses ist für Soldaten geräumt. Der andre bleibt wahrscheinlich für die Kranken erhalten. – Habe jetzt „schon“ täglich eine halbe Stunde Spaziergang, den ich mit Wonne in den herrlichen Wäldern ringsum auskoste. Langsam und zäh ist der tägliche Kleinkrieg an dieser eigenartigen „Front“. – Aber, wenn ich an die Opfer unserer Kameraden draußen denke, reißt’s mich täglich hoch. Habe dazu das Glück, täglich im Hause der heiligen Messe beiwohnen zu können. So ist’s recht erträglich. Etwas lesen: [Adalbert] Stifter[1], Guardini [Der Herr] … hilft einem auch über manche lange Stunde hinweg.
[1] Es sind unter anderen folgende Titel denkbar:
Der Hochwald (1842/1844)
Der Nachsommer (1857)
Karl Leisner aus Dachau, Block 28/1, 15. September 1941 an seine Mutter in Kleve:
Liebste Mutter!
Dir darf ich diesen Sonderbrief schreiben um Übersendung folgender Sachen: 1. des „Deutschen Breviers“ (herg. von Dr. Joh. Schenk bei Pustet – Regensburg) – bei meinen Büchern im Seminar –; 2. der Heiligen Schrift a) des Alten Bundes (Ausgabe in Auswahl von Henne Gräff bei Schöningh – Paderborn zu 2,00 RM[1]) b); des Neuen Bundes (Kepplerbibel[2]); 3. unseres Diözesangebetbuches[3] und eines Erbauungsbuches (entweder „Organische Aszese“ von Dr. Schmidt bei Schöningh[4] oder „Der Priester in der modernen Welt“ von Dr. Sellmair[5] – was Fräulein El. [Elisabeth] Peiffer mir damals schenkte). Eventuell auch P. [Richard] Gräf [CSSp] „Ja, Vater“[6] oder [Romano] Guardini „Der Herr“.
[1] Henne, Eugen / Rösch, Konstantin: Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes, Paderborn 1936
[2] Ketter, Peter: Das Neue Testament. Stuttgarter Kepplerbibel, Stuttgart 1940
[3] Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Münster. Hg. Johannes Poggenburg, Münster 1932
[4] Schmidt, Hermann: Organische Aszese. Ein zeitgemäßer, psychologisch orientierter Weg zur religiösen Lebensgestaltung. Aus Schönstatts Geisteswelt, Paderborn 1938. Dieses Buch befand sich in der Lagerbibliothek des KZ Dachau.
[5] Sellmair, Josef: Der Priester in der Welt, Regensburg 1939
[6] Gräf, Richard: Ja, Vater! Alltag in Gott, Regensburg 1936
Auf dem Krankenbett schrieb Karl Leisner in Planegg am Sonntag, dem 22. Juli 1945, in sein Tagebuch:
Schwere Woche voll Schlappheit hinter mir. Mutter Samstag nach [München] Laim [zu Familie Friedrich/Zahn]. Morgens Kurat [Georg Mayr] auf Besuch. Religiös-kritische Plauderei. (Hirtenbrief der bayerischen Bischofskonferenz – Eichstätt[1]) Guardini „Der Herr“ berührt.
[1] Am 26. und 27.6.1945 tagten die bayerischen Bischöfe in Eichstätt. Das „Gemeinsame Hirtenwort der auf der Bischofs-Konferenz versammelten Bayerischen Bischöfe“ war „Am 22. Juli oder am Sonntag nach dem Empfang des Hirtenwortes zu verlesen.“
Die Tagespost vom 4. Mai 2013 berichtete sinngemäß wie folgt:
Es handelt sich beim „Herrn“ nicht nur einfach um jenes tiefe, zahlreiche Christen und Nichtchristen berührende, „nur“ religiöse Buch, sondern um eine für Romano Guardini spezifische Form der Auseinandersetzung mit den totalitären Mächten seiner Zeit. Dabei werden weder der Nationalsozialismus noch der sowjetische oder chinesische Kommunismus ausdrücklich benannt. Vielmehr wird ihnen schlicht Christus als der Herr entgegengesetzt, die Wahrheit Christi gegen die totalitären Lügen, die zu benennen gar nicht nötig war.
Vermutlich hat Karl Leisner mit seinem politischen Instinkt und seiner Überzeugung, daß es für ihn nur den einen Herrn und Führer Jesus Christus gab, das Buch „Der Herr“ durchaus unter diesem Aspekt gelesen und Trost und Zuversicht darin gefunden.
Romano Guardini (* 17.2.1885 in Verona/I, † 1.10.1968 in München) – katholischer Religionsphilosoph u. Theologe – Priesterweihe 28.5.1910 in Mainz – Er hat bis heute eine starke Ausstrahlung durch sein Wirken in Wort und Schrift. Sein Anliegen war die wechselseitige Erhellung von Glaube und Welt im Dienst der Wahrheit und der Daseinsdeutung.
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 10.02.2013)
Er schrieb bereits 1933 den Text zu „Der Herr“, veröffentlichte ihn aber erst 1937. Das Europäische Institut für Philosophie und Religion in Österreich führte eine Tagung durch mit dem Motto „Der Herr gegen die Heilbringer“. Eine kleine, noch im Kriege 1943 von Romano Guardini verfaßte und 1946 erschienene Schrift „Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik“[1] ist der Schlüssel für eine bisher kaum bekannte Lesart von Guardinis christologischem Hauptwerk:
[1] Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik: eine theolog.-polit. Besinnung. Der Deutschenspiegel. Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung, Stuttgart 1946