Gott hat ein Herz für die Menschen, Jesus ist dieses Herz
Die Herz-Jesu-Verehrung hat ihren Ursprung in der deutschen Mystik des Spätmittelalters. Sie geht vor allem auf Margareta Maria Alacoque (1647–1690) zurück. In ihren Visionen beschäftigte sie sich besonders mit Sühnegedanken, häufigem Kommunionempfang und einem Herz-Jesu-Fest. Nicht zuletzt durch die Volksmissionen der Jesuiten fand die Herz-Jesu-Verehrung große Verbreitung. 1856 führte Papst Pius IX. als Gedenktag für die ganze Kirche das am dritten Freitag nach Pfingsten begangene Herz-Jesu-Fest ein. Da es immer in den Juni fällt, heißt dieser Monat auch Herz-Jesu-Monat. Außerdem trägt der erste Freitag jedes Monats den Namen Herz-Jesu-Freitag. Vor der Liturgiereform gab es eine Herz-Jesu-Oktav.
Karl Leisner schreibt in sein Tagebuch:
Münster, Freitag, 8. Juni 1934, Herz-Jesu-Fest
Hochamt! – Vorher eine feine Betrachtung über die Oration [zum Herz-Jesu-Fest[1]], die uns der Chef [Direktor Franz Schmäing] abends vorher fein zurechtgelegt hatte: Dadurch bin ich der Herz-Jesu-Verehrung näher gekommen! Es ist ein vom tiefsten Christentum durchpulstes Fest und Verehrung nicht nur des Gebetes von Frauen würdig! Bluthaft, kernig, männlich!
Münster, Freitag, 6. Juli 1934, Herz-Jesu-Freitag
Hochamt zu Ehren des heiligsten Herzens Jesu: XI. missa und I. Credo. – Tageslosung: „Die Liebe deines heiligsten Herzens durchglühe uns, o Jesu!“ – Ein großer Sühne- und Danktag! Ich kam dem Wesen der Herz-Jesu-Verehrung näher: Der gewaltigen Liebe Jesu!
[1] Oration:
Gott, im Herzen deines Sohnes, das unsere Sünden verwundeten, schenkst du uns voll erbarmender Huld die unendlichen Schätze der Liebe; wir bitten dich: laß uns, die wir ihm die Huldigung unserer frommen Verehrung erweisen, zugleich einen Dienst würdiger Genugtuung entrichten (Schott 1932, S. 783).
Die Darstellungen von Jesus, meist mit geöffnetem Herzen, und die Muttergottesdarstellungen in manchen Wallfahrtsorten, Kirchen und Grotten entsprechen in keiner Weise Karl Leisners Vorstellung von Bluthaft, kernig, männlich!, sondern sind häufig eher „blutleer“.
Wie mag folgendes Gebet, wie Karl Leisner es zu seiner Zeit kannte, auf ihn gewirkt haben?
Sühnegebet zum heiligsten Herzen Jesu
Gütigster Jesus! Deine Liebe ergießt sich wie ein reicher Strom über die Menschen. Und doch vergessen, vernachlässigen und verachten sie dich und lohnen dir alles mit schmählichem Undank. Siehe nun, wir knien vor deinem Altare nieder, um ihre sündhafte Lauheit und das Unrecht, das sie deinem liebreichsten Herzen allüberall zufügen, durch besondere Verehrung zu ersetzten.
Aber leider haben auch wir uns solch häßlichen Undankes schuldig gemacht. Schmerzerfüllt flehen wir deshalb zu dir um Erbarmen. Sieh uns bereit, durch freiwillige Sühne die Frevel zu tilgen, die wir selber begingen. Aber auch für jene bitten wir dich, die sich weit vom Wege des Heils verirrten. Statt dir, ihrem Hirten und Herrn, zu folgen, verharren sie im Unglauben oder werfen das süße Joch des Gesetzes ab und treten ihre Taufgelübde mit Füßen.
Wer sollte über solche Sünden nicht trauern! So nehmen wir uns vor, sie alle zu sühnen und dir dafür besonders Ersatz zu leisten, daß so viele in ihrem Leben und in ihrer Kleidung das Schamgefühl und ihre Würde schmählich verletzen, der Unschuld der Seelen Schlingen der Verführung legen, die Sonn- und Feiertage entheiligen, dich und deine Heiligen lästern, deinen Statthalter auf Erden und die Priester der Kirche schmähen und selbst das Sakrament der göttlichen Liebe verachten oder durch schrecklichen Gottesraub entweihen. Wir wollen es sühnen, daß sich sogar ganze Völker durch Widerstand gegen die heiligen Rechte und das Lehramt der Kirche, die du gegründet hast, offenkundig vergehen.
Könnten wir doch alle diese Sünden mit unserem eigenen Blute tilgen! Da wir es aber nicht vermögen, schenken wir dir als Genugtuung für den Raub an deiner göttlichen Ehre die Sühne, die du deinem himmlischen Vater einst am Kreuze geleistet hast und noch täglich auf den Altären erneuerst. Wir vereinigen sie mit der Genugtuung, die deine jungfräuliche Mutter, alle Heiligen und frommen Christgläubigen dir jemals geleistet haben. Wir geloben dir von Herzen, die Sünden, die wir oder andere früher begangen haben, und die Verschmähung deiner übergroßen Liebe, soviel an uns liegt, mit deiner Gnade wieder gutzumachen durch Treue im Glauben, Reinheit der Sitten und vollkommene Beobachtung der Gebote des Evangeliums, zumal des Gebotes der Liebe. Wir versprechen dir auch, möglichst viele zu deiner Nachfolge anzuspornen und nach Kräften zu verhindern, daß dir weiterhin Unrecht geschehe.
Nimm an, o gütigster Jesus, so bitten wir dich durch die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, unserer Mittlerin, diese dir willig geleistete Sühne. Erhalte uns durch die Gnade der Beharrlichkeit in deinem heiligen Dienste treu bis zum Tode, auf daß wir alle in die ewige Heimat gelangen, wo du mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebst und regierst, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.[1]
[1] Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Münster, Münster 1939: 218–220
Karl Leisners Verehrung des Herzens Jesu wurde durch P. Otto Pies SJ vertieft und verstärkt.
Im KZ Dachau war er Karl Leisner ein treuer Freund und geistlicher Begleiter. Er war der Herz-Jesu-Verehrung sehr zugetan und zwar vergleichbar der von Karl Leisner als „bluthaft, kernig und männlich“ bezeichneten Form.
Am 14. April 1920 trat Otto Pies in ’s-Heerenberg/NL in das Noviziat der Gesellschaft Jesu ein. Dort fand seine Herz-Jesu-Frömmigkeit eine starke Prägung durch seinen Novizenmeister P. Johann Baptist Müller SJ. Daher hatten die Herz-Jesu-Tage für Otto Pies eine außerordentliche Bedeutung.
P. Alfred Rothe:
Was P. Müller so sehr betonte, der Wille zum Unbedingten, zur Hingabe bis ins Letzte, zur 11. und 17. Regel[1], entsprach ganz und gar dem cholerischen Wesen des jungen Novizen [Otto Pies], der nicht mit irgendeiner Form religiösen Mittelmaßes zufrieden sein wollte. Sein gesundes Urteil in Verbindung mit seinem klaren, aber nicht überragenden Verstand machte ihn zu einem beliebten und geachteten, aber keinesfalls auffallenden Novizen und Scholastiker. Auffallend war nur die Selbstverständlichkeit, mit der er für die Gemeinschaft und für Einzelne Arbeiten übernahm, die wenig Dank einbrachten.[2]
[1] Die 11. Regel der Jesuiten trägt die Überschrift: Verachtung der Welt und Liebe zum Kreuz, die 17. Rechte Meinung
[2] Alfred Rothe: P. Otto Pies, Nekrolog in: Mitteilungen aus den Deutschen Provinzen der Gesellschaft Jesu, 19. Band, Nr. 121–124, 1960–1962, S. 397–402, hier S. 398
P. Alfred Rothe SJ:
P. Pies war viele Jahre Oberer und Novizenmeister. Er hatte als Schriftsteller Erfolg und war bei Auswärtigen angesehen und beliebt. Wenn er aber von seinen Mitbrüdern oft ganz anders beurteilt wurde, woran lag dies? Sicher spielte bei den Schwierigkeiten, die P. Pies als Oberer und Mitbruder hatte, der melancholische Einschlag seines Temperamentes eine Rolle, so trug er an manchen Erlebnissen ungewöhnlich schwer und ließ sich durch Enttäuschungen sehr schnell niederdrücken. Es sprachen mit seine geschwächte Gesundheit und seine überanstrengten Nerven, wenn er zuweilen unerwartet scharf reagierte oder sich verletzt-schweigend zurückzog. Doch damit ist ein solches Verhalten noch nicht befriedigend erklärt, vielmehr scheint eine andere Tatsache seines Lebens uns einen Hinweis zu geben.
P. Pies hat uns keine Aufzeichnungen hinterlassen, und er hat wohl auch nur mit sehr wenigen einmal über sein Innenleben gesprochen. Dennoch dürfte kein Zweifel bestellen, daß er schon sehr früh Gott als Akt der Sühne das „Anerbieten seines Lebens“ machte. Dies geht hervor aus Andeutungen, die er auf dem Sterbebett machte, und ist von zwei Mitbrüdern bezeugt, die zu verschiedener Zeit mit ihm zusammenlebten und ihm offenbar auch näher standen.
Wenn einer von ihnen genau unterrichtet ist, hat P. Pies schon in der Theologie, vor oder bei der Priesterweihe, sich und sein Leben Gott als Sühneopfer geweiht und sich bereit erklärt, sein ganzes Leben hindurch alle ihm von Gott geschickten Leiden der sühnenden Verehrung des Herzens Jesu zu weihen. Diese tiefe und zugleich tätige Verehrung des Herzens Jesu geht zurück auf seinen Novizenmeister P. [Johann Baptist] Müller. Mitbrüder, die P. Pies näher kannten, versichern, daß die Herz-Jesu-Verehrung und der Sühnegedanke auch später sein inneres Leben prägten. Und auf dem Sterbebett sagte er zur Krankenschwester, er sei glücklich, daß Gott sein Opfer angenommen habe, und zu einem Mitbruder, der ihn besuchte: „Gott hat mein Anerbieten ernst genommen.“
Ja, Gott hat das Opfer dieses Priesters angenommen und auch ernst genommen und ihm darum Leiden geschickt, die ihn vor den Menschen klein machten und zuweilen gar als „Versager“ erscheinen ließen. Nicht die äußeren Leiden, wie die Ausweisung aus Mittelsteine [durch die Nationalsozialisten], die Jahre in Dachau, seine Krankheit usw. waren das schwerste, größer war sein seelisches Leid, worum wohl nur ganz wenige seiner Mitbrüder gewußt haben. So sagte er selbst einmal, auf die Jahre in Dachau blicke er mit Befriedigung zurück, denn dort habe er viel Gutes tun können. Dagegen bereitete ihm das Herrschinger Unglück[, bei dem während eines Ausfluges bei einem Autounfall 16 Novizen zu Tode gekommen waren,] und der nachfolgende, lange Prozeß viel Schmerz und Leid.
Wenn wir also einmal P. Pies und seine menschlichen Schwächen im Zusammenhang mit dem „Anerbieten seines Lebens“ zu sehen suchen, verstehen wir vielleicht, daß Gott diesen Mann einen schweren Weg geführt und sein Leben mit viel Leid erfüllt hat, daß es deshalb ein Leben war, das vor den Menschen an Wert zu verlieren schien, vor Gott aber immer reicher und größer wurde. Denn P. Pies ist trotz aller Enttäuschungen innerlich nicht zerbrochen, sondern seinen Weg treu und verantwortungsvoll bis zu Ende gegangen. Bis zum letzten Augenblick seines Lebens war er bei vollem Bewußtsein und sah ohne Angst und Furcht und mit einer großen Sehnsucht nach Gott seinem Sterben entgegen.[1]
[1] Alfred Rothe, S. 401f.
Pater Otto Pies durfte an einem Herz-Jesu-Freitag, dem 1. Juni 1960, in Mainz sterben.
Jesus hängt sein Herz an die Angel
Christus als „Geistlicher Seelenfischer“
Deckengemälde des Barocksaals im Kloster Benediktbeuern
vom Brixener Maler Stephan Keßler (1622–1700)
Das Gemälde dient als Cover für folgende 1996 von Leo Weber (Text) und Wolf-Christian von der Mülbe (Fotos) herausgegebene 75seitige Broschüre: