Dieses in der evangelischen Gesangsstradition fest verwurzelte Lied, das Generationen von Gläubigen geistlich aufgebaut hat, steht nun auch im katholischen „Gotteslob“ (GL 418). Es wurde im Bistum Münster zum Lied des Monats Oktober 2015 gewählt.
Der protestantische Lieddichter Paul Gerhardt (1607–1676), dessen Wirken in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hineinfällt, hat den Text 1653 geschrieben. Der Liedtext ist als sogenanntes Akrostichon gestaltet, d. h. die Anfangswörter der einzelnen Strophen ergeben nacheinander gelesen einen eigenen Satz. In diesem Fall ist es der Psalmvers (Ps 37,5). Paul Gerhardts Lied hat insgesamt zwölf Strophen; im Gotteslob stehen aber nur fünf Strophen. Die sechste hat Karl Leisner im KZ Dachau besonders angesprochen, so daß er sie in sein Tagebuch eintrug.
Befiehl du deine Wege
1. Befiehl du deine Wege, und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.
2. Dem Herren mußt du trauen, wenn dirs soll wohlergehn; auf sein Werk mußt du schauen, wenn dein Werk soll bestehn. Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein läßt Gott sich gar nichts nehmen, es muß erbeten sein.
3. Dein’ ewge Treu’ und Gnade, o Vater, weiß und sieht, was gut sei oder schade dem sterblichen Geblüt; und was du dann erlesen, das treibst du, starker Held, und bringst zum Stand und Wesen, was deinem Rat gefällt.
4. Weg hast du allerwegen, an Mitteln fehlt dirs nicht; dein Tun ist lauter Segen, dein Gang ist lauter Licht; dein Werk kann niemand hindern, dein Arbeit darf nicht ruhn, wenn du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willst tun.
5. Und ob gleich alle Teufel hier wollten widerstehn, so wird doch ohne Zweifel Gott nicht zurücke gehn; was er sich vorgenommen und was er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel.
6. Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt! Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.
7. Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht, laß fahren, was dein Herze betrübt und traurig macht; bist du doch nicht Regente, der alles führen soll; Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.
8. Ihn, ihn laß tun und walten, er ist ein weiser Fürst und wird sich so verhalten, daß du dich wundern wirst, wenn er, wie ihm gebühret, mit wunderbarem Rat das Werk hinausgeführet, das dich bekümmert hat.
9. Er wird zwar eine Weile mit seinem Trost verziehn und tun an seinem Teile, als hätt in seinem Sinn er deiner sich begeben, und solltst du für und für in Angst und Nöten schweben, als frag er nichts nach dir.
10. Wirds aber sich befinden, daß du ihm treu verbleibst, so wird er dich entbinden, da du’s am mindsten gläubst; er wird dein Herze lösen von der so schweren Last, die du zu keinem Bösen bisher getragen hast.
11. Wohl dir, du Kind der Treue, du hast und trägst davon mit Ruhm und Dankgeschreie den Sieg und Ehrenkron; Gott gibt dir selbst die Palmen in deine rechte Hand, und du singst Freudenpsalmen dem, der dein Leid gewandt.
12. Mach End, o Herr, mach Ende an aller unsrer Not; stärk unsre Füß und Hände und laß bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiß zum Himmel ein.
(Worte: Paul Gerhardt 1653; Weise: Bartholomäus Gesius 1603, bei Georg Philipp Telemann 1730)
Evangelisches Kirchengesangbuch 1970: Nr. 294, s. auch: Gotteslob 2013 Nr. 418
Am Samstag, dem 28. April 1945, begann Karl Leisner im KZ Dachau sein letztes Tagebuch. Auf die erste Seite schrieb er die sechste Strophe des Chorals „Befiehl du deine Wege“ aus dem evangelischen Gesangbuch. Karl Leisner vertraute auf Gottes Hilfe.
„Hoff’, o du arme Seele, hoff’ und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken. Erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken die Sonn’ der schönsten Freud’!“
Johannes Sonnenschein[1] aus Ahaus am 22. August 1999 an Hans-Karl Seeger:
Vielleicht hat einer der Evang. [evangelischen Mitbrüder] – sie waren ja bereits fast alle am 28.4.1945 schon entlassen – dem Karl L. sein [Gesang-]Buch geschenkt, eventuell durch Vermittlung von Otto Pies[2]? Vielleicht besaß auch ein evangelischer Laie im Revier das Buch?
[1] Johannes Sonnenschein (* 30.5.1912 in Bocholt, † 31.8.2003 in Ahaus) – Priesterweihe 19.12.1936 in Münster – Kaplan in Ahlen St. Josef 29.2.1940 – dort Verhaftung 8.3.1942 – Er kam über die Gefängnisse in Ahlen und Münster unter anderem wegen Jugendseelsorge am 29.5.1942 ins KZ Dachau und dort am 30.5.1942 auf den Zugangsblock, wo er Karl Leisner traf. Am 9.4.1945 wurde er entlassen. – Im Seligsprechungsprozeß 1981 und Martyrerprozeß 1990 für Karl Leisner hat er als Zeuge ausgesagt.
[2] Pater Dr. Johannes Otto Pies SJ, Deckname im KZ Hans u. Spezi, (* 26.4.1901 in Arenberg, † 1.7.1960 in Mainz) – Eintritt in die Gesellschaft Jesu in ’s-Heerenberg/NL 14.4.1920 – Priesterweihe 27.8.1930 – Letzte Gelübde 2.2.1940 – Am 31.5.1941 wurde er wegen eines Protestes gegen die Klosteraufhebungen verhaftet. Am 2.8.1941 brachte man ihn aus dem Gefängnis in Dresden ins KZ Dachau, wo er die Häftlings-Nr. 26832 bekam. Dort war er eine der ganz großen Priestergestalten. Am 27.3.1945 wurde er ohne Angabe des Grundes und ohne Bedingung entlassen. Bereits im KZ und auch nach seiner Entlassung setzte er sich unermüdlich für Karl Leisner ein. Ohne ihn wäre es vermutlich nicht zur Priesterweihe im KZ gekommen.
Zehn reichsdeutsche protestantische Pastoren waren am 3. April aus dem KZ entlassen worden. Vermutlich hatte Karl Leisner aber schon länger Kenntnis von dem Lied; denn am 24. Februar 1940 hatte er aus dem Gefängnis in Mannheim nach Hause geschrieben:
Hoffen wir und sind wir unverzagt!
Max Lackmann[1]:
Damals [auf dem Transport nach Dachau] habe ich zum ersten Male den Rosenkranz beten gehört. […] In diesen Stunden war es auch, als ich das erste Mal in einem Christenleben einem katholischen Priester die herrlichen Verse unseres evangelischen Chorals „Befiehl du deine Wege“ vorgesprochen und vorgesungen habe, immer wieder, bis auch er sie mitbeten und mitsingen konnte.[2]
[1] Max Lackmann (* 28.2.1910 in Erfurt, † 11.1.2000 in Fulda) – evangelischer Pfarrer – Ordination 14.4.1940 in Herford-Stiftberg – Er kam wegen versteckter Hetze gegen die NSDAP am 4.11.1942 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit.
[2] Lackmann, Max: Ökumenischer Introitus. In: Weiler, Eugen: Die Geistlichen in Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und in Gefängnissen. Nachlaß von Pfarrer Emil Thoma, Mödling 1971: 842
Auch in seinem Artikel von 1980 „Beginn eines ökumenischen Dialogs im KZ Dachau“ (S. 7) berichtet Max Lackmann, er habe auf dem Transport ins KZ Dachau von einem katholischen Priester den Rosenkranz gelernt.
Vermutlich beendete Pater Otto Pies SJ nach Karl Leisners Sterben dessen Tagebuch, wie Karl Leisner selbst es begonnen hatte, mit der sechsten Strophe des Liedes.