Karl Leisner schrieb am 10. November 1935 in sein Tagebuch:
Wohl steht der Reiter im Dom zu Bamberg aus Stein gemeißelt von Meisters Hand, doch ist er nicht Standbild und totes Werk nur, NEIN: Deutschen Jungmanns lebendig’ Bild! Macht und Gnade, Mut und Beherrschung, Zucht und Schönheit, Gehorsam und Liebe künden die Züge des Reiters. MÖCHTEST NICHT DU DIESER REITER SEIN?
Bamberg gedenkt seines ersten Domes, der vor 1000 Jahren geweiht wurde. Karl Leisner hätte an dem Jubiläum lebhaft Anteil genommen. Der Bamberger Reiter im Dom hat ihn und die Jugend seiner Zeit stark geprägt.
Vom 17. bis 21. Mai 1932 war das 1. Reichstreffen der Sturmschar in Koblenz mit Lager, Sportturnier und Lagerzeitung vom Treffen. Der Bamberger Reiter wurde als Leitbild propagiert. 1934 heißt es im Rundbrief der Sturmschar:
Ein anderes Symbol ist der Bamberger Reiter. Ein ganz anderes Symbol [als das Christusbanner]. Eine Gestalt, die uns etwas zu sagen hat, die uns verpflichten will zu heroischem Leben. Es müssen alle unsere Kerle mit der Zeit die Gestalt des Bamberger Reiters kennen lernen. In unseren Zimmern, unseren Heimen, unserer Bude soll immer wieder uns der Bamberger Reiter mahnen und rufen zum ritterlichen Tun und ritterlichen Stolz.[1]
[…]
Im Alter der Jungenschaft reifen wir zum Jüngling heran, der zu sich selbst kommt, der sich selbst entdeckt. Oftmals fehlt diese Selbstentdeckung. Daraus entsteht die Aufgabe des Führers, zu dieser Jünglingsgestalt den Jungen zu führen.
Der Bamberger Reiter ist ein Ausdruck dieser Jünglingsgestalt. Er ist auch das Symbol der Sturmschar. Sturmschar muß aus dem Geiste dieses christlichen deutschen Reiters geformt werden. Wer aber zum Reiter kommen will, muß durch eines der Tore am Bamberger Dom, durch die Adamspforte, durch die Fürstenpforte oder durch die Gnadenpforte. Jedes dieser Tore ist in dem anderen geheimnisvoll enthalten. Die Adamspforte sagt: Lebe ein natürliches Leben, ein blutvolles, ein kraftvolles Leben. Das Fürstenportal sagt uns: Lebe ein adeliges, ein heroisches, ein heldisches Leben und die Gnadenpforte will uns ermahnen: Lebe ein übernatürliches, ein erhöhtes, ein göttliches Leben.
Es ist also unsere Aufgabe, das vitale Leben zu fördern. Der blutvolle, sehnsuchterfüllte, energiegeladene Mensch, der den Hufschlag im Blute hat wie es Gmelin [1886-1940] in „Konradin reitet“[2] schildert, ist unsere Aufgabe. Der Mensch soll aufs Ganze gehen, ein Ja oder Nein wollen wir hören, damit stehen wir in der heldischen, stoischen Haltung. Der Reichspropagandaminister [Joseph Goebbels] sprach einmal: Leben, das fällt uns Deutschen so schwer, aber sterben, das können wir fabelhaft. All das muß aber gebändigt werden, geweiht werden durch den Geist der Ritterlichkeit, durch die Adeligkeit und die adelige Form.[3]
1935 hieß es dann:
Der Bamberger-Reiter ist wohl die Figur, die am stärksten in den vergangenen Jahren Symbol der Schar geworden ist. Der Bamberger-Reiter hat uns etwas gesagt. Wir haben gehört, wir haben sein Bild gesehen und müssen nun das in uns Leben werden lassen. Allmählich aber ist der Reiter zu Tode symbolisiert. Wenn jetzt sogar moderne Zeitschriften als Reklamefigur für 4711 den Bamberger Reiter gebrauchen, dann, so meinen wir, ist sein Wert dadurch nicht gesunken, aber das Gespräch über ihn und seine Verwertung ist zu Ende.[4]
Am Sonntag, dem 10. Februar 1935, schrieb Karl Leisner in sein Tagebuch:
Der Bamberger Reiter blickt uns an aus weiten Fernen und „Konradin reitet“ in uns und – wir verstehen, folgen! – Glutender Brand für diese Drei Reiche [Jugendreich, Deutsches Reich, Gottesreich] und ihre große Einheit und Kraft hat uns gepackt.
Am 6. Juni 1938 schenkte er seiner Schwester Maria „Die Bildwerke des Bamberger Doms, Geleitwort von Karl Gröber, Insel-Bücherei Nr. 140“ mit folgender Widmung:
Dir, Maria, im Gedenken an unsere große Trampfahrt von Freiburg heimwärts, besonders an die Tage in Bamberg!
Pfingsten 1938. Dein Karl
Auf die Innenseite des Einbandes von Tagebuch Nr. 20, in dem er vom Beginn des Arbeitsdienstes in Sachsen berichtet, klebte er eine Fotokarte mit dem Bamberger Reiter.
Im Tagebuch Nr. 21 notierte er:
Sonntag, 13. Juni 1937
Bamberger Reiter im „Feuerreiter“ gelesen.[5] – Ergriffen von Dom und Reiter aufs Neue.
[1] Sturmschar 1934, S. 152f.
[2] Gmelin, Otto: Konradin reitet, Leipzig 1933, Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 7213
[3] Sturmschar 1934, S. 159f.
[4] Sturmschar 1935, S. 129
[5] „Der Feuerreiter“ vom 8.5.1937 (Jahrgang 13, Nr. 19) brachte als Titelblatt eine Abbildung des Bamberger Reiters und einen Artikel mit vielen Bildern „700 Jahre Bamberger Dom. Eines der größten Denkmale deutscher Baugeschichte.“
Münster, Donnerstag, 7. Juli 1938
Der Reiter in Bamberg und der Priester[1]: Tiefe Eindrücke zum priesterlichen Opfer, aber auch entsetzliches Nüchternwerden in legendo epistolam ep. bav. [beim Lesen des Hirtenbriefes der Bayerischen Bischöfe[2]]. – O Gott – wo soll das hin! Ist das Würde, menschliche und christliche Größe? Wohin?!
[1] Karl Leisner setzte sich an diesem Tag in einem umfangreichen Tagebucheintrag mit dem Priesterwerden auseinander.
[2] Es handelt sich vermutlich um das u. a. bei Volk, Faulhaberakten II, Nr. 583 (S. 228-233) abgedruckte „Hirtenwort des Bayerischen Episkopats“ vom 24.11./6.12.1936. Dort heißt es einleitend:
Wir möchten heute ein gemeinsames Hirtenwort an Euch richten, um Euch in den ernsten, schweren Glaubensstürmen der Gegenwart im Glauben zu stärken und in der Treue gegen die heilige Kirche zu festigen.
Siehe auch: Rundbrief des IKLK Nr. 49, Februar 2004.
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