„Grauen mit neuem Anstrich“
Unter diesem Titel brachte die F.A.Z. am 15. Januar 2014 einen Artikel von Mona Jaeger. Das dazugehörige nebenstehende Foto von Rainer Wohlfahrt zeigt einen „Granattrichter vor der Festung Douaumont“.
In einer Schulungswoche der katholischen theologischen Fachschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Februar 1936 in Schloß Heessen bei Hamm war auch Douaumont Thema.
Karl Leisner schrieb in sein Tagebuch:
Donnerstag, 6. Februar 1936
Morgens zur Gemeinschaftsmesse ins Rektorat.[1] Rückweg „schlibbernd“ und tollend durch die Winterlandschaft. Ein wundervoller Morgen. Gegen 10.30 Uhr hält uns [Pfarr-]Rektor [August] Schüttken einen erschütternden Lichtbildervortrag über die Kriegsgräber Flanderns und Frankreichs. Ein echter Frontkämpfer gestaltet uns diese Stunde zum heiligen Erlebnis. Das Beinhaus von Douaumont mit der Eucharistiekapelle inmitten der 250.000 Totengebeine werde ich nie vergessen.[2] Langemarck packt mich erneut ganz tief.[3]
Wir bewundern unsere Väter, alle Helden des großen [Ersten Welt-]Krieges. Ein heiliger Haß gegen den satanischen Materialkrieg flammt in uns auf. Die Worte packen und zünden. – Nie sangen wir so voll Kraft und Edelsinn das Lied der Deutschen![4] – Nachher spreche ich noch zufällig einige Worte mit ihm. Er meint „Die Zeit sei sehr ernst. Die Staatsmänner in Genf müßten erst einmal beten vorher, eher gäbe es keinen ehrlichen Frieden.“[5]
[1] Heessen St. Joseph wurde 1923 selbständiges Pfarrektorat von St. Stephanus.
[2] Douaumont war im Ersten Weltkrieg die schwerumkämpfte stärkste Panzerfeste bei Verdun, das erste Fort im Festungsgürtel, das die Franzosen am 25.2.1916 an die Deutschen verloren. In der Nacht vom 7. auf den 8.5.1916 starben durch Explosion eines Munitionsdepots im Fort 1.300 deutsche Soldaten. Die Gebeine der Opfer mauerten die Deutschen im Fort ein. Im Laufe des Stellungskrieges vor Verdun wechselte das zum Symbol der Grausamkeit des Krieges gewordene Fort mehrfach den Besitzer, bevor es endgültig von französischen Truppen zwischen dem 24.10. und 16.12.1916 zurückerobert wurde. Das Beinhaus von Douaumont liegt südwestlich vom Fort. Bei den Kämpfen um Verdun fielen auf beiden Seiten insgesamt über 700.000 Soldaten.
[3] Langemarck (eigentlich Langemark)/B – Gemeinde in der Provinz Westflandern – im Ersten Weltkrieg wichtiger Stützpunkt der englisch-französischen Front – vergeblicher Angriff von deutschen Kriegsfreiwilligenregimentern unter schweren Verlusten am 11.11.1914 – Anlage eines deutschen Soldatenfriedhofs Anfang der 1930er Jahre – Während der Flandernfahrt im August 1935 hat Karl Leisner diesen Friedhof besucht.
[4] vermutlich das Deutschlandlied
[5] In Genf war der Sitz des 1920 gegründeten Völkerbundes, der 1946 von den Vereinten Nationen abgelöst wurde. Das Deutsche Reich (1926 aufgenommen) war 1933 aus dem Völkerbund ausgetreten.
Beinhaus von Douaumont:
Mona Jaeger beschließt ihren Artikel mit folgenden Gedanken:
Über dem Fort Douaumont wehen die französische, die deutsche und die europäische Flagge. Im Fort ist es grabkammerdunkel, die Decke 2,50 Meter dick. Das Douaumont ist groß, für die Soldaten war viel Platz, und es war sicher. Nur die oberste Deckenschicht war von den Bomben demoliert, das Ziegelmauerwerk, die Böschungen, die Erdwälle. Aber der Beton stand. Heute laufen jedes Jahr 200000 Besucher dort durch, sehen die Schießscharten, die französische Kapelle. Auf einer Tafel an der Wand steht: Pro Minute starben im Schnitt drei Menschen in diesem Krieg. Daneben hängt das Bild von Mitterrand und Kohl, sich an der Hand fassend, schweigend, versöhnt.
Wann wird die Schlacht von Verdun so etwas wie die Schlacht von Waterloo? Vielleicht 2019, wenn alle Jubiläumsfeierlichkeiten abgeschlossen, alle Staatschefs nach Hause gefahren sind. Schon jetzt findet in der Kapelle im Beinhaus nicht mehr jeden Tag, sondern nur noch alle zwei Wochen eine Messe statt. Durch die Zitadelle von Verdun holpern Wägelchen, die einen an Soldatenpuppen und Plastikkränzen vorbeifahren, wie in einer Geisterbahn. An der Voie sacrée, der legendären Nachschublinie und Lebensader der französischen Front, planen sie gerade einen Windpark, der auch Voie sacrée heißen soll. An die Stelle der Erinnerung tritt allmählich das Spektakel. Und irgendwann ist die Schlacht von Verdun vermutlich nur noch ein kurzer Druck aufs Gaspedal auf der Autobahn zwischen Metz und Paris.
François Mitterrand und Helmut Kohl am 22. September 1984 in Verdun