Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / Urheber Ulamm / CC BY SA 3.0 (abgerufen 05.01.2014)
Am 31. Dezember 2013 brachte die F.A.Z. einen Artikel von Andreas Platthaus mit der Überschrift „Rubikon Rhein“.
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Obwohl die Niers naheliegender und ungefährlicher für die Freizeitgestaltung in bezug auf Zelten und Baden war, so war doch auch der große von Schiffen befahrene Rhein ein wichtiger Fluß im Leben Karl Leisners und seiner Jungen. Er diente sogar hier und da zum Baden mangels guter Waschgelegenheit zu Hause.
Karl Leisner in seinen Tagebüchern:
Kleve, Freitag, 24. August 1928
Mit der ganzen Familie (außer Mama) fuhren wir nach Schenkenschanz. Hier gingen Maria und ich schon auf die Ponte und darüber schimpfte Papa ganz gehörig, denn nun mußten wir übersetzen (mit Rädern). Das kostete 1,80 [Reichsmark] – und die konnten wir uns sparen, da wir auch im alten Rhein baden und geschruppt werden konnten[1]. Dies taten wir im neuen Rhein[2] und fuhren dann nach [Kleve], weil wir bis zum Essen wieder da sein sollten.
[1] Damals hatte kaum eine Wohnung ein eigenes Bad, und das WC befand sich häufig im Treppenhaus oder sogar draußen.
[2] der Rhein im Unterschied zu den Teilen des Altrheins bei Kleve
Siehe Aktuelles vom 17. Juli 2012 – Duschen Sie schon, oder brausen Sie noch?
Kleve, Samstag, 8. September 1928
Nachmittags ging ich mit der ganzen Familie und Ferdinand [Falkenstein] bei Spyck im Rhein baden. Wir kriegten viel Spaß.
In der Winterzeit war der Rhein zugefroren.
Winterzeit 1928
Dieses Jahr war ein sehr harter Winter (tiefste Temperatur um -22°). Der Rhein fror zu. Wir konnten schön auf dem Kermisdahl Schlittschuh-Laufen und rodeln ([am] Aussichtsturm).
Sonntag, 17. Februar 1929
Mit Herrn [Eduard] Bettray und Frau [Alwine], Papa, Mama und Willi fuhr ich mit der Straßenbahn nach Emmerich zum zugefrorenen Rhein.[1] Die Bahn war bis zum äußersten Stehplätzchen gefüllt. Es war ein wunderbarer Anblick, den gewaltigen Strom vor sich vom Winter gefesselt zu sehen, und es kam mir ganz komisch vor, als ich mitten auf dem Rhein spazierenging. Durch das Schollengewirr hatten die Leute der Straßenbahn einen Weg gehauen, der mit Asche bestreut war. Das Überschreiten kostete jedesmal 15 Pfennig, was unverschämt war. In Emmerich tranken wir Kaffee. Zurück bezahlten wir keine 15 Pfennig mehr, denn wir gingen einfach durch die übereinandergetürmten Schollen. Zurück fuhren wir wieder mit der Straßenbahn, die wiederum pickepackevoll war. Um 18.00 Uhr waren wir zu Hause.
[1] Die Straßenbahn fuhr von Kleve bis zur Rheinfähre nach Emmerich.
Kleve, Sonntag, 3. März 1929
Fahrt zum zugefrorenen Rhein nach Spyck
Teilnehmer: 1. Andreas Herrmann (Bamberger Kreuzfahrer), 2. Föns van Thiel, 3. Theo Derksen, 4. Willi Berns, 5. Jan Ansems, 6. Hermann Mies, 7. Willi und 8. ich.
Um 14.00 Uhr trafen wir acht uns am „Dicken Baum“ (Ecke Linden-[Allee]-Materborner Allee). Wir gingen eben bei Jan [Ansems, Kasinostraße 11] vorbei, um ihn abzuholen. Dann gings die Große Straße herunter, den [Spoy-] Kanal entlang nach Wardhausen (Schleuse). Von da gelangten wir mit Schneeballgeschmeiße den Alten Rhein entlang nach Spyck, wo wir über den zugefrorenen Rhein gingen. Jan knipste uns mit seinem Agfa-Billy, als noch gerade ein Sonnenstrahl durchkam. Dies Bild gelang sehr gut, wie ersichtlich. (Siehe Bild auf der folgenden Seite.)
Auf dem zugefrorenen Rhein bei Spyck
Kleve, Mittwoch, 6. März 1929
Um 14.00 Uhr fuhren Papa, Willi und ich mit den Rädern in einem Fiselregen nach Emmerich. Als wir ankamen „krühte“ der Rhein. Wir sahen, wie eine riesige Scholle sich mit Krachen löste. Am Ufer war ein wohl 4–5 m hoher Eisberg aufgetürmt. Auf diesem standen wir und beguckten uns das seltsame Naturschauspiel.
In einem Hausaufsatz beschreibt Karl Leisner 1932 die Winterstimmung am Rhein.
Ein schneidender Nordost fegt über die hartgefrorenen Erdschollen dahin. Nur mit Mühe komme ich gegen den starken Wind an. Der Himmel ist düstergrau. Alles Leben scheint erstarrt zu sein. Ein geheimnisvoller Schauer packt mich. Ich bleibe stehn, um tief zu atmen; denn ich bin vom Kampfe gegen den eisigen, pfeifenden Nordost erschlafft. Auch jetzt bekomme ich fast keinen Atem mehr. Mit aller Willenskraft kann ich schließlich weiter. Doch, damit noch nicht genug, beginnt es auch noch zu schneien. Die spitzen, scharfen Schneekristalle stechen mir prickelnd in die Gesichtshaut. Ich beiße die Zähne zusammen, ich will, ich muß weiter. Endlich habe ich mein Ziel erreicht, ich stehe auf dem Damm und schaue auf den weiten, wildbewegten Strom. Weit und breit ist nichts zu sehn, als die hartgefrorene Erde, der vom Sturm aufgepeitschte Strom und der eintönige graue Himmel. Das ist niederrheinischer Winter! Alles um einen her ist grau, farblos, und dazu brüllt der Nordost seine eintönige Melodie. – Doch neben diesem „grauen“ Winter gibt’s auch noch einen „weißen“.
Zu Karl Leisners Zeiten gab es am Niederrhein nur in Nijmegen und in Wesel eine Brücke über den Rhein. Dazwischen halfen Fähren oder Ponten, den Rhein zu überqueren. Davon berichtet Karl Leisner sehr oft in seinem Tagebuch.
Bei der Brücke in Wesel mußte man sogar Brückengeld bezahlen.
Wesel, Samstag, 25. Mai 1929
Dann fuhren wir über die Rhein- und Lippebrücke (Brückengeld 0,05 Reichsmark) – Büderich – Borth – nach Alpen.
Brückenschein:
Auf dem Gymnasium kam Karl Leisner der politische Aspekt des Rheins in den Blick.
Kleve, Dienstag, 1. Juli 1930
Befreiungsfeier des Rheinlandes. Das Schulorchester beginnt. – Deutscher Marsch[1]. Ein endloser Bandwurm von Gedichtvorträgen folgt! Dann unser Schülerchor (ich im Baß) mit dem feinen Lied: „Deutschland, o heiliger Name …!“
Nach einigen Gedichten singt der Chor: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein!“ – Dann folgt das kernige „Flamme empor!“ Hiernach besteigt „Zeus“[2] das Rednerpult und gedenkt – mit seiner Bierstimme – aber sonst in packenden Worten der jammervollen Besatzungszeit, unter der ja auch wir Clever gelitten hätten. Mit dem Ausdruck der Freude über den Abzug der Besatzung und einem Hoch auf unser Vaterland endigt seine Rede. – Dann wie üblich, das Deutschlandlied. – Schulfrei.
(NB Ein Glück, daß die Feinde jetzt zu den Ihrigen heimkehren, denn sie haben unser Rheinland grad’ genug „gepiesackt“.)
[1] vermutlich „Preußens Gloria“
[2] Bezeichnung der Schüler für ihren Direktor am Gymnasium in Kleve. Entweder war es noch Dr. Josef Bast (1925–1930) oder schon Prof. Dr. Karl Hofacker (1930–1934).
Sie sollen ihn nicht haben
1. Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Ob sie wie gierige Raben, / Sich heiser danach schrein, / Solang er ruhig wallend / Sein grünes Kleid noch trägt, / Solang ein Ruder schallend / In seine Wogen schlägt. / Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein.
2. Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Solang sich Herzen laben / An seinem Feuerwein, / Solang in seinem Strome / Noch fest die Felsen stehn, / Solang sich hohe Dome / In seinem Spiegel sehn. / Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein.
3. Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Solang noch kühne Knaben / Um schlanke Dirnen frein, / Solang die Flosse hebet / Ein Fisch auf seinem Grund, / Solang ein Lied noch lebet / In seiner Sänger Mund. / Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Bis seine Flut begraben / Des letzten Manns Gebein!
(Worte: Nikolaus Becker 1840; Weise: Gustav Kunze [* ?, † ?] 1840/1841)
Heinrichs, Hans (Hg.): Frisch gesungen! Singbuch. Für Realschulen, Knaben-Mittelschulen und für diejenigen höheren Knabenschulen, die im Schulchor nur über eine beschränkte Zahl von Männerstimmen verfügen, Hannover/Berlin: 1912, 31936: 35f.
Dieter Kastner:
Als Frankreich mit Krieg droht, dichtet Nikolaus Becker [1840] das sogleich in ganz Deutschland gesungene Rheinlied „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ (Kastner, Dieter: Kleine rheinische Geschichte 1815–1986, Köln 1987: 24 (zit. Kastner 1987).
Dieses patriotische Trutzlied entstand im Rahmen der nationalen Protestaktionen in ganz Deutschland anläßlich der Forderungen Frankreichs nach der Rheingrenze.
Dieter Kastner:
Über 100 Jahre, bis Dezember 1918, hatten keine fremden Truppen ihre Füße auf rheinischen Boden gesetzt. Preußen hatte auf dem Wiener Kongreß nicht zuletzt deshalb das Rheinland bis zur Saar bekommen, um den Erbfeind Frankreich vom Rhein fernzuhalten (Kastner 1987: 47).
Dieter Kastner:
Nach dem Sturz Napoleon Bonapartes wurden auf dem Wiener Kongreß die politischen Verhältnisse Europas neu geordnet. Ein Ergebnis war, daß das Königreich Preußen 1815 die Rheinlande zugesprochen erhielt. Vorausgegangen waren 20 ereignisreiche Jahre. […]
1816 wurden zwei Provinzen gebildet, im Norden die Provinz Jülich-Kleve-Berg mit den Regierungsbezirken Düsseldorf, Köln und Kleve sowie dem Sitz des Oberpräsidenten in Köln, im Süden die Provinz Niederrhein mit den Regierungsbezirken Koblenz, Trier und Aachen sowie dem Oberpräsidenten in Koblenz. Schon 1822 wurde die Regierung in Kleve aufgelöst und mit der von Düsseldorf vereinigt, und beide rheinischen Provinzen zu einer zusammengeschlossen, deren Oberpräsident Koblenz zum Amtssitz wählte (Kastner 1987: 11).
Kleve hatte vor 1794 schon einmal zu Preußen gehört (s. Kastner 1987:12).
Was Karl Leisner vom flachen Niederrhein nicht kannte, bewunderte er auf der Schweizfahrt 1932.
Montag, 15. August 1932, 2. Tag
Am wunderschönen Rhein entlang fahren wir weiter an Burgen, Ruinen, Villen und Weinbergen vorbei und kommen zur Pfalz [bei C(K)aub], die Willi [Leisner] ebenfalls knipst. Ab und zu begegnen uns große Rheindampfer mit frohen Rheinfahrern. Immer neue, abwechslungsreiche Bilder erstehen vor unsern Augen.
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 19.08.2017)
Wie gefährlich der Rhein sein konnte, zeigt sich im folgenden Nachtrag:
Nachträge vom 14. November 1935
Ach, wenn ich an all die Treffen und Fahrten denke: Epe, Altenberg, dazwischen hinein starb mir mein lieber Conprimaner und Constudiosus [Mitstudent] Bernhard Gerritzen[1] (am Donnerstag, den 11. Juli, ertrank er im Rhein bei Spyck – Dona ei requiem, Domine! [Gib ihm Ruhe, Herr!])
[1] Bernhard Gerritzen hat nicht mit Karl Leisner Abitur gemacht und kam erst zum SS 1935 ins Collegium Borromaeum.
Am 27. März 1939 unterschrieb Karl Leisner einen Brief an seinen Bruder Willi mit dem alten Rhenanengruß.
God, wij en de Rhin! Van harten [Gott, wir und der Rhein! Von Herzen]
Dein Karl
Auch im KZ ließ ihn die Erinnerung an den Rhein nicht los.
Karl Leisner am Samstag, 19. September 1942, aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Paula [Leisner], gel’, da [in Rees] ist’s schon schön, wo wir das Licht [der Welt] erblickten zum ersten Mal, am herrlichen Rhein!