Karl Leisner und „Der Zürcher See“ von Friedrich Gottlieb Klopstock

ZürichseeDer Zürichsee 1885 auf einem Stich von J. J. Hofer

Zürichsee – südöstlich von Zürich in den Kantonen Zürich, St. Gallen u. Schwyz – Fläche ca. 88 km² – Wasserspiegel 406 m ü. NN – Fassungsvermögen ca. 4 km³ – Tiefe ca. 136 m

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Auf der Schweizfahrt 1932 kam Karl Leisner an den Zürcher See und schrieb in sein Tagebuch:

Stetten, Dienstag, 23. August 1932, 10. Tag
Stetten – Bremgarten – Zürich – Zürcher See – Einsiedeln
[…]
Am Münster vorbei über die Limmatbrücke zum [Zürcher] See[1], in den die Limmat einmündet. Wir fahren den Zürchersee entlang. Es ist diesiges Wet­ter. Fern schimmert das andre Ufer im neblichten Himmel. Sonne ist ver­steckt in Wolken, kommt erst langsam durch. Sicht keine! Schade. Sonst sähen wir die Alpen leuchten. – Rast an einem Tannenhang im Gras (siehe Bilder). Wun­derfeines Schauen und Staunen. Villenkranz säumt das Gestade. Sehn­süchtig blicken wir in des Sees Antlitz. – Klopstocks und Goe­thes Verse steigen auf.[2]

[1] Das Großmünster liegt rechts, das Fraumünster mit Chagall-Fenstern links der Limmat.
[2] Friedrich Gottlieb Klopstock:
Der Zürcher See
Johann Wolfgang von Goethe:
Gesang der Geister über den Wassern

Den Anklang an den Titel von Klopstocks Gedicht „Der Zürcher See“ und den ersten Vers von Goethes Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ hat Karl Leisner auf einer mit Fotos gestalteten Seite im Tagebuch zitiert.

Zürichsee_Tagebuch6_127

Der Zürcher See

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht,
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht
Das den großen Gedanken
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.

Von des schimmernden Sees Traubengestaden her,
Oder, flohest du schon wieder zum Him­mel auf,
Komm in rötendem Strahle
Auf den Flügeln der Abendluft,

Komm und lehre mein Lied jugendlich heiter sein,
Süße Freude, wie du, gleich dem beseelteren
Schnel­len Jauchzen des Jünglings,
Sanft, der fühlenden Fanny gleich.

Schon lag hinter uns weit Uto, an dessen Fuß
Zürch in ruhigem Tal freie Bewohner nährt;
Schon war man­ches Gebirge
Voll von Reben vorbeigeflohn.

Jetzt entwölkte sich fern silberner Alpen Höh’,
Und der Jünglinge Herz schlug schon empfindender,
Schon verriet es beredter
Sich der schönen Begleiterin.

Hallers „Doris“, die sang, selber des Liedes wert,
Hirzels Daphne, den Kleist innig wie Gleimen liebt;
Und wir Jünglinge sangen,
Und empfan­den wie Hagedorn.

Jetzo nahm uns die Au in die beschattenden
Kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt;
Da, da kamest du, Freude,
Volles Maßes auf uns herab!

Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich!
Ja, du warest es selbst, Schwester der Menschlichkeit,
Deiner Unschuld Gespielin,
Die sich über uns ganz ergoß!

Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch,
Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft
In der Jünglinge Herzen
Und die Herzen der Mädchen gießt.

Ach du machst das Gefühl siegend, es steigt durch dich
Jede blühende Brust schöner, und beben­der,
Lauter redet der Liebe
Nun entzauberter Mund durch dich!

Lieblich winket der Wein, wenn er Empfindungen,
Beß’re, sanftere Lust, wenn er Gedan­ken winkt,
Im sokra­tischen Becher
Von der tauenden Ros’ umkränzt;

Wenn er dringt bis ins Herz, und zu Entschließungen,
Die der Säufer verkennt, jeden Gedanken weckt,
Wenn er lehret ver­achten,
Was nicht würdig des Weisen ist.

Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silber­ton
In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit
Ist ein großer Gedanke,
Ist des Schweißes der Edlen wert!

Durch der Lieder Gewalt bei der Urenkelin
Sohn und Tochter noch sein, mit der Entzückung Ton
Oft beim Namen genennet,
Oft gerufen vom Grabe her,

Dann ihr sanfteres Herz bilden und, Liebe, dich,
Fromme Tugend, dich auch gießen ins sanfte Herz,
Ist, beim Himmel, nicht wenig,
Ist des Schweißes der Edlen wert!

Aber süßer ist noch, schöner und reizender,
In dem Arme des Freunds wissen ein Freund zu sein,
So das Leben genießen,
Nicht unwürdig der Ewigkeit!

Treuer Zärtlichkeit voll, in den Umschattungen,
In den Lüften des Walds, und mit gesenktem Blick
Auf die silberne Welle,
Tat ich schweigend den frommen Wunsch:

Wäret ihr auch bei uns, die ihr mich ferne liebt,
In des Vaterlands Schoß einsam von mir verstreut,
Die in seligen Stunden
Meine suchende Seele fand;

O, so bauten wir hier Hütten der Freundschaft uns!
Ewig wohnten wir hier, ewig! Der Schattenwald
Wandelt uns sich in Tempe,
Jenes Tal in Elysium![1]

[1] Friedrich Gottlieb Klopstock in: Stein, Gottfried / Zickel, Ernst: Die Silberfracht, Frankfurt/M. 21955: 88f.

Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind![1]

[1] Johann Wolfgang von Goethe in: Stein 21955: 34–37

Friedrich Gottlieb Klopstock (* 2.7.1724 in Quedlinburg, † 14.3.1803 in Hamburg) beschreibt in seinem berühmten Gedicht weniger den See und dessen Umgebung, als vielmehr eine Bootsfahrt vom 30. Juli 1750. Diese liegt dem Roman „Ein letzter Tag Unendlichkeit, Geschichte einer Lustfahrt“ des Schriftstellers Lucien Deprijck (* 1960 in Köln) zugrunde.

Deprijck

Lucien Deprijck, Ein letzter Tag Unendlichkeit, Geschichte einer Lustfahrt

Roman
240 Seiten
ISBN 978-3-293-00483-2
€ 19,95 / sFR. 28,90
Unionsverlag

Link zur Bücherrezension

Ob Karl Leisner nach dem Roman greifen würde?