Karl Leisner und der „Zug durch Sibirien“

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Mit 9288 km ist die Transsibirische Eisenbahn die längste Eisenbahnstrecke der Welt. Zwischen Moskau und Wladiwostok am Pazifik zählt sie über 400 Bahnhöfe und ist die Hauptverkehrsachse Russlands.
Christoph Strauch schrieb in der F.A.Z. vom 17. Oktober 2016 unter der Überschrift „Niemand reist allein durch Russland. Die Transsibirische Eisenbahn wird am Dienstag 100 Jahre alt. Einige feiern es schon – im Speisewagen.“ einen Artikel anläßlich des Jubiläums.
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Foto Wikipedia Commons
Historische Lokomotive in Wladiwostok

Karl Leisner traf durch eine Buchempfehlung auf einen völlig anderen „Zug durch Sibirien“.

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Edwin Erich Dwinger
Zug durch Sibirien, Jena 1933

Edwin Erich Dwinger (* 23. April 1898 in Kiel; † 17. Dezember 1981 in Gmund am Tegernsee) – deutscher Schriftsteller. Er publizierte von der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die 1960er Jahre der Bundesrepublik Deutschland. Die Übersetzung seiner Werke erfolgte in mehr als 12 Sprachen und erreichte insgesamt eine Auflage von etwa zwei Millionen.

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Edwin Erich Dwinger im Vorwort:

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Tagebucheinträge

Münster, Montag, 17. Dezember 1934
Spaziergang […] zur Sternstraße [5 in Münster] – bei Alfred Stecken[1] über Bündi­sches gesprochen und „ge­lernt“. – Schnell im Trapp zum Bispinghof in fünf Minuten.[…] 15.05 Uhr am Kolpinghaus. Mit Alfred St. zum Bundes­amt. […] Alfred empfahl mir Dwinger „Sibirische Reise?“ (Diederichs-Jena). Er „macht“ stark in russisch. Doch das Ganze ist doch von starkem Leben getra­gen. Er hat Mut. (Schulvortrag über Jugendbewegung – HJ „Zwangs-Einheit“!)

[1] Dr. med. habil. Alfred Antonius Stecken (Deckname Bacculo von baculum (lat.) = Stock) (* 5.1.1918 in Münster, † 6.3.2002 in Hof) – 1945 Münster, Sternstr. 5 – Besuch der Volks­schule in Münster 1924–1928 – Eintritt ins Gymnasium ebd. 1928 – Teilnahme an der Fahrt in die Bockholter Berge u. in die Schweiz 1932 – Inhaftierung durch die Ge­stapo 1936/1937 – Abitur in Münster 1937 – Sprachstudium in Münster – Medizinstudium 1938 – Studienverbot aus politischen Gründen – Sprachstudium in Hamburg 1939 – Ab­schluß­examen in Spanisch u. Englisch – RAD u. Soldatenzeit – Wiederaufnahme des Medizin­studiums nach Verwun­dungen 1941/1942 – Kriegsgefangen­schaft – Staatsexamen 2.2.1947 – Heirat mit Gesa Edel – 3 Kinder – Leiter der Röntgenabteilung der 1. Medizinischen Klinik und Poliklinik an der Humboldt-Universität in Berlin (Cha­rité) September 1955 bis September 1961 – Habilitation 1960 – Flucht in den Westen auf Grund des Mauerbaus 13.8.1961 – Veröf­fentlichungen wissen­schaftlicher Beiträge auf dem Gebiet der kar­diologischen Röntgen­dia­gnostik u. Publi­kati­onen von verschiedenen Studien über Lungen­gefäße – Bis zum Eintritt in den Ruhe­stand arbeitete er als Röntgenologe in Hof.

Wieviel Mut Alfred Stecken hatte, erfuhr Karl Leisner 1937.

Münster, Dienstag, 16. November 1937
Sonst noch: Heute mor­gen das zufällige Zu­sammentreffen mit Alfredo Bacculo[1], dem alten Bekannten. Er konnte sehr interessant berich­ten vom vergangenen Jahr. Von seiner großen Sizilien­fahrt.[2] Präch­tig! Auch das am Ro² Junge, Junge![3] – O tempus! [Was für eine Zeit!] Da wird’s einem doch anders! Er ist reif dabei geworden, mein alter Freund – der liebe Don Alfredo. – Das sagt alles! – Er erzählt auch begeistert von seinen Plänen und von seinem herrlichen Süden. Welche Zukunft! Lenza un sentimento con­na­tale (sc. zio!) [Sende ein brüderliches Gefühl (sc. Onkel!)] – Einige Lieder zur Laute singen von Sehnsucht nach Leben und Freiheit. Das war ein feines Wiedersehn! Nach solchen Monaten der Trennung!

[1] Vermutlich hat Karl Leisner den Namen verschlüsselt und die folgende Begeg­nung undeutlich geschildert, weil Alfred Stecken 1936/1937 fast ein Jahr von der Gestapo wegen illegaler Jugendarbeit inhaftiert war.
[2] In seinem Personalbogen der Humboldt-Universität in Berlin schrieb Alfred Stecken 1953 auf die Frage: Waren Sie im Ausland:
Als Schüler 19321936 mehrere Auslandsfahrten nach Frankreich, Belgien, Holland, Schweiz, Italien, Österreich, England, Dänemark, Schweden.
[3] Es ist nicht klar, was mit Ro² gemeint ist.