Vor 20 Jahren starb der österreichische Schriftsteller und Kulturpolitiker Dr. Viktor Matejka (* 4.12.1901 in Kroneuburg/A, † 2.4.1993). Ihm verdankten die KZler im KZ Dachau die Möglichkeit, auch dort die Welt der Bücher zu betreten.
1934 bis 1938 arbeitete der Linkskatholik, Anhänger der Volksfront, Kommunist und Pazifist als Bildungsreferent der Wiener Arbeiterkammer und war von 1934 bis 1936 frei gewählter Obmann des Volksheims Ottakring, der späteren Volkshochschule. In dieser Position versuchte er, eine gewisse Liberalität gegenüber den bisherigen, oft sozialdemokratischen Vortragenden, walten zu lassen. Viktor Matejka wurde deshalb 1936 vom christlich-sozialen, vaterländischen Bürgermeister Richard Schmitz wegen staatsfeindlicher Ausrichtung abgesetzt.
Von 1936 bis 1938 folgten politische Reisen ins europäische Ausland, nach Frankreich, Großbritannien, Belgien und in die Schweiz. Kein Wunder, daß Viktor Matejka mit seiner Einstellung den Nationalsozialisten unliebsam war und als einer der ersten österreichischen Intellektuellen im KZ Dachau landete. Es mutet fast wie ein Witz an, dass sein Wiener politischer Widersacher Schmitz dieses Schicksal teilte. Matejka war bis 1944 in Dachau und Flossenburg inhaftiert.
Nach dem „Anschluß“ Österreichs wurde Viktor Matejka verhaftet und mit dem „Prominententransport“ am 1. April 1938 ins KZ-Dachau gebracht, wo er bald die Häftlingsbücherei betreute und seine subversiven „Pickbücher“ im Lager verbreitete: eine Sammlung von Zeitungsausschnitten, mit Hitlerreden und Heeresberichten, Artikeln über Kunst, Literatur, Musik und Philosophie, säuberlich ausgeschnitten, geordnet und zu Themengruppen archiviert.
Nach Kriegsende wurde Viktor Matejka 1945 von der KPÖ [Kommunistischen Partei Österreichs] als Wiener Stadtrat für Kultur und Volksbildung nominiert. Er war übrigens als ehemaliger KZler der einzige Politiker, der jemals nach dem Holocaust Briefe an jüdische Emigranten und Überlebende geschrieben, sie um Entschuldigung gebeten und offiziell eingeladen hat, nach Österreich zurückzukommen. Dem christlich-sozialen späteren Bundeskanzler Leopold Figl, der ebenfalls im KZ war, ist diese menschliche und versöhnliche Geste nicht eingefallen.
Leopold Figl (* 2.10.1902 in Michelhausen/A, † 9.5.1965 in Wien) – Politiker der Österreichischen Volkspartei – Er wurde am 12. März 1938 verhaftet und ebenso wie Viktor Matejka und Richard Schmitz mit dem „Prominententransport“ ins KZ Dachau gebracht, aus dem er zunächst am 8. Mai 1943 entlassen wurde. Er arbeitete als Erdölingenieur in Niederösterreich, bis er am 8. Oktober 1944 noch einmal verhaftet wurde und ins KZ Mauthausen kam. Angeklagt wegen Hochverrats, überstellte man ihn am 21. Januar 1945 an das Landesgericht Wien. Dort erlebte er das Ende des Krieges in einer der Todeszellen. Von 1945 bis 1953 war er österreichischer Bundeskanzler.
Nicht zuletzt wegen seiner aufrechten und geraden Haltung wurden Viktor Matejka etliche Auszeichnungen und Ehrungen zuteil, so etwa der Preis der Stadt Wien für Volksbildung 1977, die Ernennung zum „Bürger der Stadt Wien“ 1991 und schließlich 1998 posthum die Benennung der Viktor-Matejka-Stiege in Wien-Mariahilf.
Selbst das nicht gerade als links geltende deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ widmete Viktor Matejka 1993 einen respektvollen Nachruf:
„Es war wohl die gefährlichste Theateraufführung der Welt gewesen, und die absurdeste dazu: Im Sommer 1943 spielten Insassen des KZ Dachau unter den Augen ihrer SS-Wächter eine Satire auf Adolf Hitler. Leiter des Ensembles war Viktor Matejka. Der österreichische Regimegegner war bereits 1938 mit dem sogenannten Prominentenzug nach Dachau gekommen. Dass er den Krieg und das Stück überlebt hatte, verdankte er seinem Geschick, das nur Böswillige und Unwissende später als Kollaboration bezeichneten. Doch selbst seine Gegner mussten dem unorthodoxen Linken zugestehen, dass er sich nach 1945 als Wiener Kulturstadtrat und Mitglied der KPÖ als einer der ersten und wenigen um die Wiedergutmachung und Bewältigung des Nazi-Terrors bemühte. Und es sprach für ihn, dass das größte Lob ausgerechnet vom berüchtigten Antikommunisten und Kritiker Hans Weigel [* 29.5.1908, † 12.8.1991][1] kam: ‚Er ist das Gewissen einer Stadt, er ist einer der raren Gerechten, um derentwillen der Stadt verziehen werden muss, was sie an Schwächen im Lauf der Zeitgeschichte gezeigt hat‘“.
[1] Julius Hans Weigel, freier Schriftsteller und bis 1962 auch Theaterkritiker, lebte mit Ausnahme seiner Zeit im Schweizer Exil (1938-1945) in Wien.
Die bisherigen Ausführungen sind vorwiegend aus Zitaten aus folgenden Internetadressen zusammengestellt:
URL http://camerahumana.wordpress.com/2013/02/19/sohne-des-weinviertels-viktor-matejka-stockerau-und-so-wurde-ich-pazifist/ – 24.6.2013
URL http://www.dasrotewien.at/matejka-viktor.html – 24.6.2013
Lagerbibliothek im KZ Dachau
Die Lagerbibliothek im KZ Dachau existierte ab 1933. Anfangs enthielt sie vorwiegend religiöse Traktate aus der Dachauer Gefängnisbibliothek. Die Lagerbibliothek gehörte zu den segensreichsten Einrichtungen des KZ. Die SS nutzte sie als Alibi für Besucher, die Häftlinge hingegen funktionierten sie um für den Widerstand. Sie bestand im Laufe der Jahre vor allem aus Büchern, die man den Neuankömmlingen abgenommen hatte, denn die Häftlinge durften keine Bücher besitzen. In der Bibliothek gab es auch Bücher von Gegnern Adolf Hitlers und der NSDAP. Private Bibliotheken wurden beschlagnahmt und in die Lagerbibliothek geliefert. So kam unter anderen eine Beute-Bibliothek aus Frankfurt/M. ins KZ Dachau, ebenso Bibliotheken aus Österreich. Die SS-Bibliothekare waren nicht fähig, den Inhalt zu beurteilen. Verantwortlich war ein schwäbischer SS-Schulungsleiter (Oberscharführer). Obwohl er ursprünglich Dorfschullehrer war, hatte er von Literatur keine Ahnung. Der österreichische Schriftsteller und KZ-Häftling Viktor Matejka hatte die Aufgabe, die Bücher zu sortieren. Er ermöglichte den Häftlingen auch den Zugang zu verbotenen Autoren. So konnte man manches ausleihen, was im ganzen Deutschen Reich verboten war, u. a. Bücher der beiden Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann. Es wurden auch verbotene Bücher eingeschmuggelt, indem man zum Beispiel den Namen eines jüdischen Autors unkenntlich machte. Dann hatte ein Buch zwar einen Titel, aber keinen Autor. So verhielt es sich bei dem Juden Karl Kraus (1874–1936), dem bedeutendsten österreichischen Schriftsteller Anfang des 20. Jahrhunderts. NS-Literatur wurde kaum gelesen. Vor der Befreiung hatte die Lagerbibliothek einen Bestand von 13.000 Bänden. Nach der Befreiung haben Häftlinge sie geplündert und die Bücher als Andenken mitgenommen.
P. Sales Heß OSB:
Leider waren nur wenig theologische Bücher vorhanden. Von zu Haus etwas schicken zu lassen, war sehr schwer. Die SS-Leute begriffen nicht, wozu wir Bücher brauchten. und wetterten, wenn sie mehr als ein Buch im Spind fanden.
Für andere Wissenszweige war die Bibliothek vorhanden. Es gab neben manch Schlechtem auch viel Wertvolles darin. Jeder konnte sich jede Woche ein Buch bestellen. Die Bibliothekare, Häftlinge natürlich, waren immer freundlich und hilfsbereit. Es fiel mir gleich auf. daß die rauhe Tonart von Dachau in der Bibliothek keinen Raum fand. Es war fast wie auf Block 26 unter den Geistlichen. Übten die Bücher diesen wohltuenden Einfluß aus?[1]
[1] Heß, Sales: Dachau – Eine Welt ohne Gott, Münsterschwarzach ³1985: 96
Dieses Exemplar gehörte vermutlich dem KZ-Priester Josef Albinger (* 20.12.1911 in Neuhof-Ellers, † 26.10.1995 in Pappenhausen), wie auf dem Schutzumschlag aus dem KZ noch schwach zu lesen ist.
Die Erteilung heiliger Weihen in der katholischen Kirche. Nach dem römischen Pontifikale lateinisch und deutsch, 61. bis 65. Auflage in neuer Bearbeitung, Mainz 1939
Dieses Exemplar gehörte Pater Kurt Dehne SJ (* 30.5.1901 in Hannover, † 2.3.1990 in Münster).
Josef Albinger und Kurt Dehne gehören zu den Gratulanten zur Priesterweihe.
(rechte Spalte: Kurt Dehne 6. von oben, Josef Albinger 16. von oben)
Bücher, die Häftlinge sich ins KZ schicken ließen, mußten zunächst in der Lagerbibliothek abgeliefert werden, man durfte sie aber dann ausleihen.
Im Effekten-Verzeichnis des KZ Dachau für Karl Leisner steht der Eintrag:
27.8.43 vom Blockführer mehrere Lehrbücher zu den Effk. eingereiht. 5 Bücher auf der Poststelle ausgefolgt.
P. Gregor Schwake OSB:
[Es gab] einen Bücherausweis zur Benutzung der Lagerbücherei, den der Blockälteste unterschrieb.[1]
[1] Albert, Marcel: Gregor Schwake. Mönch hinter Stacheldraht. Erinnerungen an das KZ Dachau, Münster 2005: 46
Karl Leisner am 15. September 1941 aus Dachau an seine Mutter in Kleve:
Liebste Mutter!
Dir darf ich diesen Sonderbrief schreiben um Übersendung folgender Sachen: 1. des „Deutschen Breviers“ (herg. von Dr. Joh. Schenk bei Pustet – Regensburg) – bei meinen Büchern im Seminar –; 2. der Heiligen Schrift a) des Alten Bundes (Ausgabe in Auswahl von Henne Gräff bei Schöningh – Paderborn zu 2,00 RM)[1] b); des Neuen Bundes (Kepplerbibel)[2]; 3. unseres Diözesangebetbuches[3] und eines Erbauungsbuches (entweder „Organische Aszese“ von Dr. Schmidt bei Schöningh[4] oder „Der Priester in der modernen Welt“ von Dr. Sellmair[5] – was Fräulein El. [Elisabeth] Peiffer mir damals schenkte). Eventuell auch P. [Richard] Gräf [CSSp] „Ja, Vater“[6] oder [Romano] Guardini „Der Herr“[7].
[1] Henne, Eugen / Rösch, Konstantin: Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes, Paderborn 1936
[2] Ketter, Peter: Das Neue Testament. Stuttgarter Kepplerbibel, Stuttgart 1940
[3] Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Münster. Hg. Johannes Poggenburg, Münster 1932
[4] Schmidt, Hermann: Organische Aszese. Ein zeitgemäßer, psychologisch orientierter Weg zur religiösen Lebensgestaltung. Aus Schönstatts Geisteswelt, Paderborn 1938
[5] Sellmair, Josef: Der Priester in der Welt, Regensburg 1939
[6] Gräf, Richard: Ja, Vater! Alltag in Gott, Regensburg 1936
[7] Guardini, Romano: Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 1937
Karl Leisner am 4. Oktober 1941 aus Dachau an seine Familie in Kleve:
Ihr Lieben daheim!
Die feinen Bücher und das andere kamen vorgestern an.
Karl Leisner am 20. Februar 1942 aus Dachau an seine Familie:
Unserm Friedrich [Karl Leisner] schickt bitte per Drucksache aus meinen Büchern: Die Weihetexte (das Bändchen vom Mainzer Verlag Kirchheim, jetzt Falk und Söhne).[1]
[1] Die Erteilung heiliger Weihen in der katholischen Kirche. Nach dem römischen Pontifikale lateinisch und deutsch. 61. bis 65. Auflage in neuer Bearbeitung. Mainz 1939. Verlag von Kirchheim & Co. GmbH. Druck: Joh. Falk 3 Söhne GmbH.